DerNuntius schrieb:
Unfehlbarkeit? Da hatten wir doch schoneinmal eine zaehe Diskussion drueber. Die faengt
hier an und zieht sich dann ueber die naechsten Seiten weiter (das sollte sich Ingeborg auch mal durchlesen, da sie dort lesen koennen wird, dass der Papst nur unfehlbar ist, wenn er ex cathedra spricht, nicht etwa beim sonntaeglichen Angelus oder der mittwoechlichen Audienz. Die Informationen da gehen auch ueber die zweifellos richtige, aber doch fuer den Aussenstehenden etwas unverstaendliche Bemerkung Mercys hinaus).
Das ist doch vielleicht etwas zu kurz gegriffen. Nicht der Papst ist unfehlbar, sondern das kirchliche Lehramt, soweit es vom Papst vollzogen wird. Das feierlich verkündete Dogma ist nur ein Extremfall. Und wenn man die Dogmen mal im Neuner-Roos durchliest, Dann stellt man fest, dass wichtige Glaubenskernwahrheiten da gar nicht drinstehen, z.B., dass es Sinn hat zu beten. Insoweit haben auch Enzykliken Teil am unfehlbaren Lehramt.
Das Problem dabei ist, dass der unfehlbare Glaubensinhalt ja einen unveränderlichen Ewigkeitswert hat. Dieser wird aber in einer zeitlich bedingten Aussage wiedergegeben. Damit sind alle Aussagen des Lehramtes auslegungsbedürftig und zwar unter Berücksichtigung der Zeit, der Kultur und der Geisteswelt, in der sie in Sprache gegossen worden sind. Das Lehramt kann z.B. für eine bestimmte Zeit und eine bestimmte Kultur eine unfehlbare Aussage treffen, die außerhalb dieser Rahmenbedingungen nicht gilt.
Berühmtestes Beispiel ist Jesu Verbot der Scheidung. Die Gelehrten streiten sich immer noch darüber, ob dieses Verbot einen abstrakten Ewigkeitswert hatte, oder ob es eine konkrete Anwendung des Liebesgebotes in seiner Kultur war, d.h. ob er im Hinblick auf die ungerechtfertigten Nachteile der Frau bei einer Scheidung in seinem Kulturkreis eine Scheidung als gegen das Liebesgebot verstoßend ablehnte. Es fällt immerhin auf, dass es das einzige ganz konkrete Einzelgebot (= Gesetz) ist, das von ihm überliefert wurde. Später wurde ja immrhin die "Unzuchtsklausel" hinzugefügt.
Der gleiche Streit unter den Exegeten trat wieder auf, als der vorige Papst die Priesterweihe für Frauen kategorisch ablehnte. Hat er damit alle zukünftigen Päpste gebunden, oder sagte er nur: Unter diesen geistigen und kulturellen Bedingungen nicht (z.B. weil das zu einer Kirchenspaltung führen würde). Wie dem auch sei: Dieses war ein Ausspruch des Lehramtes, welches Unfehlbarkeit in Anspruch nahm. Aber die Frage steht gleichwohl im Raum, was denn genau die Unfehlbarkeit der Aussage betrifft. Es geht schlechhin nicht und nie und nimmer, oder: Du sollst Deinem nächsten kein Ärgernis geben, und solange diese Gefahr im Raum steht, geht das nicht. Dabei kommt es nicht darauf an, was sich der Papst dabei gedacht hat (der dachte sicher allgemein, sonst hätte er diese Einschränkung selbst hinzugefügt), sondern, was sub specie aeternitatis aus göttlicher Sicht (der ja die Kirche auch in ihrer künftigen Entwicklung begleitet) Bestand behält.
In der Dogmensammlung Neuner-Roos sind viele Lehrsätze enthalten, die die damaligen Päpste/Konzilien für unumstößliche Glaubenswahrheiten hielten, die heute aber nicht mehr so gesehen werden, wie ihre Verfasser sie gemeint haben, z.B. dass die gesamte Menschheit sicher von einem Menschenpaar abstamme und dieses ohne Sünde nicht gestorben wäre. Aber ich will hier nicht rumdozieren; denn das hat mit Geschichte nichts zu tun, sondern nur darauf hinweisen, dass die Geschichte Einfluss auf die sprachliche Ausformung der Lehre je in ihrer Zeit hat.
Man sieht's auch an Jesu Missionsgebot, das ja heute keine relgiösen Drückerkolonnen von Haus zu Haus verlangt; andere Religionsgemeinschaften ziehen aber diese Kosequenz. Zu seiner Zeit war das aber so, und er hat es sich sicher auch so vorgestellt.