Ich glaube es gibt grundsätzlich mehrere Fährten:
[/B]Schaut man sich bloß die Auseinandersetzung von Goethe im Faust mit dem Phänomen der Magie an, dann sieht man, dass es eine reiche Tradition und auch Interesse an solchen magischen Geschichten gegeben haben muss, sonst hätte der Faust gar nicht "funktioniert".
Das Thema "magia naturalis" hat nach der Enttäuschung über Religion und Kirche nach dem Dreißigjährigen Krieg mehr Anziehungskraft: Kein Wunder, wie sich die "Freiheit des Christenmenschen" auch spätestens ab Ende der 1570er Jahre in eine Geschichte von Kirchentümern in den christlichen Denominationen wandelt und - um etwas diesen Prozess nicht so modern-reflexhaft wie vorschnell gegen das Christentum zu wenden - gerade die Staatsbildung der Prozess ist, der die inneren Reforminitiativen auf allen Seiten - gewissermaßen gekapert hat.
Ein Beispiel (nicht nur!) aber hier aus Bayern:
Nachdem die Adelsverschwörung 1557 aufgefallen ist, wurde an Kirchen Kerker gebaut, die nachlässige Messbesucher in den entprechenden Regionen hier nachsitzen ließen; die religionspolizeiylichen Verordnungen sanktionierten ab da alle, die beim Gebetsläuten nicht auf die Knie gingen, um das Gebet zu verrichten usw.
Spätestens ab da, geht der Zug hin auf das, was man Sozialdisziplinierung nennt, die es in katholischen, protestantischen und viel schärfer noch in calvinistischen Regionen gab.
Die neuen Bruderschaften ab den 1590ern erlaubten dann gewissermaßen dann erst eine Hinführung der auf dem Land nur zu etwa 95% alphabetisierten Bevölkerung in etwas wie eine sinnvolle, platonisch orientierte Gebetslehre, die übrigens recht oft auch verschmolzen ist mit antiker Medizin hippokratischer bzw. galenischer Prägung und so auch das eine oder andere mal sicher deshalb auch tatsächlich Frucht gebracht hat.
Bleibt man aber in der Ecke der "Magia naturalis", so wurde das Verdikt dagegen nicht einmal von den schärften Hexenverfolgern wie etwa den wittelsbachischen Kurfürsten von Köln (erst Ernst und Ferdinand) ab einem gewissen Niveau der "Magier" nicht pauschal abwehrend gehandhabt, sondern der fürstlichen Kontrolle unterworfen, das Ausmaß der Verbreitung gesteuert. Sie betrieben gewissermaßen eine gezielte Diskurskontrolle, um einerseits die Konfessionalisierung als den Hauptprozess der Zeit als den vordringlichen nicht diskursiv zu relativieren, aber trotzdem zukunftsträchtig-moderne Entwicklungen erste Schleusen öffnen, wofür man damals im akademisch-universitären Feld keine gewissermaßen ablenkenden Stellen freigeben konnte / wollte.
Wer sich genauer interessiert, dem kann das Handbuch von Jaumann für die Gelehrtendiskurse der Frühen Neuzeit ans Herz gelegt werden: Gerade die Beispiele des Umgangs mit den Hauptvertretern der "Magia Naturalis" wie Agrippa von Nettesheim oder gar Paracelsus - dem Vater der modernen und eben nicht hippokratischen Schulmedizin - zeigen, wie die Wissenspolitik im Sinne einer Diskurskontrolle funktionierte.
Deren Arbeiten wurden in kleineren Auflagen mit kurfürstlicher Erlaubnis gedruckt, doch wurde nicht an die Institutionalisierung eines neuen Wissenschaftszweigs gedacht. Allein die Fundorte der Arbeiten von Paracelsus und Nettesheim zeigen etwa, dass deren Wissen aus Naturwissenschaft durchaus als wertvoll eingestuft wurde und sich eben gerade in Kirchlichen oder klösterlichen Bibliotheken überliefert hat, die zur Zeit der Konfessionalisierung bemüht sein sollten, die neuen Erkenntnisse nicht gegen die große Linie in der Konfessionalisierung auszuspielen, sondern praktisch zu integrieren. Trotzdem gehörten diese Schriften auch für noch so "aufgeklärte" Menschen wie vielleicht auch Schiller, der Arzt war, noch zu gefährlichen Gegenständen: Salopp gesagt, hätte ich nicht von Schiller behandelt werden wollen, wenn ich Pest habe: der hätte nicht bei Paracelsus nachgesehen, sondern mir ein Gedicht vorgelesen - anders etwa als Goethe, der da aber auch als Minister und wie auch sein Herzog auch als "Illuminat", da freiere Hand hatte: Nebenbei gesagt, ist der Begriff "Illuminat" erst ab Ende des 18. Jahrhunderts als etwas nicht-christliches belegt worden, wo doch die komplette spanische Reformmystik ab etwa 1500 - den Aeropagiten aufgreifend - in ihrer Gebetslehre den 3Schritt der via purgativa, illuminativa und unitiva" ausprägt, wobei die "via illuminativa" die erforschende Betrachtung meint ( z.B. 1. der Schnee ist weiß; 2. der Schnee hat eigentlich keine eigene Farbe: er reflektiert nur und zwar so gut wie jede andere Farbe; 3. der Schnee ist weiß und auch wenn ich das zweite erkannt habe, so rede ich trotzdem besseren Gewissens so, dass ich verstanden werde, wenn das zweite nicht weiterhilft.). Aber aus dem Blick der Orthodoxie galten die auch schnell als "Heiden".
Zurück zu Goehte und die Magia Naturalis:
Gerade Goehte's Verdienst kann es kulturgeschichtliche m.E. mehr als sein Stilistisches sein, die Magia Naturalis wenigstens ins öffentliche Licht zu stellen, aber zugleich in der Figur des Faust davor zu warnen. Immerhin thematisiert er das und - ergänzend zum den Interpretationen zum "Faust" - hinterlegt er die Figur mit Motiven von Agrippa von Nettesheim und Paracelsus.
(
Goethes Faust I und die Magie - Thomas Arnt - Kapitel 1 )
Geht man weiter zurück - etwa in die katholischen Kirchenreformkreise - so gibt es eine abgeschnittene, später in die Esotherik verbannte tatsächlich beachtliche Reformtradition, die den Geisterglauben konzeptionell in die kirchliche Lehre - und weil das Thema heiß war - umso mehr an Thomas von Aquin anschließen sollte: Im Rahmen der benediktinischen sog. Bursfelder Reformkongregation (
https://de.wikipedia.org/wiki/Bursfelder_Kongregation ), sticht hier einer der humanistisch-gebildetsten Äbte seiner Zeit hervor - Johannes Tritemius von Sponheim (
https://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_Trithemius ). der aber in seinem sicher positiven Ziel, die spiritistischen Ängste auf dem Land, in eine Ordnung zu geben, die - wenn mans recht verstehen will - einen sicheren und angstfreien Umgang mit dem Thema "Geister" erlauben sollte - etwa nach dem Prinzip eines irrationalen Gegenbanns (Segen) zu dem irrationalen Gefühl eines Fluchs (Bann).
Auch die Ortsnamen-Geschichte kann da Belege für die Existenz von Bannorten geben, wie "Höllenthal" oder "Teufelsberg" usw., die einerseits gefährliche Orte anzeigten und anderseits suggierten, dass die bösen Geister eben auch dort gebannt seien. Wie mächtig diese Vorstellung auf die breite der Bevölkerung gewesen sein muss, zeigt der mentalitätsgeschichtliche Bruch ab den ersten Humanisten in deren Verhältnis zum Wandern, die schlichtweg erstmal nichts anders bedeutete, als die Angst vor dem erstbesten Wald, den es zu durchqueren gab, zu überwinden.
Es gibt gute Gründe, es recht verstehen zu wollen: Sieht man sich die volkstümlichen Sagen an, so gibt es sicher - ich habe sie nicht gefunden - vielleicht doch eine Handvoll, in denen keine Geister vorkommen... Grund genug, dieses Befürfnis, das irgendwie zu behandeln, anzuerkennen. Gleichzeitig aber auch erhellend, wie streng darauf auch mit dem Mittel kirchlicher und staatlicher Abschreckung darauf geachtet wurde, dem Geisterglauben entgegenzutreten. Dass Schiller auch den Geisterseher geschrieben hat - gehört in den Kontext.
Jedenfalls ist der "Geisterglaube" - den die Kirchen an einigen Stellen und unter anderem legitimiert durch eine Paulusstelle - schwer zu einer Theologie auszuformen und auch der Versuch von Tritemius über Aquin braucht als Zusatzmethode tatsächlich noch das Mittel eine Glaskugel; vermittelnd gesagt, ist das nichts anders als eine volkstümliche, materialiert-symbolische Gestaltgebung einer plantonischen Dialogsmethode, so wie das Orakel von Delphi auch seine Utensilien hatte.
Es ist bezeichnend, dass Trithemius aber weniger wegen seiner Kristallkugel und seine Geisterlehre in Kritik geriet, als durch sein Arbeit über das Steno. Das Steno machte seinen Mitkonventualen mehr Angst, weil er sich auf engstem dadurch in einer Affengeschwindigkeit 10x mehr aufschreiben und im Überblick behalten konnte, als die andern. Das war vielmehr der Grund, ihn dann als einen Hexer anzusehen, als seine Arbeiten über die Geister (z.B.
anthroweb.info: Quellen der Esoterik ) .
In der Forschung - Jaumann schon angesprochen - hat das Feld gerade eine Renaissance und da ist viel zu erwarten. Z.B.
Magia daemoniaca, magia naturalis, zouber. Schreibweisen von Magie und Alchemie in Mittelalter und Früher Neuzeit | H-Soz-Kult .
Ich denke nicht, dass es sich um eine Wiederbelebung alter "germanischer" Riten handelte, denn das hätte ja auch ein lesefähiges Publikum und so etwas wie eine erreichbare Literatur vorausgesetzt, die ich nicht annehme. Wer eine Arbeit dazu aus der Zeit kennt, die verfügbar gewesen sein könnte, lass ich mich gern überzeugen, sonst vermute ich eher eine Projektion aus unserem Wissen über Rituale aus dem frühen Mittelalter.
Neben dem Feld des Geisterglaubens auch neue Formen von Ritualen, etwa das Aufkeimen der Rosenkreuzerei usw.
Diskursanalytisch entwickeln sich ins 18. Jh. ja mehrere Strömungen: Ich sehe 4:
1.
Theismus (
https://de.wikipedia.org/wiki/Theismus , schöne Übersicht zum anderen)
2.
Deismus als äußerlich-kirchlich gebundener innerer Atheismus (?!?)
3.
Der reine Pantheismus, der der "Magia Naturalis" nahekommt, sofern er staatlich gebotene Kirchlichkeit und die Göttlichkeit Jesu explizit ablehnt, aber durchaus ernster nach Gott fragt als der veräußerlichte Regel-Deismus.
4.
Der elitär zunehmend verbreitete Pan-en-Theismus, der den Kniff unternahm, die "Magia naturalis" einzubinden, ohne die gewachsene Frömmigkeit oder Kirchlichkeit abzulehnen (
https://de.wikipedia.org/wiki/Panentheismus ), etwa die Linie Spinozas, der dann ganz massiv in der Romantik weiterlebt.
Geistig und intellektuell offen und trotzdem sozial-integriert war das letzte, doch gibt es - sieht man etwa Goethe an - in einem Leben durchaus eine Art durchlauf durch alle Phasen: Von Goethe weiß man etwa, dass er nervige Leute stundenlang mit seinen Einsichten aus dem Welt der Steine volgequatscht hat, um sie loszuwerden und dabei trotzdem Spaß zu haben, ohne das Gegenüber vor den Kopf zu stoßen - als Beispiel vom Sprung von (2) auf (3).
Lg