Ich habe in dem Posting auch auf Hieronymus, Augustinus von Hippo und Benedikt von Nursia hingewiesen, die anders gedacht und geschrieben haben als der Papst Gregor I. Es gibt sicher welche, die der gleichen Auffassung waren wie er, aber sicher mehr, die Augustinus in seiner Ablehnung der Nacktheit folgten, sonst wäre die Kirche eine andere geworden.
Und ich dachte, du hättest mittlerweile verstanden, dass es sich bei den Stellen um Auszüge aus KLOSTERREGELN handelt.
Hieronymus "
Brief über Asella" nennt sich zwar Brief (Epistula 45) , ist aber de facto nur eine in die Form des Briefes gekleidetet
Klosterregel für junge Frauen, die sich für den Weg des Klosters entschieden haben, gilt also für Novizinnen. Kritisiert wird das
tägliche Bad: Dir gefällt es dich täglich zu waschen
- Tibi placet lavare quotidie - ein anderer
- alius (vermutlich meint er sich selbst)
- has munditias sordes putat hält diese (übertriebene) Sauberkeit für Schmutz. Es folgt ein Satz darüber, dass der (fiktive?) Adressat nach dem Genuss von Ente rülpst und damit angibt, dass er Stör isst, wohingegen Hieronymus sich mit Bohnen bescheidet. Es geht hier um die Opposition Luxus vs. Askese, nicht um ein allgemeines Waschverbot - das Waschen (es ist nun mal von
lavare die Rede) an sich wird auch hier als offensichtlich normal angesehen.
Die
Regula Benedicti und die
Regula Augustini sind
die Klosterregeln des lateinischen Mittelalters schlechthin, Basis aller nachfolgenden Klosterregeln der nächsten 1000 Jahre!
Möglich, dass es zu seiner Zeit so ein Volk gegeben hatte, aber dass es „bei allen Völkern vorhandene Schamgefühl“ die Nacktheit betrifft, ist eine Interpretation, die nicht zutrifft: Schamgefühl ist angeboren, aber wofür man sich schämt ist anerzogen, ist also kulturabhängig.
Wa ist das denn für eine Reaktion? Es geht doch nicht darum, ob es heute wissenschaftlich haltbar ist, was Augustinus vor 1500 Jahren schrieb, sondern was er in Opposition zu dem, was du ihm unterschiebst, tatsächlich geschrieben hat.
Zudem: Ob Scham anerzogen oder angeboren ist, darüber herrscht nach wie vor keine abschließende Einigkeit. Das wurde in der sogenannten
Elias-Duerr-Kontroverse (die allerdings de facto mangels Response keine solche war) behandelt. Der Soziologe Norbert Elias hatte 1939 eine Arbeit
Über den Prozess der Zivilisation vorgelegt, die der Ethnologe Hans Peter Duerr seit den 1980er Jahren zu widerlegen suchte (nur der erste Band des fünfbändigen Werks
Der Mythos vom Zivilisationsprozeß, der über
Nacktheit und Scham, erschien noch zu Lebzeiten von Norbert Elias, alle anderen (der letzte 2002) nach dessen Tode). Elias hat ihn wohl zunächst wohlwollend, dann zunehmend beleidigt zur Kenntnis genommen. Die Debatte selbst gilt in den Geisteswissenschaften als unabgeschlosssen.
Ob das Buch von Isidor das meist verbreitete Buch in mittelalterlichen Klosterbibliotheken war, können wir nicht mit Sicherheit wissen.
Es ist nach der Bibel a) das im MA am häufigste zitierte und b) in mittelalterlichen HSS am häufigsten auf uns gekommene Buch. Also ja, die Etymologien waren das nach der Bibel verbreitetste Buch des Mittelalters. Das ist
begründete opinio communis unter den Mediävisten.
Aber selbst wenn, muss man fragen, wie groß sein Einfluss war. Dass Augustinus richtungsweisend für die katholische Kirche war und teilweise bis heute ist, wird dir jeder Theologe bestätigen.
Hat die Katholische Kirche Augustinus zum Patron des Internets ernannt?
Nein.
Wen denn?
Isidor.
Von Sevilla?
Von Sevilla.
Wenn das mal kein "Einfluss .... bis heute" ist. Und wie gesagt: Der Autor der meist kopierten Schrift in mittelalterlichen Schreibstuben nach der Bibel, eben jene Etymologien, aus denen ich oben zitierte.
Und noch eine Frage: Warum versuchst du Isidor zu bagatellisieren, anstatt inhaltlich auf Augustinus und Isidor einzugehen? Denn
selbst wenn Isidor unbedeutend gewesen wäre*: Die von dir gebrachte Augustinus-Stelle, die du offensichtlich nicht zu Ende gelesen hast, belegt nun mal nicht deine Behauptung, sondern widerlegt sie sogar. Zur Erinnerung: Für Augustinus war das Bad offensichtlich eine normale Angelegenheit. Und für ihn war es offensichtlich auch normal, dass man nackt badete. Erwähnenswert war, dass einigen Barbaren dies (angeblich) nicht taten.
Und - wie ich hoffe - ein letztes Mal zur Thematik Klosterregeln:
Du behauptest, du wolltest nicht "streiten". Ich will das auch nicht. Aber wenn du nicht streiten möchtest, wäre es dann nicht angemessen, endlich einzusehen, dass Textschnippsel entkontextualisiert keinen Wert haben und dass die von dir vorgebrachten Textschnippsel
alle aus Regelwerken für Mönche und Nonnen stammen und daher nicht auf die Gesamtheit des (
lateinischen, weil du drauf bestehst) Christentums zu übertragen sind?
*ich könnte hier noch seitenweise über muslimisch-christliche Beziehungen im Spanien des 11. Jhdts. schreiben und wie die
Translatio des (vermeintlichen) Leichnams von Isidor aus dem muslimischen Sevilla ins christliche León vonstatten ging - das wäre sehr viel Aufwand für einen "unbedeutenden" Heiligen gewesen.