Um noch mal auf Venedig zurück zu kommen: Die Stadt hatte natürlich auch das Glück,,am Rande Italiens zu liegen und durch die seit dem 10 Jahrhundert währende Herrschaft über die dalmatinische Küste den Rücken freizuhaben.
Vorteilhaft für Venedig war zunächst seine Lage im Meer. Getrennt vom Land durch die Lagune mit morastigen Inseln, unwegsamen Fahrrinnen und tückischen Wasserständen war es mit den militärischen Mitteln des frühen Mittelalters kaum möglich, Venedig zu besetzen. Ein Aushungern war wenig wirksam, da die venezianische Flotte im Golf dominierte und für Nachschub sorgen konnte. Daher wurde auch eine Eroberung der Stadt vom Land her nie ernsthaft versucht. Vorstöße des italienischen Frankenkönigs Pippin scheiterten.
Ein weiterer Vorteil war die Zugehörigkeit Venedigs zum byzantinischen Exarchat Ravenna. Dadurch gehörte Venedig nie zu Reichsitalien und die Kaiser konnten keinen politischen Anspruch auf Lehnshoheit erheben. Da aber das Byzantinische Reich seinem venezianischen Außenposten wenig Aufmerksamkeit schenkte und zudem militärisch kaum präsent war, konnte sich Venedig im politischen Windschatten nahezu frei entfalten. Es betrieb dabei eine wirkungsvolle Schaukelpolitik zwischen Byzanz und dem Reich, das immerhin die Lombardei beherrschte - auch wenn seine Macht mit dem Aufstieg der oberitalienischen Handelsrepubliken schwand. Später waren es dann die Habsburger, die im Norden an Venedig grenzten, und die Republik von San Marco mehr als einmal in Bedrängnis brachten.
Schließlich war es der Bau einer effektiven Kriegsflotte, die die Unabhängigkeit Venedigs sicherte. Spätestens um das Jahr 1000 betrachtete Venedig die Adria als seine Einflusszone, in die andere Schiffe nur mit seiner Einwilligung einfahren durften. Die Flotte wurde das Instrument, mit dem Venedig sein Kolonialreich aufbaute und im hohen Mittelalter eine Dominanz im östlichen Mittelmeer erreichte - vor allem nach dem Vierten Kreuzzug und der Eroberung Konstantinopels im Jahr 1204 durch eine vom Dogen Enrico Dandolo geführte Flotte.
Und dafür sorgte die ausgeklügelte Balance of Power im Inneren, die mit dem Ratssystem keine der großen Familien zu übermächtig werden ließ und das Staatsoberhaupt,den Dogen letztlich zum machtvollsten, machtlosesten Fürsten in Europa machte, indem es ihm eine Stellung einräumte die der eines Königs in einer heutigen konstitutionellen Monarchie entsprach. Wenn man sich die Verfassungen nicht nur der oberitalienischen Städte sondern auch der freien Reichsstädte oder der französischen und flandrischen Städte anschaut,so stellt man fest,daß das venezianische System mehr oder weniger konsequent und erfolgreich fast überall kopiert worden ist, ein solch ausgeklügeltes System der Machtverteilung und der Machtkontrolle findet man jedoch sonst nirgends.
Das ist sicher richtig. Das im Verlauf der ersten Jahrhunderte nach Venedigs Gründung entstandene Regierungssystem sorgte dafür, dass keine Adelsclique zu mächtig wurde, die Maßnahmen der Regierung /Signoria jederzeit transparent blieben, Verschwörungen im Keim erstickt wurden und kein Doge eine Erbmonarchie errichten konnte - die wenigen Versuche bezahlten die Dogen mit dem Leben bzw. öffentlichen Hinrichtungen.
Es wird allerdings sichtbar, dass das ausladende System von
Großem Rat,
Kleinem Rat,
Rat der Vierzig, Rat der Zehn und
Senat ab dem späten Mittelalter zunehmend unflexibel wurde, für eine Erstarrung der Politik sorgte und Innovationen verhinderte, da seit der Schließung des Großen Rats keine neuen Mitglieder mehr aufgenommen wurden.
Als Fehler erwies sich besonders, dass die Bevölkerung des venezianischen Festlandbesitzes - der
Terra ferma - kein Mitspracherecht hatten. Ihre Repräsentanten konnten nicht in die Regierungsorgane Venedigs gewählt werden. Das verhinderte ein Zusammenwachsen der Inselstadt mit dem Festland und die Herausbildung einer venezianischen Identität bei der festländischen Bevölkerung; obwohl die in den letzten Jahrhunderten den Staatshaushalt Venedigs maßgeblich trug, da der Seehandel aufgrund der Verlagerung in den Atlantik so stark schrumpfte, dass Venedig allmählich zu einem Provinzhafen abgesunken war.
Als Napoleon Venedig eroberte, hatte die Republik von San Marco rund 2,5 Millionen Einwohner. Das war eine Größe, die auch Staaten wie Dänemark ein Überleben sicherte. Da jedoch die Festlandsbewohner nie zu einer venezianischen Identität gefunden hatten, was man allein der Regierung anlasten muss, wurde der venezianische Staat nach Napoleons Sturz zu einer
quantité négligeable und verschwand von der Bildfläche. Dass noch andere Effekte hinzukamen, besonders der Wunsch Österreichs, die gesamte Lombardei zu annektieren, ist anzumerken. Auf jeden Fall hatte sich die aristokratische Republik Venedig, wie sie sich Ende des 18. Jh. darstellte, überlebt. Ob Reformen noch etwas bewirkt hätten, sei dahingestellt.