muck
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Hallo zusammen!
Folgende Frage für alle geneigten Foristen:
Sowohl in der Fachliteratur als auch der Populärmediävistik werden zeitgenössische Angaben zu Heeresstärken in den Schlachten des Mittelalters vielfach mit dem Argument angezweifelt, dass die Versorgung und Führung der angegebenen Menschenmassen gar nicht möglich gewesen sei. Auffällig ist hierbei, dass, obwohl auch Zahlen aus der Antike nicht selten für übertrieben gehalten werden, dieses Argument für Altertumshistoriker weniger zu zählen scheint. Jedenfalls habe ich den Eindruck gewonnen, dass die Fachwelt der Antike zumindest größere Heere zutraut als dem Mittelalter.
Warum sollte dies generell so sein?
Hierzu einige Gedanken:
* Führung. Tatsache ist, dass die Kriegskunst nach dem Zusammenbruch Roms gewisse Rückschritte erlebte. Viele Traktate antiker Feldherren bzw. Berichte über deren Strategien wurden erst spät wiederentdeckt und angewandt (z.B. von Tilly im Dreißigjährigen Krieg); häufig liest man, dass Europas Feudalherren etwa den Muslimen oder Mongolen taktisch untergelegen gewesen seien; immer wieder begegnet uns auch die Feststellung (indes mit Gegenbeispielen), dass selbst Ritterheere relativ undiszipliniert agiert hätten. Gleichwohl erschließt sich mir nicht, wieso die Führung eines Heeres im mittleren bis oberen fünfstelligen Bereich im Mittelalter unmöglich gewesen sein sollte; die Unterschiede zwischen als glaubhaft bewerteten Heeresgrößen und den behaupteten wirken nicht notwendigerweise substantiell (z.B. 30.000 vs. 50.000). Nicht zuletzt wird es im Mittelalter wie auch in der Antike Heerführer gegeben haben, die ohne kodifizierten Unterricht fähige Feldherren wurden.
* Ernährung. Im Zusammenhang mit mittelalterlichen Feldzügen begegnen uns oft Berichte (z.B. aus dem Hundertjährigen Krieg), durchziehende Heere hätten ganze Landstriche so gründlich ausgeplündert, dass die Lebensgrundlage der Bewohner ausgelöscht worden sei. Wenn aber ein Landstrich bisher x Bewohner ernährte, die sodann verhungern mussten, warum sollte er nicht auch x Mann Kriegsvolk ernähren können? Gewiss spielen hier andere Faktoren eine Rolle (Jahreszeit, Erntesituation etc.pp.), trotzdem stellt sich mir auch hier die Frage, warum Heeresstärken jenseits der ca. 30.000 als unrealistisch gelten. Zum Vergleich: Ostböhmen (bspw., einzige Zahl, die ich aus dem Stegreif nennen kann) hatte zur Zeit der Hussitenkriege schätzungsweise 80.000 Einwohner.
* Transport. Forscher wie die Azincourt-Expertin Anne Curry (zitiert nach ‚Agincourt 1415‘) glauben, dass Heere mit mehr als zehntausend berittenen Gewappneten im Regelfall unrealistisch seien, da sie viel zu immobil gewesen wären (allerdings nennt sie als Gegenbeispiel kein europäisches Heer, sondern die Mongolen). Hierzu kann ich nicht viel sagen, da ich mich mit Pferden, Ochsen usw. nicht auskenne, bis auf dieses: Mir sind keine Berichte bekannt, dass nach dem Auszug des eigenen Heeres in irgendeinem Land grundsätzlich ein Mangel an Reit- und Lasttieren geherrscht habe. Das muss freilich nichts heißen. Nichtsdestoweniger möchte ich annehmen, dass bei den als realistisch genannten Heeresstärken noch „Luft nach oben“ gewesen ist, zumindest was die Zahl der mitgeführten Lasttiere anging.
* Propaganda. Die vermeintlich übertriebenen Angaben über Heeresstärken zeitgenössischer Autoren werden generell Propagandazwecken zugeordnet. Aber: Wenn die genannten Zahlen so ganz und gar unmöglich gewesen seien, dass sie der Lebenserfahrung klar widersprachen, welche Wirkung konnten sie dann überhaupt entfalten (selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass nur eine Minderheit der Bevölkerung mathematisches Grundwissen besaß, schließlich schrieben die Autoren kaum für diese)?
Das glaubhafteste Argument scheint mir das der Besoldung zu sein (das ironischerweise mir seltener begegnet als das der Logistik). Europaweit scheint es die Norm gewesen zu sein, dass nur bei einem Angriff auf das eigene Territorium dessen Herrscher von Vasallen und Unfreien uneingeschränkte Gefolgschaft bekommen konnte bzw. überhaupt einfordern durfte, hingegen für Feldzüge im Ausland Truppen i.d.R. gedingt werden mussten, was schlicht und ergreifend Geld kostete.
Welches ist Eure Meinung? Unabhängig davon, ob die konkrete Zahl nun in der Forschung oder anhand eines Beispiels vertreten werden kann — bis zu welcher Stärke konnte ein Heer des Hoch- und Spätmittelalters Eurer Meinung nach maximal aufwachsen?
Folgende Frage für alle geneigten Foristen:
Sowohl in der Fachliteratur als auch der Populärmediävistik werden zeitgenössische Angaben zu Heeresstärken in den Schlachten des Mittelalters vielfach mit dem Argument angezweifelt, dass die Versorgung und Führung der angegebenen Menschenmassen gar nicht möglich gewesen sei. Auffällig ist hierbei, dass, obwohl auch Zahlen aus der Antike nicht selten für übertrieben gehalten werden, dieses Argument für Altertumshistoriker weniger zu zählen scheint. Jedenfalls habe ich den Eindruck gewonnen, dass die Fachwelt der Antike zumindest größere Heere zutraut als dem Mittelalter.
Warum sollte dies generell so sein?
Hierzu einige Gedanken:
* Führung. Tatsache ist, dass die Kriegskunst nach dem Zusammenbruch Roms gewisse Rückschritte erlebte. Viele Traktate antiker Feldherren bzw. Berichte über deren Strategien wurden erst spät wiederentdeckt und angewandt (z.B. von Tilly im Dreißigjährigen Krieg); häufig liest man, dass Europas Feudalherren etwa den Muslimen oder Mongolen taktisch untergelegen gewesen seien; immer wieder begegnet uns auch die Feststellung (indes mit Gegenbeispielen), dass selbst Ritterheere relativ undiszipliniert agiert hätten. Gleichwohl erschließt sich mir nicht, wieso die Führung eines Heeres im mittleren bis oberen fünfstelligen Bereich im Mittelalter unmöglich gewesen sein sollte; die Unterschiede zwischen als glaubhaft bewerteten Heeresgrößen und den behaupteten wirken nicht notwendigerweise substantiell (z.B. 30.000 vs. 50.000). Nicht zuletzt wird es im Mittelalter wie auch in der Antike Heerführer gegeben haben, die ohne kodifizierten Unterricht fähige Feldherren wurden.
* Ernährung. Im Zusammenhang mit mittelalterlichen Feldzügen begegnen uns oft Berichte (z.B. aus dem Hundertjährigen Krieg), durchziehende Heere hätten ganze Landstriche so gründlich ausgeplündert, dass die Lebensgrundlage der Bewohner ausgelöscht worden sei. Wenn aber ein Landstrich bisher x Bewohner ernährte, die sodann verhungern mussten, warum sollte er nicht auch x Mann Kriegsvolk ernähren können? Gewiss spielen hier andere Faktoren eine Rolle (Jahreszeit, Erntesituation etc.pp.), trotzdem stellt sich mir auch hier die Frage, warum Heeresstärken jenseits der ca. 30.000 als unrealistisch gelten. Zum Vergleich: Ostböhmen (bspw., einzige Zahl, die ich aus dem Stegreif nennen kann) hatte zur Zeit der Hussitenkriege schätzungsweise 80.000 Einwohner.
* Transport. Forscher wie die Azincourt-Expertin Anne Curry (zitiert nach ‚Agincourt 1415‘) glauben, dass Heere mit mehr als zehntausend berittenen Gewappneten im Regelfall unrealistisch seien, da sie viel zu immobil gewesen wären (allerdings nennt sie als Gegenbeispiel kein europäisches Heer, sondern die Mongolen). Hierzu kann ich nicht viel sagen, da ich mich mit Pferden, Ochsen usw. nicht auskenne, bis auf dieses: Mir sind keine Berichte bekannt, dass nach dem Auszug des eigenen Heeres in irgendeinem Land grundsätzlich ein Mangel an Reit- und Lasttieren geherrscht habe. Das muss freilich nichts heißen. Nichtsdestoweniger möchte ich annehmen, dass bei den als realistisch genannten Heeresstärken noch „Luft nach oben“ gewesen ist, zumindest was die Zahl der mitgeführten Lasttiere anging.
* Propaganda. Die vermeintlich übertriebenen Angaben über Heeresstärken zeitgenössischer Autoren werden generell Propagandazwecken zugeordnet. Aber: Wenn die genannten Zahlen so ganz und gar unmöglich gewesen seien, dass sie der Lebenserfahrung klar widersprachen, welche Wirkung konnten sie dann überhaupt entfalten (selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass nur eine Minderheit der Bevölkerung mathematisches Grundwissen besaß, schließlich schrieben die Autoren kaum für diese)?
Das glaubhafteste Argument scheint mir das der Besoldung zu sein (das ironischerweise mir seltener begegnet als das der Logistik). Europaweit scheint es die Norm gewesen zu sein, dass nur bei einem Angriff auf das eigene Territorium dessen Herrscher von Vasallen und Unfreien uneingeschränkte Gefolgschaft bekommen konnte bzw. überhaupt einfordern durfte, hingegen für Feldzüge im Ausland Truppen i.d.R. gedingt werden mussten, was schlicht und ergreifend Geld kostete.
Welches ist Eure Meinung? Unabhängig davon, ob die konkrete Zahl nun in der Forschung oder anhand eines Beispiels vertreten werden kann — bis zu welcher Stärke konnte ein Heer des Hoch- und Spätmittelalters Eurer Meinung nach maximal aufwachsen?