Bürokratie ja, aber diese hatte das Reich nicht so weitgehend im Griff wie man sich das vielleicht vorstellen mag. Desweiteren war der Sinn der Herrschaftlichen Verwaltung nicht die Rechtssicherheit und die Sicherung der sozialen Existenz.
Ich vermisse noch immer Fakten dafür oder wenigstens unterstützende Fachleute oder Literatur.
Die Verbreitung der Bürokratie wird uns angezeigt durch das Aktenwesen der damaligen Zeit, stellvertretend durch die uns erhaltenen offiziellen und halboffiziellen "Dokumente" des Militärs aufgezeigt, angefangen von "Morning Reports bis hin zu den vielfach erwähnten Militärdiplomen.
Der hohe Grad ziviler Bürokratie ist uns ebenfalls gut bekannt, so etwa durch die überlieferten Rechtsbeispiele und Verhandlungen.
Dazu rate ich zur Konsultation einer Einführung in die römische Rechtsgeschichte.
Auch wen beispielsweise die Getreideausgabe in Rom selbst eine Art Sozialleistung ist, so darf man daraus nicht auf das Reich im Gesamten folgern und man darf daraus nicht folgern das insgesamt die Sicherung der Sozialen Existenz Aufgabe der Herrschaftlichen Verwaltung war.
Sicher nicht die alleinige Aufgabe und sicherlich auch nicht obersters persönliches Ziel eines jeden Kaisers, aber nichts desto trotz zeigen die Rechtsgepflogenheiten, wie die klare Ordnung des "suum cuique" oder das diokletianische Preisedikt, die Waisen- und Verbliebenenhilfswerke, die Veteranenversorgung usw. usf. deutlich auf, wie sich die Kaiser auch um das Wohl der Bürger kümmerten, gerade auch um das der Armen. Vergleichbar mit der sozialen Marktwirtschaft ist dies sicher nicht, aber wie gesagt "man nimmt sich was man will" ist eine absolut unzulässige herangehensweise, auch wenn du, der du ja keinen "wahren Römer" mehr nach dem Ende der Republik siehst, Fachleuten und mir da Befangenheit vorwirfst.
Ich würde es eher so formulieren, daß das grundlegende Ziel der staatlichen Organisationen die Wahrung der Herrschaft war. Gerechtigkeit kann ich im römischen Reich nicht in diesem modernen positivistischen Maße erkennen.
Sicher war die Sicherung der eigenen Herrschaft oberstes Ziel der Kaiser, während dies für den Senat als offizielles Ziel sicherlich nicht formuliert wurde.
Darum, und auch das wäre bei sorgfältiger Lektüre ins Auge gesprungen, lautete Bleickens Äußerung ja auch:
Eine der grundlegenden ....
Und dem ist so. Kümmert sich eine Institution oder Person einen Dreck um seine Untergebenen /Schützlinge führt dies zu Reaktionen, anders als etwa die ohne direkte Folgen verbleibende Entmündigung des einst stimmgewaltigen Volkes.
Dann sind auch die modernen westlichen Staaten bis ins 20. Jahrhundert davon betroffen.
Genau deshalb habe ich ja Brasilien bzw heutige Entwicklungshilfeländer als Vergleich genommen.
Aber auch zwischen modernen Staaten sind gewaltige Unterschiede. Zwischen Deutschland und Afghanistan gibt es gewaltige Unterschiede. usw
Ich bitte dringend um sorgfältiges lesen der Sätze.
Ich schrieb hier von modernen westlichen Staaten, nicht von Brasilien oder Ländern der zweiten und dritten Welt. Gemeint war damit ein Vergleich etwa mit dem Einsatz des Militärs in den USA bis in die heutige Zeit, denn somit wären auch die USA ein "brasilianisches Land", wenn Militäreinsätze derartiges folgern lassen würden.
Meiner Meinung nach ist Rom eher mit einem hochkriminalisierten Dritte Welt Land vergleichbar, in den besten Jahren der frühen Kaiserzeit vielleicht mit Brasilien jetzt.
Das darf deine Meinung sein, und als solche gekennzeichnet ist sie auch dank freier Meinungsäußerung präsentabel, aber sie als Fakt darzustellen oder sie trotz Gegenargumenten ohne Nachweise jeglicher Art zu wiederholen wäre und bleibt falsch.
Man sollte aber darauf achten, was auf diesen Gerichten verhandelt wurde und wer hier gegen wen klagen konnte. Das war eine Veranstaltung der Oberschicht und der Mittelschicht. Von diesem zivilisierten Gebaren waren weite Teile der normalen Bevölkerung ausgeschlossen.
Die Sachlage spricht anderes.
Es gibt Akten über Verhandlungen etwa eines Barbiers, während dessen Arbeit auf der Strasse Roms es zu einem Unfall gekommen war. Dies mal nur als Beispiel, die spätantiken Codices, die Fälle aus der gesamten römischen Rechtsgeschichte überlieferten sind voll davon.
Sicherlich kann nicht jeder Fall vor das kaiserliche Gericht gekommen sein, schon von der Quantität wäre dies nicht möglich, aber eben darum übernahm im Laufe der Zeit einer der Prätorianerpräfekten diese Aufgabe mit bzw. maßgeblich und gab es in den Provinzen die bereits erwähnten Gerichtsbeamten.
Sollte nun deine Äußerung hindeuten auf den Glauben einer Massenarmut in den Provinzen, so wäre auch diese Sicht der Dinge sehr tendenziell und zu beweisen.
Ich möchte gerade auf den Punkt Brasilianisierung hinaus, daß das römische Reich eben nicht homogen war sondern sehr heterogen und das es Zonen gab in denen Recht durchgesetzt wurde und Zonen in denen Rechtlosigkeit herrschte.
Wie gesagt, also in etwa wie die romantisierte und verbreitete Vorstellung des Wilden Westens, wo ein Rinderfarmer noch die Schafzüchter erschoß und Pferdediebe ohne großes Palaver an den nächsten Baum gehangen wurden.
Und mit Sicherheit gab es auch im römischen Reich gelegentlich ähnliche Ereignisse und in Zeiten der Bedrängnis, etwa während der Frankeneinfälle sind chaotische Zustände kaum auszuschließen.
Vorhin bereits aber führte ich die Zahl der Beamten und Behörden an, die eben zur Vermeidung solcher Zustände bereits bekannt und berüchtigt sind.
Niemand behauptet hier, das es keine Verbrechen gab oder das heutige Zustände herrschten, aber das konstruierte Bild, oder die besagten Vergleiche wurden nach wie vor nicht untermauert.
Was du hier schreibst stimmt vollauf. Aber 1 handelt es sich nur um die Vesuvstädte bzw Gallien in der frühen Kaiserzeit, und das wiederspricht meiner Darstellung von verschiedenen Zonen nicht.
Faszinierenderweise sagtest du ein Posting vorher, ich spräche nur über Iudäa, und jetzt spreche ich wiederum nur über die Vesuvstädte und Gallien...
Aber sicherlich sprach ich über diese Regionen und Zeiten, denn ich kann leider aufgrund der begrenzt zur Verfügung stehenden Zeit nicht jede Region anhand ihrer archäologischen und literarischen Quellen hier aufarbeiten.
Nach wie vor ist mir kein Siedlungsbefund bekannt, der anderes vermuten läßt, als die bislang angesprochenen.
2 und das finde ich noch bedeutsamer: aus der Zeit des 1 Punischen Krieges und aus der Zeit Hannibals haben wir noch weniger Waffenfunde als aus der frühen Kaiserzeit.
Wunderbarer Vergleich: Der Stadtstaat Rom im 3. Jh.v.Chr., dessen Region in den folgenden Jahrhunderten weiter genutzt und überbaut wurde im direkten Vergleich mit Orten wie
Olynth (4. Jh.v.Chr.) - zerstört und nicht wieder besiedelt
Masada (73 oder 74 n.Chr.) - eingenommen und in diesem Moment behalten
Pompeji (79 n.Chr.) - mitten im Leben durch einen Vulkan verschüttet
Dura Europos - 256 n.Chr. in weiten Teilen zerstört und kurz darauf verlassen
bzw. der Vergleich des Stadtstaates mit dem gesamtem römischen Reich kurz vor oder nach seiner größten Ausdehnung.
Wir wissen aber, daß zu dieser Zeit allein in Italien ca 700 000 Mann Waffen besaßen.
Einige schätzen!
Wir wissen also das Italien bewaffnet war bis zum geht nicht mehr und darüber hinaus, viel mehr als in der Kaiserzeit.
Schon wegen der Entmilitarisierung Italiens nach Sulla, Pompeius, Caesar usw. recht offensichtlich.
Privater Waffenbesitz war die Normalität.
Nur in welchem Hintergrund und wie zu betrachten? Wir wissen leider noch erstaunlich wenig davon, nicht nur wegen der Fundarmut.
So galt das gleiche Prinziep des "bewaffneten Bürgers" auch bei den Athenern, trotzdem legten diese ein Arsenal an.
Den Vergleich mit den Adrones der Griechen erwähnte ich ja bereits.
Trotzdem haben wir weniger Funde als in dieser Fundarmen Zeit die du nennst. Ein regelrechtes Loch, es gibt beispielsweise da ganze Zeitabschnitte mit nicht einem einzigen römischen Schwert ! Und das obwohl Hunderttausende römische Privatpersonen Schwerter besessen haben.
1. Kann das 1. Jh.n.Chr. kaum als "Fundarme Zeit" bezeichnet werden, ich benannte lediglich den Typ der privaten Waffenfunde als selten. Sonst sind wir relativ gut bedient (genug kann es ja nie sein, aber immerhin).
2. Das zudem Metallwaffen rar sind, gerade in einem weiter bewohnten Gebiet darf nun wirklich nicht verwundern. Dazu äußert sich bereits Goldsworthy kritisch, wenn er bemerkt, dass die archäologische Fundlage eine Pauschalisierung der Bewaffnung mit einem Schwert selbst bei optimistischer Auslegung wenigstens abschwächt.
3. Die leicht zugängliche Aufarbeitung der archäologischen Sachlage des republikanischen oder gar königlichen Roms steckt noch sehr in den Anfängen und das Material ist generell bislang selten und nicht immer gut bearbeitet. Da steckt noch viel Potential drin.
Ich halte daher das vorhandensein von Fundgut daher nicht für ausschlaggebend.
Textstellen suche ich noch, aber ich weiß wo ich welche finde.
Ich harre gespannt.
Bis dahin darf ich auf den Aufzug der Prätorianer im pomerium verweisen, denn obwohl, wie du sagst Gesetz und Tat oft auseinander klaffen, haben sie doch in der Regel wenigstens den Schein bewahrt und zivile, unbewaffnet wirkende Kleidung gewählt.
Und auch die Grabdarstellungen der Soldaten sprechen Bände. Es wird im 1. Jh.v.Chr. keineswegs Wert darauf gelegt, die vollständige Bewaffnung zu präsentieren, insbesondere die Defensivwaffen fallen meist weg, und das, obwohl die Darstellung des Soldaten ALS Soldat im Vordergrund steht, nur um dann von
Speiseszenen abgelöst zu werden, bei denen ein friedlicher und unbewaffneter Kontext klar hervortritt.
In Brasilien haben Bewaffnete Banden und Mafia Soldaten Sturmgewehre. In Rom werden sicher Privatpersonen in bestimmten Regionen Militärwaffen besessen haben. Wir wissen zudem aus Quellen, daß Hirten bewaffnet wurden, und das man sich in der Stadt von bewaffneten Klientel oder sogar bewaffneten Sklaven begleiten ließ. Und dies in Rom selbst aufgrund der ausufernden Kriminalität in vielen Stadtvierteln dort. Allen Gerichten und Gesetzen zum Trotz.
Zwar sind mir diese allgemein als "Quellen" bezeichneten Stellen nicht bekannt, aber bereits aus klassischer Zeit ist die Darstellung des Hirten mit der Schleuder oder einem Jagdstock, selten auch mit einem Speer bekannt. In den hier diskutierten Kontext des "Eigenheimschutzes" und "hohe Wertschätzung der Waffen" im Sinne des "man nimmt sich was man kriegt" paßt dies aber nicht hinein, so wenig wie etwaige Personenschützer.
Einen Beweis für die Bewaffnung ziviler Haushalte bist du noch immer einfach schuldig.
Meiner Meinung nach siehst du das römische Reich in Bezug auf die Rechtlichkeit zu positiv. Das soll nicht bedeuten das es diese nicht Zonenweise oder für bestimmte Bevölkerungsgruppen gab.
Meiner Meinung nach hast du dir eine Meinung gebildet, die zu Beweisen du bislang nicht in der Lage warst und deren Kritik du nicht entkräften konntest.
Auch möchte ich nochmal klarstellen, dass weder ich und schon gar nicht Herr Bleicken oder einer der anderen aufgeführten Fachpersonen Positivismus oder Beschönigung betreiben.
Es ist nie abgestritten worden dass es Unruhe und Unruheherde im römischen Reich gab. Es werden meinerseits lediglich die oben genannten Zitate und ihre Darstellung als Fakten angegriffen und Seitens der Fachwelt dezidiert dargelegt, wie das Rechts- und Verwaltungswesen des Reiches in der theoretischen Grundsubstanz aussah. Das bedingt auch, dass faktisch Unterschiede zu erkennen waren, nicht aber zu vergleichen mit o.g. Zuständen.
Nach diesem sehr langen Text (wohl dem der sich durchgekämpft hat) werde ich mich meinerseits nur noch mit den erwarteten Textstellen befassen.