CarnifexUltra

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filmdienst/Lexikon des internationalen Films schrieb:
Sizilien in den 1860er-Jahren: Der Fürst von Salina führt ein göttergleiches Leben voller Schönheit und Privilegien; doch der politische Wandel des "Risorgimento" und die nahende Staatsgründung Italiens stellen die alte aristokratische Ordnung und damit auch Glück und Zukunft seiner Familie infrage. Für den Fürsten ist es an der Zeit, neue Bündnisse zu schließen – die allesamt seine Prinzipien bedrohen. Er muss eine folgenschwere Entscheidung fällen: Er könnte die bevorzugte Stellung seiner Familie bewahren, indem er seinen Neffen mit der Tochter eines wohlhabenden Bürgerlichen verheiratet – doch damit würde er seiner Lieblingstochter das Herz brechen. Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Giuseppe Tomasi di Lampedusa umspielt die Historien-Dramaserie Themen wie Politik und Liebe, Machterhalt und den Preis des Fortschritts. Der motivischen Komplexität der Vorlage bleibt sie kaum etwas schuldig, und auch die Ausstattung lässt nichts zu wünschen übrig, übertreibt das Glamouröse jedoch nicht ins Geschmacklose. Die männlichen Charaktere, allen voran der des Fürsten, sind gut besetzt und gewinnen eindrückliche Präsenz. Die sich wandelnde Rolle der Frauen im revolutionären Kontext wird hingegen vielleicht etwas zu fortschrittsoptimistisch interpretiert. Insgesamt eine auf allen Ebenen gelungene, überzeugende Neuinterpratetion. - Sehenswert ab 14.



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Ist von Netflix, habs noch nicht gesehen, filmdienst vergibt 4,5/5 Sterne.
 
Viscontis Verfilmung von 1963 gilt als Meisterwerk, da liegt die Messlatte hoch.
Das sagt filmdienst dazu:
In Spuren wandelt auch die Serie selbst: Den zweifachen Vergleich mit einem Werk der Weltliteratur sowie mit einem absoluten Klassiker des europäischen Kinos (Viscontis Adaption aus dem Jahr 1963) meistert sie achtbar, streckenweise souverän im Wortsinne, das heißt nicht sklavisch der Nacherzählung und dem Abklatsch verschworen. Der motivischen Komplexität der stark gleichnishaften Geschichte bleibt man kaum etwas schuldig.
Kim Rossi Stuart füllt die schwierige Rolle mit Lässigkeit und agiert nahbar auch in Momenten fürstlichen Zorns und Unmuts. Er ist ein wesentlich moderner aufgefasster Göttervater als Burt Lancaster bei Visconti, der insbesondere seine sozialen, familiären Beziehungen sinnlicher hervortreten lässt – seine Liebe zu Concetta und Tancredi, seine Liebe doch auch zu seiner unglücklichen Frau Maria Stella. Womöglich zeigt er nach dem Geschmack Lampedusas zum Ende hin ein wenig zu häufig tränennasse Augen, doch überzeugt er trotzdem als von des Geistes Blässe Angekränkelter ebenso wie als absolutistischer Herrscher hoch zu Ross.
Deren Kritiker trifft den Ton wiedermal meisterhaft:
Das noble Leben ist wesentlich ein In-Spuren-Gehen und vollzieht sich zumeist in den Kulissen allzu großer Häuser, Paläste, Plätze und Kirchen. Handelt es sich wie hier um den alten Adel Siziliens, wird es außerdem gelebt vor der Folie einer grandios-unbarmherzigen Naturlandschaft, die die meisten die Augen zusammenkneifen oder den Blick (nicht immer demütig) zu Boden richten lässt. Nur die im Kern Starken, die Löwen und Leoparden unter den wie natürlich Herrschenden, so lässt sich Giuseppe Tomasi di Lampedusas Roman „Der Leopard“ lesen, halten dem stand – ihrer gleichnishaften Rolle im historischen Augenblick ebenso wie dem Bewusstsein ihrer universalen Nichtigkeit sub specie aeternitatis.
Als ein solcher präsentiert sich Don Fabrizio (Kim Rossi Stuart), Fürst von Salina, auch in der Neuadaption jenes singulären Werkes der Weltliteratur als sechsstündiges Serienepos für Netflix (Buch: Richard Warlow; Regie: Tom Shankland). Eingeführt werden er und die Seinen allerdings als neuzeitliche Version einer Göttergesellschaft mit dem Fürsten als unbeschränktem Herrscher Jupiter inmitten seiner Familie: Gattin Maria Stella (Astrid Meloni), die an die Schwelle des Hauses wie gebannt zu sein scheint, unübersichtlich viele Söhne und Töchter, Neffe Tancredi (Saul Nanni), Ratgeber, Jagdgesellen, Gesinde und Hund. Dies ist nun ersichtlich keine demokratisch verfasste Gesellschaft, sondern eine radikal feudalistische: Fabrizio straft und gönnt nach Belieben, zieht den einen vor, begünstigt die andere. Die Kameraarbeit der Serie verdeutlicht dies visuell durch viele Perspektiven aus dem Sattel von Hoch zu Nieder; nahezu alle Ereignisse und Erwägungen entfalten sich strikt aus der Sicht des Fürsten (sanktioniert durch den Roman).
Die alte Verfilmung hatten sie damals mit 5/5 Sternen bewertet (ich glaube sie haben damals überhaupt keine Sterne vergeben aber jetzt sind sie da jedenfalls):
Machen das auch schon seit '47.
 
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Frage: sind beide (Viscontis "Klassiker" und die neue Serie) nicht primär Literaturverfilmungen und als solche zu betrachten?
 
Ich habs mir nun abgesehen und den Film von Visconti auch, das Buch kenn ich nicht. Spoiler!

Vom Gehabe als Göttergesellschaft kann ich bei Netflix nichts merken, die fürstliche Gesellschaft wird von Visconti deutlich besser dargestellt, auch wegen der authentischeren Ausstattung, Kulissen, Kostüme etc. In der alten Verfilmung lässt der Fürst einige markante adlig-elitäre Metaphern raushängen, die Garibaldiner werden den Sizilianern keine Manieren beibringen können, denn sie seien Götter, und bald kämen die Affen und werden sich an ihren Schwänzen an die Kronleuchter hängen und ihr Gesäß zeigen usw.
Visconti klebt auch durchgängig am Fürsten Don Fabrizio alle anderen sind bloß Nebenerscheinungen, Netflix breitet dagegen die anderen Charaktere und ihre Beziehungen voll aus. Die Figuren haben eine Entwicklung, Tancredi ist erst der junge Stürmer der sich vom Fürsten lossagen möchte und etwas eigenes möchte und darum die Fürstentochter Concetta abweist, die ihrerseits deshalb aus Schmerz und um ihren Vater zu verletzten ins Kloster geht.
Die Einführung von Angelica bei Netflix ist sehr schön, der schicksalhafte Giftapfel, so verführerisch, dass man beißen muss, erwachsen aus dem Neid der unteren Schicht, das logische und notwendige Übel der neuen Zeit das sich auch in der hohen Gesellschaft seinen Platz findet.
Das alles wird bei Visconti ausgespart, 6 Stunden sind auch 3 mehr für Netflix.
Netflix's Bürgermeister Sedara ist ein schmieriger, verlogener, ruchloser Ausbeuter der den Wandel der Zeit bis ins letzte auszunützen weiß und ein Wink an die sizilianische Mafia auf die auch die finale Szene anspielt, der von Visconti ist dagegen eher schon freundlich und zurückhaltend, ebenso wie seine Tochter Angelica nicht giftig und intrigant sondern zauberhaft ist.

Viscontis Don Fabrizio zeigt durchwegs Gleichgültigkeit gegenüber dem Wandel der Zeit und meint, dass sich am Ende ohnehin nichts ändert, jedenfalls nichts worum sich einer wie er zu kümmern braucht, mit Sprüchen wie die oben stellt er klar, dass sie etwas besseres sind als Normalsterbliche die bloß kurzweilige Erscheinungen seien.
Der von Netflix legt eine viel stärkere Ablehnung gegenüber den Geschehnissen und mehr Aktivität an den Tag, anders als bei Visconti reist er persönlich nach Mailand?Neapel? auf die Einladung einen Senatssitz zu erhalten und hält dort die weitgehend gleiche Rede wie Viscontis Fürst dem Boten der Einladung in Sizilien. Die Familie muss einige schwere Schicksalsschläge hinnehmen, der Erbe stirbt beim Versuch sich Anerkennung beim Vater zu verschaffen, der Familienvater muss eine Menge Schmerz einstecken, bei Visconti wird so etwas nicht gezeigt. Wo bei Netflix ein Niedergang der Familie und damit des Adels stattfindet feiert Visconti am Ende einen großen rauschenden Ball der eine von den drei Stunden in Anspruch nimmt und vielleicht mehr Schauspieler und Statisten mit aufwändigen Ballkleidern aufbietet als die ganze Serie von Netflix.

filmdienst schrieb:
So verkommen in beängstigender Schnelligkeit die neu gewonnene gesellschaftliche Freiheit zu einem turbokapitalistischen Liberalismus der Glücksritter, Demokratie und Parlamentarismus zu der lügenhaften, leicht durchschaubaren Farce eines totalitären 100-Prozent-Votums – und der Modus Vivendi des alten Adels mitunter zu modernem französischem Boulevardtheater.

Das wird von Netflix sicherlich sehr viel stärker dargestellt, die adlige Gesellschaft und Selbstverständnis hingegen bei Visconti.

Alles in allem kann man daran auch allgemeine Unterschiede des Films von heute und dem von vor 60 Jahren sehen, ich finde Netflix hat da eine gute eigene Fassung hingelegt, gerade auch weil sie andere Dinge ins Licht rückt und ausbaut. Man braucht die beiden Adaptionen wohl auch nicht an einer Skala messen, dann muss man sich auch nicht den Spaß verderben lassen indem es die schlechtere Fassung sei.
 
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erstmal danke für deinen ausführlichen Vergleich!
Trotzdem komme ich noch mal auf meine Frage zurück:
sind beide (Viscontis "Klassiker" und die neue Serie) nicht primär Literaturverfilmungen und als solche zu betrachten?
Ich habs mir nun abgesehen und den Film von Visconti auch, das Buch kenn ich nicht.
Ich glaube nicht, dass man die literarische Vorlage ausklammern sollte - im Gegenteil, denn ohne sie gäbe es beide Filme nicht. Die Charaktere der Filme (egal, ob das Personal des Romans reduziert wird oder nicht) vergleichend zu beurteilen wie hier:
Netflix's Bürgermeister Sedara ist ein schmieriger, verlogener, ruchloser Ausbeuter der den Wandel der Zeit bis ins letzte auszunützen weiß und ein Wink an die sizilianische Mafia auf die auch die finale Szene anspielt, der von Visconti ist dagegen eher schon freundlich und zurückhaltend, ebenso wie seine Tochter Angelica nicht giftig und intrigant sondern zauberhaft ist.
scheint mir unvollständig, wenn die Vorlage der filmischen Inszenierung ausgeblendet wird.
Adaption (Literatur) – Wikipedia :
Allerdings wird man eine Literaturverfilmung stets vor dem Hintergrund der zugrundeliegenden Vorlage analysieren müssen. Interessanterweise gibt es dann allerdings auch Interpretations-Verschiebungen
 
Der Film in der Regie von LUCHINO VISCONTI lief auch in der DDR ab Januar 1966.
Die DDR hatte sogar für diesesen Film eigene Synchronsprecher.
Und wie ich lese, lief der Film in der DDR 183 Minuten, hingegen in der damaligen BRD – auch mit eigenem Synchronsprecher – 153 Minuten.
Filmstart war wohl in der BRD November 1963,

Ist auch in der DDR als Buch (Lizensausgabe) erschien.

Der Film handelt ja in der Zeit „Il Risorgimento“ (Epoche der italienische Nationalstaatsgründung - 17.03.1861).
 
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