Enrico Dandolo in Konstantinopel

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Als seit Ewigkeiten Mitlesender, möchte ich heute mal die Gelegenheit nutzen und eine Frage stellen.
Es geht um den späteren Dogen Enrico Dandolo. Und zwar geht es mir um die Legende, ganz unabhängig davon, ob es sich tatsächlich so zugetragen hat oder nicht, nach der sein Zug gegen Konstantinopel auch ein persönlicher Rachefeldzug war. Laut dieser Legende, soweit ich es erstmal ermitteln konnte, war Enrico Dandolo offensichtlich Mitglied der vom Dogen Vital II. Michele nach Konstantinopel geschickten Gesandtschaft, die im Winter 1171/72 mit dem Kaiser von Byzanz wegen der Verhaftung aller Venezianer und der Konfizierung ihrer Vermögen vom 12. März 1171 verhandeln sollte. Doch der Kaiser hatte sie nur zu sich bestellt, um Zeit zum Ausbau der eigenen Verteidigungslinien zu gewinnen. Die venezianische n Diplomaten sollen im übrigen sehr schlecht behandelt worden sein und Enrico Dandolo wurde dabei sogar geblendet.
Nun würde mich interessieren, wo man diese Legende detailliert nachlesen kann, oder kann mir hier jemand auch so darüber Auskunft geben. Hier ein paar Punkte im Einzelnen, die mich interessieren. Macht man sich übers Internet schlau, so trifft man in bezug auf Enrico Dandolo auf zwei verschiedene Aussagen, was seine diplomatischen Vita betrifft. Die eine sagt aus, er wäre schon seit 1160 wiederholt in Konstantinopel gewesen und die anderen behaupten, die diplomatische Mission von 1171 wäre sein erster Besuch dort gewesen. Was stimmt nun? In welcher Funktion hat er die Delegation begleitet und warum wurde gerade er angeblich geblendet, oder berichten die Quellen noch von weiteren mißhandelten Personen? Werden überhaupt weitere Namen genannt? Des weiteren wird berichtet, daß die venezianischen Diplomaten unter erbarmungswürdigen Zuständen untergebracht worden sind. Gibt es dazu nähere Angaben? Kam es bei diese Mission überhaupt zu Kontakten zwischen den Venezianern und dem Kaiser, bzw. höheren Würdenträgern?
An dieser Stelle schon mal meinen herzlichstes Dank für alle Antworten.

PS: Vielleicht noch eine kleine Zusatzfrage. Welches waren eigentlich die genauen Viertel in Konstantinopel, die von den Venezianern bewohnt worden sind? Bei den Genuesen wird immer Pera erwähnt. Bei den Venezianern wird, so weit ich es sehen konnte nur von Venezianervierteln gesprochen.
 
Gast schrieb:
Es geht um den späteren Dogen Enrico Dandolo. Und zwar geht es mir um die Legende, ganz unabhängig davon, ob es sich tatsächlich so zugetragen hat oder nicht, nach der sein Zug gegen Konstantinopel auch ein persönlicher Rachefeldzug war. .

Zu Legenden kann ich nichts sagen. Hinzuzufügen in Sachen E. Dandolo wäre noch ,daß aus seiner Sicht ein unwiederbringlicher Zeitpunkt gekommen schien , um nicht nur in Dalmatien fur die Venezianer wichtige Häfen in Besitz zu nehmen, sondern darüber hinaus Zwischenbastionen auf dem Weg zu den Märkten des Orients zu gründen ,letztlich für ein venezianisch-abendlandisches Kaiserreich an den Schwarzmeerengen .

Weiteren Anstoß für die "Umleitung " des Kreuzzuges gab der Staufer Phillip v. Schwaben
durch die Intervention für seinen Schwager Alexios , der aus Konstantinopel fliehen konnte.

"Die Bitte des byzantinischen Prinzen Alexios, des Sohnes des inhaftierten Kaisers Isaak, um Befreiung seines Vaters, die dem deutschen Thronprätendenten Philipp von Schwaben vorgetragen und gleichzeitig auch dem Kreuzzugsheer in Zara überbracht wurde, schien ein willkommener Vorwand, statt ins Heilige Land gegen das schismatische Konstantinopel weiterzusegeln. Im Sommer 1203 langte man vor der griechischen Kaiserstadt an, eroberte binnen kurzem Galata und sah sich schon am 17. Juli 1203 im Besitz Konstantinopels."

Alexios hatte schon zuvor für die Befreiung seines Vaters die Kirchenunion, Berge von Gold und die Unterstützung des Kreuzzuges versprochen. Die Versprechen waren bekanntlich nicht zu halten und führten schließlich über einen Aufstand des byzant. Volkes und der Gegenreaktion der Kreuzfahrer zu den dreitägigen Plünderungen ab dem 13.4.1204
 
Ich habe seinen Grabstein in Istanbul gesehen, der in den Fußboden der Empore der Hagia Sophia eingelassen wurde. Aber es wurde nur sein Name in eine schlicht verzierte Steinplatte eingraviert, kein Geburts- kein Todesdatum oder ein weitere gedenkspruch. Eine Hinweistafel informiert auf auf Englisch, dass er tatsächlich in der Hagia Sophia bestattet worden sein soll. Ob er genau an der Stelle des Gedenksteins ruht, geht aber nicht so ganz aus dem Hinweistext hervor.
 
Arcimboldo schrieb:
Zu Legenden kann ich nichts sagen.

Ich habe nur deshalb das Wort "Legende" benutzt, weil der Zeitpunkt der Erblindung offenbar nicht genau bekannt ist. Anscheinend sollen aber wohl zeitgenössische bzw. zeitnahe Quellen berichten, daß Enrico Dandolo in Konstantinopel geblendet worden ist. Einige Historiker sollen diese Quellen anerkennen und andere ablehnen. Gerade deshalb hatte ich gehofft, dass mir vielleicht jemand solche Quellen nennen kann, denn nur der immer wieder zu findende Verweis auf "alte Quellen", ohne diese näher zu benennen, befriedigt mich leider nicht ganz. Allerdings scheine ich da ja auch eine für Geschichtsinteressierte recht harte Nuß rausgesucht zu haben. :)
Was weiß man eigentlich überhaupt von Enrico Dandolo aus der Zeit vor seiner Berufung zum Dogen, das nicht nur auf Mutmaßungen fußt? Und wie entwickelte sich eigentlich das Verhältnis zwischen Venedig und Konastantinopel zwischen den Jahren 1172 und 1204? Was geschah mit den 1172 vom Kaiser in Verwahrung genommenen Venezianern und deren konfiszierten Vermögen? Und wie war gleichzeitig das Verhältnis von Byzanz, in diesen Jahren, zu den Venedig-Konkurrenten wie Genua, Pisa oder Amalfi, wenn letztgenannte Stadt zu dieser Zeit überhaupt noch von Bedeutung war?
Danke für die weiteren Antworten.
 
Gast schrieb:
Ich habe nur deshalb das Wort "Legende" benutzt, weil der Zeitpunkt der Erblindung offenbar nicht genau bekannt ist. Anscheinend sollen aber wohl zeitgenössische bzw. zeitnahe Quellen berichten, daß Enrico Dandolo in Konstantinopel geblendet worden ist.


Als 90 jähriger Greis wird er 1204 nicht mehr viel gesehen haben, wer sollte ihn noch blenden ? Es gibt Quellen, die behaupten das er sogar 100 Jahre alt wurde 1205 !

Schau mal hier rein :
http://www.magister-rother.de/person/person2003.php4
 
Gast schrieb:
Ich habe nur deshalb das Wort "Legende" benutzt, weil der Zeitpunkt der Erblindung offenbar nicht genau bekannt ist. Anscheinend sollen aber wohl zeitgenössische bzw. zeitnahe Quellen berichten, daß Enrico Dandolo in Konstantinopel geblendet worden ist. Einige Historiker sollen diese Quellen anerkennen und andere ablehnen.



Als 90 jähriger Greis wird er 1204 nicht mehr viel gesehen haben, wer sollte ihn noch blenden ? Es gibt Quellen, die behaupten das er sogar 100 Jahre alt wurde 1205 !

Es ist nicht bekannt, wann und auf welche Weise Dandolo erblindete. Eine nach dem Vierten Kreuzzug kursierende (und von manchen Historikern akzeptierte) Erzählung läßt ihn durch die Byzantiner während seiner Mission 1171 geblendet werden. Wahrscheinlicher aber geschah es infolge einer Kopfverletzung zwischen 1176 und seinem Antritt des Dogenamtes 1192.

Schau mal hier rein :
http://lexikon.freenet.de/Enrico_Dandolo

http://www.magister-rother.de/person/person2003.php4


Literatur Tip : http://www.boehlau.at/main/book.jsp?bookID=3-205-98884-1&categoryID=1
 
Zuletzt bearbeitet:
Als seit Ewigkeiten Mitlesender, möchte ich heute mal die Gelegenheit nutzen und eine Frage stellen.
Es geht um den späteren Dogen Enrico Dandolo. Und zwar geht es mir um die Legende, ganz unabhängig davon, ob es sich tatsächlich so zugetragen hat oder nicht, nach der sein Zug gegen Konstantinopel auch ein persönlicher Rachefeldzug war.


Zur Frage Dandolos Blendung kann ich nichts sagen.
Neben diesem persönlichen Motiv und der Rolle des Schwagers von Phillip von Schwaben, dem späteren Alexios IV, sollte ein weiteres Motiv Enrico Dandolos, den Kreuzzug "abzulenken", nicht vergessen werden:
Das, wenn auch geheime, Ziel des vierten Kreuzzugs war das Ayyubidische Ägypten. Mit diesem aber hatte Venedig günstige Verträge geschlossen; das trug sicherlich nicht unwesentlich zur Politik Venedigs vor dem 4. Kreuzzug bei.
Ach ja, da war noch 1071: da haben die Byzantiner sämtliche venezianischen Händler aus Byzanz geworfen, enteignet etc.
Nach den Lateinerprogomen in Konstantinopel 1083 hatten die italienischen Händler in Konstantinopel auch keinen leichteren Stand. In diesem Sinne hatte Dandolo einiges Interesse, den "schwachen Mann am Bosporus", der Konstantinopel 1203/04 war, anzugreifen.
 
Es geht um den späteren Dogen Enrico Dandolo. Und zwar geht es mir um die Legende, ganz unabhängig davon, ob es sich tatsächlich so zugetragen hat oder nicht, nach der sein Zug gegen Konstantinopel auch ein persönlicher Rachefeldzug war. Zur Frage Dandolos Blendung kann ich nichts sagen.

Die angeblich Blendung Dandolos durch den byzantinischen Kaiser Manuel I. Komnenos ist legendär und lässt sich durch keine seriöse zeitgenössische Quelle erhärten.

Die Gründe für Venedigs Interesse am 4. Kreuzzug und dessen Instrumentalisierung liegen freilich auf der Hand. Die listenreiche und diplomatisch versierte Republik sah eine einzigartige Chance darin, den Widerwillen der fränkischen Kreuzritter gegen das orthodoxe Byzanz zu ihren Gunsten auszunutzen. Die Umlenkung des Kreuzzugs Richtung Byzanz und dessen Eroberung boten die einzigartige Gelegenheit, den gesamten Handel im östlichen Mittelmeer zu kontrollieren. Die lästige Konkurrenz Pisas und Genuas konnte man auf einen Schlag beseitigen und sich zudem aus der byzantinischen Erbmasse Handelsstützpunkte in der Ägäis sichern.

Mit Sicherheit hat der raffinierte und mit allen Wassern gewaschene Doge Enrico Dandolo beträchtlichen Anteil an der Durchführung und am Gelingen dieses Unternehmens. Dass er sich persönlich an die Spitze dieser Expedition setzte, zeigt, dass er keinen Admiralen oder Beauftragten entscheidende Probleme, die auftauchten mochten, überlassen wollte.

Vergessen wird meist, dass die Kreuzritter auf der Fahrt nach Byzanz "ganz im Vorübergehen" auch Venedigs Oberhoheit über Dalmatien wieder herstellten, indem sie Zara eroberten und die kleine Republik Ragusa zum erneuten Tribut an Venedig zwangen.

Eine Ironie des Schicksal ist es, dass die von Venedig betriebene Eroberung von Byzanz kurzsichtig war und ihm schwer schadete. Das dermaßen geschwächte Byzantinische Reich konnte sich - auch nach Rückeroberung Konstantinopels - nicht mehr erholen und wurde eine leichte Beute der Osmanen. Die versdrängten dann Venedig aus dem östlichen Mittelmeer und verwickelten es für Jahrhunderte in immer neue Kriege und Seeschlachten.
 
DIETER: Vergessen wird meist, dass die Kreuzritter auf der Fahrt nach Byzanz "ganz im Vorübergehen" auch Venedigs Oberhoheit über Dalmatien wieder herstellten, indem sie Zara eroberten und die kleine Republik Ragusa zum erneuten Tribut an Venedig zwangen.

Hier konnte sich Venedig zunutze machen, dass die Kreuzfahrer für die geplante Überfahrt (sei es nach Ägypten oder Palästina) auf die venezianische Flotte angewiesen waren. Diese Überfahrt war teuer und konnte nicht bezahlt werden. Deshalb mussten sich die Kreuzfahrer auch auf den "Deal" einlassen, diese Überfahrt durch die Eroberung (des christlichen) Zara zu begleichen/bezahlen

DIETER: Eine Ironie des Schicksal ist es, dass die von Venedig betriebene Eroberung von Byzanz kurzsichtig war und ihm schwer schadete. Das dermaßen geschwächte Byzantinische Reich konnte sich - auch nach Rückeroberung Konstantinopels - nicht mehr erholen und wurde eine leichte Beute der Osmanen.

Spielt für die Rückeroberung Konstantinopels nicht eine große Rolle, dass die byzantinischen Provinzen (durch Feudalisierung etc.) dermaßen selbständig geworden waren, dass sie auch "enthaputet", also ohne die Hauptstadt, überlebensfähig waren, schließlich Konstantinopel sogar zurückeroberten?
Was genau ging eigentlich im König-/Kaiserreich Trapezunt, in Nicaea und Epiros/Thessalonike in den Jahren zwischen 1204 und der Rückeroberung 126? so vor sich? Wo saß der Patriarch von Konst.? Welche Dynastien herrschten? (Angeloi? Komnenen? andere?)

PS: blick des zitieren nicht...
 
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