Erinnerung jüdischer Frauen in Ungarn/Forschung und Buchtipp

ursi

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In der ungarisch-jüdischen Literatur fehlt die Frau fast vollständig. Wenn jüdische Frauen was schreiben, dann fehlt es an der Analyse des Judentums und des Holocaust.

Die Erzählungen von Opfern des Holocaust aus Ungarn wird nur aus der männlichen Perspektive geschrieben. Wer sich aber mit Oral-History tiefer beschäftigt, weiss dass Frauen anders erzählen und sich auch anders erinnern als Männer. In den Memoiren der jüdischen Frauen kommt ein anderer Standpunkt zur Geltung als jenen bei den Männern. Wenn man nun beide Memoiren liest, hat man, wenn auch nicht vollständig, sein Wissen über den Holocaust bereichert und vervollständigt.

Die Geschichten der Mütter, Grossmütter, ihr Überleben des Holocaust sind in Ungarn nicht präsent. Es sind "nur" die Geschichten der Väter und Grossväter präsent. Saul Friedländer sagte dazu das die Holocaust-Geschichten bis jetzt den Standpunkt der Männer wiedergebe: "Ihre Erfahrung und ihre Erinnerung wurden zur "Norm".

Das hat damit zu tun, dass das Erinnern traditionell als ein Privileg des jüdischen Mannes angesehen wird. Im jüdischen Patriachat existiert nur die Erinnerung des Mannes. Es ist eine männliche Gemeinschaft, hier erinnert sich nur der Mann, denn an sie wird auch erinnert. Lange glaubte man das Frauen nicht über das allgemeine menschliche Leiden hinaus Zeugnis ablegen könnten. Ihre speziellen Erfahrungen wurden damit vergessen oder übergangen.

Als man begann die Holocaust-Erfahrungen zu genderisieren, gab es heftige Reaktionen, man glaubte das es nun eine neue Problemstellung geben würde und man unterstellte den Forscherinnen, dass sie nur beweisen wollen, dass Frauen mehr gelitten hätten als Männer oder das sie sich besser benommen hätten. Darum geht es aber in dieser Forschung nicht, denn es ist nicht das Ziel der Genderforschung herauszufinden oder gar zu beurteilen, wer mehr oder weniger gelitten hat. Sondern darum ein Gesamtbild der Erfahrungen zu erhalten.

Es wurden nun zahlreiche Themen aufgegriffen, die vor allem Frauen betrafen.
Judith Magyar Isacson schrieb 1976 in Seed of Sarah. Memoris of a Survivot, folgendes: "Die Anne Franks, die die Gewalt überlebten schreiben ihre Geschichte nicht auf."

Die meisten Frauen die überlebten schwiegen ihr ganzes Leben lang. Sie schwiegen über die Demütigungen, die Vergewaltigungen oder die Zwangsprostitution. Es gibt Erlebnisse über die es fast keine erzählbaren Geschichten gibt. Dieses Traumata lassen sich kulturell nicht darstellen. Im Krieg wurden Tausende von Frauen vergewaltigt, aber niemand redet über sie.

Quelle: Katalin Pécsi. Salziger Kaffee. Unerzählte Geschichten jüdischer Frauen. Gedenkstätter Deutscher Widerstand. 2009. Zusammenfassung des Vorwortes. S. 7 - 12

Auszug aus einem Interview mit der Autorin des Buches:

Was ist so anders, wenn Holocaustgeschichten aus dem Blickwinkel von Frauen erzählt werden?

Das ist für mich genau das Spannende. Nicht nur, dass sie anders litten, beispielsweise als Schwangere, als Vergewaltigte oder als Mütter, denen die Kinder weggenomen wurden, sondern sie hatten auch andere Überlebensstrategien. Im Allgemeinen kämpften sie nicht gegeneinander, sondern unterstützten einander vielmehr. Das konnte eine Apellreihe sein, die immer gemeinsam in die Arbeit ging und alles miteinander teilte, oder auch ein Kreis von Freundinnen. Und bis zum heutigen Tag gibt es diese „Lager Sisters“, die sich übrigens auch so nennen. Und diese Verbindungen sind bis heute teilweise stärker als Blutsverwandtschaft.


Es werden in dem Buch auch antisemitische Vorfälle geschildert, die aus der Zeit vor der Besetzung Ungarns durch die Nationalsozialisten stammen. Erkennt Ungarn seinen Beitrag an der Judenverfolgung an?

Nein, überhaupt nicht. Für Ungarn ist der Holocaust ein jüdisches Thema, mit dem sich nur Juden auseinandersetzen müssen. Das sieht man auch hier im Holocaustzentrum: Ungarn kommen nicht zu uns, sie denken, das hier sei ein jüdischer Ort. Aber es ist ein staatliches Museum, das genau das bewusst machen soll, dass Ungarn den ungarischen Holocaust betrieben haben gegen andere Ungarn. Die Nachricht kommt aber nicht rüber. Die Ungarn blicken der Geschichte nicht ins Auge. Das Ganze ist ist jetzt 65 Jahre her, wenn sie sich bisher nicht damit konfrontiert haben, werden sie es wohl nie mehr tun.

Quelle: Budapester Zeitung. Dienstag, 4. Mai 2010
 
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