Doch. Why not?
Zum Beispiel: Königreiche, Fürstentümer, usw.
Ich habe folgende Texte aus dem Brockhaus im Kopf gehabt, als ich meinen kleinen Einwand erhob, weil man doch ziemlich in der Versuchung steht, das Heute auf Damals zurück zu projizieren, was mir btw. auch mal passiert.
Hier Ausschnitte aus Artikeln von:
Dr. Manfred Hettling und Prof. Dr. Peter Alter
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Nation
[französisch, von lateinisch natio, nationis] die, -/-en, Begriff, der im historischen und politischen, aber auch im kulturphilosophischen und staatsrechtlichen Denken Europas seit dem späten 18. Jahrhundert den Rahmen bezeichnet, innerhalb dessen neben kultureller Eigenständigkeit auch politische Selbstständigkeit (Souveränität) beansprucht wird. Dies geschieht unter Verweis auf eine als gemeinsam angenommene Geschichte, Tradition, Kultur und Sprache.
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Bis heute sind die Versuche, Nation anhand objektiver, allgemein gültiger Merkmale zu definieren, umstritten. Für einige Forscher (B. Anderson; E. Gellner) ist die Nation ein reines Konstrukt, das von Intellektuellen entworfen und von Politikern durchgesetzt worden ist. Entscheidend ist dabei das Verhältnis zwischen Nation und Staat: In der Regel umfassen Reiche beziehungsweise Imperien mehrere Nationen, wie etwa die Donaumonarchie, während viele Staaten nur einen Teil der Nation politisch erfasst haben, wie dies in Deutschland oder Italien vor der nationalstaatlichen Einigung der Fall war. Der Nationalismus als Versuch, die Grenzen von Staat und Nation zur Deckung zu bringen, war insofern revolutionär und hat die politischen Verhältnisse zuerst in Europa und dann weltweit umgestürzt.
Zur Begriffsgeschichte
Bereits die Begriffsgeschichte zeigt sowohl den engen Zusammenhang eines mit dem Anspruch universaler Geltung auftretenden Nationsbegriffs mit der neuzeitlichen europäischen Geschichte als auch die kulturell geschaffene Substanz des Begriffs Nation, der seine historische Bedeutung erst von den Wertungen und Einstellungen her bezieht, die ihm gegenüber entwickelt werden. Als Integrationsrahmen für »große, als Träger staatlicher Souveränität in Betracht kommende Gruppen« (E. Lemberg) wird die Nation erst unter den spezifischen politischen Bedingungen der Moderne wirksam. Demgegenüber bezeichnete lateinisch »natio« in der Antike und noch lange im Mittelalter Abstammung oder Herkunftsort einer Person. Im Rahmen der seit dem Hochmittelalter entstandenen Universitäten wurde Nation als Herkunftsbezeichnung im Sinne der Zurechnung zu einer Region oder Landschaft benutzt. Die im Spätmittelalter vermehrt auftretenden Konflikte zwischen studentischen »nationes« und die Sezession einer »natio« aus dem Verband der Universität sowie die anschließende Gründung neuer Universitäten zeigen die allmähliche Politisierung der Nationsvorstellung. Die Konzilien des Spätmittelalters brachten einen weiteren, bereits auf den modernen Gebrauch vorausweisenden Bedeutungszusammenhang, der das Prinzip der Repräsentation aufnahm, indem der Begriff Nation verwendet wurde, um abstimmungsberechtigte Untergruppen zu bezeichnen. Hiermit gewann der Begriff seine Qualität als politische Rahmenkategorie, zugleich trat aber das Dilemma der Abgrenzung und der Verbindlichkeit der jeweils als Nation angesprochenen Menschengruppe auf. Mit der verstärkten Rezeption der antiken Historiografie im Humanismus und der von vielen Humanisten betriebenen »Ansippung« politischer und sprachlicher Gemeinschaften an die Völkerschaften der Antike kam es im 15. und 16. Jahrhundert zu einer intensivierten Debatte über nationale Zuordnungen, doch blieb diese weitgehend auf intellektuelle Kreise beschränkt. In ideengeschichtlicher Hinsicht waren aber alle Vorstellungen und Argumentationsmuster, die dann das Zeitalter des Nationalismus prägten, hier bereits virulent.
Explizit politische Bedeutung erlangte der Begriff Nation zunächst in den Auseinandersetzungen um die politische Herrschaft in der Zeit der Französischen Revolution anlässlich der Frage, wer der legitime Repräsentant der Gesellschaft sei. So lautet die Antwort auf die selbst gestellte Frage »Qu'est-ce que le tiers état?« (»Was ist der dritte Stand?«) bei Abbé Sieyès: »Eine vollständige Nation ist der dritte Stand.« Beim Nationsbegriff der Französischen Revolution handelte es sich zunächst also um einen innergesellschaftlichen Konflikt, bei dem Adel und Klerus die Bedeutung für die Nation bestritten wurde, und nicht um eine gegen fremde ethnische Gruppen oder Völker gerichtete Vorstellung."
Im
Jugendbrockhaus steht zusammenfassend:
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Nation
politische Gemeinschaft, gekennzeichnet durch das Bewusstsein der politischen und/oder kulturellen Eigenständigkeit, das Bewusstsein einer als gemeinsam empfundenen Geschichte, Tradition, Religion, Kultur und Sprache oder eines gemeinsamen Wohngebiets sowie den Willen zur Zusammengehörigkeit. Der seit der Französischen Revolution in den Vordergrund getretene westeurop. (französische) Nationsbegriff begreift Nation als eine historisch geformte Willensgemeinschaft, die in der Einheit des Staatswesens hervortritt (
Staatsnation).
Die Eigenart der dt. Geschichte, die erst spät einen dt. Nationalstaat hervorbrachte, hat sich in einer weniger eindeutigen Vorstellung von Nation niedergeschlagen. Die dt. Denker der klassischen und romantischen Epoche betonten die volkhaft-kulturelle, vorstaatliche Nation (
Kulturnation).
Der
Zwiespalt zwischen einem eher politisch verstandenen und einem eher ethnisch-kulturell verstandenen Nationsbegriff zeigt sich auch im Begriff Nationalität, der einerseits im Rechtssinn die Staatsangehörigkeit meint, andererseits aber auch die nationale Minderheit innerhalb eines Staats bezeichnet."
weiter im Brockhaus:
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Nation - Eine moderne Erfindung
Die Nation ist seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert nicht nur eine zentrale Kategorie des politischen Denkens und Handelns, sondern auch der politischen Wirklichkeit. Selbst noch am Ausgang des 20. Jahrhunderts sind die Vorstellungen und Erwartungen, die sich mit der Nation verbinden, von großer geschichtlicher Wirkungsmächtigkeit. Die Entwicklungen in Ostmittel- und Südosteuropa, in der früheren Sowjetunion und anderswo seit den Achtzigerjahren machen das hinreichend deutlich.
Aber auch in Westeuropa und in Nordamerika, wo das Denken in nationalen Begriffen seit 1945 unübersehbar an Bedeutung verloren hat, haben nationale Symbole wie Fahnen, Nationalhymnen oder Nationalfeiertage im Grunde nichts von ihrer Integrationskraft und ihrem emotionalen Stellenwert für den Einzelnen eingebüßt. In unserem Bewusstsein ist die »Nation« fest verankert - und dabei wird allzu oft übersehen, dass sie keine zeitlose Konstante in der Geschichte der Menschheit ist und mithin auch kein Raster darstellt, das die Menschen seit jeher in große übersichtliche Gruppen einteilt.
Die Nation als Solidarverband gibt es nicht »seit Urzeiten«, wie dies vor allem von den Protagonisten nationalen Denkens überall behauptet wird. Das Gegenteil ist der Fall. Die Nation ist eine moderne Erfindung. Sie ist gerade einmal zweihundert Jahre alt."
Passend besonders auf "junge" Nationen überall auf der Welt:
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Nation und Nationalbewusstsein
Jede Nation ist in ihrer Existenz davon abhängig, dass ihre Angehörigen das Bewusstseinhaben, an einer politischen und sozialen Gemeinschaft teilzuhaben, die entweder über einen Nationalstaat verfügt oder einen solchen bilden will. Nationalbewusstsein wird durch Erziehung im weitesten Sinne vermittelt. Dabei wird meist das hervorgehoben, was die Angehörigen der Nation angeblich gemeinsam haben: Sprache, Kultur, Religion, politische Ideale, Staatsform, Geschichte. Nationalbewusstsein bzw. eine nationale Identität wird aber auch gern durch Abgrenzung von den anderen Nationen oder durch Vergleiche mit ihnen definiert. In der Auseinandersetzung mit dem Fremden - der anderen Sprache oder Religion, den anderen Sitten und Lebensformen, dem anderen politischen System - wird sich eine soziale Gruppe, eine »Schicksalsgemeinschaft«, ihrer eigenen engen Beziehungen bewusst und ihrer Gemeinsamkeiten, aufgrund derer sie leichter miteinander kommunizieren können als mit den »Anderen«, den »Fremden«. Man kann den Sachverhalt zugespitzt ausdrücken:
Eine Nation braucht Feinde, weil das offenbar die Suche nach der eigenen Identität erleichtert."
"Förderer eines Nationalbewusstseins kann auch der auf Zentralisierung, Vereinheitlichung und Effizienz bedachte vornationale Staat sein. Die Nationsbildung vollzieht sich dann in Grenzen, die mit denen des bestehenden Staats identisch sind. Dies war zum Beispiel in Frankreich, Großbritannien, Portugal oder Schweden bereits früh der Fall. Dort ging der Prozess der Staatsbildung mit dem der Nationsbildung zum Teil Hand in Hand, zum Teil war erster letzterem vorgeordnet. Zwang und Gewalt spielten eine nicht zu übersehende Rolle. Zur Nation wurde letzten Endes die Bevölkerung, die innerhalb der Grenzen des Staats lebte, in dem der König von Frankreich, der König von England/Großbritannien oder der König von Schweden der Souverän war.
Die angeblich so homogene französische Nation zum Beispiel umschließt Bevölkerungsgruppen verschiedener Herkunft, Kultur und Sprache."
Mein Reden, was ich auch schon mit dem Historiographie-Thread im Bereich Osmanisches Reich deutlich machen wollte:
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Beginn der nationalen Geschichtsschreibung
In Darstellungen, die es mit dem Wahrheitsgehalt historischer Legenden oft nicht so genau nahmen, machten die Historiker ab dem 19. Jahrhundert alles das lebendig, was einer Nation genannten sozialen Gruppe an staatlicher Tradition angeblich aus der Vergangenheit zur Verfügung stand. Es begann damals die Blütezeit der Nationalgeschichten. Staatliche Gebilde wie die polis Athen und das Byzantinische Reich bei den Griechen, das Imperium Romanum bei den Italienern oder das Reich der mittelalterlichen Kaiser bei den Deutschen wurden zu Vorläufern des zu schaffenden Nationalstaats umgedeutet, oft in höchst willkürlicher Weise.
Ebenso wurde die Abstammung des jeweiligen »Volks« von berühmten, staatlich organisierten Völkern der Antike wie den Griechen und Römern, aber auch den Kelten, Thrakern oder Germanen behauptet. Das alles geschah, um eine möglichst lange und ruhmreiche nationale Geschichte zu konstruieren, aus der die Nation gewissermaßen das Recht auf Unabhängigkeit und Eigenstaatlichkeit herleitete.
Rasse und Religion
Dass alle diese Bemühungen mehr der
Mythenbildung denn der historischen Wahrheitsfindung zuzuordnen waren, hat der französische Religionswissenschaftler Ernest Renan schon früh erkannt. In einem Vortrag, den er 1882 in Paris hielt, wies er nüchtern nach, dass alle behaupteten Merkmale und tiefen historischen Wurzeln der Nation Fiktionen sind. Mit »Rasse« und »gemeinsamer Abstammung« habe die Nation nichts zu tun, denn alle modernen Nationen seien im Grunde ein ethnisches Gemisch.
Eine Politik, welche die Einheit der Nation mit rassischen Argumenten beweisen wolle, gründe auf einer Chimäre."
"Die
französische Nation hat sich seit ihrer revolutionären Entstehung nach 1789
als politische Größe verstanden, mit dem Staatsbürger, dem Citoyen, als expansiv-universaler Kategorie. In
Deutschland hingegen wurde die Nation im christlich-moralischen Gewand erfunden; der Begriff des »Erbfeindes« ist ein Produkt dieser Entstehung. Die
rassischen Interpretationen der Nation seit dem späten 19. Jahrhundert finden sich in vielen Ländern, Deutschland zeichnete sich hierin nur durch eine besondere Radikalität aus. Die Formen dieser biologistischen Fantasien waren vielfältig. In der Schweiz suchte man in den 1930er-Jahren nach einem speziellen »Homo alpinus helveticus« - im multikulturellen und vielsprachigen Land vermied man es wohlweislich, rassische Gemeinsamkeiten durch kulturelle Gemeinsamkeiten postulieren zu wollen, und sah die Natur der Berge als überindividuelle, prägende Kraft."
Salut, LG lynxxx