Ob es geschichtliche Vorbilder gibt, ist ziemlich irrelevant, und die Bevölkerungszusammensetzung auch. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker kollidiert mit dem Recht der Staaten auf Wahrung ihrer territorialen Integrität. Das Selbstbestimmungsrecht wird oft mit einem Sezessionsrecht verwechselt. Ein Sezessionsrecht wird von der herrschenden Meinung nicht anerkannt; manche Völkerrechtler wollen es aber zumindest für den Fall schwerer Verfolgung anerkennen. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker wird heutzutage ohnehin eher als Recht auf Wahrung ihrer nationalen Eigenheiten interpretiert, also als Verpflichtung eines Staates, Sprache, Kultur und Religion seiner Völker zu achten.
Das Problem ist eigentlich ein anderes:
Die Existenz eines Staates ist eigentlich unabhängig von seiner Anerkennung. Ein Staat existiert, sobald er die völkerrechtlichen Voraussetzungen erfüllt, also über ein Staatsgebiet und ein Staatsvolk verfügt und eine souveräne Regierung hat, die die effektive Kontrolle über Staatsgebiet und Staatsvolk ausübt. Die Anerkennung eines Staates durch andere Staaten hat eigentlich nur deklaratorische Bedeutung, ist aber in der Praxis insofern wichtig, als ein nicht anerkannter Staat außenpolitisch praktisch handlungsunfähig ist. (Freilich finden sich in der Praxis auch inoffizielle Mittel und Wege, mit denen auch nicht anerkannte Staaten interagieren.)
Im Idealfall sollte ein neuer Staat also anerkannt werden, sobald er die völkerrechtlichen Voraussetzungen der Staatlichkeit erfüllt. Allerdings hat ein Staat keinen Anspruch auf Anerkennung, schon gar keinen rechtlich durchsetzbaren, und natürlich wird oft strittig sein, ob ein neuer Staat tatsächlich die völkerrechtlichen Voraussetzungen erfüllt. Letzterer Punkt ist insofern heikel, weil ein Möchtegern-Staat, solange er noch nicht die völkerrechtlichen Voraussetzungen erfüllt, im Normalfall (Ausnahme: wenn der Staat untergegangen ist) nach wie vor Teil eines anderen Staates ist und seine Anerkennung somit die territoriale Integrität dieses Staates verletzen würde, was völkerrechtswidrig wäre. Die völkerrechtskonforme Anerkennung eines neuen Staates setzt also voraus, dass er die völkerrechtlichen Voraussetzungen der Staatlichkeit erfüllt; aber damit allein ist es nicht getan. Dazu kommt nämlich das Spannungsverhältnis zwischen dem Recht eines Staates auf Unabhängigkeit und der Anerkennung dieses Staates. Dass ein neuer Staat die völkerrechtlichen Staatseigenschaften erfüllt, bedeutet schließlich nicht zwangsläufig, dass er auch berechtigt war, sich von einem anderen Staat abzuspalten. Völkerrechtlich führt das zu einem Wirrwarr, denn einerseits zerbricht genaugenommen die territoriale Integrität eines Staates, wenn auf einem Teil seines Gebietes ein neuer Staat entsteht, der die völkerrechtlichen Staatseigenschaften erfüllt. Trotzdem wird, wenn dieser neue Staat völkerrechtswidrig entstanden ist, normalerweise angenommen, dass seine Anerkennung die territoriale Integrität des Staates, zu dem er gehört(e), verletzen würde. Das kann also zur paradoxen Situation führen, dass zwar völkerrechtlich ein neuer Staat entstanden ist, er aber nicht völkerrechtskonform anerkannt werden kann.
In der Praxis der Staatenanerkennung wird mit all dem freilich recht locker umgegangen, wenn nicht gar darauf gepfiffen. Ob ein Staat die völkerrechtlichen Voraussetzungen der Staatlichkeit erfüllt, lässt sich oft in die eine oder andere Richtung argumentieren.
Letztlich ist die Anerkennung eines Staates aber in erster Linie eine politische Entscheidung. Daher wurde und wird die Unabhängigkeit des Kosovo von vielen Staaten anders beurteilt als die von Abchasien, Südossetien, der Dnjestr-Republik, Somaliland etc.
Die besondere Problematik beim Kosovo liegt darin, dass die internationale Staatengemeinschaft selbst die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, um den Kosovo anzuerkennen: Sie hat in die territoriale Integrität Jugoslawiens eingegriffen und den Kosovo territorial faktisch von Serbien abgetrennt und ihn mit einer eigenen Regierung ausgestattet, die freilich lange Zeit arg am internationalen Gängelband hing, also kaum als souverän zu bezeichnen war. Heutzutage wird dennoch zu bejahen sein, dass der Kosovo die völkerrechtlichen Voraussetzungen der Staatlichkeit erfüllt. (Dass die kosovarische Regierung keine Kontrolle über die Gebiete der serbischen Minderheit im Norden hat, schadet nicht; es reicht, wenn sie zumindest ein ungefähres Staatsgebiet kontrolliert.)
Die nach wie vor schwierige Frage ist aber, ob der Westen verpflichtet gewesen wäre, den Schutz der Kosovo-Albaner unter Wahrung der Integrität Jugoslawiens bzw. später Serbiens sicherzustellen. In der politischen Diskussion darüber, ob der Kosovo als Staat anerkannt werden darf/soll, geht es daher auch darum, ob durch die Anerkennung implizit das Vorgehen des Westens gebilligt werden soll oder ob man es ablehnt, oder, allgemeiner gesprochen, inwieweit man in einen Staat eingreifen darf, um eine Minderheit zu schützen, und auch um die Frage, ob die Verfolgung einer Minderheit durch den Staat die Minderheit zur Sezession berechtigt oder ob sie nur das Recht auf Schutz innerhalb des bestehenden Staates hat.
Falls man also zum Ergebnis gelangt, dass im Kosovo eine schwere Verfolgung stattfand und das Vorgehen der serbischen Regierung gegen die Kosovo-Albaner zu einem Sezessionsrecht des Kosovo geführt hat, dann ist heute die Anerkennung des Kosovo unproblematisch, da er sich rechtmäßig abgespalten hätte und mittlerweile wohl auch die völkerrechtlichen Voraussetzungen der Staatlichkeit erfüllt. (Davon gesondert ist allerdings die Frage zu betrachten, ob der Kosovo Anspruch auf die serbischen Minderheitsgebiete im Norden hat. Ein allenfalls durch einen drohenden Völkermord ausgelöstes Sezessionsrecht bedeutet nicht, dass die sezessionistische Volksgruppe Anspruch auf ein bestimmtes Territorium hat, das auch andere Volksgruppen einschließt.) Andernfalls ist die Anerkennung abzulehnen.
Mit der Unabhängigkeit von Slowenien, Kroatien, Montenegro und Mazedonien kann man die Unabhängigkeit des Kosovo insofern nicht so recht vergleichen, als die genannten Staaten zum Zeitpunkt ihrer Unabhängigkeitserklärungen und ihrer Anerkennungen wenigstens im Wesentlichen die völkerrechtliche Staatseigenschaft erfüllten: Sie verfügten über ein Gebiet mitsamt Volk, und sie hatten bereits Republiksregierungen, die die faktische Kontrolle über ihre Teilrepubliken übernahmen. Im Kosovo hingegen wurden die Voraussetzungen einer Staatlichkeit erst durch das Eingreifen des Westens geschaffen. Bei Mazedonien und Montenegro wurde obendrein die Unabhängigkeit von Jugoslawien akzeptiert, somit stellte sich auch die Frage nach dem Sezessionsrecht nicht. Problematischer war das bei Slowenien und Kroatien, weil die schwere Verfolgung zum Zeitpunkt der Unabhängigkeitserklärungen erst - und gerade für den Fall der Unabhängigkeitserklärungen - drohte. Zum Zeitpunkt der Anerkennung allerdings war das massive und mit zahlreichen schweren Menschenrechtsverletzungen verbundene militärische Eingreifen der JVA bereits in Gange. (Allerdings wird international offiziell die - völkerrechtlich durchaus fragwürdige - Auffassung vertreten, dass es sich beim Zerfall Jugoslawiens nicht um Sezessionen, sondern um eine dismembratio, also einen Staatszerfall, handelte, Jugoslawien als Staat also untergegangen sei, was die Frage nach einem Recht der Teilrepubliken auf Unabhängigkeit relativiert.)