Ich will die wissenschaftlichen Kontroversen von auf die Eisenzeit im östlichen Mitteleuropa und Südosteuropa spezialisierte Forscherinnen und Forscher aus mehreren Ländern, die 2012 bei einer Konferenz in Rzeszów „öffentlich wurde, versuchen "kurz" darzustellen. Auslöser der Kontroversen war die wohl
überraschende Uneinigkeit über die Ausdehnung und Lokalisierung des Stammes der Boier auf dieser Konferenz (Thema war
Erscheinungsformen von Gewalt in der Eisenzeit). Konsequenz war eine internationale Konferenz zum Boier-Thema zu organisieren, die dann im November 2013 in Ceský Krumlov unter dem Titel
Boier zwischen Realität und Fiktion in Tschechien stattfand. Susanne Sievers (Frankfurt), Vladimir Salač (Prag) und Maciej Karwowski (Rzeszów) waren verantwortlich für die Realisierung.
Die „internen“ Kontroversen zwischen AlthistorikerInnen, ArchäologInnen und NumismatikerInnen aus Österreich, Tschechien, Deutschland, Slowakei, Ungarn und Polen drangen kaum nach „außen“ (Es waren auch Forscherinnen aus westeuropäischen Ländern wie Frankreich und England beteiligt, aber auch aus Kroatien und Bosnien-Herzogowina, ihre Beiträge zum Beispiel zu den Boiern in Frankreich enthielten sich jedoch eine Position in der Debatte zu beziehen). Mein Eindruck von außen ist, dass die Pole „Wien“ und „Prag“ (unterschiedlich stark ausgeprägt) sind. In einigen Beiträgen tauchen Anführungszeichen auf, als Anpassung an die Infragestellung alter Sicherheiten. So überschreibt der deutsche Numismatiker Bernward Ziegaus sein Referat
„Boische“ Münzen in Süddeutschland – Fremde Prägungen mit überregionaler Gültigkeit?
Das traditionell als
Boisches Münzsystem bezeichnete, seit dem dritten Jahrhundert BC archäologisch nachgewiesene Geldsystem, beruht auf der Lokalisierung der Boier anhand historischer Quellen (Cäsar, Strabon, V. Paterculus, Tacitus) und war bisher fest verankert, ist infrage gestellt, kann sich jedoch noch nicht von seiner ethnischen Verbindung lösen: sonst müsste das Münzsystem z.B. in (neutraler)
mitteleuropäisch-ostkeltisches bimetallisches Münzsystem (im Kontrast zu einer Silberzone latènezeitlicher Münzsysteme im östlichen Mitteleuropa) umbenannt werden. Inwiefern die Debatte fruchtbar und produktiv war, und Ergebnisse hatte, kann ich leider nicht erkennen. Ich habe ergebnislos versucht in neueren Veröffentlichungen Anschlüsse zu finden, (und warte noch auf die Veröffentlichung von einer Konferenz 2022). Ich fand die Debatte jedoch so interessant, dass ich mein Versprechen von 2017 endlich einlösen wollte (warum noch einmal acht Jahre warten?).
Die Auseinandersetzung ist eine methodische und inhaltliche Kritik der auf Zirkelschlüssen beruhenden Aussagen und Ableitungen der Forschung seit dem 16.Jahrhundert. Zentrales Thema ist die
Lokalisierung der Boier in Böhmen – darauf baut jede weitere Identifizierung auf. Daran entzündet sich die Kritik logisch folgend am Namen der Boier – sind es mehrere Gentes die den gleichen Namen benutzten?, und am boischen Geldsystem der Laténekultur, die auf der Identifizierung der Boier mit Böhmen beruht. Aufgrund der Kontroversen entwickelten sich weitere „Nebenkriegsschauplätze“ um die Lokalisierung der Boier-Einöde, der Realität eines Angriffs auf das Norikum, die Aussage Strabons, dass die Boier nach ihrer Niederlage in Norditalien an die Donau ausgewandert wären, die Beziehung der böhmischen Boier zum spätlaténezeitlichen Oppidum in Bratislava (Slowakei), und auch zur zeitlichen Chronologie der Ereignisgeschichte – die Kontroversen werden eingeleitet auch mit einer zum Teil radikalen Quellenkritik. Ich werde mit dem zentralen Thema, der Lokalisierung der Boier in Böhmen, auch anhand des überlieferten Begriffs des Boiohaemum bzw. Boihaemum (Velleius Paterculus 2,109,5) und Βουίαιμον (Strabon 7,1,3) beginnen, und sehen, wie stark hier Interesse an diesem doch speziellen Thema vorhanden ist.
Unten Kartenauszug aus Germania veteris von Abraham Ortelius, 1606