Etruskische und römische Weinkulturen im Chianti

silesia

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Den Übergang zwischen den Kulturen im Chianti beschreibt die folgende Publikation, die auf dem Fund von Traubenkernen im etruskisch-römischen Anbaugebiet basiert, etwa ab 300 BC.

Abstract
Although domestication of the grapevine (Vitis vinifera L.) has been extensively documented, the history of genotype selection and evolution of vineyard management remain relatively neglected fields of study. The find of 454 waterlogged grapevine pips from a well-dated Etrusco-Roman site in the Chianti district (Tuscany, Central Italy) is an extraordinary chance to gain insights into the progress of viticulture occurring in a key historical period in one of the world's most famous wine regions. The molecular and geometrical analyses of grape seeds showed (a) the presence in the site of different grapevine individuals and (b) a sudden increase in pip size, occurring at around 200 BC, whic explainable by the selection and introduction of new varieties. In this period, the Etruscans settlers in Chianti were stimulated by northward-expanding Roman culture to use novel vineyard management practices. We hypothesize that one of the most important innovations may have been the introduction of pruning, inducing vine physiological conditions more favorable to pip growth. Such changes were the consequence of specific entrepreneurial choices made by the Romans in a period of economic investment in grape cultivation and wine making to satisfy the increased trade demand after the conquest of the Central-Western Mediterranean basin.

Obwohl die Domestizierung der Weinrebe (Vitis vinifera L.) weitgehend dokumentiert ist, bleiben die Geschichte der Genotypselektion und Entwicklung des Weinberg-Managements noch relativ vernachlässigte Studiengebiete. Der Fund von 454 wasserhaltigen Weinkernen aus einer alten etruskisch-römischen Fundstätte im Chianti-Gebiet (Toskana, Zentralitalien) ist eine außergewöhnliche Gelegenheit, Einblicke in die Entwicklung des Weinbaus in einer der berühmtesten Weinbauregionen der Welt zu gewinnen. Die molekularen und geometrischen Analysen der Traubenkerne zeigten (a) das Vorhandensein verschiedener Rebsorten und (b) eine plötzliche Zunahme der Kern-Größe, die um 200 v. Chr. auftrat, was durch die Auswahl und Einführung neuer Rebsorten erklärbar war. In dieser Zeit wurden die Etrusker-Siedler im Chianti durch die nordwärts expandierende römische Kultur angeregt, neue Methoden der Weinbergbewirtschaftung anzuwenden. Wir gehen davon aus, dass eine der wichtigsten Neuerungen möglicherweise die Einführung des Rebschnittes war, der die physiologischen Bedingungen der Weinrebe begünstigte. Diese Veränderungen waren die Folge spezifischer unternehmerischer Entscheidungen der Römer in einer Zeit wirtschaftlicher Investitionen in den Weinbau und die Weinherstellung, um die gestiegene Handelsnachfrage nach der Eroberung des Mittel-Westlichen Mittelmeerraums zu befriedigen.


Artikel aus der PLOS.one, open access,
Dating the beginning of the Roman viticultural model in the Western Mediterranean: The case study of Chianti Central Italy
 
Verstehe ich das richtig, einerseits wurden neue Rebsorten und Verbesserungen im Anbau der Trauben im Chianti um 200 v.Chr. eingeführt - andererseits führt dies zu dem (doch eigentlich ungewünschten) Effekt, dass die Traubenkerne größer werden? Oder lassen größere Kerne automatisch auf größere Trauben schließen?
 
Ich habe das so verstanden, dass mit den Kernen die Trauben größer wurden, und das parallel offenbar zu einer gesteigerten „Nachfrage“. Bei dem Rebstockschnitt, und den Kreuzungen zu neuen Sorten ging es offenbar ganz banal um Produktivitäts-Steigerungen.
 
Wieso soll es eigentlich zu einer erhöhten Nachfrage gekommen sein? Betrieben Etrusker, Sarden, Karthager, Samniten oder Griechen keinen Weinbau? Deswegen stellt sich mir die Frage: Waren es nicht Regeln, die im Latium gut (oder weniger gut?) funktionierten und durch römische Gebietsübernahme im Chianti eingeführt wurden, die zu einer qualitativen und quantitativen Verschlechterung (größere Kerne) führten - und so das Angebot verringerten?
 
Nachfrage war eine grobe Umschreibung, ohne konkrete mengenmäßige Vorstellung.

Weinberge sind langfristige Investitionen. Wenn solche „Innovationen“ gehäuft auftreten, Anbau „revolutioniert“, Trauben und der Handel in Bezug auf Amphorentypen mehr oder weniger „gleichzeitig“ verändert werden, würde ich darauf schließen, dass diese Vorgänge auf einen entsprechenden Bedarf schließen lassen.

Wenn größere Kerne tatsächlich qualitativ auf Verschlechterung (ggü. den vorherigen Sorten, aber wissen wir das? - die Qualitäten werden von mehreren Faktoren bestimmt, aber vielleicht gibt es eine Quelle?) schließen lassen würden, ist die Qualitätsverschlechterung - wenn man an Massenweine denkt - nicht zwingend gleichgerichtet mit quantitativen Verschlechterungen, im Gegenteil. Größere Kern, größere Traube, mehr Fruchtwasser, mehr Absatz (wenn es denn viele trinken ...:D ). Wie gesagt: wenn es denn überhaupt eine qualitative Verschlechterung war. Da vertrauen wir mal dem Chianti. :)
 
Wahrscheinlich spielt, wenn die These der Wissenschaftler stimmt (neue Produktionsmethoden, um eine erhöhte Nachfrage zu erfüllen), die Expansion des römischen Weinhandels in den gallischen, Schweizer und süddeutschen Raum eine Rolle, falls es nicht um eine reine Binnennachfrage geht. Ich zitiere aus "Südgallien im 1.Jahrhundert vor Chr", S.71:
Der von Massalia lange Zeit monopolisierte Handel in Südgallien erfuhr seit Mitte des 3.Jhs.v.Chr. allmähliche Konkurrenz aus dem italischen Raum. Diese steigerte sich im Laufe der folgenden Jahrhunderte kontinulierlich und prägte bis in augusteische Zeit hinein das materielle Bild in entscheidendem Maße.
Von der Übernahme italischer Produkte durch massaliotische Händler, zu gemeinschaftlichen Unternehmungen von massaliotischen und italischen Unternehmern, bis zum alleinigen Agieren römischer Händler ab 125.V.Chr. entwickelte sich aus anfänglicher Kooperation langsam eine Dominanz der italischen Konkurrenz im ursprünglich massaliotischen Einflußraum. Dies lässt sich archäologisch besonders gut am Weinhandel darstellen, da zunehmend das Amphorenfundgut aus Italien (Etrurien, Campanien, Latium und Sizilein) stammt und sich entlang der Rhoneachse nach Zentralgallien (und von dort weiter Norden und Osten) und entlang der Garonne-Aude-Achse zur Biskaya verbreitet. Von 300 bis 100 v.Chr. gingen die massaliotische Amphorenkermaik im Fundgut von 66 auf 2-10 Prozent (je Grabungszone) zurück, parallel erfolgte der Aufstieg der italischen Amphorentypen (Campana, Dressel).
Zwischen 100 und 75 v.Chr. sank das Verhältnis auf 99:1. Nach Schätzungen steigerte sich das Handelsvolumen um das zehn-bis Dreißigfache; besonders eindrücklich sind die im südgallischen Mittelmeer gefundenen Wracks von Transportschiffen mit bis zu 10.000 Dressel-1-Amphoren an Bord (durchschnittlich 6-8000).
Zum Weinbau: im Werk "De agri cultura" von Cato dem Älteren (*234 BC- gest.149 BC) geht dieser umfangreich auf den Weinbau ein, unter anderem erwähnt er den Rebenschnitt (XXXV)
"(1) Sie zu, mit dem Beschneiden der Weinstöcke und Bäume rechtzeitig anzufangen. Die Reblinge senke in Furchen ab; die Reben ziehe, soweit es geht, in die Höhe...(2) die Reben sollen an allen Zweigen gut mit Augen besetzt sein; vermeide sorgsam, den Weinstocknach unten zu biegen und ihn zu fest anzubinden."
Enso erwähnt er die Pflege der Weinpflanzungen (XXXVI), aber auch das Propfen von Weinstöcken (XLVIII).
 
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