Bismarck - Prototyp eines Realpolitikers?

MagicMarkusMan

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Bismarck gilt allgemeint als der "Prototyp des Realpolitikers".

Alleine der Begriff Realpolitik bereitet mir schon gewisse schwierigkeiten da im Internet größtenteils nur umschreibungen zu finden sind.

Könnte jemand so lieb sein, und mir konkrete Beispiele nennen, in denen Bismarck "Realpolitik" betrieben hat?

Handelt es sich beispielsweise bei seinem Verhalten nach dem gewonnenen "Bruderkrieg" gegen Österreich 1866, Österreich keine sensiblen Reparationszahlungen aufzuerlegen, um in ihm einen eventuellen Bündnisspartner für die Zukunft nicht zu vergraulen, um Realpolitik, da diese entscheidung gegen den Willen der Militärs getroffen wurde?

Oder beim kürzen der Emser Depeche, welche einen Krieg gegen Frankreich provozierte? Wenn ja, wieso?

Über eine eventuelle Bewertung der These "Bismarck - Prototyp eines Realpolitikers?" wäre ich ebenfalls sehr dankbar.

Herzlichen Dank,
Markus
 
Es findet sich eine Definition ueber Realpolitik bei Wikipedia:

"Realpolitik orientiert sich eng an den als real anerkannten Bedingungen und Möglichkeiten. Sie ist auf das rasche Treffen von Entscheidungen gerichtet und zielt auf eine breite Akzeptanz in der öffentlichen Meinung. Abzugrenzen ist sie von eher werteorientierten Ansätzen, die sich auch auf die politische Ideengeschichte beziehen. Ein wichtiges Wesensmerkmal der Realpolitik ist daher die Grundannahme, Werte und darauf basierende Mittel seien letztendlich immer verhandelbar und dispositiv, wenn ein bestimmtes Ziel erreicht werden soll."

Insofern wuerde ich den Krieg gegen Frankreich als Realpolitik "par excellence" bezeichnen - einschl. Emser Depesche.

Gruss, muheijo
 
Den artikel habe ich auch schon gelesen aber danke für die schnelle Antwort.

Aber nach Wikipediadefinition würde es sich dann offensichtlich bei dem Bruderkrieg 1866 nicht um eine Realpolitische Aktion handeln, da die Mehrheit der Öffentlichkeit diesem ehr kritisch gegenüberstand.

Das Beispiel mit der Emser Depeche kannte ich ja bereits, aber was ist daran konrket jetzt "Realpolitik"? Das er den krieg quasi anzettelt, mit dem Hintergedanken, die Südstaaten hier mit einzu beziehen um eine Deutsche Einigung zu beschleunigen?

Und könntest du noch konkret weitere Beispiele nennen? (bitte auch mit Begründung)
 
Zuletzt bearbeitet:
Die o. g. Definition von Realpolitik impliziert die Nicht-Orientierung an Werten oder einer "Ideologie". Ein Wert wären z. B. die Interessen Preußens bzw. Deutschlands. Ich verstehe Bismarck aber so, dass er eben diesen Zielen in starkem Maße dienen wollte.

Passt das mit dem Begriff "Realpolitik" zusammen ?
 
Ein Wert wären z. B. die Interessen Preußens bzw. Deutschlands. Ich verstehe Bismarck aber so, dass er eben diesen Zielen in starkem Maße dienen wollte.

Passt das mit dem Begriff "Realpolitik" zusammen ?

"Die Interessen Preussens bzw. Deutschlands" sind m.M.n. eben kein "Wert".

Und weil er diesem Ziel in starkem Masse diente, und dafuer Werte hintenan stellte, ist er ein Realpolitiker.

Werte wæren fuer mich z.B. Ehrlichkeit, Freiheit, Gleichheit, Frieden o.æ.
Welche Werte Bismarck hintenan stellte, das kønnten wir diskutieren.

Gruss, muheijo
 
Handelt es sich beispielsweise bei seinem Verhalten nach dem gewonnenen "Bruderkrieg" gegen Österreich 1866, Österreich keine sensiblen Reparationszahlungen aufzuerlegen, um in ihm einen eventuellen Bündnisspartner für die Zukunft nicht zu vergraulen, um Realpolitik, da diese entscheidung gegen den Willen der Militärs getroffen wurde?
Markus

Den artikel habe ich auch schon gelesen aber danke für die schnelle Antwort.

Aber nach Wikipediadefinition würde es sich dann offensichtlich bei dem Bruderkrieg 1866 nicht um eine Realpolitische Aktion handeln, da die Mehrheit der Öffentlichkeit diesem eher kritisch gegenüberstand.

Hast du den Wiki-Artikel wirklich gelesen?

Da steht nämlich:

"Gegenüber Österreich setzte Bismarck wiederum bei König Wilhelm I. den Verzicht auf Gebietsabtretungen und Entschädigungen durch, womit er sich die Option schuf, 1870/1871 zusammen mit Österreich gegen Frankreich Krieg zu führen."

Die Mäßigung Bismarcks brachte erst die Möglichkeit, Österreich als Bündnispartner zu gewinnen, was nicht möglich gewesen wäre, wenn Ö. territorial und finanziell gedemütigt worden wäre.

Auch zur öffentlichen Meinung findet sich dieser Satz:

"Zwar zielt Realpolitik auf öffentliche Zustimmung. Minderheitenschutz, die Ausgewogenheit realpolitischer Entscheidungen oder eine langfristig orientierte Politik leiten sich jedoch nicht zwangsläufig aus der schnell wechselnden öffentlichen Zustimmung ab."

Also bitte nicht nur überfliegen.

Grüße
excideuil
 
excideuil schrieb:
"Gegenüber Österreich setzte Bismarck wiederum bei König Wilhelm I. den Verzicht auf Gebietsabtretungen und Entschädigungen durch, womit er sich die Option schuf, 1870/1871 zusammen mit Österreich gegen Frankreich Krieg zu führen."

Tatsächlich hat Beust aber 1870 stark damit geliebäugelt auf Seite Frankreichs in dem Krieg einzutreten. Daran hat ihn letzten Endes Andrassy aber vor allem das Zarenreich gehindert.

Ganz ähnlich wie 1887 in der Boulangerkrise als Salisbury einen Zeitungsartikel publizieren ließ, der eine knallharte Warnung an Frankreich war. Man hat sehr deutlich durchblicken lassen, das man dem Deutschen Reich das Durchmarschrecht durch Belgien zuerkennen würde, wenn Frankreich weiter zündelt und einen Krieg herbeiführen würde. Auf der anderen Seite hat es das Zarenreich nicht an Warnungen in Richtung Bismarck fehlen lassen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Nur zum besseren Verständnis - 1848/49 lehnt Bismarck den revolutionären Versuch ab, eine Deutsche Einheit zu erreichen, in dessen Entscheidungszentrum kein Monarch sondern ein demokratisch gewähltes Parlament steht, da es seinem konservativem Ziel, "wenn Wiedervereinigung, dann von oben", bzw. einem Deutschland, an dessen Spitze Preußen steht, wiederspricht.

Jahre später,1871, kommt es dann doch zur Reichsgründung - nicht ganz ohne Parlament, Deutschland bekommt einen Reichstag mit fortschrittlichem gleichen Wahlrecht (alle Männer über 25) allerdings mit einem Reichstag der eine extrem schwache Stellung inne hat. Er hat so Impulse aufgegriffen die in der Bevölkerung ohnehin bestehen und in bestimmte Bahnen gelenkt bevor sie sich anderweiteig entladen (Revolution, etc) also "reale" Politik betrieben.

Ist dies nicht ein Musterbeispiel seiner "Realpolitik"?
Wenn ja bitte bestätigung :D

Inwieweit unterscheiden sich Innen und Außenpolitik Bismarcks?
Ist es richtig, nur außenpolitisch von realpolitik zu sprechen und innenpolitisch von Idealpolitik (abgesehen reichsgründung), wie ich auf anderen Internetseiten gelesen habe?

Markus
 
Nur zum besseren Verständnis - 1848/49 lehnt Bismarck den revolutionären Versuch ab, eine Deutsche Einheit zu erreichen, in dessen Entscheidungszentrum kein Monarch sondern ein demokratisch gewähltes Parlament steht, da es seinem konservativem Ziel, "wenn Wiedervereinigung, dann von oben", bzw. einem Deutschland, an dessen Spitze Preußen steht, wiederspricht

Das ist auch nicht weiter überraschend, denn Bismarck war ein erzkonservativer Junker. Es gibt da so eine nette Anekdote, aus der hervorgeht, Zeitpunkt 1848, Bismarck sei nur für politische Spitzenpositionen zu gebrauchen, wenn das Schwert schrankenlos waltet. Frag mich jetzt aber nicht einer Quelle.

Bismarcks Außenpolitik war sehr real. Als Beispiel kannst du seine Einstellung zum Thema Kolonien erwähnen. Den Erwerb von Kolonien hat Bismarck erst zu einem Zeitpunkt sein Plazet erteilt, als die außenpoltische Großwetterlage außerordentlich günstig war. Großbritannien konnte nicht groß maulen, da es der Unterstützung des Reiches in der leidigen Ägyptenfrage benötige und auf dem Balkan hat es zu jener Zeit auch wieder beträchtlich geknirscht. Des Weiteren bot sich der Einstieg in das koloniale Geschäft an, um die Zusammenstzung des Reichstages bei der kommenden Wahl in seinem Sinne zu korrigieren.
 
Zuletzt bearbeitet:
Tatsächlich hat Beust aber 1870 stark damit geliebäugelt auf Seite Frankreichs in dem Krieg einzutreten. Daran hat ihn letzten Endes Andrassy aber vor allem das Zarenreich gehindert.

Ganz ähnlich wie 1887 in der Boulangerkrise als Salisbury einen Zeitungsartikel publizieren ließ, der eine knallharte Warnung an Frankreich war. Man hat sehr deutlich durchblicken lassen, das man dem Deutschen Reich das Durchmarschrecht durch Belgien zuerkennen würde, wenn Frankreich weiter zündelt und einen Krieg herbeiführen würde. Auf der anderen Seite hat es das Zarenreich nicht an Warnungen in Richtung Bismarck fehlen lassen.

Mein Wiki-Zitat verfolgte nur den Zweck, um zu vertiefen, dass kluge maßvolle Entscheidungen mehr Optionen bringen (können). Ich halte das für klüger, als die maximale Ausnutzung einer momentanen Überlegenheit.

Und wer, wann, was gewollt hat, da kann ich für die Kaiserzeit wohl eher nicht wirklich mitreden ;)

Da wir bei Bismarcks Realpolitik sind, fällt mir noch ein, dass er m.W.n. der Anexion Elsass-Lothringens eher skeptisch gegenüberstand, weil er von franz. Seite Revanchegelüste erwartete. Wie recht er doch im Grunde hatte! Dies zeigt seinen Realitätssinn.

Grüße
excideuil
 
Mein Wiki-Zitat verfolgte nur den Zweck, um zu vertiefen, dass kluge maßvolle Entscheidungen mehr Optionen bringen (können). Ich halte das für klüger, als die maximale Ausnutzung einer momentanen Überlegenheit

Habe ich auch so verstanden.;) Meine Ausführungen sollten nur eine Ergänzung sein.:winke:
 
Inwieweit unterscheiden sich Innen und Außenpolitik Bismarcks?

Du kannst die Außen- und Innenpolitik Bismarcks nicht unabhängig voneinander betrachten. Der Kulturkanpf beispielsweise wurde nicht nur im Deutschen Reich geführt, nein, Bismarck hat auch versucht diesen zu internationalisieren.
 
Wie bewertet ihr die Frage des Themas "Bismarck - Prototyp eines Realpolitikers?"?

Ich denke dies würde sich als Abschluss meines Vortrages sehr gut machen... auch ein kritisches Echo wäre Wünschenswert, ähnlich "hat sich vom idealorientierten erzkonservativem Junker erst zu einem Realpolitiker entwickelt" oder so...(wobei ich mich mit dieser Formulierung auf unsicheres Terrain begebe)
 
Nein! Bismarck war und blieb immer ein erzkonservativer Junker. Er hat gelegentlich auch überhaupt keine Scheu gehabt, die Interessen seines Privatbankiers Bleichröder in seine außenpolitischen Entscheidungen miteinfließen zu lassen.

Insgesamt war Bismarck, außenpolitisch betrachtet, ohne Frage eine der bedeutendesten Politiker des 19. Jahrhunderts; Talleyrand und Salisbury sehe ich ebenfalls auf diesen hohen Niveau.

Bismarck war außenpolitisch fast immer Realpolitiker. Er hat es verstanden, Gelegenheiten kaltblütig zu nutzen, siehe Einigungskriege und dann auch noch die anderen europäischen Mächte außen vor zu lassen, das war schon sehr beachtlich. Aber auch seine Haltung nach der Gründung des Deutschen Reiches, diese für saturiert zu erklären, und dann die Außenpolitik "nur" noch auf Sicherung des Erreichten zu fixieren, war Einsicht, in die Möglickeiten des Machbaren.
 
Das ist auch nicht weiter überraschend, denn Bismarck war ein erzkonservativer Junker. Es gibt da so eine nette Anekdote, aus der hervorgeht, Zeitpunkt 1848, Bismarck sei nur für politische Spitzenpositionen zu gebrauchen, wenn das Schwert schrankenlos waltet. Frag mich jetzt aber nicht einer Quelle.
Zur Ergänzung:
"Bismarck ... galt als ein Radikaler von rechts; ihm haftete an, was der König neben seinem Namen notierte, als es um eine Liste möglicher, möglichst konservativer Minister ging: "Nur zu gebrauchen, wo das Bajonett schrankenlos waltet." Nach einer anderen Fassung soll Friedrich Wilhelm von Bismarck gesagt haben: "Roter Reaktionär, riecht nach Blut, später zu gebrauchen." [1a]

Zurück ging diese Einschätzung auf eine Rede, die Bismarck auf dem Vereinigten Landtag 1847 hielt. Er selbst berichtet:
"Ich geriet mit der Opposition in Konflikt, als ich das erste Mal zu längrer Ausführung das Wort nahm, am 17. Mai 1847, indem ich die Legende bekämpfte, dass die Preußen 1813 in den Krieg gegangen wären, um eine Verfassung zu erlangen, und meiner naturwüchsigen Entrüstung darüber Ausdruck gab, dass die Fremdherrschaft an sich kein genügender Grund zum Kampfe gewesen sein sollte. Mir erschien es unwürdig, dass die Nation dafür, dass sie sich selbst befreit habe, dem König eine in Verfassungsparagraphen zahlbare Rechnung überreichen wolle. Meine Ausführung rief einen Sturm hervor ..." [1b]

Die Rede machte ihn quasi über Nacht berühmt, nicht nur wegen des Inhalts, auch wegen seiner Fähigkeit drastisch und anschaulich zu formulieren.

Grüße
excideuil

[1] Krockow, Christian Graf von: Bismarck, DTV, München 2000, a) Seite 17, b) Seite 14
 
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