Diskussion um das Vorurteil "dunkles Mittelalter"

Ich habe irgendwo gelesen oder gehört, das die Redewendung "dunkles Mittelalter" daher rührt, das es aus einigen Epochen nur sehr wenige schriftliche Zeugnisse gibt...

Der Ausdruck "dunkles Mittelalter" bzw. "finsteres Mittelalter" stammt aus der Renaissancezeit, deren Anfänge kurioserweise aber selbst im späten Mittelalter liegen.
Von der oftmals bis heute postulierten Quellenarmut insbesondere des Frühmittelalters kommt der Ausdruck "Dunkle Jahrhunderte" bzw. "Dark Ages", doch einige Arbeiten haben sich aufzuzeigen bemüht, daß zumindest Historiker derartige Charakterisierungen überdenken sollten.
Maximilian Weltin greift in seinem 2006 erschienenen Das Land und sein Recht: Ausgewählte Beiträge zur Verfassungsgeschichte ebenjenen Satz auf, welchen Heinrich Fichtenau bereits 1984 in seinen Lebensordnungen des 10. Jh. tätigte:
Heinrich Fichtenau schrieb:
Die oft beklagte Quellenarmut dieses Jahrhunderts ist ja ein Märchen aus jener Zeit, die von den Urkunden, vor allem den 'Privaturkunden', keinen Gebrauch machte...
Vgl. dazu Das Land und sein Recht: Ausgewählte ... - Google Buchsuche
Michael McCormick wiederum spricht zwar in seinem 2001 erschienenen Origins of the European Economy. Communications and Commerce, A.D. 300-900 von einer "early and incomplete study", zeigt jedoch ein weitaus dichteres Netz an Quellen und Belegen auf, als es bisher angenommen bzw. berücksichtigt wurde wurde.
Rezension dazu: Michael McCormick: Origins of the European Economy

Z.B. die Merowingerzeit, in der die einzige gute Quelle Gregor v. Tours ist.

Er gilt zwar als Hauptquelle, aber nach neuerem Forschungsstand als nicht immer zuverlässig; außerdem gibt es bzgl. Merowingern und Merowingerzeit noch zwei weitere nicht weniger gute - i.S.v. aussagekräftige - Quellen: Prokopios von Caesarea und Agathias.
 
Zufällig über dieses alte Thema gestolpert.
Der Ausdruck "dunkles Mittelalter" bzw. "finsteres Mittelalter" stammt aus der Renaissancezeit, deren Anfänge kurioserweise aber selbst im späten Mittelalter liegen.
Von der oftmals bis heute postulierten Quellenarmut insbesondere des Frühmittelalters kommt der Ausdruck "Dunkle Jahrhunderte" bzw. "Dark Ages", doch einige Arbeiten haben sich aufzuzeigen bemüht, daß zumindest Historiker derartige Charakterisierungen überdenken sollten.
Das haben Historiker bereits lange getan. bspw.
Hans-Werner Goetz, Professor für mittelalterliche Geschichte in Hamburg:
"Im allgemeinen Sprachgebrauch wird das Mittelalter oft abschätzig beurteilt: Es gilt - mit den Augen der Aufklärung bzw. des Bürgertums - als "finster" und rückständig, als das "Pfaffenzeitalter", in dem Weltliches und Geistliches miteinander um den Vorrang stritten; als "mittelalterlich" werden gern solche Zustände bezeichnet, die hoffnungslos veraltet sind (auch wenn sie tatsächlich vielfach erst später entstanden sind). Da hilft es wenig, den Begriff selbst abschaffen zu wollen. Es gilt vielmehr, das Bild vom "finstren" Mittelalter durch Forschung und intensive Öffentlichkeitsarbeit aufzuhellen."

Zwei Streitpunkte hätte ich noch:
- Medizin und Kunst
die Medizin in der Antike scheint für mich aufgeklärter, zwar gab es auch hier religiöse Opfer zur Heilung, aber man verbindet die Antike auch mit Namen wie Hippokrates und Galen. Zudem gabe es Hospitäler und Ärzteschulen, die mir aus dem Mittelalter nicht sehr bekannt sind. Beim Mittelalter ist das alles immer sehr religiös oder sehr auf Kräuterfrauen in meiner Vorstellung ausgerichtet.
bei der Kunst ist dies sicherlich Geschmackssache. Aber ich persöhnlich kann auch den antiken Säulen, Tempeln und Statuen mehr abgewinnen, wie der mittelalterlichen Kirchenkunst. Aber wie gesagt vor allem Geschmackssache.
Langsam denke ich, dass das Mittelalter vor allem durch den Einfluss der Kirche als dunkel gilt.
Lies dir dazu mal bitte die medizinischen Ratschläge des Plinius d.Ä. durch. Das ist Hausmedizin wie sie im Buche steht.
Dagegen stehen mittelalterliche Spitäler u.ä. die mitunter sogar mehr auf dem Kasten hatten (Stichwort: Kräuterkunde).
Dagegen sind Seuchen, gerne auch als Pest bezeichnet, nicht erst mittelalterliche / neuzeitliche Phänomene, sondern werden in der Antike eingeschleppt, und deren Medizin steht ebenso machtlos daneben, wie die mittelalterliche.

Nur als Einwurf, weil es hier auch besprochen wurde: Das Bild des "dunklen Mittelalters" hat keineswegs nur kleine Kreise beibehalten. Darsteller, die z.T. in Museen als Vermittler von Geschichte und Rekonstrukteure eines Bildes bestimmter Zeiten auftreten halten ebenfalls noch gerne an diesem Bild und den pauschalisierenden Schuldzuweisungen in Richtung Kirche fest.
Beispielhafte Diskussionen anderer Foren kann ich gerne anführen :)
Das hat wenig mit Romantik zu tun, eher mit eigenen Klischeevorstellungen, Vorurteilen und mangelndem Wissen / Willen sich zu informieren.
 
Wieso wird in diesem Faden so heftig gegen „Dunkles“ als Kennzeichen für das Mittelalter protestiert? Oder vielmehr das Mittelalter als Hort des Wissens, der Kultur und der Kunst hochgejubelt?

Wieso aber kamen die Humanisten, die ja alle "zutiefst mittelalterliche Menschen" waren – so der Autor des Eröffnungsbeitrags in #8 – zu einem anderen Urteil?

Wie u.a. Theodor E. Mommsen belegt, hat Petrarca (1304-1374) diesen Begriff (tenebrae = Dunkelheit), der ursprünglich von frühen christlichen Autoren für römische Welt ohne Christentum benutzt wurde, umgekehrt: Für ihn war die pagane römische Welt Licht, und alles, was danach kam, Dunkelheit.

Petrarca gehörte selbst dem Mittelalter an – und empfand es als dunkel, arm und elend. Und er musste es wissen, oder?

Aber er hoffte, dass nach ihm mehr Licht käme – was 100 Jahre später tatsächlich kam: Der Bruch* mit dem Mittelalter war mit der Renaissance gekommen, gefolgt von der Aufklärung, die in anderen Sprachen fast ausnahmslos mit Licht in Verbindung gebracht wird – als Erleuchtung.

* Dass man jetzt auch von der karolingischen, ottonischen, ja selbst einer Renaissance des 12. Jahrhunderts spricht, ist eine Irreführung, denn diese Bewegungen bedeuteten keinen Bruch mit dem Mittelalter, sondern sie setzten dieses Zeitalter, mit dem antiken Wissen angereichert, fort, ohne dem Wunsch zu haben, mit den Traditionen der Zeit zu brechen. Das schafften erst die Humanisten, deren erster Vertreter wohl Petrarca war. Ich plädiere deswegen für etwas mehr Respekt für die Zeitzeugen Petrarca, Dante, Boccaccio und andere Humanisten der Renaissance.
 
Aber er hoffte, dass nach ihm mehr Licht käme – was 100 Jahre später tatsächlich kam: Der Bruch* mit dem Mittelalter war mit der Renaissance gekommen, gefolgt von der Aufklärung, die in anderen Sprachen fast ausnahmslos mit Licht in Verbindung gebracht wird – als Erleuchtung.

Ich glaub da werden wir uns nicht einig werden.

"C.S. Lewis is alleged to have quipped that “the Renaissance is simply the bits of Medieval history that modern people happen to like”. Even if this comment is apocryphal, it is fairly accurate (Edit: See the comment below by Paul Gercken, who has tracked down what Lewis actually said). Somehow the invention of eye glasses, mechanical clocks and the printing press can all be claimed for the Renaissance and it can be stretched all the way to Shakespeare and Newton, but the Middle Ages can keep nasty things like the Flagellant movement, thank you very much."

The Great Myths 13: The Renaissance Myth - History for Atheists

In die Renaissance fallen auch so "tolle" Ereignisse wie die Hexenverfolgung oder der grausame dreißigjährige Krieg. Ich halt es für sehr naiv die Renaissance als so viel besser als das Mittelalter zu halten.
 
In die Renaissance fallen auch so "tolle" Ereignisse wie die Hexenverfolgung oder ...
... der Niedergang der spätmittelalterlichen Badekultur...


Petrarca gehörte selbst dem Mittelalter an – und empfand es als dunkel, arm und elend. Und er musste es wissen, oder?
Dass früher alles besser war, wussten viele schon lange vor Petrarca. Die Idealisierung eines vermeintlich goldenen Zeitalters in ferner Vergangenheit zieht sich durch viele Kulturen und Epochen.
Petrarca hatte natürlich die Stadt Rom vor Augen, deren Einwohnerzahl seit der Antike stark geschrumpft war, mit seinen kolossalen Ruinen.
In Petrarcas Sicht waren es die Barbaren, die das alte herrliche Rom entkräftet, verkrüppelt und nahezu aufgezehrt haben (...inter manus barbaricas imminutum atque debilitatum et pene consumptum sit); die Lenkung des Reichs übernahm das "verweichlichte Syrien", das "harte Gallien", das "geschwätzige Griechenland" und Illyricum, und am Ende ergriff der Norden die Macht.
 
... der Niedergang der spätmittelalterlichen Badekultur...

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.....Und der mittelalterlichen Bordellkultur. Die Frauenhäuser mittelalterlicher Städte waren in vielem sehr modern. In den "Frauenhäusern" mittelalterlicher Städte gehörte eine regelmäßige ärztliche Untersuchung und die Freiwilligkeit der Insassinen zum Standard. Manche Bordelle in Städten wie Nürnberg, wo Kaiser Friedrich III. und sein Sohn Maximilian einmal zu Gast waren, gehörten zu Sehenswürdigkeiten. In Venedig aber auch in Rom gab es Reiseführer, in denen Damen des Horizontal-Gewerbes mit Preisen und Dienstleistungen verzeichnet waren.

Die Politik mittelalterlicher Städte zeichnete sich durch ein recht hohes Maß an Pragmatismus und Toleranz aus. Es gab Sperrbezirke, und es gab Hygiene-Standards und gut organisierte ärztliche Untersuchungen und es gab relativ strenge Regularien die die Freiwilligkeit der Dienstleistungen garantieren sollten, und es besaßen die "Hübschnerinnen" gewisse Rechte, die auch ihre Position gegenüber den "Frauenwirten" und Bordellpächtern stärkten.

In der frühen Neuzeit verschlechterte sich in vielen Städten die Lebenssituation der Dirnen. Franz Irrsiegler und Arnold Lasotta untersuchten die Verhältnisse in Köln. Das Kölner Frauenhaus der Berlich war im 16. und 17. Jahrhundert heruntergekommen zu einem Zwangsbordell, in dem die Frauen kaum mehr freiwillig arbeiten wollten. Die Prostitution wurde sehr stark tabuisiert, und in die Illegalität getrieben. Damit verfielen auch die Hygiene-Standards und ärztlichen Untersuchungen.

Im 17. und 18. Jahrhundert verbreiteten sich Geschlechtskrankheiten wie Syphilis. In Zeichnungen von Albrecht Dürer und William Hogarth sind verschiedene Zeitgenossen abgebildet, die deutliche Symptome einer Syphiliserkrankung zeigen. Autoren wie Paracelsus beschrieben die Krankheit und Behandlungsmethoden z. B. mit Gujak-Holz, Bartolome de Las Casas und andere waren der Meinung, dass die Krankheit aus Amerika stammte. In Augsburg gründeten die Fugger eine Fachklinik, wo Infizierte mit Guyakholz therapiert wurden. es wurde Syphilis auch mit Quecksilber behandelt, eine schauderhafte Rosskur mit Nebenwirkungen einer Chemotherapie, die Casanova mehrfach über sich ergehen lassen musste. Sehr poetisch beschrieb Ulrich von Hutten die "vermaledeite französische Krankheit", an der er letztlich auch starb.

Schon etwas bejahrt und auf Köln beschränkt, aber überaus informativ und mit reichhaltigen Quellenverweisen ist

Franz Irrsiegler/Arnold Lasottas Bettler und Gaukler, Dirnen und Henker-Außenseiter in einer mittelalterlichen Stadt

auch heute noch sehr lesenswert.
 
Ich plädiere deswegen für etwas mehr Respekt für die Zeitzeugen Petrarca, Dante, Boccaccio
Saperlot, was ist denn das schon wieder für ein aufgeblasener Unsinn??

Es gibt keine Kulturgeschichte, keine Literaturgeschichte, welche "respektlos" mit Petrarca, Dante, Boccaccio umgeht - das genaue Gegenteil ist er Fall: die werden zur absoluten Spitze der Literatur ihrer Zeit und darüber hinaus (Wirkungsgeschichte) gezählt.
...ausgerechnet Dante, göttliche Komödie, benötigt mehr Respekt und Sankt Dion*) ist der Anwalt dieses allseits unterschätzten und respektlos rezipierten Werks... wer das glaubt (das muss man schon glauben, denn zu wissen gibt es das nicht), der kann mit Dante "alle Hoffnung fahren lassen"...
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*) zu den Rittern zählt dieser nicht, denn eine mittelalterliche Quelle vermeldet über solche: ein ritter sô gelêret was daz er an den buochen las - in Sachen Literatur-, Kulturgeschichte ist das bei ihm offensichtlich nicht der Fall
 
Es gibt keine Kulturgeschichte, keine Literaturgeschichte, welche "respektlos" mit Petrarca, Dante, Boccaccio umgeht ...
Das stimmt. Allerdings meinte ich nicht diesen Respekt. Welchen ich meinte, geht es klar aus meinem Beitrag hervor: Wenn Petrarca und andere Humanisten, die das Mittelalter kannten, sagten, dieses Mittelalter war dunkel, dann sollten wir das respektieren.

Aber was passierte stattdessen? So wie vor meinem Beitrag das Mittelalter fast unisono hochgejubelt wurde, so wird, mit einer Ausnahme, jetzt die Renaissance bzw. die Neuzeit mit Dreck beworfen, auf dass das Mittelalter heller erscheine. Geht’s noch?
 
So wie vor meinem Beitrag das Mittelalter fast unisono hochgejubelt wurde, so wird, mit einer Ausnahme, jetzt die Renaissance bzw. die Neuzeit mit Dreck beworfen, auf dass das Mittelalter heller erscheine.
da wäre ich für eine Literaturliste dankbar, um das nachzulesen:
a) Fachliteratur, die das Mittelalter "hochjubelt"
b) Fachliteratur, welche "die Renaissance (...) mit Dreck bewirft"

Bin gespannt!
 
Wenn Petrarca und andere Humanisten, die das Mittelalter kannten, sagten, dieses Mittelalter war dunkel, dann sollten wir das respektieren.
Es ist zunächst einmal eine Bewertung, die Petrarca vornahm und zwar eine Bewertung in erster Linie mittelalterlichen Kunstschaffens. Petrarca hat hier also seinen Geschmack gewissermaßen absolut über den früherer Epochen gesetzt.
 
Ja, @El Quijote, sicher war das eine Bewertung seitens Petrarca. Aber in diesem Faden gibt es eine Menge Äußerungen, die sagen, das Mittelalter sei nicht dunkel gewesen (auch eine Bewertung!), das wäre nur ein Vorurteil bzw. eine Erfindung der Neuzeit, um das eigene Zeitalter besser aussehen zu lassen.

Ich habe dem entgegengesetzt, dass der Begriff „dunkles Mittelalter“ eben nicht eine Erfindung der später geborenen ist, sondern aus dem Mittelalter selbst kam: Petrarca spricht über seine eigene Zeit als dunkel – und das war eben Mittelalter. Das ist alles.
 
Ich habe dem entgegengesetzt, dass der Begriff „dunkles Mittelalter“ eben nicht eine Erfindung der später geborenen ist, sondern aus dem Mittelalter selbst kam: Petrarca spricht über seine eigene Zeit als dunkel – und das war eben Mittelalter. Das ist alles.
Das ist eben zu simpel. Vor allem auch, weil das was Petrarca mit dunklem MA meinte gar nicht deckungsgleich mit dem ist, was wir mit dunklem Mittelalter meinen und wir Dinge, die der FNZ angehören (also nach Petrarca) auf das MA rückprojezieren, weil das unserem - falschen - Bild vom MA entspricht. In diesem Thread wird also mit Klischees aufgeräumt. Du forderst quasi, mit Petrarca als Kronzeugen, die Tradierung des Klischees, übersiehst dabei aber, dass wir Petrarca heute noch als Menschen des Mittelalters sehen. Er selbst sah sich ja gerade nichts so. Petrarca empfand halt gotische Architektur, Kunst und Schrift als barbarisch und wollte zurück zu klassischer Architektur, Kunst und Schrift (was witzigerweise dazu führte, dass die Humanisten plötzlich nach Jahrhunderten der Benutzung gotischer Fraktur wieder die karolingische Minuskel reaktivierten, wird gerne in Paläographie-Übungen verwendet, um Studierende zu foppen.). Petrarca ist ein Mensch, der aufgrund für ihn glücklicher Unstände Zugang zu griechischer Mythologie ohne den Umweg über Vergil hatte.

[edit: was > wir]
 
Zuletzt bearbeitet:
Petrarca spricht über seine eigene Zeit als dunkel
ma ja, sowas kam zu allen Zeiten vor: Adalbert von Chamisso (dt. Romantik) bezeichnete seine Zeit als "Zeit der schweren Not", Grimmelshausen (30jähriger Krieg) resümiert seine Zeit ebenfalls nicht gerade rosig - - was Petrarca betrifft, hat dir doch @El Quijote mitgeteilt, wie das zu verstehen ist.
 
Wie ich dies sehe...
Wir haben hier gleich 2 Threads zum Mittelalter.
Ich habe es gern wenn wir bei solchen Themen auch den Zeitabschnitt nennen in denen wir uns bewegen.
Hier dann also Mittelalter d.h. Früh-, Hoch- und Spätmittelalter in Europa in den Jahren 500 n.Chr. – 1.500 n.Chr.

Also für mich war weder das Mittelalter „Dunkel“, wie es in der Überschrift heißt, noch war das Mittelalter ein „Rückschritt“, wie in dem parallelen Thread hier heißt.
Bei so was bin ich bei Goethe/Faust.

Famulus Wagner sagt:
„Verzeiht! es ist ein großes Ergetzen, sich in den Geist der Zeiten zu versetzen, zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht, und wie wir’s dann zuletzt so herrlich weit gebracht“.

Darauf Faust:
„Oh ja, bis zu den Sternen weit! Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit sind uns ein Buch mit sieben Siegeln. Was ihr den Geist der Zeiten heißt, das ist der Grund der Herren eigner Geist, in dem sich die Zeiten bespiegeln…“.

Solche Leute wie z.B. Dante Alighieri (1265-1321) oder Francesco Petrarca (1304-1374) gab es immer in der einen oder anderen Form über die Zeit.
In der Zeit der Antike z.B. Vergil oder Homer, in der Neuzeit z.B. Shakespeare oder Goethe.

Wenn’s um „Dunkles Mittelalter“ oder „Rückschritt Mittelalter“ geht stelle ich mir die Frage, an was macht man dies Fest?
Bleiben wir mal beim „Dunkel“.
Die „Frühe Neuzeit“ (1450-1650, die darauffolgende „Jüngere Neuzeit“ (1650-1789) und auch die „Neuste Zeit“ ab 1789 bis zur Gegenwart hat wohl unumstritten viele, viele dunkle Seiten. Ich erspare mir dazu Beispiele, weil, diese liegen auf der Hand.
Dasselbe trifft auch wohl für die Zeit vor dem Mittelalter (Antike Zeit) zu.
 
Das ist eben zu simpel. Vor allem auch, weil das was Petrarca mit dunklem MA meinte gar nicht deckungsgleich mit dem ist, was wir mit dunklem Mittelalter meinen und wir Dinge, die der FNZ angehören (also nach Petrarca) auf das MA rückprojezieren, weil das unserem - falschen - Bild vom MA entspricht.
Ist sehe es gerade umgekehrt: Weil neuerdings das Mittelalter heller gesehen werden soll als Petrarca und wir es noch vor wenigen Jahrzehnten gesehen haben, werden nun die Antike, Renaissance und Aufklärung kritischer gesehen. Das ist zwar verständlich, aber falsch.*

Du forderst quasi, mit Petrarca als Kronzeugen, die Tradierung des Klischees, übersiehst dabei aber, dass wir Petrarca heute noch als Menschen des Mittelalters sehen. Er selbst sah sich ja gerade nichts so.
Er sah sich nicht als dem Menschen des Mittelalters, weil es diesen Begriff noch gar nicht gab. ;)

Im Ernst: Seine Zeit bezeichnete Petrarca als dunkel, arm und elend – und hoffte auf Besserung, die dann, nach seinem Tod, mit der Renaissance auch kam. Renaissance war genau das, war er sich erhoffte: Die Rückbesinnung auf die Antike. Darüber kann es (hoffentlich) keine 2 Meinungen geben.

Das Problem ist ein anderes: Ich beobachte schon seit geraumer Zeit, wie Revisionismus auch in der Geschichtswissenschaft seit dem Spruch von Kohl, übrigens auch ein Historiker, über „geistig-moralische Wende“, die angeblich nötige sei, Fuß zu fassen versuchte und darin, wie nicht nur in diesem Forum** zu sehen, durchaus erfolgreich war und ist. Der erste Versuch seit dem Spruch Kohls endete im Historikerstreit. Aber inzwischen sind eine Menge Historiker nachgewachsen, die sich auch bemerkbar machen wollen, und wie geht das am besten? Indem man ältere Historiker angreift, sie wiederholen nur die Klischees von gestern und wagen nicht, etwas Neues zu sagen.

Neues als Gütesiegel, Altes als Klischee? :confused:

* Wenn du Werturteile aussprechen darfst (Zitat: „weil das unserem - falschen - Bild vom MA entspricht“), dann darf ich das auch. :D

** Das von @PostmodernAtheist bei jeder Gelegenheit eingebrachtes Forum History for Atheist halte ich für eine jenen Seiten im Internet, die mit polemischen Mitteln versuchen, beinahe alles, was bisher gültig war, zurückzuweisen. Wenn es nur dabei bliebe, hätte ich nichts dagegen, aber als ich dort den ersten Satz zur Renaissance gelesen habe – Zitat: “Many of my fellow atheists operate with a simplistic children’s picture book view of the past.” –, wusste ich, ihnen geht es nicht um historische Wahrheit, sondern nur darum, die Gegner zu verhöhnen und damit zu disqualifizieren. Hier wiederholt sich das, was ich schon in einem anderen Faden bemerkte: Ihr Ziel ist es, die Gegenposition von Anfang an zu diskreditieren. Das ist unterstes Niveau – sich damit zu beschäftigen, verlorene Zeit, denn für sie steht das Urteil schon fest: Alle, die nicht so denken wie wir, sind den Kinderschuhen noch nicht entwachsen. :rolleyes:

Bleiben wir mal beim „Dunkel“.
Die „Frühe Neuzeit“ (1450-1650, die darauffolgende „Jüngere Neuzeit“ (1650-1789) und auch die „Neuste Zeit“ ab 1789 bis zur Gegenwart hat wohl unumstritten viele, viele dunkle Seiten. Ich erspare mir dazu Beispiele, weil, diese liegen auf der Hand.
Dasselbe trifft auch wohl für die Zeit vor dem Mittelalter (Antike Zeit) zu.
Schon klar, nur das Mittelalter ist nicht dunkel, sondern hell. Oder?
 
Eigentlich hatte ich keine Wertung abgegeben.
Wo liest Du denn bei mir von einem „Hellen Mittelalter“?

Mit der >dunklen Philosophie< setzt man doch von vornherein Werturteile die so wohl nicht ganz stimmen.
Das Mittelalter hatte seine dunklen Seiten, aber wohl auch seine helle Seiten. Genau wie die Zeit davor bzw. danach.
 
Hier mal ein Beispiel.
Bild aus meiner Sammlung „Große Deutsche aus 7 Jahrhunderten“:

upload_2022-12-5_17-14-59.jpeg

Ich denke mir so „Dunkel“ muss es doch nicht ganz gewesen sein:

„Under der linden
an der heide,
da unser zweier bette was,
da mugt ir vinden
schone beide
gebrochen bluomen unde gras.
vor dem walde in einem tal,
tandardei ,
schone sanc diu nahtega...“​
 
Moin

Ich benutze die Redewendung "dunkles Mittelalter" gar nicht, halte ich für Quatsch, Kultur, Wirtschaft und Handwerk sind sicherlich in Teilen Europas im Vergleich zur römischen Zeit auf ein wesentlich niedrigeres Niveau abgesunken,
aber was war mit Byzanz, dem islamischen Spanien?
Dann, welcher Zeitraum in welcher Region?
 
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