Man muss eine Quelle nicht immer gleich verwerfen, weil eine Passage deutlich erstunken und erlogen ist. Man nehme die Pilgerfahrt des niederrheinischen Ritters Arnold von Harff ins Hl. Land. Die Niederschrift ist akkurat, er berichtet, wie weit es zwischen verschiedenen Etappenzielen ist, oder wo er sich über Zollwucher geärgert hat etc. Zudem ist die Niederschrift auch ein sprachlicher Fundus, weil Harff ähnlich einem modernen Reiseführer auch immer die wichtigsten Begriffe für den Reisenden mit aufführt, die Zahlen 1 - 20, was kostet das Brot, der Wein, oder hey schönes Mädchen, kumm bij mir slafen. In Ägypten dann, nachdem er sich lang über zwei deutsche Bedienstete im Sultanspalast ausgelassen hat, biegt Harff plötzlich nach Süden ab und begegnet Einbeinern, Kopffüßern und anderen grotesken Wesen, die man auf OT-Karten i.d.R. am rechten Rand findet. Auffällig ist dabei allerdings, dass sich sein Berichtsstil verändert, keine Meilenangaben und kein Sprachführer mehr. Trotz dieses unglaubwürdigen Einschubs ist der Pilgerbericht eine der interessantesten Quellen aus dieser Gattung.
Ansonsten, um wieder zur römischen Geschichtsschreibung zurückzukehren, gibt es natürlich Dinge, die berichtet werden, die den Naturgesetzen widersprechen oder eindeutig interessegeleitet sind. Nehmen wir einen vollbekleideten Mann, der vom Schiff ins Wasser fällt und, ohne dass die Papyri in seiner Hand beschädigt werden, ans Ufer schwimmt. Physikalisch unmöglich. Hinzu kommen die Interessen des Autoren. Tacitus, der ja für sich in Anspruch nimmt, sine ira et studio zu schreiben, macht das beim Totengericht des Augustus recht geschickt. Er lässt beide Seiten zu Wort kommen, Augustus' Fans wie seine Gegner. Ist doch ausgewogen, möchte man meinen. Doch Tacitus komponiert das ganze so, dass die Augustusbefürworter zuerst sprechen, dann die Gegner, die zudem die doppelte Menge an Raum bekommen. Am Ende ist alles Lob für Augustus relativiert und die Vorwürfe der Gegner bleiben unwidersprochen. Es kann auch derselbe Sachverhalt positiv oder negativ dargestellt werden. Und manchmal haben wir ja auch die klare Diskrepanz zw. zwei Lagern offen zutage getreten. Ich denke da beispielsweise an den kastilischen König Peter, der in der Historiographie der Traditionslinie des Adels bzw. seines illegitimen Bruders, Mörders und Nachfolgers als 'der Grausame', in der städtischen Geschichtschreibung jedoch als 'der Gerechte' apostrophiert wird.