Dr. Konrad Morgen

Raphael Gross: Anständig geblieben - Nationalsozialistische Moral (bpb 2010) geht im 7. Kapitel ("Die Ethik eines wahrheitssuchenden Richters", S. 143-170) ausführlicher auf Konrad Morgen ein.
 
Ich habe, den Thread aufgreifend, den mein Mitdiskutant gestern reaktivierte, etwas recherchiert und fand zu Dr. Konrad Morgen noch nachstehende Rezension zu der Buchempfehlung die ich im Januar des vergangenen Jahres hier geschrieben habe. Schon bemerkenswert, daß ein historischer Roman von einem wissenschaftlichen Institut rezensiert wurde.

M.

"Fiktive Memoiren einer
zweifelhaften Karriere
Volker Harry Altwasser


Letzte Haut.
Roman
Berlin: Verlag Matthes & Seitz, 2009,
476 S., € 22,80
Der Stoff von Volker Harry Altwassers
historischem Roman

Letzte Haut ist zweifellos
aufsehenerregend. Ein SS-Richter ermittelt,
ausgestattet mit einem Geleitbrief Heinrich Himmlers, ab
1943 in Buchenwald und anderen Konzentrationslagern gegen der
Korruption verdächtige Angehörige der SS. Erzählt wird aus der
Perspektive des Rückblicks, den Kurt Schmelz, wie Altwasser seinen
nach dem historischen Vorbild Konrad Morgen (1909–1982) gestalteten
Protagonisten nennt, auf seine Ermittlungen als SS-Richter
wirft. Im Zentrum dieser Erinnerungen steht die Vorbereitung eines
Verfahrens gegen den ehemaligen Lagerkommandanten von Buchenwald,
Karl Koch, der nicht nur der im großen Stil betriebenen Veruntreuung
von »Reichsgütern« – gemeint sind den Häftlingen geraubte
Wertgegenstände –, sondern auch des nicht befohlenen Mordes an
Häftlingen sowie vor allem an Mitgliedern des Wachpersonals verdächtigt
wird. Tatsächlich wurde Koch noch vor der deutschen
Kapitulation aufgrund der von Morgen und seinen Mitarbeitern
vorbereiteten Anklage von einem SS-Gericht verurteilt und hingerichtet.
Diese historische Randnotiz zum Holocaust erscheint so
spektakulär wie unheimlich, wird hier doch die Frage nach dem
Rechtsverständnis eines SS-Richters aufgeworfen, der gegen seine
eigene Organisation ermittelt, ohne jedoch deren eigentliche Verbrechen
zu verfolgen.
Die Literaturkritik in Deutschland hat auf Altwassers von seinem
Gegenstand her monströsen Text zwiespältig reagiert, darin
vergleichbar der Debatte um Jonathan Littells Roman

Die Wohlgesinnten
(dt. 2008). So wurde dem 1969 in Greifswald geborenen
späteren Absolventen des Deutschen Literaturinstituts in Leipzig
attestiert, sowohl eine geschmacklose Parodie auf den Holocaust
geschrieben zu haben als auch ein mutiges Buch. Beide Werturteile
beziehen sich auf Kategorien, die nicht primär von der Ästhetik
des Textes ausgehen, sondern auf das vermeintliche Skandalon
reagieren, dass hier eine Täterperspektive konstruiert wird. Freilich
bringt die literarische Darstellung einer vergangenen Wirklichkeit,
insbesondere einer erinnerungspolitisch aufgeladenen, immer ein
zusätzliches Kriterium der Beurteilung mit ins Spiel, das nicht ausschließlich
ästhetisch geklärt werden kann und mit dem Begriff der
»Angemessenheit« nur unzureichend erfasst ist. Pointiert gefragt:
Wird in Altwassers Roman durch die eingenommene Perspektive
die SS verharmlost oder der Holocaust relativiert?
In dieser Hinsicht ist dem Roman nichts vorzuwerfen. Altwasser
hat seinen Protagonisten Kurt Schmelz als überaus zwiespältige
Gestalt angelegt, und die Darstellung einiger Verbrechen an
Häftlingen gehört sicher zu den überzeugendsten Passagen des Romans.
Strafversetzt an die Ostfront, mutiert Schmelz zur Tötungsmaschine,
und seine Motivation für die späteren Ermittlungen beruht
nicht auf dem Wunsch einer Verbesserung der Haftbedingungen für
die Häftlinge, sondern auf Karrierehoffnungen auf eine Position im
Justizministerium. Für dieses Ziel geht der idealistische Ankläger
und vaterlos-autoritätshörige Protagonist über Leichen.
Die
fiktive Rahmenhandlung zeigt Schmelz Jahrzehnte später



an der Hautkrankheit Morbus Behcet leidend, die er selbst allerdings
als Folge einer Schuld interpretiert, die er während des Nationalsozialismus
auf sich geladen hatte. In seiner Wohnung liegend,
von seiner Frau verlassen, reißt er sich die Haut vom Leib. Der Dramaturgie
eines Kriminalromans folgend, wird erst im letzten Drittel
des Romans schließlich offenbart, worin die Schuld des Richters
bestand. Um Kochs wichtigsten Mittäter, den Lagerarzt und
SS-Hauptsturmführer Waldemar Hoven (1903–1948), zu überführen,
hatte Schmelz/Morgen angeordnet, vier sowjetischen Kriegsgefangenen
das von Hoven benutzte Gift zu injizieren und so dessen
Morde durch weitere Morde zu beweisen. Tatsächlich ließ der
historische Konrad Morgen vier Häftlinge töten, worüber sich auch
ein Hinweis in Eugen Kogons

Der SS-Staat (1946) findet. Morgen
trat später sowohl bei den Nürnberger Prozessen als auch im Frankfurter
Auschwitz-Prozess als Zeuge auf, ohne selbst jemals angeklagt
zu werden.
In seiner 1936 publizierten Dissertation

Kriegspropaganda und
Kriegsverhütung

hatte Morgen nicht nur den Zusammenhang zwischen
Macht und Rechtsprechung thematisiert, sondern auch eine
Apologie des nationalsozialistischen Völkerrechts verfasst. Der anfangs
vom Nationalsozialismus öffentlichkeitswirksam propagierte
Verzicht auf Kriegshandlungen gilt ihm als »weltanschaulich begründet
« und damit als zeitlos gültig. Der Nationalsozialismus habe
seinen »Heroismus der Aufopferung nach innen getragen«, und
obwohl dieser angeblich niemanden bedrohe, entwirft Morgen die
Vorstellung einer Kraft, durch die das deutsche Volk in der Lage
sei, eine »Welt von Feinden in den Staub« zu werfen – und damit
nichts anderes als das bekannte Muster vom Krieg aus Notwehr.
Auf den wenigen Seiten, mit denen Altwasser aus der Sicht eines
von Schmelz imaginierten Enkels – einer forcierten Verwässerung
der Erzählperspektive – auf die Dissertation eingeht, wird sie dagegen
als ein vehementes Plädoyer für die Trennung von politischer
Führung und Justiz gedeutet. Das Beispiel lässt sich als Illustration heranziehen für das geringe Interesse Altwassers an einer Rekonstruktion
der ideologischen Vorstellungen Konrad Morgens. Am
wenigsten aber zu überzeugen vermag die Entscheidung, im Kapitel
über Schmelz’ Erfahrungen an der Ostfront lauter Landser nach
deutschen Autoren des 20. Jahrhunderts zu benennen – wie den Rottenführer
Grass, den Schützen Walser oder den Kanonier Köppen.
Das Verdienst des Romans besteht gleichwohl in der eindrücklichen
Darstellung einer außergewöhnlichen Täterbiogra

fi e, die Ambivalenzen
zulässt, letztlich aber dem aus der aktuellen Täterforschung
bekannten Muster von Idealismus und Karrierestreben folgt.

Hans-Joachim Hahn
Leipzig"

http://www.fritz-bauer-institut.de/fileadmin/user_upload/uploadsFBI/einsicht/Einsicht-02.pdf


 
Zuletzt bearbeitet:
Zurück
Oben