Ganz ohne Saga, aber weit weg im Atlantik ;)

Im Zeitraum ca 500-1000 sollen Nordmänner auf den Azoren gewesen sein.
Eine gewagte These. Ich habe mir die Studie mal durchgelesen. Hauptargumente für eine menschliche Besiedlung der Azoren ab 800 (von 500-800 spricht die Studie von pre-settlement period) sind Rückstände von Haustieren und die Anwesenheit von Roggenpollen - jeweils gefunden in Sedimenten in Seen auf den Azoren. Desweiteren wurden Rückstände von Brandrodungen in den Sedimenten gefunden. Das alles spricht für eine menschliche Besiedlung der Azoren, ohne dass man eine Aussage zur Herkunft der Siedler macht.
Für Nordmänner spricht laut Studie lediglich der Zeithorizont und die Anwesenheit von Mus musculus, einer Mausart, die ursprünglich aus Skandinavien stammt. Der Zeithorizont ist für mich kein zwingender Beweis, lediglich eine Möglichkeit. Man müsste überlegen, ob Mus musculus nicht auch auf eine andere Art und Weise auf die Azoren gelangt sein könnte. Bislang scheint diese Mausart, jedenfalls das schlagkräftigste Argument für Nordmänner auf den Azoren zu sein.

Edit: Mus musculus ist generell eine Hausmaus, die es fast weltweit gibt. Den "skandinavischen" Einfluss der Hausmaus auf den Azoren macht die Studie an einer mitochondrialen Genanalyse fest.
 
Zuletzt bearbeitet:
;) Kein Wunder, dass keine Sagas von den kühnen Azorenfahrten der frühen Nordmänner künden, wenn sie nur eine winzige Hausmaus, kein Schwert und keinen Odinstempel hinterlassen haben :p:D
 
Ich halte sowohl das mDNA-Argument als auch das Roggen-Argument für zu stark, als dass man sie mir nichts dir nichts von der Hand weisen kann. Zumindest sollte man eine alternative Erklärung anbieten.

Erklären, warum es keine Saga gibt, könnte vielleicht, dass hier keine Siedlergemeinschaft anlandete, die Kontakt mit der Herkunftsregion hielt, sondern in einem Sturm abgetriebene Schiffbrüchige für einige Jahre überlebten.

Es scheint das Roggen in Neolithikum im Nahen Osten als Kulturpflanze entstand, aber bald durch Weizen und Gerste verdrängt wurde* und vermutlich als blinder Passagier (vavilovsches Mimikri) mit neolithischen Einwanderern nach Europa gelangte, wo er in der Hallstattzeit sich in Zentral- und Osteuropa wegen seiner Kältetoleranz gegenüber dem Weizen durchsetzte und somit in Zentral-, Ost- und Nordeuropa eine Bedeutung erlangte, die er im Mediterraneum nie hatte. Insofern ist Roggen - sofern seine Pollen richtig bestimmt wurden und tatsächlich aus entsprechend datierten Sedimenten stammen** - durchaus als Anzeiger für einen "Besuch" aus kühleren Breiten zu deuten. Und da stechen nun mal in dem nämlichen Zeitraum vor allem die Skandinavier als Seefahrer hervor. Oder es war der Heilige Brandan...

Zwischen 700 und 1500 kommt centeno (Roggen) laut dem Corpus Diacrónico del Español (CorDE) 511x in 89 Dokumente vor, das älteste davon aus dem Jahr 1134 (Fuero de Marañón en Navarra), centenum habe ich nur in einer enzyklopädischen protolinguistischen Arbeit gefunden (Alfonso de Palencia: Universal vocabulario en latín y en romance, 1490) und centenvm gar nicht.
In der Schreibweise çenteno bietet der CorDE 221 Treffer in 79 Dokumenten. Ältester Beleg von 1244 aus einem Testament aus dem Archiv der Kathedrale von León.
Den 732 Treffern (centeno und çenteno) in 168 Dokumenten stehen 4026 Treffer in 727 Dokumente für trigo (Weizen) entgegen. (Ältester Beleg: Ein Kaufbeleg aus einem Cartulario des Klosters San Millán de la Cogolla.) In der Schreibweise trico finden sich 8 Fälle in 3 lateinischen Dokumenten, das älteste von 984.
Was belegt: Roggen war auf der PI bekannt, hatte aber bei weitem nicht die Bedeutung, die Weizen hatte. Es könnten "theoretisch" also auch Seefahrer aus dem Mittelmeerraum gewesen sein, die es auf die Azoren verschlagen hat.



*irgendwie impliziert dieses verdrängt ungewollt, dass der Roggen vor dem Weizen da war, das meine ich so aber nicht.
**aber gibt es einen Anlass daran zu zweifeln?
 
Schiffbrüchige...hm...hatten solche bei Havarieren säckeweise Roggen dabei?
Hast du nie Robinson Crusoe gelesen?

Ernsthaft: nehmen wir an, ein skandinavisches Schiff, durch einen Sturm weit abgetrieben, die meisten Ruder weg, der Mast gebrochen, die Überlebenden verzweifelt stranden mehr oder weniger manövrierunfähig an der Lavaküste einer Azoreninsel. Geistesgegenwärtig neben sie mit, was noch zu gebrauchen ist. Dabei eine Kiste mit Roggen, der noch geschrotet werden muss.
Sie stellen fest, dass es Brombeeren und andere Pflanzen auf der Insel gibt und wissen, dass sie brauchen, um das Schiff wieder flott zu kriegen (oder wissen, dass sie es nie wieder flott bekommen werden, weil sie nicht über die notwendigen handwerklichen Fähigkeiten oder auch die Gerätschaften verfügen) und zumindest ein Teil der Gruppe ist so clever, einen Teil des Roggenvorrats nicht zu verkonsumieren, sondern für die Saat zu nutzen. Hältst du das für ein so unplausibles Szenario?
 
manövrierunfähig an der Lavaküste einer Azoreninsel.
ich möchte bei kräftigen Tiden (2-3m, schnell steigend, schnell fallend) weder an azorischen Küsten noch an Madeira manövrierunfähig stranden (ok, mag sein dass wir heute Warmduscher im Vergleich zum rauen frühen Mittelalter sind) - für mich schwer vorstellbar, dass man da Roggenvorräte retten kann; auch frage ich mich, wo man vorher herumgeschippert ist und warum, wenn einen ein Sturm zu den Azoren abtreibt.
Ich kann nicht entscheiden, was plausibler ist, dein Szenario oder meine Zweifel.
(ok, die Nordmänner kamen nautisch mit den Scheren, mit der Fjordküste, mit den Kanalinseln, den Färöern und mit den irischen und englischen Küsten (trotz teilweise mörderischer Tiden von über 8m) zurecht - aber ob das auch manövrierunfähig klappte?)
 
...wie müssen frühmittelalterliche Schiffe beschaffen sein, um von einem Sturm über den halben Atlantik bis zu den Azoren gestrudelt zu werden, ohne unterwegs unterzugehen, sondern z.B. beim heutigen Sao Miguel "manövrierunfähig" angeschwemmt zu werden - kommt mir doch sehr unwahrscheinlich vor.
 
Ich hatte es so verstanden, dass es sich um DNS von Mäusen handelte, deren mDNA auf einen skandinavischen Abstammungszweig deutet.
Es sind zwei Zitate in der Studie:
1.) "For example, a recent radiocarbon date 903 to 1036 CE (1033 ± 28 y B.P. uncalibrated) on house-mouse (Mus musculus) bones collected at a fossil site on Madeira Island (34) and colonization dates of 910 to 1185 CE for this species established by molecular dating methods using mitochondrial DNA (mtDNA) D-loop sequences (35) suggest that explorers had accidentally introduced this alien species on several Macaronesian islands by this time (Azores, Madeira, and the Canary Islands)" Man hat also auf Madeira Hausmausknochen gefunden, die zwischen 903 und 1036 zu datieren sind. Die Art scheint vorher auf Madeira fremd gewesen zu sein. Die Studie nimmt weiterhin an, dass Madeira keine Ausnahme war, sondern "Entdecker" auch die Azoren und Kanaren mit Mäusen beglückten. Woher diese mittelalterliche Mäuse kamen, steht da nicht.

2.) "Genetic characterization of modern Macaronesian Mus musculus populations present in the Azores shows that this species followed a complex colonization history from multiple geographical origins (37), with two of the mitochondrial D-loop sequences indicating an origin in northern Europe (Denmark, Norway, Iceland, Ireland, Sweden, Finland, and the Faroe Islands) (38)." Heutige Hausmäuse auf den Azoren, den Kanaren und Madeira deuten darauf hin, dass viele geografische Regionen diese Hausmäuse genetisch beeinflussten. Zwei Marker weisen auf Skandinavien hin. Wann diese Marker auf den Inseln zu erst auftauchten, steht da nicht.
 
Als gesichert kann gelten, dass die Azoren zwischen 700 und 850 n. Chr. von Menschen bewohnt waren. Diese brachten ihr Vieh mit auf die Insel.
wörtlich in Azoren – Wikipedia - - damit wird wohl nicht die Hausmaus gemeint sein ;) und von dem mitgebrachten Vieh hat man nichts gefunden, sodass es doch etwas wunderlich erscheint, dass das "als gesichert gelten" kann...
 
und von dem mitgebrachten Vieh hat man nichts gefunden
Doch hat man. In den Sedimenten hat man Überreste von Herdentierfäkalien gefunden (live stock fecal). Außerdem weisen Dungpilze in den Sedimenten auf solche Herdentiere hin. Bei "live stock" denke ich an domestizierte Herdentiere; Ziegen und Schafe erscheinen mir auf den Azoren am wahrscheinlichtsten.
Die Frage ist aber für mich, haben Wikinger auf ihren Fahrten Vieh mit sich geführt?
 
Die Frage ist aber für mich, haben Wikinger auf ihren Fahrten Vieh mit sich geführt?
ob "Wikinger" oder spanische, portugiesische oder arab.-maurische Seefahrer: ca. 1400km über die offene See ist schon eine spektakuläre Strecke für die Wikingerzeit - eine derart lange und weite Schiffsreise mit Milchvieh, welches das überlebt und dann fröhlich auf Azoren, Kanaren, Madeira weidet... ist das sehr wahrscheinlich?
@Ugh Valencia ist das Herdentier-"a-a" denn eindeutig zeitlich datiert, könnte das nicht aus dem Beginn der portugiesischen Besiedlung im frühen 15. Jh. stammen?
Im Mittelalter waren doch die See-Routen entlang der nordafrikanischen Küste, von aus erst die Kanaren erreicht wurden - wer auch immer zuerst auf den Azoren auftauchte, die Route Nordafrika-Kanaren-Madeira-Azoren scheint sich eher anzubieten, als die Riesenstrecke von Portugal direkt zu den Azoren (?)
 
ist das Herdentier-"a-a" denn eindeutig zeitlich datiert, könnte das nicht aus dem Beginn der portugiesischen Besiedlung im frühen 15. Jh. stammen?
"The beginning of Phase II is defined by the first appearances of fecal biomarkers such as 5β-stigmastanol at ca. 700 ± 60 CE in the Lake Peixinho sedimentary record (50 ng cm−2 y−1 Pico Island, Central Island Group) and at 850 ± 60 CE in Lake Caldeirão (69 ng cm−2 y−1 Corvo Island, Western Island Group). These biomarkers provide the most direct evidence, likely introduced livestock (e.g., cattle, sheep, goats, and pigs), to date for the first human activities on the islands (Fig. 2)."
 
Oh ja, die waren auch mit Vieh unterwegs. Und im Atlantik eher mit den stabileren Handelsschiffen als mit Langschiffen.

Und auch hochseetüchtige Schiffe können scheitern.
 
Hier ist noch ein Artikel von "Archäologie in Deutschland", der Norweger als erste Siedler auf den Azoren ab 700 n.Chr. favorisiert. Er bezieht sich aber hauptsächlich auf die selbe Studie, die oben verlinkt und in wiki erwähnt wurde. Mäuse kommen allerdings gar nicht vor.
Ich bin noch auf eine weitere Studie zu mittelalterlichen Mäusen auf den Azoren gestossen, habe aber bislang nur geschafft das Abstract zu lesen. Quintessenz scheint aber zu sein, dass man auch davon ausgeht, dass 3 von 9 Azoren-Inseln von Hausmäusen mit skandinavischer Abstammung dominiert werden. Falls demnächst jemand sich mit dieser englischsprachigen Studie tiefer beschäftigen möchte, hier ist der Link. Ich habe über Ostern wohl nicht so viel Zeit dafür.
 
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