Frühmittelalterliches Weltbild

deSilva

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Ich habe durch diesen eher Zufallsfund
http://bestiary.ca/etexts/brehaut1912/brehaut - encyclopedist of the dark ages.pdf
mich in den letzten Tagen etwas mit Isidor von Sevilla ? Wikipedia beschäftigt. Der Link enthält eine (englische) Teilübersetzung der "Etymologie" (von 623) sowie eine gründliche Kommentierung durch Ernest Brehaut von 1912.....

Isidore definiert hier u.a. die 7 "artes liberales" - und ich war etwas irritiert über die Oberflächlichkeit und Naivität.

Ernest Brehaut betont in der Kommentierung auch immer wieder den "Niedergang" des Wissens seit Ende des alexandrinischen Zeitalters.

Welcher Stellenwert wird Isidor heute eigentlich für die Bildung des mittelalterlichen Weltbildes zugeschrieben?

Martianus Capella? Cassiodor?
 
Zu den sieben artes ist zu sagen, dass diese bereits zum Ende der Antike erstarrt waren und vor allem eine Mußebeschäftigung einer untergehenden Oberschicht.
Sie waren ein formales Beiwerk zur Bildung, wurden während der karolingischen Renaissance von der Schicht des Dienstadels gelernt und der Auslegung der Bibel untergeordnet. Dies auch nur eingeschränkt, da eine konsequente Anwendung der Dialektik(Logik) auf die Bibel erst durch Anselm von Canterbury im 11. Jahrhundert realisiert wurde.

Issidor von Sevilla verfasste eine Enzyklopädie, die den Wissenstand um 600 darstellte, konnte jedoch nicht die antiken Schriftsteller im Original lesen, sondern bezog sich auf Lehrbücher der Spätantike und lateinische Kirchenväter. Für das zumindest frühe Mittelalter war Issidor mit seiner Enzyklopädie meines Wissens eine Autorität.
Zu Issidors Enzyklopädie schreibt Kurt Flasch: Dieses Buch ist Beispiel dafür, wie für das Mittelalter Texte maßgebend waren, denen wir heute nur pädagogische oder kompilatorische Bedeutung zubilligen können, da wir [...] ihre antiken Vorlagen kennen.
K. Flasch, Das philosophische Denken im Mittelalter, Reclam, S. 92/93
 
Zu den sieben artes ist zu sagen...
Sie waren ... der Auslegung der Bibel untergeordnet...
Nach Josef Dolch (Lehrplan des Abendlandes [3/1971, S. 81) hat der einflussreiche Gregor von Tours z. B. geschrieben, "er habe sich die Grammatik nicht ganz angeeignet, vertraue aber darauf, daß bei Gott ein reiner Glaube wichtiger sei". Erich Weniger schreibt in der RGG (3. Aufl., Bd. 1, S. 1284):
Das abendländisch-europäische Bildungswesen des Früh- und Hochmittelalters war entscheidend dadurch bestimmt, daß das nachkonstantinische Christentum den in der Spätantike mit den septem artes liberales festgestellten Kanon der Bildungsinhalte ebenso übernahm wie den Bildungsgang des trivium (Grammatik, Rhetorik, Dialektik) und quadrivium (Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie). Der Bildungsinhalt wurde freilich, wie das schon in den Rhetorenschulen der Spätantike geschah, nur um seiner formalen Werte willen benutzt und überwölbt von der Theologie als der Krönung aller Bildungsarbeit.
Isidore definiert hier u.a. die 7 "artes liberales" - und ich war etwas irritiert über die Oberflächlichkeit und Naivität...
Welcher Stellenwert wird Isidor heute eigentlich für die Bildung des mittelalterlichen Weltbildes zugeschrieben?
Solidarnosc' Aussage, Isidor sei gleichwohl eine Autorität gewesen, wird von Dolch gestützt. Dieser schreibt die Rettung des "Septem artes liberales" zwar vor allem "der zusammenraffenden und organisatorischen Tat Cassiodors" zu. Isidor habe "in seinem Hauptwerk abschnittsweise wörtlich Teile von Cassiodor entlehnt, während die indirekte Abhängigkeit von einer zweiten Quelle, einer verlorenen Enzyklopädie Suetons, nur vermutet wird".

Seinen "oft sonderbaren Wort- und Sacherklärungen" (Dolch) zum Trotz hat Isidor einen unentbehrlichen Beitrag zur Tradierung des Bildungskanons geleistet. Jürgen Schiewe (in Literaturlexikon, Hg. Killy [1988], Bd. 14, S. 348) stellt Martianus Capellas De nuptiis Philologiae et Mercurii, Cassiodors Institutiones und Isidors Etymologiae in eine Reihe, und Karl Vorländer attestiert dem Isidor "eine staunenswerte Belesenheit".
 
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