Die zitierten Texte aus #45 und #48 widersprechen sich ein wenig, indem der erste die Kontinuität der Techniken in Dalheim zwischen Spätlatene und Römischer Kaiserzeit hervorhebt, während der zweite für Dalheim von einer neueren Technologie aus Böhmen spricht.
Das ist mir auch aufgefallen. Möglicherweise
1. wurden im Lahn-Dill-Montanrevier auch in der Latènezeit keine großen, birnenförmigen Rennöfen (Siegerländer Kuppelofen) betrieben , sondern den Schachtöfen mit Schlackengruben (slag-pit furnaces) ähnliche Typen.
2. bezieht sich die Kontinuitätsthese auf die naturwissenschaftlichen Untersuchungen von Guntram Gassmann, und meint mit
schlackentypologisch, dass das Roteisen (Hämatit) zuerst geröstet wurde (zu Magnetit reduziert), spezifisch geschmolzen (bestimmte Temperaturen) und mit spezifischen Zusätzen (z.B. Kalk als Flussmittel) gemischt, um Schmiedeeisen zu erzielen, und "Auskohlen" und andere Prozesse zu verhindern, und den richtigen Mangangehalt zu erreichen. Dazu könnte
@Mittelalterlager mehr wissen. Leider habe ich keinen Text von Gassmann zu Dalheim im Internet gefunden.
Eine kleine Nebenspur im Thema: Andreas Schäfer schreibt, dass der in Wetzlar in römischer Zeit verwendete Rennofentypus einen geographischen Bezug nach Böhmen und Mähren hätte:
"
Sucht man nach Vergleichen für die Öfen und die Rennofenanlage als Ganzes, eröffnen sich zwei geographische Bezugsrichtungen. Die eine, deutlich ausgeprägt, weist nach Osten, nach Böhmen und Mähren, die andere, vielleicht nur forschungsgeschichtlich bedingt eher vage, nach Nordwesten, nach Westfalen und in die Niederlande. Aus Böhmen wurden seit den 1940er und 1950er Jahren zahlreiche Grubenwerkstätten hauptsächlich der älteren Römischen Kaiserzeit bekannt, in denen ein oder mehrere Rennfeueröfen betrieben worden waren. Meist handelt es sich um sehr kleine Gebäudegrundrisse, in deren Wände die Öfen eingebaut waren....Daneben liegen aber auch Fundstellen vor, von denen bereits für die Latènezeit kleine freistehende Ofentypen belegt sind. So konnten R. Pleiner und M. Princ bei Mšec in Nordwestböhmen eine Fundstelle untersuchen, wo während zweier Nutzungsphasen insgesamt 18 Öfen betrieben worden waren. Mit rekonstruierten Schachthöhen von 40-50 cm sind sie als ausgesprochen klein zu bezeichnen. Sie scheinen für den mehrmaligen Gebrauch bestimmt; es handelte sich nicht um echte Schlackengrubenöfen im Sinne eines nur einmaligen Gebrauchs. Darauf weisen die Ausgräber hin, dafür spricht auch die Sekundärlage einiger Klötze in einem Ausheiz- oder Schmiedeherd, der am Rande der kleinen Anlage zu Tage kam."
Zwischen“ Dünsberg und Waldgirmes. Wirtschaftsarchäologische Untersuchungen an der mittleren Lahn", Seite 85).
Dazu fiel mir heute ein, was in einer Zusammenfassung einer Tagung stand, deren Vorträge noch nicht veröffentlicht wurden (nach Aussage von M.Schönberger soll dies dieses Jahr erfolgen).
Entwicklungsdynamiken am Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. in Mitteleuropa: Kontinuität und Diskontinuität, Chronologie und Geschichte.
Internationale Tagung in Mainz, 7.-8.11.2022)
Schönfelder, Meyer, Luczkiewicz: Entwicklungsdynamiken
Etwas lapidar steht dort im Überblick der Vorträge:
"In jüngster Zeit rücken weitere, nicht historisch benennbare Bevölkerungsbewegungen im Bereich der westlichen Mittelgebirge (Westerwald, Nordhessen) in den Fokus von archäologischen Untersuchungen. Hier wurde von Sabine Hornung der Zuzug von Bevölkerungsgruppen aus Böhmen anhand von Siedlungsbefunden des 1. Jahrhunderts v. Chr. beobachtet."
Es geht um Folgendes: bei der Untersuchung (2011-2012) der temporären, cäsarischen Legionslager im Limburger Becken (sehr wahrscheinlich im Zusammenhang mit den Rheinübergängen 55 und 53 v.Chr. J.Cäsars) fiel den Forschenden auf, dass es in der benachbarten keltischen dorfartigen Siedlung (5 ha groß) Keramik gab, die nicht der regionalen Typologie entsprach. In der entsprechenden Veröffentlichung der Hessenarchäologie 2020 wird darüber noch vorsichtig gesprochen. S. Schade-Lindig (Hrsg.), in Zusammenarbeit mit I. Balzer, J. Bohatý, S. Hornung, J. Meyer, A. Kreuz, A. Schäfer, E. Schallmayer, D. C. Tretola Martinez, F. Verse, St. Wefers, Archäologie am Greifenberg bei Limburg a. d. Lahn. Spuren von der Jungsteinzeit bis zur Römischen Republik. Hessen-Arch. Sonderbd. 4 (Darmstadt 2020).
Die Siedlung scheint nach der Analyse der Fundgruppen nur ein oder zwei Generationen exisitert haben (Latène D2a im Übergang zu Lat. D2b), d.h. genauer im 2.Viertel des 1. Jahrhunderts BC.
Ein großer Teil der Keramik entspricht in der Typologie der Nordostgruppe des Rheinischen Schiefergebirges nach Behagel, oder der Lahn-Sieg-gruppe bzw. Dünsberg-Gruppe nach moderner Einteilung. Aufgefallen in der Siedlung ist die zahlreiche Ornamentik der Wellenglättverzierung, die vom Gebiet der Treverer über Thüringen bis Nordwestböhmen verbreitet ist (Annahme einer West-Ostachse kulturellen Austauschs und Handels), während die stark vertretene wulstverzierte, kalkgemagerte Ware mit Pichung von Nordwestböhmen in Lat. D2 nach Westen "wanderte" - dies wird dann mit der Mobilität von Einzelnen und Gruppen verbunden, ohne dies weiter auszuführen (S.154-156). Insgesamt ist es im Forschungsbericht ein Nebenaspekt, der im Kapitel Keramik unter überregionale Kontakte subsumiert wird, und der in der historischen Betrachtung von Egon Schallmayer (S.250 ff) nicht auftaucht.
Daher muss etwas zwischen 2020 bis 2022 passiert sein, weswegen die Funde neu bewertet wurden, und zur Konkretisierung einer unbekannten Einwanderung boischer Gruppen nach Westen in die Mittelrheinzone führte. Schon 2018 veröffentlichte Sabine Hornung einen Fundbericht zu einer spätlatènezeitlichen Fundstelle in Wetzlar-Blasbach, die Hinweise auf Kontakte nach Böhmen oder eine Einwanderung lieferte.
Spätlatènezeitliche Siedlungsreste und mittelalterliche Eisengewinnung bei Wetzlar-Blasbach
www.academia.edu
Zusammenfassende Zitate: "
Das Material von Podium 3, darunter die mit einer Reihe von Fingernagelkerben auf dem Umbruch verzierte Wandscherbe eines groben Topfes oder einer Schüssel sowie die Randscherbe eines steilwandigen Gefäßes (Abb. 8,2 – 3), fügen sich ebenfalls in eine spätlatènezeitliche Datierung ein. Parallelen kamen jüngst in einer weitläufigen Spätlatènesiedlung auf dem Greifenberg bei Limburg-Eschhofen (Lkr. Limburg-Weilburg) zutage. Hier konnte das Auftreten einer dem oben genannten Stück entsprechenden, wulstverzierten Ware auf nordwestböhmische Einflüsse zurückgeführt und in die Stufe LT D2 bzw. konkret den Horizont zwischen 70/60 und kurz vor der Jahrhundertmitte datiert werden. )... Weitere Funde dieser für das rechtsrheinische Gebirge typischen regionalen Fazies kamen zwischenzeitlich auch in Waldbrunn-Lahr (Lkr. Limburg-Weilburg) zutage, wo die Vergesellschaftung mit einer Fibel des Typs Almgren 18a ebenfalls für östliche Einflüsse spricht. In diesen Kontext fügt sich wohl auch das Silberregenbogenschüsselchen der „Boier“ von Podium 5 ein. Auf dem stark abgegriffenen Avers ist vermutlich ein Rolltier, auf dem Revers ein Torques mit vier Pünktchen darin zu erkennen, womit dieses Stück den Goldprägungen des Typs dlT 9421 an die Seite gestellt werden kann.(S.242).
Falls es tatsächlich eine boischen Einwanderung (parallel zum Zug eines Teils der Boier mit den Helvetiern nach Gallien zu Beginn des Gallischen Kriegs) in die Mittelrheinzone gab, dann könnte der neue Rennofentyp von Dalheim / bzw. der Technologietransfer so erklärbar sein.
Leider ist der Vortrag von Sabine Hornung von 2022 (Mainzer Tagung) noch nicht veröffentlicht.
Es gibt eine Veröffentlichung auf englisch 2024:
A. Braun / S. Hornung, Westwards! Population dynamics along the Middle and Upper Rhine during the 1st century BC. In: H. van Enckevort / M. Driessen / E. Graafstal / T. Hazenberg / T. Ivleva / C. van Driel-Murray (Hrsg.), Strategy and Structures along the Roman Frontier. Proceedings of the 25th International Congress of Roman Frontier Studies 2 (Leiden 2024) 33-41. Diesen habe ich noch nicht gelesen. Hier eine PDF.