Argumentum ad ignorantiam

silesia

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Um die Schlussfolgerung aus dem Fehlen, der Abwesenheit, des Nichtvorhandenseins ...

wird heftig gestritten, je nach Anwendungsfall. Ob das Argument zieht oder unzulässig ist, ist nicht nur eine philosophische Frage, sondern häufig angewandte Statistik. Bei Kalkriese, Slawen, römischen Münzen, Yamnaya-Invasionen etc. Das Argument ist außerdem der kleine Bruder der Konstruktion von hochgerechneten Gesamtheiten aus nicht repräsentativen Einzelnachweisen, wo dem staunenden Leser ganze Kulturblöcke aus drei Materialsplittern nachgewiesen werden.

Damit zur Archäologie. Ein Aufsatz in der Nature befasst sich genau mit diesen Problemen, und fokussiert auf um sich greifende Schlussfolgerungen "aus dem Nichts", Voraussetzungen und Grenzen seiner Zulässigkeit:

Inference from absence: the case of archaeology
 
Eine Diskussion um das Argumentum ad ignorantiam in der Archäologie kann nur auf ein Nullsummenspiel hinauslaufen, wie der Autor am Schluss seines Artikels auch zugibt:

Archaeologists, as well as historiographers who reason from their results, must be cognizant of both the justification and the limitations of archaeological inference from absence.

Letztlich sollte immer im konkreten Kontext entschieden werden, ob und in welchem Umfang das Argument Sinn macht. Mit Formulierungen wie "Es spricht nichts dafür (oder dagegen), dass..." sind Anwender des Arguments auf der sicheren Seite, weil damit die Grenze zu einer logisch unzulässigen positiven Aussage nicht überschritten wird (sofern tatsächlich nichts "dafür (oder dagegen)" spricht). Damit bleibt eine Aussage noch im Rahmen des Hypothetischen, also Ungesicherten, ihr wird aber eine signifikante Wahrscheinlichkeit zugesprochen.
 
Die Periodisierung einer archäologischen Fundstelle ist letztlich eine Frage der Statistik: Hat man genug Fundgüter, um die Fundstelle einordnen zu können, oder nicht?

Ich versuche das mal an einem lebensnahen (und vor allem einfachen) Beispiel (die Archäologenwirklichkeit ist natürlich ungleich komplexer) zu erläutern.

Nehmen wir an, ich finde ein Geldbörse mit Mark- und Pfennigstücken. Vielleicht nur eine 10-Pfennnig-Münze mit der Aufschrift Bank deutscher Länder. Da kann ich nur bestimmen: nach (terminus post quem, tpq) 1949 verloren.* Finde ich dagegen eine Börse mit vielen Münzen, werden sich darin Münzen ganz unterschiedlicher Jahreszahlen finden. Da ergibt sich dann der tpq nach der Schlussmünze, meinetwegen 2000. Ist die Schlussmünze 2000, kann ich davon ausgehen, dass die Börse zwischen 2000 und spätestens 2002 verloren wurde, wobei die Wahrscheinlichkeit eher da liegt, dass sie noch 2001 verloren wurde, weil im Januar 2002 der € offiziell eingeführt war und so eine Mischung der Münztypen wahrscheinlich wäre.

Fände ich eine Börse mit der Schlussmünze 1995, müsste ich hoffen, dass eine statistische Gesamtauswertung der Börse dahinführte, dass die meisten Münzen eher jüngeren Datums wären, um anzunehmen, dass die Börse wohl nicht um 2000 sondern tatsächlich um 1995/6 verloren wurde. Sind die Münzen dagegen altersmäßig verteilter, wäre 1995 nur der tpq. Genaugenommen bildete 1995 in beiden Fälln den tpq ab, nur würde in dem ersten Fall die Wahrscheinlichkeit steigen, dass die Börse zeitnah zu 1995 verloren wurde aufgrund der statistischen Häufung von Münzen rund um 1995. (Wobei das bei den eng gesetzten historischen Zeitläuften von 1949 - 2002 natürlich eh etwas schwieriger ist, als in vormodernen Zeiten, wo der Staat vielleicht eine Münze mal umprägte oder einschmolz, aber nicht gezielt bestimmte Münzen aus dem Verkehr zog und durch neue ersetzte, wie das in der Bundesrepublik der Fall war. Dazu im nächsten Fall:)

Befänden sich in meiner Börse vorwiegend Münzen aus den frühen 1970ern, müsste ich auf das 5-DM-Stück hoffen: Der alte Heiermann wurde 1975 aus dem Umlauf genommen und durch den neuen Heiermann ersetzt (wie das da mit der Übergangszeit war, weiß ich nicht).

Einen datiererischen Glücksfall hätte ich, wenn ich eine Geldbörse fände, in der Markstücke und €-Münzen gemischt wären. Wären es 10,23 € im Tütchen, wüsste ich: Verloren zwischen Oktober 2001 und Januar 2002. Wären die Münzen vermischt, wüsste ich: Verloren zwischen Januar und März 2002 (immer ein paar Tage oder Wochen drauflegend, weil ja nicht jeder sein Portmonnaie immer in Ordnung hält (und ich habe immer noch irgendwo einen 2000 Ptas-Schein rumfliegen, den ich immer mal zur Banco de España bringen wollte).

Das funktioniert natürlich nur, wenn die Münzmenge hoch genug ist, um statistisch relevant zu sein. Auch 2002 wird sicher die Mehrheit der Deutschen (teils unwissentlich) noch mal eine Münze in den Händen gehalten haben, auf der Bank Deutscher Länder stand.


*Von den seltenen 1948er Bank Deutscher Länder und den unter Sammlern heiß begehrten Fehlprägungen aus dem Jahr 1950 gehe ich mal aus, dass die durch Sammler aus dem Verkehr gezogen wurden und nur in absoluten Ausnahmefällen tatsächlich noch im Umlauf waren.
 
Die Periodisierung einer archäologischen Fundstelle ist letztlich eine Frage der Statistik: Hat man genug Fundgüter, um die Fundstelle einordnen zu können, oder nicht?

Ich versuche das mal an einem lebensnahen (und vor allem einfachen) Beispiel (die Archäologenwirklichkeit ist natürlich ungleich komplexer) zu erläutern.

Ein hübscher Aufsatz von Wulf Raeck in diesem Zusammenhang:
Die Terrassenmauer des Athenaheiligtums von Priene und ein Wohnzimmerschrank in Frankfurt-Rödelheim. Überlegungen zur datierenden Wirkung von Grabungsbefunden, in: E. Winter (Hrsg.), Vom Euphrat zum Bosporus. Kleinasien in der Antike. Festschrift für Elmar Schwertheim zum 65. Geburtstag (Asia Minor Studien Bd. 65, Bonn 2008) 553–561.
 
mit dem Argumentum ad ignorantiam ist es wie mit den meisten Interpretationsmaximen
mal kann es statthaft sein und mal nicht
Wenn bestimmte Artefakte und Fundlagen zwingend vorliegen müssten,die aber nicht vorliegen, dann ist es m-E- zulässig aus dem Fehlen Rückschlüsse zu ziehen
Besteht diese zwingenden Notwendigkeit des Vorliegens nicht, ist das Argumentum ad ignorantiam m-E.unzulässig
Beispiel;
es werden Metallobjekte bei einer Kultur gefunden- fehlen die Fundlagen ,die auf Verhüttung oder Schmieden hinweisen ,muss daraus geschlossen werden ,dass es sich lediglich um Handelsware handelt ,aber keine Metallverarbeitung stattfand
 
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