Seit über zwei Jahrzehnten wird die Völkerwanderungszeit (in Frankreich "Barbarenepoche" genannt) von Historikern im Kontext von Migration betrachtet, z.B. Geary, Pohl, Schwarcz, Wolfram und andere.
Die sog. Völkerwanderungen werden inzwischen anders gesehen als z.B. noch von Wolfram. Das heißt, es wird nicht mehr angenommen, dass ganze Völker mit Frauen und Kindern wanderten – so Heiko Steuer in seinem Buch „Germanen“ aus Sicht der Archäologie. Ein Zitat daraus:
Es wanderten eben keine Völkerschaften mit Kind und Kegel und Planwagen, sondern militärische Verbände, die am Ende schließlich sich territorialisierten, Ländereien besetzten und dann auch Familien gründeten.
Und wenn es in der Antike diese Migration mit Kind und Kegel nicht gab, dann ist es unzulässig, diese weiter mit der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 zu vergleichen oder Parallelen zu ziehen, denn da kamen tatsächlich ganze Familien an, die weit davon entfernt waren und sind, die einheimische Bevölkerung wie in der Antike zu dezimieren, um Platz für sich zu schaffen.
 
Die sog. Völkerwanderungen werden inzwischen anders gesehen als z.B. noch von Wolfram. Das heißt, es wird nicht mehr angenommen, dass ganze Völker mit Frauen und Kindern wanderten
Mit Verlaub: wo soll Wolfram dergleichen geschrieben haben?? wo Pohl?? wo Geary??
Schrieb Demandt irgendwo in seiner Geschichte der Spätantike, dass ganze Völker mit Frauen und Kindern gewandert seien?
(Kann es sein, dass du "das Reich und die Germanen", "Die Völkerwanderung. Eroberung und Integration", "Europäische Völker im frühen Mittelalter. Zur Legende vom Werden der Nationen" nicht gelesen hast?)
 
Und wenn es in der Antike diese Migration mit Kind und Kegel nicht gab, dann ist es unzulässig, diese weiter mit der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 zu vergleichen oder Parallelen zu ziehen, denn da kamen tatsächlich ganze Familien an, die weit davon entfernt waren und sind, die einheimische Bevölkerung wie in der Antike zu dezimieren, um Platz für sich zu schaffen.
Also eigentlich waren es gerade 2015 hauptsächlich junge Männer ohne Kind und Kegel.
Ein Unterschied zur spätantiken Völkerwanderung war freilich, dass die Männer 2015 ohne Führung durch Heerkönige (oder wie immer man sie nennen will) unterwegs waren.
 
Also eigentlich waren es gerade 2015 hauptsächlich junge Männer ohne Kind und Kegel.
Stimmt, Frauen waren in der Minderheit. Ich habe leider keine Daten über Verteilung der Geschlechter der Migranten für Deutschland gefunden, aber für Österreich – Zitat aus Wikipedia:

In Österreich wurden von Januar bis Ende Juli 2015 37.046 Asylanträge gestellt und damit mehr als im gesamten Vorjahr. 78,47 % der Antragsteller waren männlich und 21,53 % weiblich.

Und auf den Bildern sah man auch Familien, die sich wegen der Kinder weniger auf den Straßen aufhielten:

1280px-Migrants_at_Eastern_Railway_Station_-_Keleti%2C_2015.09.04_%281%29.jpg


Ein Unterschied zur spätantiken Völkerwanderung war freilich, dass die Männer 2015 ohne Führung durch Heerkönige (oder wie immer man sie nennen will) unterwegs waren.
Das sollte bitte nicht in eine Diskussion über die Migranten ausarten, daher hier nur so viel: Die in der Antike kamen mit Waffen und in böser Absicht, die aus der Jetztzeit nicht.
 
Ganz so pauschal kann man das nicht sagen. Natürlich wollten manche einfach nur plündern. Viele waren aber selbst auf der Flucht (insbesondere vor den Hunnen) und strebten (zumindest anfangs) durchaus nach geregelten Beziehungen zu den Römern, z. B. Landzuweisung oder Lebensmittellieferungen gegen Stellung von Truppen. Dass das in der Regel gar nicht oder zumindest auf die Dauer nicht klappte und außerdem die Römer meist nur die Wahl hatten, zu akzeptieren* oder zu kämpfen, steht auf einem anderen Blatt. Aber von Anfang an eine "böse Absicht", den Römern Teile ihres Reiches zu entreißen oder sie auszurauben, hatten nicht alle per se.

[* Auch heute haben die Ziel- und Durchzugsländer faktisch aber nur die Wahl, die Ankömmlinge passieren zu lassen oder sie notfalls gewaltsam (wenngleich in aller Regel nicht mit Waffengewalt) zu stoppen.]
 
Ja, und wenn er das in der FAZ veröffentlicht hatte und selber dazu noch eine Parallele zu den Flüchtlingsströmen im Jahre 2015 zog, dann ist das eine mit Historie begründete politische Aussage von Gewicht.

Nö, dass ist der Vergleich einer Privatperson von ihrer Interpretation historischer Sachverhalte, mit aktuellen Entwicklungen.

Weder ist diese Interpretation der Vergangenheit eine unumstößliche Tatsache, noch war es, da die Folgen der Entwicklung nicht absehbar waren, überhaupt möglich ein Urteil darüber zu treffen, ob dieser Vergleich auf irgendeiner Ebene plausibel sein könnte.

Von dem her hat die Privatmeinung des Herrn nicht mehr Gewicht, als die Privatmeinung von Lieschen Müller.

Damit fällt weg, was auch in diesem Forum schon gesagt worden ist: Dass man sich vor Missbrauch der Aussagen von Historikern durch Rechte nicht schützen könne.

Das kann man nicht.
Bedenken wir bitte, dass wir nicht mehr in 1990 leben und (leider) auch bei der politischen Rechten das Internet als Medium durchaus Einzug gehalten hat.

Jetzt sag mir, wie möchtest du verhindern, dass auf diversen Videoplattformen, wo es keinerlei redaktionelle Eingriffe o.ä. gibt, dass in anderen Medien getätigte Aussagen z.B. aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissen und in einen völlig anderen Zusammenhang gestellt werden?
Dazu reicht es ja mitunter vollkommen aus Teile von Interviews oder Reden einfach wegzuschneiden und das ganze neu zusammen zu stellen.

Das ist faktisch nicht verhinderbar und wenn so etwas auffällt de facto auch kaum noch einzusammeln, weil das möglicherweise in den ersten paar Stunden schon x.000 fach abgerufen, kopiert und geteilt ist.

So problematisch das einmal ist, das ist die Realität und auch jedem Bewusst, der sich mal ein wenig damit befasst hat, wie politische Extremisten heute arbeiten.

Was Demandt da getan, war/ist politisch relevant
Woran machst du eine besondere Relevanz fest?
Ich habe seinerzeit nicht wahrgenommen, dass sich unter explizitem Beruf auf seine Einlassungen eine entsprechende Debatte darum entwickelt hätte, die wiederrum besondere Resonanz gefunden hätte.
Die tatsächlich greifbaren Folgen dieser Einlassungen sind marginal bis nicht vorhanden.


aber was daran ist geschichtsrevisionistisch?

Durchaus berechtigte Frage.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die sog. Völkerwanderungen werden inzwischen anders gesehen als z.B. noch von Wolfram.

Dadurch dass sich die Mehrheitsmeinung innerhalb des Diskurses in jüngerer Zeit verschoben hat, wird aber eine Meinung, die sich stärker am vorherigen Stand orientiert nicht automatisch "revisionistisch".

In diversen historischen Debatten haben bestimmte Paradigmen Konjunkturen und es kommt auch immer wieder vor, dass neuere Diskurse stärker an ältere Deutungsparadigmen anschließen, als an ihre unmittelbaren Vorgänger.

Vertreter einer Minderheitenmeinung innerhalb eines Diskurese zu sein, mach einen noch lange nicht zum "Revisionisten" oder die eigene Deutung zum "Revisionismus".

Jedenfalls nicht in einem, wie auch immer geartet despektierlichen Sinne.
 
Es nervt mich, dass Theorien, die vor meiner Geburt entstanden und die ich in der Schule kennenlernte (Abi '93), fast 60 Jahre nach deren Entstehen (1965 habe ich im Kopf) immer noch als neu betrachtet oder sogar ignoriert werden.

Aktuell wurde eigentlich schon festgestellt, dass die Sichtweise von Migration auf deren Basis die Wanderung von Ethnien ausgeschlossen wurde, sich schon wieder geändert hat, die Sichtweise also modifiziert werden muss..

1- Es wurde festgestellt, dass soziologische Modelle zur Migration von heute zwar durchaus auch plausibel für andere Zeiten sind, solche Erscheinungen immer wieder auftreten, es aber genauso konstatiert werden muss, dass es andere Modelle gibt, die die Soziologen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht berücksichtigt haben, weil sie Migrationen der Gegenwart mit Auswirkung auf die 'westliche Welt' betrachteten. Durch die zeitliche und örtliche Einschränkungen blieben Migrationsformen außer acht.

2- Die Frage der Organisation wurde unterschätzt. Auch "ohne Heerkönige" läuft so etwas nicht regellos ab. Migration folgt z.B. Wegen, die einzelne erkundet haben und die dann kommuniziert wurden.

3- Insbesondere gibt es keine 'große Vereinigte Migrationstheorie von Allem' mehr, um es plakativ auszudrücken.

4- Natürlich gab es auch generell Fortschritte in der Soziologie.

5- Innerhalb der Geschichtswissenschaft gab es zudem den unzulässigen Trend etwas zur Regel zu erheben, was dort, wo es bessere Quellen gibt, oft nicht zutrifft, bei der griechischen Kolonisation etwa. Dieser Punkt ist natürlich einfach eine Frage der Formulierung, da bei unzureichenden Quellen nur nach Strukturen vermutet werden kann. Also "... mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ..." statt "... , was gesichert ist."

6- Ein Peter Heather mag in der Konsequenz übertreiben, aber die Einzelfallbegutachtung erweist er klar als Notwendigkeit. Das wurde dabei häufig auch nicht genug berücksichtigt, etwa übersehen, wenn Gruppen ausdrücklich um Versorgung der Familien baten.

Ich sehe hier einfach das Problem, dass die Theorie nicht mit ihren Grundlagen geändert wird.

Mir ist bewusst, dass das Problemfeld aktuell nirgends als Überblick dargestellt wird, es gibt nur -übertrieben ausgedrückt- Kampfschriften. Gerechtfertigt ist diese Übertreibung dadurch, dass meist nicht passende Fakten einfach weggelassen werden, die Auseinandersetzung quasi teilweise den Kontakt mit den Daten, den Quellen und den theoretischen Grundlagen verloren hat.

Es geht auch nicht darum, dass Migranten eine Mehrheitsgesellschaft überfremden. Pizza und Döner* wurden freiwillig und gerne übernommen. Und genauso gibt es zahlreiche Quellen, die die Hinwendung von Romanen zu den entstehenden Herrschaftsstrukturen der 'Barbaren' beschreiben. In der populären Darstellung wird das leider oft nicht von dem populistischen Unsinn von der Überfremdung oder gar "Umvolkung" abgesetzt.

Klar, Sidonius Apollinaris wollte wie Cicero das alte festhalten. Doch ich bezweifele, dass er die Mehrheitsmeinung wiedergibt, zumal den Romanen Sprache, Religion und auch ihr Recht erlaubt blieb. Kulturelle Zwangsvereinnahmung sieht anders aus. Und auch bei Sidonius war das Gejammerei über den Knoblauch sicher nicht ganz ehrlich, wie wir es modern aus der alten Bundesrepublik der 70er und 80er kennen.

Warum schreibe ich das so ausführlich? Mir wird hier im Thread weder genau genug hingeschaut noch wird der Begriff Revisionismus klar genug abgegrenzt. Daher stehe ich dem Thread etwas ratlos gegenüber.

Einerseits muss Wissenschaft ihre Theorien immer wieder überprüfen und anpassen, wobei auch alte Argumente berücksichtigt werden müssen. Auf der anderen Seite steht das politische Bestreben nach bestimmten Zuständen, seien es reaktionäre, konservative, progressive oder Schreckensvisionen, denen Historiker sich oft anschließen und dann entsprechende Akzente setzen, leichte Ungenauigkeiten verbreiten oder regelrechte Geschichtsklitterung vornehmen.

Ich habe das Gefühl, dass hier einige zu verschiedensten Erscheinungen schreiben und teils so getan wird, als ob es diese Unterschiede nicht gäbe.

* Moltke beschrieb den schon im 19. Jahrhundert in seinem Werk über seine Zeit in der Türkei, bei dem sich übrigens Karl May stark bediente. Soviel zu den Legenden zur Entstehung im Istanbul der 20/30er oder Berlin der 60/70er Jahre. Moltke 1836: „Unser Mittagsmahl nahmen wir ganz türkisch beim Kiebabtschi ein. […] Dann erschien auf einer hölzernen Scheibe der Kiebab oder kleine Stückchen Hammelfleisch, am Spieß gebraten und in Brotteig eingewickelt, ein sehr gutes, schmackhaftes Gericht.“
 
Einerseits muss Wissenschaft ihre Theorien immer wieder überprüfen und anpassen, wobei auch alte Argumente berücksichtigt werden müssen.
Klar, das muss so sein, sonst ist kein Fortschritt möglich.

Auf der anderen Seite steht das politische Bestreben nach bestimmten Zuständen, seien es reaktionäre, konservative, progressive oder Schreckensvisionen, denen Historiker sich oft anschließen und dann entsprechende Akzente setzen, leichte Ungenauigkeiten verbreiten oder regelrechte Geschichtsklitterung vornehmen.
Und genau das ist meine Beobachtung. Wer lange genug lebt oder sich ein wenig mit der bundesrepublikanischen Geschichte auskennt, dem kann nicht entgehen, dass sich die Gesellschaft seit Mitte der 1980er Jahren von einer verhältnismäßig permissiven der 1970er, zunehmend zu einer alles kontrollieren-wollenden* entwickelt, gemäß der Maxime Kohls von 1981, es müsse ins Land wieder eine „geistig-moralische Wende“ einkehren. Damit traf er den Nerv der Zeit, denn ein paar Jahre später war er Bundeskanzler.

Diese „geistig-moralische Wende“ dauert jetzt schon 40 Jahren und es ist kein Ende in Sicht. Und weil Historiker ein Teil der Gesellschaft sind, denken und fühlen sie wie diese Gesellschaft, d.h. im Zweifel eher reaktionär oder konservativ statt progressiv.

* mir fällt gerade kein besserer Begriff ein :(
 
Solche Verschubladisierungen sind nicht wirklich hilfreich. Ein Wissenschaftler ist zunächst einmal ein Wissenschaftler und man sollte sich nicht erheben zu behaupten, dass Wissenschaftler zu tumb seien, ihre eigene politische Verortung unterhinterfragt zu lassen. Es gehört zum Kern der Geisteswissenschaften, sich seiner subjektiven Positionierung bewusst zu machen und somit zu einer intersubjektiven Einschätzung der Sachverhalte zu kommen, wohlwissend, dass absolute Objektivität das nicht erreichbare Ideal ist.
Dass Wissenschaftler auch nur Menschen mit menschlichen Schwächen sind, die ihre Stellung als Wissenschaftler beabsichtigt oder unbeabsichtigt dazu nutzen, einer Aussage ein bestimmtes Gewicht zu geben - also ad verecundiam argumentieren - kommt immer mal wieder vor, erfährt aber im wissenschaftlichen Diskurs auch die entsprechende Zurückweisung. Sich über die Masse der Fachwissenschaftler zu erheben und zu glauben, alle seien zeitgebunden* und man selber sei der einzige, der klarsieht, ist ein bisschen vermessen.

*Historiker befassen sich gewissermaßen beruflich mit der Zeitgebundenheit und dekonstruieren sie daher andauernd.
 
Und in die Richtung wollte ich. Aber vorher wollte ich wissen, worum es Dion geht.

@Dion :
Zunächst einmal: Wieso muss es progressiv sein? Konversativ ist genauso legitim wie und dazu rationaler als progressiv. Anders gesagt: Akzeptiere doch mal, dass es andere legitime Ansichten gibt als deine, die nur eine Meinung unter anderen ist. Sonst weiß ich nicht, was du in einem Diskussionsforum willst.

Dann: Mit einer Verschwörungstheorie, die die Gesellschaft insgesamt als Verschwörer sieht, hatte ich nicht gerechnet. Klar, die Zeiten haben sich geändert. Das tun sie immer. Dir gefällt das nicht. Das geht vielen so. Mir gefällt auch nicht alles. Wer Veränderungen ablehnt und das alte bewahren möchte wie du wird gewöhnlich konservativ genannt. Wer es unverändert bewahren will, ist in der Regel reaktionär.

In jedem Fall ist es kein Geschichtsrevisionismus, wenn ein Historiker, wie El Quijote das darstellt, Geschichte mit der eigenen Überzeugung sieht. Wie ich schon schrieb, geht das von unbedenklicher Akzentuierung, die einfach dazu gehört, bis zu sehr bedenklicher Geschichtsklitterung.

Geschichtsrevisionismus ist in meinem Verständnis, wenn mit unzureichenden Gründen oder ganz ohne eine alte Interpretation bevorzugt wird und mit den zur Verfügung stehenden Mitteln durchgedrückt werden soll.

Die Darstellung des Arminius als römischer Offizier und Verräter ist widerlegt. Wird das von unbedarften Doku-Machern so dargestellt, ist das ein peinlicher Fehler, weil das schon in für ein breiteres Publikum geeigneten Werken dargestellt wurde. Wenn Studienräte das herunterbeten, ist es, jedenfalls wenn sie informiert sind, häufig Geschichtsklitterung um einen vermeintlichen Helden zu dekonstruieren und vielleicht den Effekt zu zeigen, dass bei näherer Betrachtung kein Held übrig bleibt. Es gehört zu dem Thema Lügen für den Unterricht und ist in dem Fall vielleicht gerade noch als nicht zu bedenklich zu vertreten. Wenn aber ein Kultusministerium oder ein Programmdirektor das durchdrücken, weil es bloß politisch opportun ist, wäre das Geschichtsrevisionismus. Ohne Rücksicht auf die Wissenschaft würde eine veraltete Ansicht durchgedrückt.

Aber genau das sehe ich hier nicht und ich sehe es auch nicht weit verbreitet in unserer Gesellschaft, schon gar nicht bei Historikern. Politiker aller Parteien bilden eine Ausnahme sobald es ihnen nützt. Aber diese Ausnahme ist zeitlos.
 
Konversativ ist ... rationaler als progressiv.
Ich kenne da eine ganze Menge Leute, die das freudig bejahen würden und eine ganze Menge Leute die dem vehement widersprechen würden. In beiden Lagern gibt es wiederum eine Menge kluger (und auch nicht so kluger) Leute. Die Affirmation bzw. der Widerspruch zu dieser Aussage wäre aber wiederum an die eigene politische Position gebunden.
 
Vor einigen Jahren lief auf ARD oder ZDF Doku zu den Nibelungen. Als einziger Fachmann zu den Nibelungen kam der Germanist Joachim Heinzle zu Wort. Der hat sich in seinen Publikationen sehr explizit gegen die in fachwissenschaftlichen Kreisen allenfalls marginal in der öffentlichen Perzeption aber stark vertretene Interpretation des Nibelungenliedes als Erinnerung an die Varusschlacht ausgesprochen, wie es von Höfler und Dem Grafen von Schaumburg Lippe populär gemacht wurde.
Obwohl Heinzle der einzige interviewte Experte zum Thema war (und sich im Rahmen der Doku nicht zum Varusschlachtkomplex äußerte) war die Hauptthese der Doku, dass das Nibelungenlied eine Reminiszenz an die Varusschlacht sei.
So viel zu Dokus und den in sie integrierten Experteninterviews.

Ich habe bei vielen Geschichtsdokus den Eindruck, dass die Macher der Dokus ein bestimmtes Narrativ im Kopf haben. Die zu Rate gezogenen Historiker sind in vielen Fällen durchaus keine Kronzeugen für dieses Narrativ. In ihren Publikationen haben sie häufig ganz andere Thesen vertreten. Da wird dann in den Dokus viel geschnitten, bis es zum Narrativ passt.

Besonders "berüchtigt" sind in diesem Zusammenhang die Dokus von Terra X.
 
Die Darstellung des Arminius als römischer Offizier und Verräter ist widerlegt.
Traditionell wurde Arminius immer als strahlender Held dargestellt. Ich hab ihn von hercen lip schrieb Luther.* Sein Schwiegervater Segestes war über Jahrhunderte als Verräter verschrien. Ob Arminius ein Verräter war, ist wohl die Frage, ob man das ganze aus römischer oder aus germanischer Perspektive betrachtet, daher kann etwas, was im Diskurs 500 lang kaum artikuliert wurde und was von der Perspektive abhängt, kaum ‚widerlegt‘ sein. Ob er römischer Offizier war? Das einzige Zeugnis dazu ist die Äußerung von Velleius Paterculus, der ihn als adsiduus militiae nostrae prioris comes bezeichnet. Aufgrund dieser Stelle und dem nachfolgenden iure etiam civitatis Romanae decus equestris consecutus gradis ist viel über Arminus‘ Leben spekuliert worden und diese Spekulationen haben als Faktoide ihr Eigenleben entwickelt. Dass es sich eben um Faktoide und nicht um Fakten handelt, widerlegt sie nicht. Man kann allenfalls darauf hinweisen, dass es sich nicht um Tatsachen, sondern nur um mehr oder weniger gut begründete Spekulationen handelt, die als Fakten wiederzugeben sich verbietet.

*ich zitiere aus der Erinnerung, also bitte nicht die historisierende Rechtschreibung zu genau nehmen.

Wenn aber ein Kultusministerium oder ein Programmdirektor das durchdrücken, weil es bloß politisch opportun ist, wäre das Geschichtsrevisionismus. Ohne Rücksicht auf die Wissenschaft würde eine veraltete Ansicht durchgedrückt.
Unabhängig vom Thema, würdest du so etwas in keinem Lehrplan finden. In Lehrplänen finden sich keine für den Schulbetrieb verbindlichen historischen Vorinterpretationen. Das widerspräche auch ganz nebenbei dem Überwältigungsverbot. Der Geschichtsunterricht soll Schüler befähigen, sich kritisch mit Quellen und auch mit fremden Geschichtsinterpretationen auseinanderzusetzen, damit sie diese Techniken im späteren Leben einsetzen können und nicht alles glauben, was man ihnen erzählt. Historisches Allgemeinwissen, dass man dann mit 50 bei einem Glas Wein auf einer Party zum Besten geben kann, ist nicht das Ziel des Geschichtsunterrrichts.
 
In der populären Darstellung wird das leider oft nicht von dem populistischen Unsinn von der Überfremdung oder gar "Umvolkung" abgesetzt.
Die Populisten sprechen in einfacher Sprache, ein intellektueller Salonfaschist spricht vielleicht besser von "Pseudomorphose" oder "farbiger Weltrevolution". Gefährlicher Unsinn bleibt es trotzdem.

Kurz und knapp: Das Hauptproblem, das ich bei Alexander Demandt sehe, ist sein ständiger Rekurs auf Oswald Spengler oder wenigstens auf Spengler'sche Denkfiguren.
Demandt kommt diesbezüglich zu erstaubnlichen Neubewertungen, etwa dazu, dass Spengler gar kein Rassist und nicht mal ein Konservativer gewesen sei.
 
Der Geschichtsunterricht soll Schüler befähigen, sich kritisch mit Quellen und auch mit fremden Geschichtsinterpretationen auseinanderzusetzen, damit sie diese Techniken im späteren Leben einsetzen können und nicht alles glauben, was man ihnen erzählt.

Problematischer Weise allerdings (wie ich finde, jeedenfalls) i.d.R. mit vorselektierten Quellen, die dann in Teilen nur bestimmte Interpretationen zulassen, jedenfalls sind die Lehrwerke die benutzt werden ja in der Regel so aufgebaut, während wirklich eigenständiges Erschließen von Quellen/Literatur durch Gang in eine Bibliothek oder ein Archiv kaum oder nicht stattfindet.
Ein weiteres Problem sehe ich in der Hinsicht bei Vergleichsklausuren, deren Schema zur Punktevergabe sich mitunter daran orientiert, dass der Schüler aus dem ihm zur Verfügung gestellten Material dies oder das erkannt habe.

Bei allem heheren Anspruch, so viel Vermittlung von Arbeitstechniken sehe ich da nicht so unbedingt und durch die Vorselektion von Quellen sehe ich auch durchaus eine Festlegung der Schüler auf bestimmte Deutungsweisen, wobei das, so viel muss ich dem beigeben, in der Regel nicht so krass ist, dass man es als "Einpeitschen" eines bestimmten Narrativs bezeichnet werden könnte.

Mir ist dabei natürlich klar, dass die Möglichkeiten eingeschränkt sind, schon durch die knappe Bemessung der Unterrichtszeit, im Besonderen außerhalb der Leistungskurse der Sekundarstufe 2.

Hinter dem selbstgesteckten Ziel, Schüler zu ernsthaftem eigenständigem Arbeiten zu befähigen und nicht einfach nur bestimmte Sichtweisen zu vermitteln (auch wenn das häufig mehr als eine Mögliche ist), bleibt man, jedenfalls meinem Empfinden nach Meilen weit zurück.
 
Problematischer Weise allerdings (wie ich finde, jeedenfalls) i.d.R. mit vorselektierten Quellen, die dann in Teilen nur bestimmte Interpretationen zulassen, jedenfalls sind die Lehrwerke die benutzt werden ja in der Regel so aufgebaut, während wirklich eigenständiges Erschließen von Quellen/Literatur durch Gang in eine Bibliothek oder ein Archiv kaum oder nicht stattfindet.
Die Aufgabe des Geschichtsunterrichts ist nicht, Schüler zu Historikern auszubilden. Es ist aber in der Tat für die Geschichtslehrer, die mehr Historiker als Pädagogen und Didaktiker sind, oft mit Herzbluten verbunden, was man als didaktische Reduktion bezeichnet. Aber du hast eben nur 45 (oder 90) Minuten Zeit, insgesamt max. 135 Minuten/Woche für den Geschichtsunterricht (der außerhalb des Gymnasiums oft kein Geschichtsunterricht ist, sondern außerdem noch Politik und Sozialwissenschaftenumfasst)
Idealerweise gelingt es dem Lehrer mit Hilfe kognitiver Dissonanzen die Schüler dahinzubekommen, dass sie ein Problem identifizieren und daraus eine diesbezügliche Fragestellung entwickeln, um quasi intrinsisch motiviert zum Quellenstudium aufzubringen.
Beispielsweise zeigst du ein Bild von der Montagsdemonstration vom 4. Dezember 1989 wo Transparente á la „Kommt die D-Mark nicht nach hier, gehen wir zu ihr“ neben Transparenten, welche eine eine Reform des Sozialismus und ein Fortbestehen zweier nunmehr befreundeter deutscher Staaten postulieren. Diese sich widersprechenden Forderungen der Demonstrationsteilnehmer provozieren eine kognitive Dissonanz, welche die Schüler hoffentlich die Frage aufwerfen lässt, zu der du als Lehrer die entsprechende Textquelle vorbereitet hast.

Hinter dem selbstgesteckten Ziel, Schüler zu ernsthaftem eigenständigem Arbeiten zu befähigen und nicht einfach nur bestimmte Sichtweisen zu vermitteln (auch wenn das häufig mehr als eine Mögliche ist), bleibt man, jedenfalls meinem Empfinden nach Meilen weit zurück.
Zumindest bis zur Verbeamtung der Lehrer sollte dies nicht passieren, denn im Referendariat und auch noch danach müssen Lehrer ständig ihre didaktischen Entscheidungen zunächst gegenüber Ausbildungslehrern und Fachleitern, und nach dem zweiten Staatsexamen im Verbeamtungsprozess gegenüber dem Schulleiter rechtfertigen.
 
Ich kenne da eine ganze Menge Leute, die das freudig bejahen würden und eine ganze Menge Leute die dem vehement widersprechen würden. In beiden Lagern gibt es wiederum eine Menge kluger (und auch nicht so kluger) Leute. Die Affirmation bzw. der Widerspruch zu dieser Aussage wäre aber wiederum an die eigene politische Position gebunden.

In diesem Fall ist das einfach adressatenabhängig formuliert.
 
Dass Wissenschaftler auch nur Menschen mit menschlichen Schwächen sind, die ihre Stellung als Wissenschaftler beabsichtigt oder unbeabsichtigt dazu nutzen, einer Aussage ein bestimmtes Gewicht zu geben - also ad verecundiam argumentieren - kommt immer mal wieder vor, erfährt aber im wissenschaftlichen Diskurs auch die entsprechende Zurückweisung.
Klar, im wissenschaftlichen Diskurs wird Solches zurückgewiesen, aber das dringt gewöhnlich nicht an die breite Öffentlichkeit, es sei denn, jemand von außerhalb stößt sich daran und macht es bekannt – siehe Historikerstreit.

Sich über die Masse der Fachwissenschaftler zu erheben und zu glauben, alle seien zeitgebunden* und man selber sei der einzige, der klarsieht, ist ein bisschen vermessen.
Dass ich der einzige bin, der klar sieht, habe ich nie behauptet, denn wir alle, also auch ich und Wissenschaftler aller Disziplinen, sind Kinder der Zeit.

Aber darüber gibt es offenbar keine Einigkeit, denn
Wenn aber ein Kultusministerium oder ein Programmdirektor das durchdrücken, weil es bloß politisch opportun ist, wäre das Geschichtsrevisionismus. Ohne Rücksicht auf die Wissenschaft würde eine veraltete Ansicht durchgedrückt.

Aber genau das sehe ich hier nicht und ich sehe es auch nicht weit verbreitet in unserer Gesellschaft, schon gar nicht bei Historikern.
Historiker sind demnach weniger anfällig für Geschichtsrevisionismus als Nichthistoriker. o_O

Konversativ ist genauso legitim wie und dazu rationaler als progressiv.
Das habe ich nie Abrede gestellt. Aber ich habe meine Meinung dazu und die äußere ich auch.

Akzeptiere doch mal, dass es andere legitime Ansichten gibt als deine, die nur eine Meinung unter anderen ist.
Ich akzeptiere ja, dass es auch andere Meinungen gibt – aber wenn gesagt wird, diese oder jene Ansicht ist konservativ oder gar reaktionär, gibt es Zoff, weil kaum jemand die Bezeichnung konservativ bzw. reaktionär für sich oder für seine Meinung akzeptiert. :(

Die Darstellung des Arminius als römischer Offizier und Verräter ist widerlegt.
Ja? Ist sie das?

Besonders "berüchtigt" sind in diesem Zusammenhang die Dokus von Terra X.
Ja? Sind sie das?

Ich habe diesen Eindruck nicht, denn man muss immer berücksichtigen, wann solche Dokus produziert worden sind.

Ich habe hier vor kurzem einen Link auf eine Doku zur Varusschlacht gepostet, in der eine Reihe (es waren 7 oder 8) angesehener Archäologen und Historiker zu Wort kamen. Aber die Doku wurde im Jahr 2009 publiziert, d.h. wahrscheinlich im Jahr 2008 produziert. Eine 15 Jahre alte Dokumentation kann nur bringen, was damals Stand der Forschung war. Es ist auch möglich, dass die neuere Forschung – z.B. die von Steuer – nicht berücksichtig worden ist, weil diese noch nicht publiziert/etabliert war oder gar von den befragten Wissenschaftlern abgelehnt wurde.

Unabhängig vom Thema, würdest du so etwas in keinem Lehrplan finden. In Lehrplänen finden sich keine für den Schulbetrieb verbindlichen historischen Vorinterpretationen.
So viel ich weiß, müssen Schulbücher vom Kultusministerium genehmigt werden, und da kann es schon sein, dass Schulbücher mit Inhalten, die einer bestimmten Partei oder vielmehr dem Zeitgeist nicht (mehr) genehm sind, nicht (mehr) genehmigt werden.
Damit kann Politik einiges beeinflussen – siehe z.B. die „geistig-moralische Wende“. :D
 
Traditionell wurde Arminius immer als strahlender Held dargestellt. Ich hab ihn von hercen lip schrieb Luther.* Sein Schwiegervater Segestes war über Jahrhunderte als Verräter verschrien. Ob Arminius ein Verräter war, ist wohl die Frage, ob man das ganze aus römischer oder aus germanischer Perspektive betrachtet, daher kann etwas, was im Diskurs 500 lang kaum artikuliert wurde und was von der Perspektive abhängt, kaum ‚widerlegt‘ sein. Ob er römischer Offizier war? Das einzige Zeugnis dazu ist die Äußerung von Velleius Paterculus, der ihn als adsiduus militiae nostrae prioris comes bezeichnet. Aufgrund dieser Stelle und dem nachfolgenden iure etiam civitatis Romanae decus equestris consecutus gradis ist viel über Arminus‘ Leben spekuliert worden und diese Spekulationen haben als Faktoide ihr Eigenleben entwickelt. Dass es sich eben um Faktoide und nicht um Fakten handelt, widerlegt sie nicht. Man kann allenfalls darauf hinweisen, dass es sich nicht um Tatsachen, sondern nur um mehr oder weniger gut begründete Spekulationen handelt, die als Fakten wiederzugeben sich verbietet.

*ich zitiere aus der Erinnerung, also bitte nicht die historisierende Rechtschreibung zu genau nehmen.


Unabhängig vom Thema, würdest du so etwas in keinem Lehrplan finden. In Lehrplänen finden sich keine für den Schulbetrieb verbindlichen historischen Vorinterpretationen. Das widerspräche auch ganz nebenbei dem Überwältigungsverbot. Der Geschichtsunterricht soll Schüler befähigen, sich kritisch mit Quellen und auch mit fremden Geschichtsinterpretationen auseinanderzusetzen, damit sie diese Techniken im späteren Leben einsetzen können und nicht alles glauben, was man ihnen erzählt. Historisches Allgemeinwissen, dass man dann mit 50 bei einem Glas Wein auf einer Party zum Besten geben kann, ist nicht das Ziel des Geschichtsunterrrichts.


Zur Biographie des Arminius sagt Reinhard Wolters, Die Schlacht im Teutoburger Wald das Nötige. Die Bezeichnung von Erfindungen, unzulässigen Schlüssen und Hilfshypothesen als Faktoide samt petitio, dass für diese andere Regeln gelten sollen,ist eine unzulässige und nicht zutreffende Hilfshypothese. Da somit gezeigt wurde, dass der Rückhalt in den Quellen fehlt, ist die Theorie widerlegt. Abgesehen davon stehen die zeitlichen Angaben der Quellen jenen Biographien rein faktisch im Weg.

Die Ritterwürde allein begründet keine Treueverpflichtung gegenüber Rom.

Dir sollte eigentlich klar sein, dass ich den Konjunktiv statt nutze, um etwas irreales zu beschreiben.Deine Unterstellungen gegen Ende, ob beabsichtigt oder nicht, weise ich zurück. Du weißt, dass ich die Quellen und den Großteil der Literatur dazu gelesen habe und mich hier im Forum immer wieder zu Fragen der Argumentation äußere, angesichts der Plattform auf vereinfachte Art und Weise, und dass von mir auch neue Vorschläge kommen.

(Es mag sein, dass du das nicht wolltest, aber du deutest an, dass ich halbvergessenes Schülerwissen zum Zeitvertreib zum Besten gebe. Das lässt mir keine Wahl, als das zurückzuweisen.)

Das Überwältigungsverbot ist meiner Erfahrung nach eine fromme Legende. Aber das bezweifelst du ja immer wieder. Nun, ich habe es mehrfach erlebt und ein Beispiel reicht für die Widerlegung. Dass du dass dann nicht glaubst, ist irrelevant für die Welt.

Aber nochmal: Der Konjunktiv zeigt deutlich, dass da von mir ein irreales Beispiel zur Verdeutlichung genommen wurde. Du weißt schon: wäre statt war.
 
Zurück
Oben