fingalo
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Auf vielfältigen Wunsch von Louis le Grand eine kurze Übersicht über die sogenannte "skeptizistische Geschichtsschreibung":
Die skeptizistische Geschichtsschreibung ist ein Produkt der Neuzeit und auch gleichzeitig - als wissenschaftliche Abwehrreaktion - die Geburtsstunde der wissenschaftlichen Diplomatik, die das Handwerkszeug ausbildete, echte von falschen Urkunden und Texten zu unterscheiden.
Am Anfang stehen der Jesuit Daniel Papebroch (1628 - 1714) und der Benediktiner Jean Mabillon (1632 - 1707). Sie vertraten mit unterschiedlichen Begründungen die These, aus dem frühen Mittelalter seien nur wenige unvollständige Urkunden überliefert. Papebroch nahm sogar an, alle Urkunden vor dem 7. Jh. seien gefälscht. Immerhin lag er nicht so ganz falsch. Denn heute wissen wir, dass mehr als die Hälfte der merowingischen Urkunden gefälscht sind. Anders als Papebroch und Mabillon traten aber bald weitere Autoren mit Verschwörungstheorien an die Öffentlichkeit. Die Jesuiten Barthélemy Germon (1663 - 1718) und Jean Hardouin (1646 - 1729) sind die bekanntesten. Hardouin, Theologe und Herausgeber von Konzilstexten, behauptete in mehreren Veröffentlichungen um 1690, fast die gesamte antike lateinische Literatur sei in einer gewaltigen Fälschungsaktion zwischen etwa 1350 und 1480 entstanden. Von den griechischen Autoren seien nur Homer und Herodot echt, die Konzilien und Kirchenväter seien dagegen gefälscht, das NT sei ursprünglich in Latein geschrieben, die angelsächsische Sprache und Literatur sei eine spätmittelalterliche Erfindung. 1708 musste er auf Betreiben seines ordens eine Widerrufserklärung veröffentlichen. 1739 kamen seine Werke auf den Index.
Germon vertrat in seinem dreibändigen Werk "De veteris regnum Francorum diplomatibus" (1703 - 1707) die Ansicht, es könnten zu seiner Zeit keinerlei merowingische Urkunen überliefert sein.
Dann war eine Weile Ruhe.
Im 19. Jh. traten dann neue Dilettanten in diese Fußstapfen. Der Düsseldorfer Gerichtspräsident Peter Franz Joseph Müller verfasste ein Buch "Meine Ansicht von der Geschichte" (1814) und entwickelte die These von der Totalfälschung mittelalterlicher Überlieferung fort: Die anonymen Fälscher hätten die Erinnerung an ein einstiges Urvolk mit einheitlicher Ursprache und einem erblichen Urkaiserhaus überlagern wollen. Damit habe die Zersplitterung Deutschlands und seiner Völker begründet und die Unterordnug des Kaisertum unter das Papsttum im hohen und späten Mittelalter erklärt und die Zustände in Deutschland bis zum Ende des Ancien Régime legitimiert werden sollen.
Als nächster ist Wilhelm Kammeier (1889 - 1959) zu erwähnen, der in einer Reihe von Veröffentlichungen während des III. Reichs die Thesen Hardouins wieder aufgriff. Sein Werk "Die Fälschung der deutschen Geschichte" (Leipzig 1935) steht in dieser Tradition. Er behauptete, es habe im 15. Jh. eine von Rom gesteuerte Fälschungsaktion gegeben, die gesamte deutsche mittelalterliche Geschichte umzugießen. Diese Umwertung habe die Kultur der Germanen als römischen Ursprungs, als christlich bestimmt und die Macht des Mittelalters als vom Papst abhängig erweisen sollen.
In der Gegenwart haben wir nicht nur Heribert Illig, sondern auch den österreichischen Titularprofessor Hans Constantin Faußner. Der meint, Wibald von Stablo habe im Zusammenwirken mit Bischof Otto von Freising, dem Aschaffenburger Propst Arnold von Selehofen und Albero von Trier eine gewaltige Fälschungsaktion durchgeführt, um nach dem Wormser Konkordat 1122 möglichst viele Ländereien als vogtfrei und dem Kirchegut zugehörig zu erweisen. Vor dem Konkordat habe es nämlich keine Rechtsgrundlage für Urkunden über Schenkungen des Kaisers aus dem Reichsgut an Kirchen gegeben. Er habe Teile des Trierer Domschatzes und sagar die Reichskrone gefälscht.
Das mag als Überblick genügen.
Fingalo
Die skeptizistische Geschichtsschreibung ist ein Produkt der Neuzeit und auch gleichzeitig - als wissenschaftliche Abwehrreaktion - die Geburtsstunde der wissenschaftlichen Diplomatik, die das Handwerkszeug ausbildete, echte von falschen Urkunden und Texten zu unterscheiden.
Am Anfang stehen der Jesuit Daniel Papebroch (1628 - 1714) und der Benediktiner Jean Mabillon (1632 - 1707). Sie vertraten mit unterschiedlichen Begründungen die These, aus dem frühen Mittelalter seien nur wenige unvollständige Urkunden überliefert. Papebroch nahm sogar an, alle Urkunden vor dem 7. Jh. seien gefälscht. Immerhin lag er nicht so ganz falsch. Denn heute wissen wir, dass mehr als die Hälfte der merowingischen Urkunden gefälscht sind. Anders als Papebroch und Mabillon traten aber bald weitere Autoren mit Verschwörungstheorien an die Öffentlichkeit. Die Jesuiten Barthélemy Germon (1663 - 1718) und Jean Hardouin (1646 - 1729) sind die bekanntesten. Hardouin, Theologe und Herausgeber von Konzilstexten, behauptete in mehreren Veröffentlichungen um 1690, fast die gesamte antike lateinische Literatur sei in einer gewaltigen Fälschungsaktion zwischen etwa 1350 und 1480 entstanden. Von den griechischen Autoren seien nur Homer und Herodot echt, die Konzilien und Kirchenväter seien dagegen gefälscht, das NT sei ursprünglich in Latein geschrieben, die angelsächsische Sprache und Literatur sei eine spätmittelalterliche Erfindung. 1708 musste er auf Betreiben seines ordens eine Widerrufserklärung veröffentlichen. 1739 kamen seine Werke auf den Index.
Germon vertrat in seinem dreibändigen Werk "De veteris regnum Francorum diplomatibus" (1703 - 1707) die Ansicht, es könnten zu seiner Zeit keinerlei merowingische Urkunen überliefert sein.
Dann war eine Weile Ruhe.
Im 19. Jh. traten dann neue Dilettanten in diese Fußstapfen. Der Düsseldorfer Gerichtspräsident Peter Franz Joseph Müller verfasste ein Buch "Meine Ansicht von der Geschichte" (1814) und entwickelte die These von der Totalfälschung mittelalterlicher Überlieferung fort: Die anonymen Fälscher hätten die Erinnerung an ein einstiges Urvolk mit einheitlicher Ursprache und einem erblichen Urkaiserhaus überlagern wollen. Damit habe die Zersplitterung Deutschlands und seiner Völker begründet und die Unterordnug des Kaisertum unter das Papsttum im hohen und späten Mittelalter erklärt und die Zustände in Deutschland bis zum Ende des Ancien Régime legitimiert werden sollen.
Als nächster ist Wilhelm Kammeier (1889 - 1959) zu erwähnen, der in einer Reihe von Veröffentlichungen während des III. Reichs die Thesen Hardouins wieder aufgriff. Sein Werk "Die Fälschung der deutschen Geschichte" (Leipzig 1935) steht in dieser Tradition. Er behauptete, es habe im 15. Jh. eine von Rom gesteuerte Fälschungsaktion gegeben, die gesamte deutsche mittelalterliche Geschichte umzugießen. Diese Umwertung habe die Kultur der Germanen als römischen Ursprungs, als christlich bestimmt und die Macht des Mittelalters als vom Papst abhängig erweisen sollen.
In der Gegenwart haben wir nicht nur Heribert Illig, sondern auch den österreichischen Titularprofessor Hans Constantin Faußner. Der meint, Wibald von Stablo habe im Zusammenwirken mit Bischof Otto von Freising, dem Aschaffenburger Propst Arnold von Selehofen und Albero von Trier eine gewaltige Fälschungsaktion durchgeführt, um nach dem Wormser Konkordat 1122 möglichst viele Ländereien als vogtfrei und dem Kirchegut zugehörig zu erweisen. Vor dem Konkordat habe es nämlich keine Rechtsgrundlage für Urkunden über Schenkungen des Kaisers aus dem Reichsgut an Kirchen gegeben. Er habe Teile des Trierer Domschatzes und sagar die Reichskrone gefälscht.
Das mag als Überblick genügen.
Fingalo