Die Boier - neuere Forschungen

Ja eben!
Aber die antiken Autoren nahmen - zumindest größtenteils - automatisch die erste Möglichkeit an, weil die zweite ihrem Denken eher fremd war.
Ich habe diese Zweiteilung auf Personennamen bezogen. Im Fall von Boios ist beides vorhanden, die Bezeichnung einer Person, Boios, Boia,
und der Stammesname. Dies trifft nicht immer zu, mir fällt z.B. Catuvolcos ein, ein Prinzeps der Eburonen (im Gallischen Krieg), übersetzt der Kampffalke - der zweite Namensteil entspricht dem Namen der Volcae als Stammesbezeichnung - der persönlich auszeichnende Prunkname schließt nicht den Prunknamen als Stammesbezeichnung aus - und es kann durchaus sein, dass die Notwendigkeit sich zu benennen erst innerhalb der Keltike entstanden ist.
Schönes Beispiel zu oben *bogios (schlagen, zerstoßen) sind die Intensivierungen und Steigerungen durch Präfixe: Adbogios (der große Schläger), ebenso Vercombogius, *ver(o) groß, stark. Daher kann ich den Versuch von Rübekeil eine Intensiverung in Tolistobogier nachvollziehen.

Bei vielen Stämmen wie den Haeduern (Aedui) fallen mir keine Beispiele der Entsprechung in Personennamen ein. Das Ethnonym Aedui ist eine latinisierte Form des gallischen * Aiduoi ( Singular: * Aiduos ), was „die Feurigen“ bedeutet. Es leitet sich vom keltischen Stamm *aidu- (‚Feuer, Glut‘; vgl. altirisch áed ‚Feuer‘, walisisch aidd ‚Glut‘; auch die irische Gottheit Aéd oder Aodh ) ab. aedrinios/edrinios taucht auf dem Kalender von Coligny als Monatsbezeichnung auf (August?), einen gallischen Personennamen habe ich nicht gefunden. Die wahrscheinlich erste und ältrste Nennung der Aiduoi in griechisch-römischen Quellen ist bei Polybios III,47,3 in seiner Beschreibung der Rhone, in meiner Übersetzung als Ardyrer (Mitte 2.Jahrhundert BC). "Die Feurigen" kann durchaus als Prunkname interpretiert werden. Das ist aber nicht immer so: Nitiobrogen und Allobrogen sind gute Beispiele, die Niotiobrogen leben im eigenen Gebiet, die Allobrogen in fremden Ländern. Dies sieht mehr aus wie eine innergallische Fremdbezeichnung, um Stämme zu unterscheiden, und Namen, die historisches gallisches Wissen (von Wanderungen, Inbesitznahmen) speichern, das römische Statthalter des 1.Jahrhunderts v.Chr. nicht hatten.

Unten drei Stammesnamen auf Eigenprägungen von links Volcae Areocomici, Mitte Remer, rechts Mediomatriker

Screenshot 2025-10-15 at 08-13-43 Bronze with Demos VOLCAE AREC - Volcæ Areocomici – Numista.png
Screenshot 2025-10-15 at 08-16-08 Bronze with three consuls REMO _ REMO - Remi – Numista.png
Screenshot 2025-10-15 at 08-19-42 MÉDIOMATRIQUES (Région de Metz) Bronze MEDIOMA classe II au ...png
 
Das ist aber nicht immer so: Nitiobrogen und Allobrogen sind gute Beispiele, die Niotiobrogen leben im eigenen Gebiet, die Allobrogen in fremden Ländern. Dies sieht mehr aus wie eine innergallische Fremdbezeichnung, um Stämme zu unterscheiden, und Namen, die historisches gallisches Wissen (von Wanderungen, Inbesitznahmen) speichern, das römische Statthalter des 1.Jahrhunderts v.Chr. nicht hatten.

Wenn ich hier aber eine etwas spitzfindige Analogie bilden darf:
Im gallischen Krieg besiegt Caesar die Einheimischen, woraus ein antiker Geograph schließt, dass es dort einen Stamm der "Einheimischen" gab.
 
Wenn ich hier aber eine etwas spitzfindige Analogie bilden darf:
Im gallischen Krieg besiegt Caesar die Einheimischen, woraus ein antiker Geograph schließt, dass es dort einen Stamm der "Einheimischen" gab.
Tatsächlich heißt Nitiobroges das. * nitio in der Bedeutung "von hier" , und *brogi in der Bedeutung "Land", "Diejenigen aus ihrem eigenen Land". Ravenik hat es im Beitrag 11 schön formuliert, ich werde bei Menschen, die Niederberger heißen, nicht sofort denken, der kommt vom niedrigen Berg, Frau Falk werde ich nicht nach ihren Vögeln fragen, und Herrn Heim nicht, wo er zuhause ist. Durch Gewöhnung werden Namen für sich sprechen, und einfach eine Herkunft bezeugen, unabhängig z.B. von einer Migrationsgeschichte. In Frankfurt denke ich auch nicht ständig, ach, hier sind die Franken über die Furt gegangen...sondern eher Frankfurt/Main oder Frankfurt/Oder? Neulich stellte ich mit Erschrecken beim Navi einstellen fest, wieviele Willingen es in Deutschland gibt...
Inschrift auf dem Torques von Mailly, Nitiobrogeis (νιτιοβρογεις) mit dem griechischen Alphabet, 1.Jhrdt BC
250px-Nitiobroges_torque_de_mailly_10520.jpg


P.S. übrigens heißt Cymru etwa dasselbe, Der walisische Landesname Cymru oder altkymrisch Cymry stammt von keltisch *kom-broges „die auf gemeinsamem Land wohnen“bzw. *kom-brogi „Landsleute“ (wiki).
 
Zuletzt bearbeitet:
In Pannonien: in der frühen Kaiserzeit existiert in Pannonia superior (Westungarn) eine Civitas boiorum

Noch eine kleine Zwischenfrage: Wie gesichert sind denn eigentlich diese Wanderungen?
Vor allem die große Süd-Ost-Wanderung? Zogen dort wirklich Menschen, oder kam nur die Kultur in Mode?
Wir schaffen es heute, mit Huawei-Handys und Hyundai-Autos Denglisch zu reden, ohne dass festzustellen wäre, dass Chinesen, Koreaner oder Amerikaner in Horden bei uns einfielen.
War das in Pannonien vielleicht ähnlich?
 
Die Analogie scheint mir nicht zu passen. Du redest von einer Wanderung der Technologien und damit verbunden von einer Wanderung der Sprache. Eine Anglisierung der Sprache gibt es seitdem englischsprachige Popmusik populär geworden ist, aber dieser Prozess hat sich in den letzten Jahren durch Internet, Gaming, Social Media verstärkt bzw. beschleunigt. Aber niemand behauptet deswegen, er sei Amerikaner, Brite oder Australier.

Hier ist aber der Ethnienname gewandert. Entweder ist die Ethnie gewandert oder es war attraktiv der Ethnie anzugehören.
 
Eben. Vielleicht war es attraktiv, keltisch zu reden, wie im 19. Jahrhundert französisch, oder heute Englisch, und zum "Team" oder zu den "Boiern" zu gehören.
Daran habe ich so meine Zweifel, da du im Prinzip neuzeitliche Erfahrungen (diverse mediale Revolutionen von Buchdruck über Radio und Fernsehen bis hin zu einer globalisierten Kultur (Coca Cola, Zara, Hyundai, Samsung, Temu) und Internet/Social Media) auf die Eisenzeit überträgst.
 
Noch eine kleine Zwischenfrage: Wie gesichert sind denn eigentlich diese Wanderungen?
Vor allem die große Süd-Ost-Wanderung? Zogen dort wirklich Menschen, oder kam nur die Kultur in Mode?
Wir schaffen es heute, mit Huawei-Handys und Hyundai-Autos Denglisch zu reden, ohne dass festzustellen wäre, dass Chinesen, Koreaner oder Amerikaner in Horden bei uns einfielen.
War das in Pannonien vielleicht ähnlich?
Das ist ein eigenes Thema für sich. Und eines einer "kontroversiellen Forschungsdiskussion" (Kurt Tomaschitz, 2003, Die Wanderungen der Kelten in der antiken literarischen Überlieferung").

Ich versuche in meinem nächsten Beitrag bezogen auf den Südosteuropa (enger bezogen auf Taurisker und Boier) darauf einzugehen, ohne jedoch ein neues Thema zu eröffnen. Ich werde den Beitrag von Karl Strobel bei der o.g. Konferenz skizzieren und reflektieren; im mehreren Abschnitten ist die Lokalisierung der Boier in Pannonien und der civitas boiorum in der römischen Provinz Pannonia superior Thema, ausführlich geht er in seiner Quellenkritik (besonders Strabon) auf die "Boier-Einöde" ein, und damit auch auf die Auseinandersetzung der Boier-Taurisker-Koalition mit der Daker-Skordisker-Koalition. Unten Karte des Gebietes, um das es gehen wird (aus Manuel Zeiler, DIE SIEDLUNG VON SOPRON-KRAUTACKER (WESTUNGARN) IN DER JÜNGEREN LATÈNEZEIT, 2011)
Abb. 1 Latènezeitliche Fundstellen im Ödenburger Becken und Umgebung (nach Jerem 1981b mit Ergänzungen). – P: Undatierte Pin -
genfelder (nach Meyer 1975). – Siedlung. – Befestigte Siedlung. – Nekropole/Grab. – Münzfund. – Sonstige Lese fund -
stellen. – Verhüttungsplatz. – 1-57 Burgenland. – 58-92 Niederösterreich. – 93-99 Wien. – 100-124 Kom. Győr-Moson-Sopron. –
125 Kom. Vas. – 126-128 Bratislavský kraj. (zentral der Neusiedler See)

1760800404156.png
 
Zuletzt bearbeitet:
Daran habe ich so meine Zweifel, da du im Prinzip neuzeitliche Erfahrungen (diverse mediale Revolutionen von Buchdruck über Radio und Fernsehen bis hin zu einer globalisierten Kultur (Coca Cola, Zara, Hyundai, Samsung, Temu) und Internet/Social Media) auf die Eisenzeit überträgst.

Dass wenig später römische Kultur einen ähnlichen Status erreichte, dürfte unzweifelhaft sein.
Klar waren meine Beispiele etwas plakativ, trotzdem wissen wir nicht, ob dort Menschen oder Kultur wanderte, die keltische Kultur scheint durchaus attraktiv gewesen zu sein
 
Zurück
Oben