Frage zur US-Präsidentschaftswahl

Was noch nicht gefragt wurde: Ist die Stimmabgabe im Wahlmänner-Gremium (Electoral College), d.h. die formelle Präsidentenwahl, offen oder geheim? Wäre sie geheim, liefe ja die Verpflichtung samt Vereidigung im Zweifelsfall leer.

Wenn ich das richtig sehe, hängt das vom jeweiligen Staat ab.

"Until 2008, Minnesota's electors cast secret ballots. Although the final count would reveal the occurrence of faithless votes (except in the unlikely case of two or more changes canceling out), it was impossible to determine which elector(s) were faithless. After an unknown elector was faithless in 2004, Minnesota amended its law to require public balloting of the electors' votes and invalidate any vote cast for someone other than the candidate to whom the elector was pledged."

https://en.wikipedia.org/wiki/Faithless_elector#cite_note-auto-5
 
Wobei sich dieses Verfahren »auf die Vorwahl eines Elektors ... [bezog], der sich geweigert hatte, sich auf den offiziellen Parteikandidaten zu verpflichten, und nicht auf einen gewählten Elektor selbst«
Genau. Dazu (auf den Umstand der Vereidigung, logischerweise vor der Bestellung) und zu nichts anderem hatte ich geschrieben.

Das "Abweichlern" ist auch in Folge des Urteils Gegenstand einiger Diskussionen in der Literatur gewesen, pro und kontra.

Prägnant finde ich das Stichwort "December surprise": Kandidat stirbt, Elektor(en) stirbt (sterben, treten zurück), es kommen Erkenntnisse über den Kandidaten zum Vorschein (sicher das spannenste "was-wäre-wenn": zB Nixons Interventionen in Südvietnam, vor seiner Wahl 1968 publik - idF Stimmänderungen, Enthaltungen), usw.

Die Pros laufen darauf hinaus, dass dieses Elektor-System "living democracy" darstellt. Die Kons möchten den direkten Transport des Ergebnisses, ohne Überraschungen und Veränderungen. Nach 2000 gab es dazu sogar ein Reformpapier des Kongresses.
 
Da ich mich gerade selbst wieder mit dem amerikanischen politischen System befasst habe, wärme ich den Thread mal kurz auf :)

Man muss sich vor Augen führen, dass der Wahlkampf einst nicht mit heutigen Mitteln geführt wurde. Roosevelt war der erste, der mit dem Auto überland fuhr und so mehr Wähler direkt erreichte, während Hitler in Deutschland gleichzeitig schon Flugzeuge nutzte, um möglichst überall auftreten zu können.

Das ist im bundesweiten Sinn schon richtig, allerdings haben Kandidaten in ihren Staaten und vor allem den Großstädten schon lange vorher Großveranstaltungen abgehalten und versucht, möglichst viele Wähler (so viele konnten da ja noch nicht wählen) zu erreichen. Ein gutes Beispiel ist Aaron Burr, der in der in vielerlei Hinsicht lehrreichen Wahl von 1800 antrat. Er hat damals Listen von Wahlberechtigen in seiner Heimatstadt New York geführt und diese dann systematisch abgeklappert. Ein paar generelle Gedanken zu der Wahl übrigens hier: Donald Trump und die schmutzige Wahl von 1800 ? Ralf Grabuschnig
 
Das Wahlmännergremium ist ein Kompromiss gewesen die kleinen Staaten aber auch die Südstaaten mit entsprechenden politischen Gewicht zu versehen insbesondere die Regelung, dass jeder Bundesstaat zwei US-Senatoren egal wie groß die Bevölkerung ist hat. Das Repräsentantenhaus wiederum ist schon nach Bundesstaaten Größe aufgestellt. Auch wenn das Wahlmännergremium stark in der Kritik steht, ist es aufgrund meines Erachtens der Bevölkerungsverteilung in den USA fairer als wenn man das europäische System nutzen würde. Die Kandidaten würden sonst nur in Metropolen wie New York, Miami, Los Angeles, Dallas, Chicago und so weiter Wahlkampf machen.
 
Auch wenn das Wahlmännergremium stark in der Kritik steht, ist es aufgrund meines Erachtens der Bevölkerungsverteilung in den USA fairer als wenn man das europäische System nutzen würde. Die Kandidaten würden sonst nur in Metropolen wie New York, Miami, Los Angeles, Dallas, Chicago und so weiter Wahlkampf machen.

Im derzeitigen System machen sie bevorzugt (und in der heißen Phase fast ausschließlich) in den "battleground states" ("swing states") Wahlkampf:
Beispielsweise flossen im Präsidentschaftswahlkampf 2016 99 % aller Wahlkampfmittel in diese Staaten und es fanden 95 % aller Wahlkampfauftritte dort statt.[1]
Swing State – Wikipedia

Bei der Präsidentschaftswahl 2016 fand 94 Prozent des gesamten Wahlkampfs in nur 12 Staaten statt. Und zwei Drittel der Veranstaltungen wurden in lediglich sechs Bundesstaaten abgehalten. Mehr als die Hälfte aller Staaten hatte keinen einzigen Wahlkampf-Event. Eine ähnliche Vorgehensweise zeigt sich im Herbst dieses Corona-gebeutelten Jahres. Bislang wurden 70 Prozent aller Kampagnen-Events – ob virtuell oder tatsächlich vor Ort – in sechs Staaten abgehalten: Pennsylvania, North Carolina, Wisconsin, Florida, Michigan und Minnesota – allesamt Swing States
US-Präsidentschaftswahl - Der Kampf um die Swing States
 
Im derzeitigen System machen sie bevorzugt (und in der heißen Phase fast ausschließlich) in den "battleground states" Wahlkampf:
Swing State – Wikipedia


US-Präsidentschaftswahl - Der Kampf um die Swing States

Das ist absolut richtig, das nahezu nur in den Swing States Wahlkampf gemacht wird man darf aber nicht vergessen dass die USA ein flächenmäßig sehr großes Land sind und es ist nicht möglich für einen Kandidaten wie in Europa Wahlkampf zu machen. Man muss sich konzentrieren auf die entscheidenden Stellen und momentan wird z.b. in New York und Los Angeles kein Wahlkampf gemacht weil es völlig klar ist das diese beiden Staaten die demokratische Partei wählen. Und die Swing States werden tendenziell mehr als weniger.
 
Auch wenn das Wahlmännergremium stark in der Kritik steht, ist es aufgrund meines Erachtens der Bevölkerungsverteilung in den USA fairer als wenn man das europäische System nutzen würde.
Es steht doch nicht das electoral college an und für sich in der Kritik, sondern seine Verbindung mit dem reinen Mehrheitswahlrecht in fast allen US-Bundesstaaten, ausgenommen Maine und Nebraska.

Historisch gesehen, war die Regelung mit dem Wahlmännerkollegium schon sehr sinnvoll, man bedenke, die USA sind (wenn auch nicht unbedingt im heutigen Verständnis), doch seit dem 18. jahrhundert mindestens so weit demokratisch verfasst, dass Wahlen landesweit nötig waren und das in einem Land, mit ein paar 1.000 Km Länge und Breite, in einer Zeit, in der es noch keine Eisenbahn gab, geschweigeden die Möglichkeiten des modernen Individualverkehrs.

Die Wahl über Wahlmänner zu organisieren, war damals im logistischen Sinne konsequent und wäre auch heute nicht schädlich, wenn sie nicht fast überall in Verbindung mit dieser Form des Mehrheitswahlrechts stehen würden.
Wären die US-Bundesstaaten in Sachen Wahlgesetzgebung mehrheitlich so verfasst, wie Maine und Nebraska, so dass Wahlmännerstimmen an Siege in Distrikten innerhalb des Staates und dann nochmal an den Sieg im Gesamtstaat gebunden sind

3 Distrikte zu je einem Wahlmann und 2 Wahlmänner für die Mehrheit der Stimmen im Staat, wie das in Nebraska ist, anstelle von "the winner takes it all" um ein Beispiel zu geben.

Richtete man das so ein, dass es hier nichtmal zu einem reinen Verhältnis- sondern nur zu einem gemischten Wahlrecht käme, würden dadurch die Ergebnisse der Wahlen weit weniger verzerrt, auch wenn man an der Einrichtung der Wahlmänner festhielte.
Wie gesagt, historisch waren sie in jedem Fall sinnvoll und das die US-Amerikaner es nicht so gerne sehen, wenn an der Bundesverfassung herumgespielt wird, ist irgendwo, vielleicht nicht nachvollziehbar in diesem Fall aber mindestens doch begreifbar.

Die Kandidaten würden sonst nur in Metropolen wie New York, Miami, Los Angeles, Dallas, Chicago und so weiter Wahlkampf machen.
Was genau wäre daran falsch? Da erreichten sie die meisten Menschen.
Im Aktuellen System braucht sich ein Kandidat der Demokraten im gesammten Staat Kalifornien überhaupt nicht blicken zu lassen, weil der ohnehin demokratisch wählt und ein republikanischer Kandidat nicht in Missisippi, Alabama oder Oklahoma.

Neben der Frage, ob es bei den heutigen medialen Möglichkeiten überhaupt noch wichtig ist, wo genau die Veranstaltung stattfindet, weil 99% des Publikums die sowiso nicht live sehen, sondern per Übertragung, stellt sich dann auch die Frage, ob es sinnvoll ist, dass Kandidaten im Grunde ganze Staaten, die ohnehin als sicher gelten beim Wahlkampf aussparen und die Metropolen weitgehend meiden können und sich die Sache dann alle 4 Jahre in den kleinstädtisch geprägten Wahlkreisen von Pennsylvania, Ohio und Florida abspielen, wo die Wahl letztendlich entschieden wird.
 
Es steht doch nicht das electoral college an und für sich in der Kritik, sondern seine Verbindung mit dem reinen Mehrheitswahlrecht in fast allen US-Bundesstaaten, ausgenommen Maine und Nebraska.

Historisch gesehen, war die Regelung mit dem Wahlmännerkollegium schon sehr sinnvoll, man bedenke, die USA sind (wenn auch nicht unbedingt im heutigen Verständnis), doch seit dem 18. jahrhundert mindestens so weit demokratisch verfasst, dass Wahlen landesweit nötig waren und das in einem Land, mit ein paar 1.000 Km Länge und Breite, in einer Zeit, in der es noch keine Eisenbahn gab, geschweigeden die Möglichkeiten des modernen Individualverkehrs.

Die Wahl über Wahlmänner zu organisieren, war damals im logistischen Sinne konsequent und wäre auch heute nicht schädlich, wenn sie nicht fast überall in Verbindung mit dieser Form des Mehrheitswahlrechts stehen würden.
Wären die US-Bundesstaaten in Sachen Wahlgesetzgebung mehrheitlich so verfasst, wie Maine und Nebraska, so dass Wahlmännerstimmen an Siege in Distrikten innerhalb des Staates und dann nochmal an den Sieg im Gesamtstaat gebunden sind

3 Distrikte zu je einem Wahlmann und 2 Wahlmänner für die Mehrheit der Stimmen im Staat, wie das in Nebraska ist, anstelle von "the winner takes it all" um ein Beispiel zu geben.

Richtete man das so ein, dass es hier nichtmal zu einem reinen Verhältnis- sondern nur zu einem gemischten Wahlrecht käme, würden dadurch die Ergebnisse der Wahlen weit weniger verzerrt, auch wenn man an der Einrichtung der Wahlmänner festhielte.
Wie gesagt, historisch waren sie in jedem Fall sinnvoll und das die US-Amerikaner es nicht so gerne sehen, wenn an der Bundesverfassung herumgespielt wird, ist irgendwo, vielleicht nicht nachvollziehbar in diesem Fall aber mindestens doch begreifbar.


Was genau wäre daran falsch? Da erreichten sie die meisten Menschen.
Im Aktuellen System braucht sich ein Kandidat der Demokraten im gesammten Staat Kalifornien überhaupt nicht blicken zu lassen, weil der ohnehin demokratisch wählt und ein republikanischer Kandidat nicht in Missisippi, Alabama oder Oklahoma.

Neben der Frage, ob es bei den heutigen medialen Möglichkeiten überhaupt noch wichtig ist, wo genau die Veranstaltung stattfindet, weil 99% des Publikums die sowiso nicht live sehen, sondern per Übertragung, stellt sich dann auch die Frage, ob es sinnvoll ist, dass Kandidaten im Grunde ganze Staaten, die ohnehin als sicher gelten beim Wahlkampf aussparen und die Metropolen weitgehend meiden können und sich die Sache dann alle 4 Jahre in den kleinstädtisch geprägten Wahlkreisen von Pennsylvania, Ohio und Florida abspielen, wo die Wahl letztendlich entschieden wird.

Sie haben den Aufbau des electoral College an den Mehrheitswahlrecht der Engländer orientiert daher auch die Prämisse the winner takes it all.
Ich bin mir nicht sicher ob es einen wirklichen Unterschied machen würde wenn weitere Bundesstaaten sich an Nebraska und Maine orientieren würden und die Wahlmännerstimmen nach congressional districts und den Gesamtsieg im Bundesstaat aufteilen würden z.b. würde es wahrscheinlich dann so sein dass bei großen Bundesstaaten wie New York ein paar congressional districts an die Republikaner fallen würden und bei Texas ei paar congressional district an die Demokraten fallen würden, aber unterm Strich würde es glaube ich nicht so viel ändern im Gesamtergebnis wie es aktuell ist.
Allerdings wurden die Hürden für Verfassungsänderungen damals sehr sehr hoch gesetzt.
Man würde es riskieren wenn man nur auf die Metropolen setzt, das wieder sich Bundesstaaten aus USA verabschieden würden. Die Metropolen sind natürlich logischerweise wesentlich Bevölkerungsstärker und auch wirtschaftlich wesentlich besser aufgestellt als die ländlichen Gegenden in Mississippi, Alabama oder Oklahoma Oklahoma z.b. einer der ärmsten Bundesstaaten.
Des Weiteren würde der Wahlkampf immer teurer werden, was er sowieso schon wird.
 
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