Aus der NP v0m 16.10.
Hemmingen. 30 Hektar, Platz für 20 000 Mann, möglicherweise mehr. In dem römischen Marschlager, das Archäologen zwischen den Hemminger Ortsteilen Wilkenburg und Arnum gefunden haben, könnten für mehrere Tage zwei komplette Legionen kampiert haben – inklusive Hilfstruppen. Das vermutet Salvatore Ortisi, Römerexperte der Uni Osnabrück, die das Gelände in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Denkmalpflege untersucht.
Bei der einwöchigen Probegrabung im Oktober konnten die Archäologen eindeutig einen bis zu 1,50 Meter tiefen Graben auf dem Acker bei Hemmingen nachweisen. Dieser ist noch im Querschnitt durch Verfärbungen im Untergrund zu erkennen. Mit seiner V-Form sei dieser „ganz charakteristisch“ für ein römisches Marschlager, erklärte Ortisi gestern bei der Vorstellung der ersten Untersuchungsergebnisse.
Hinter dem Graben wurde mit der ausgehobenen Erde ein Wall aufgeschüttet, in den als weiterer Schutz Holzpalisaden gerammt wurden. Jeden Abend seien solche Gräben um die Marschlager errichtet worden, „um vor Überraschungsangriffen sicher zu sein“, so Ortisi. Und jeden Morgen wurden die Lager wieder abgebaut, damit diese nicht den Germanen in die Hände fallen und von diesen zur Verteidigung genutzt werden konnten. Ortisi schätzt, dass das Lager maximal drei Tage lang genutzt wurde. Doch selbst in diesem kurzen Zeitraum haben die Legionäre Spuren hinterlassen.
Mit Sonden haben die Archäologen bereits römische Sandalennägel, eine Pinzette, Fibeln sowie mehrere Münzen gefunden. Vor allem Letztere sind von besonderer wissenschaftlicher Bedeutung, da sich über diese relativ genau bestimmen lässt, in welchem Zeitraum die Römer das Lager in Hemmingen aufgeschlagen haben. Da eine Münze gefunden wurde, die aus den Jahren 3 bis 7 vor Christus stammen muss, kann das Marschlager nicht aus der Zeit der ersten Germanenkriege unter Kaiser Augustus stammen, die dessen Stiefsohn Drusus in den Jahren 12 bis 9 vor Christus anführte. Denkbar ist deshalb sogar, dass es die Legionen des Feldherrn Varus waren, die in dem Lager vor ihrer vernichtenden Niederlage in der Schlacht bei Kalkriese Station machten.
Aber was haben die Römer eigentlich im damals germanischen Hemmingen gemacht? „Vermutlich war der Kampfverband entlang der Leine unterwegs“, sagt Römerexperte Ortisi. Dass der Fluss von hoher logistischer Bedeutung für den Heerverband war, belegt die Tatsache, dass dieser einen – vermutlich damals noch schiffbaren – Altarm der Leine mit in sein Lager integrierte. „Es ging hier wohl auch darum, den Nachschub für die Armee zu sammeln und zu schützen“, sagt Ortisi.
Weil die Legionen im Schnitt 20 Kilometer am Tag marschierten, bevor sie ihr nächstes Lager aufschlugen, geht er davon aus, dass es in der Region weitere gegeben haben muss. „Die Region Hannover war Ziel- und Operationsgebiet“, erklärte Ortisi, der „auch permanente Anlagen“ vermutet. Das Lager in Hemmingen sei „ein Trittstein“ für weitere Untersuchungen.
Unklar ist allerdings noch, wie es weitergeht. „Erst einmal werden die Gruben wieder verfüllt“, sagte Landesarchäologe Henning Haßmann, der auf die Genehmigung von Forschungsmitteln hofft. Damit könnten 2016 deutlich intensivere archäologische Grabungen beginnen.
Stefan Winghart, Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege, macht sich bereits für einen Erhalt der Grabungsfläche stark, auf der Kies abgebaut werden soll. „Der Fund ermöglicht es uns, die Geschichte der Römer in Niedersachsen erheblich deutlicher zu lesen“, sagte er. Die Untersuchung des Geländes werde „einiges an Zeit brauchen“.
Erste Hinweise auf das Lager hatten Luftbildaufnahmen Anfang der 1990er Jahre gebracht, auf denen noch 2000 Jahre danach Spuren der Gräben zu sehen waren. Archäologische Grabungen bestätigten das Lager damals zunächst allerdings nicht. Weitere Luftbilder und deren genauere Analyse erhärteten jedoch den Verdacht und waren Anlass für die jüngsten Grabungen.