Vergleiche zwischen der athenischen Demokratie und neuzeitlichen Staatsformen finde ich zu Hauf, doch wüsste ich gern, ob das Modell Athen die Vordenker der neuzeitlichen Demokratie inspiriert hat? Waren die griechischen Theorien in der Renaissance wieder entdeckt worden und lieferten sie eine theoretische Basis etwa für die Französische Revolution oder die amerikanische Verfassung?
Grillinski
Ich glaube schon, daß die antike (also attische) Demokratie in den von Dir genannten Zeitabschnitten die neuzeitlichen Demokratien inspiriert haben. Aber es ist sinnvoll, wenn man sich das Bild des antiken Griechenland der damaligen Denker vor Augen führt. Eine kritische historische Forschung im heutigen Sinne kannten sie noch nicht, und so war das Bild von Griechenland ein sehr stark idealisiertes Bild. Es ist daher fraglich, ob man dann von einer "echten" Inspiration ausgehen kann. Unsere heutigen Demokratien haben so ziemlich wenig mit antiken Demokratien zu tun.
Kleiner Exkurs:
Außerdem waren die Athener in der Antike nicht die ersten (und einzigen), die eine sogenannte
demokratische Stadtstaatsverfassung hatten. Wie in einem sehr interessanten Artikel von Rüdiger Haude* zu lesen ist, "[ist] der Normalzustand politischen und menschlichen Zusammenlebens demokratisch, und die alten Griechen liefern nicht mehr und nicht weniger als ein Kapitel in der langen Geschichte des Widerstreits zwischen und Freiheit und Herrschaft: den Versuch Demokratie und Herrschaft miteinander zu versöhnen". Dieser Versuch ist laut R. Haude keine Premiere gewesen, denn es gab sogenannte
primitive Demokratien bereits in Mesopotamien und auch in den frühen "Staatsbildungen" der Hurriter und Hethiter. Ähnliches läßst sich auch in Ugarit, Nubien und im alten China feststellen. Der Begriff
primitive Demokratien soll hier bedeuten, daß die innere Souveränität in den Händen aller freien Männer lag, während die verschiedenen Regierungsfunktionen noch wenig spezialisiert waren. Weiter heißt es bei R. Haude, daß demokratische Prozeduren in all diesen Gesellschaften stets auf dem Prinzip der
Versammlung basieren. "Alle Erwachsenen Männer [...] treten zusammen, um anstehende politische Entscheidungen zu beraten und ggf. abzustimmen".
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*R. Haude, Alphabet und Demokratie, in: Saeculum 50/I (1999), S. 1 - 28.