Gräber, Gene & Langobarden

Reinecke

Aktives Mitglied
Vielleicht wurde das schon verlinkt, bin aber bei meiner Suche im Forum auf nichts gestoßen.

Durch einen F.A.Z..Artikel bin ich auf eine interessante Studie von September diesen Jahres gestoßen. Anhand von Gen-Vergleiche von je einem Friedhof in Pannonien & Italien, die beide archäologisch mit den Langobarden in Verbinduing gebracht werden, wurde untersucht, inwiefern sich eine genetische Verwandschaft nachweisen lässt. Auch wenn sich die Macher der Studie wohl davor hüten, schon abschließende Folgerungen zu ziehen, scheint es eine solche gegeben zu haben.

Ich hab die Sudie selber noch nicht gelesen (liegt als Ausdruck aber schon neben dem Bett), hört sich aber interessant an.

Die Studie: Understanding 6th-century barbarian social organization and migration through paleogenomics

Den F.A.Z.-Artikel findet von gestern (22.12.2018) findet man unter dem netten Titel "Aber diese Fremden da sind nicht von hier".
 
Eine genetische Idenitifizierung der Langobarden kann ich erst dann ernst nehmen, wenn es gelingt die Langobarden genetisch von Sachsen, Gepiden und Goten zu unterscheiden.
 
An entsprechenden aDNA-Analysen von Gruppen aus Gräberzuordnungen ist man schon dran:

A genetic perspective on Longobard-Era migrations

aus dem Artikel im European Journal of Human Genetics:
CF651C65-F4BF-4C93-8A7F-D394B81EF6FC.jpeg
 
Hat sich mal jemand in letzter Zeit den Wiki-Eintrag über Langobarden angesehen ?
Langobarden – Wikipedia
Ich möchte die Aufmerksamkeit auf den Unterabschnitt "Genetik" lenken. Ich glaube, der ist relativ neu. Wahrscheinlich beweist die Genetik die Richtigkeit der Origo Gentis Langobardorum ?!
Sehr interessant ist auch die zweite genetische Untersuchung mit den drei Gräbern auf einem alemannischen Friedhof.
 
Dieselben Effekte können leider auch durch den Engpass eines Traditionskerns entstehen, bei dem nur ein bestimmter Teil der Genvariabilität einer Gruppe weitergegeben wird. Das kann immer passieren, wenn nur ein Teil einer Gruppe Gene weitergibt, also auch, wenn nur eine Art Traditionskern abwandert, und ist altbekannt und entspricht ganz einfach der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Ob das hier zutrifft geht aus den Angaben bei Wikipedia nicht hervor.

Auch die materiellen Funde im Allemannengebiet stammen mit Lücken aus dem gesamten Barbaricum.
 
Das habe ich jetzt nicht verstanden. Warum leider? Und geht es denn hier nicht um Abstammungsgemeinschaften anstelle von Traditionskernen, oder wie sollte man das Verhältnis zwischen den beiden Konzepten sehen?
 
Das 'leider' bezieht sich bloß auf die menschliche Vorliebe für schöne Geschichten.

Ein langobardischer Traditionskern hat seinen Ursprung ja nolens volens bei den Langobarden. Demnach würde ein Flaschenhals entstehen, der dann mit anderer DNA angereichert wird wie bei Einwanderung einer kleinen Gruppe in ein nicht zu stark besiedeltes Gebiet.

Die Wahrscheinlichkeit bedingt bei kleinen Gruppen nun eine abweichende Zusammensetzung der Gene als in der Ursprungsgruppe. Wenn skandinavisches Material in Pannonien und Italien festgestellt wird, heißt das noch lange nicht, dass das auch für den Bardengau gilt, um es schneller auszudrücken.

Wenn aber die Gene sich bei genügenden Daten entlang des 'Langobardenwegs' gleichartig ausbreiten ist ein Traditionskern gemäß der traditionellen und strengen Sicht der Ethnogenese äußerst unwahrscheinlich*. Da nun Peter Heather die Notwendigkeit zu einer Modifizierung teils empirisch, teils aus Schriftquellen und teils logisch** nachgewiesen hat und einige Vorschläge für eine flexiblere Anpassung machte, ist das kein großes Problem. Die Behauptung des Zurückgehens davor trifft ja nicht zu. Es gibt einfach nur mehr Verhaltensmöglichkeiten, was beim Menschen im Gegensatz zur Physik auch .Ockhams Rasiermesser entspricht. Bekanntlich hat sich der Strukturalismus ja daran abgearbeitet, dass es zwar unterschiedliche menschliche Verhaltensweisen gibt, aber sie doch in Modelle zusammenzufassen sind, die ohne Zusammenhang weltweit auftreten können.

Und damit müssen die Konzepte, wie ich es schon tat, in Zusammenhang gebracht werden. Denn wenn sie sich widersprechen, kann nur eine gelten. Die Systeme erklären zwar verschiedene Aspekte, können dadurch aber eben auch die andere Theorie unmöglich machen, bzw. auch angenommene Strukturen widerlegen.

Leider sind die Erklärungen bei Wikipedia äußerst kryptisch. Ist etwa mit Mitteleuropa das Gebiet an der Elbe gemeint, Pannonien oder irgendwas dazwischen? Wenn der Tenor stimmt und die Zusammensetzung der DNA von Skandinavien bis Italien keine Anzeichen eines Flaschenhalses aufweist, ist mehr als eine kleine Gruppe die ganze Strecke gewandert.

Anders gesagt: Auch wenn wir Strukturen in den Vordergrund stellen, dürfen sich die Regeln und Strukturen nicht widersprechen. Bei der Frage, wer umherzog, handelt es sich ja um denselben Wirklichkeitsbereich.

Ginge es nur um konkrete Abstammungslinien und die Herstellung eines Zusammenhangs zwischen bestimmten Gebieten wäre das z.B. schon anders gelagert.

* Weil zwei gleiche Stichproben dabei unwahrscheinlich wären.
** Die Theorie nutzte soziologische Theorien z.B. zur Migration, die seit Jahrzehnten überholt sind. Argumentativ braucht es daher Anpassungen.
 
Die frühmittelalterlichen Autoren beschreiben das Langobardenreich als ein mulitethnisches Konsortium. Neben den Langobarden waren auch noch Sachsen, Sueben, Bulgaren, Sarmaten, Pannonier und Noriker am langobardischen Unternehmen in Italien beteiligt.
Vor den Langobarden gab es auch noch die Ostgoten in Italien und davor Odoaker mit seinem bunt zusammengewürftelten Heerhaufen aus Herulern, Skiren, Thüringern usw.

Wenn man jetzt irgendwelche Gräber aus der Langobardenzeit untersucht, kann man doch nie wissen, ob es wirklich ein Langobarde war - selbst wenn eine genetische Untersuchung auch eine Abstammung aus Nord-, Ost- oder Mitteleuropa hinweist.

Die Indentifizierung von Gräbern als langobardisch ergibt sich vor allem aus der Datierung. So kann man zumindest Ostgoten und Langobarden auseinanderhalten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn aber die Gene sich bei genügenden Daten entlang des 'Langobardenwegs' gleichartig ausbreiten ist ein Traditionskern gemäß der traditionellen und strengen Sicht der Ethnogenese äußerst unwahrscheinlich.
Ehrlich gesagt finde ich es auch schwierig, Deinem Beitrag im Einzelnen zu folgen. Mit dem Flaschenhals hat es meinem Verständnis nach Folgendes auf sich: Wenn nur eine kleine Gruppe relativ nahe Verwandter einmal in Nordeuropa aufgebrochen ist und sich zu einem großen Stamm entwickelt, kann die genetische Vielfalt von deren im Süden lebenden Nachkommen geringer sein als die genetische Vielfalt der Bevölkerung im Norden. Wenn dagegen die Bevölkerung des Nordens in einer allgemeinen Wanderungsbewegung langsam in den Süden expandiert, gibt es diesen Flaschenhalseffekt nicht.

Hier geht es aber doch um etwas viel Einfacheres: nämlich dass die patrilineare Genanalyse mit der langobardischen Erzählung des Herkommens aus dem Norden übereinzustimmen scheint; auch wenn vielleicht nicht auszuschließen ist, dass in den Gräbern zufällig nicht Mitglieder des dominierenden Verbandes der Langobarden, sondern beispielsweise Noriker beigesetzt wurden, die zunächst einmal aus Osttirol gekommen waren.
 
Vor einiger Zeit habe ich eine Übersetzung der Langobardengeschichte gelesen (Siehe unten, beginnend beim 1.Buch) Dort steht, dass der Stamm im Norden wegen Überbevölkerung das Los gezogen hatte und dass sich dann ein Drittel (!) des Volkes auf Wanderschaft begab. Unter diesen Aspekt wäre dann sowas wie Flaschenhalseffekt durchaus nachvollziehbar.

Historia Langobardorum – Wikipedia
 
Der frühmittelalterliche Chronist Paulus Diaconus ist die erste Schriftquelle, in der die Herkunft der Langobarden aus Skandinavien beschrieben wird. Es ist ziemlich offensichtlich, dass Paulus Diaconus hierbei Motive aus der Gotengeschichte verwendet. Den Goten wurde zuerst die skandinavische Herkunft angedichtet.
Inhaltlich reiht Paulus Diaconus allerlei Sagen aneinander. Die einzelnen Stationen der Wanderung sind kaum lokalisierbar. Bzgl. Skandinavien verweist Paulus Diaconus auf den römischen Plinius den Älteren, der bereits verschiedene Gerüchte über eine "Insel" nördlich von Britannien aufgeschrieben hatte.

Abweichend von Paulus Diaconus existierte im Frühmittealter noch eine andere, etymologisch inspirierte Herkunftssage, überliefert in der Historia Langobardorum codicis Gothani. Demnach stammten die Langobarden ursprünglich vom Fluss "Vindilicus" an der äußesten Grenze Gallien. Von diesem Fluss hätten die Winniler ihren Namen. (Isidor von Sevilla führt allerdings noch den Namen der Vandalen auf diesen Fluss zurück.)

Die angelsächsische Dichtung kennt hingegen einen langobardischen Sagenkönig Sceafa, der den Langobarden unbekannt ist. Hier wurde aus der "Insel" Skandinavien anscheinend ein König.

Die antike Geschichtsschreibung zu den Langobarden an der Elbe und ihre kriegerischen Auseinandersetzungen mit Römern, Cheruskern und Markomannen war Paulus Diaconus u.a. anscheinend unbekannt, obwohl darüber schon Tacitus, Strabon u.a.schrieben. Die römische Autoren zählten die Langobarden zu den Sueben, was auch mit einer fragmentarisch überlieferten Herkunftssagen verbunden ist - nämlich das alle Sueben irgendwie von Mannus abstammen und ihr Ursprungsgebiet bei den Semnonen läge.

An langobardischen Herkunftssagen herrscht also kein Mangel.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die frühmittelalterlichen Autoren beschreiben das Langobardenreich als ein mulitethnisches Konsortium. Neben den Langobarden waren auch noch Sachsen, Sueben, Bulgaren, Sarmaten, Pannonier und Noriker am langobardischen Unternehmen in Italien beteiligt.
Vor den Langobarden gab es auch noch die Ostgoten in Italien und davor Odoaker mit seinem bunt zusammengewürftelten Heerhaufen aus Herulern, Skiren, Thüringern usw.

Wenn man jetzt irgendwelche Gräber aus der Langobardenzeit untersucht, kann man doch nie wissen, ob es wirklich ein Langobarde war - selbst wenn eine genetische Untersuchung auch eine Abstammung aus Nord-, Ost- oder Mitteleuropa hinweist.

Die Indentifizierung von Gräbern als langobardisch ergibt sich vor allem aus der Datierung. So kann man zumindest Ostgoten und Langobarden auseinanderhalten.
Dem sei moch hinzuzufügen, dass ethnische Deutungen in Gräberfeldern oft anhand einzelner Grabbeigaben gemacht werden, die typisch für bestimmte Räume sind.
 
Der frühmittelalterliche Chronist Paulus Diaconus ist die erste Schriftquelle, in der die Herkunft der Langobarden aus Skandinavien beschrieben wird. Es ist ziemlich offensichtlich, dass Paulus Diaconus hierbei Motive aus der Gotengeschichte verwendet. Den Goten wurde zuerst die skandinavische Herkunft angedichtet.
Nicht ganz.
Bereits in der Präambel zum "Edictum Rothari" von 643 wird die Herkunft von einer Insel Scandanan im hohen Norden erwähnt.
Auch im 65. Kap. des 3. Buches der fränkischen "Fredegar"-Chronik aus dem 7. Jhdt. steht, dass die Langobarden aus Scathanavia stammen würden, das der Autor allerdings zwischen der Donau und dem Ozean verortete.
Nicht zu vergessen natürlich die anonyme "Origo Gentis Langobardorum" aus dem 7. Jhdt., in der der Ursprung auf einer Insel Scadanan im hohen Norden verortet wird.

Selbst Überbleibsel der guten alten Kimbern und Teutonen sind in Norditalien nicht völlig auszuschließen
Das halte ich für eher unwahrscheinlich (trotz aller Versuche, die Zimbern in Norditalien auf die Kimbern zurückzuführen). Für die Teutonen war ohnehin schon in Gallien Endstation, und die nach Norditalien gelangten Kimbern wurden nach ihrer Niederlage nicht angesiedelt, sondern versklavt und wohl in alle Winde zerstreut.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zurück
Oben