Als erwiesen kann wohl gelten, dass sich die Ethnogenese der Protobulgaren im 6./7. Jh. vollzog, und zwar in einem Raum, der in Südrussland etwa zwischen Dnjepr und Wolga lag. Wie überall, wenn neue Völker entstehen, waren auch hier verschiedene Elemente an der Ethnogenese beteiligt. Wie hoch der jeweilige Bevölkerungsanteil war, lässt sich nicht mehr genau sagen, doch bildeten Turkvölker mit Sicherheit den Kern des neuen Volks, wobei Onoguren vielleicht einen entscheidenden Anteil hatten.
Hinzu kommen hunnische Elemente, denn die Hunnen waren im Jahr 454 aus Ungarn in die Schwarzmeer-Steppe abgezogen (Altyn Oba Horde). Um 560 wurden sie von den Awaren besiegt, die aber nach Westen weiterzogen. Die besiegten Reste der Hunnen vermischten sich mit benachbarten türkischen Stämmen und aus dieser Fusion – Turkstämme + Hunnen – gingen vermutlich die Protobulgaren hervor.
Arbeiten einiger bulgarischer Wissenschaftler (z.B. Petar Dobrew), welche die Protobulgaren mit indogermanischen Stämmen Zentralasiens in Verbindung bringen wollen, stoßen im Ausland auf Ablehnung und werden als hochspekulativ kritisiert. Ein stichhaltiger Beweis, der von der Fachwissenschaft anerkannt würde, steht aus.
Im allgemeinen herrscht die Meinung vor, dass die Protobulgaren aus einer Verschmelzung mehrerer Turkvölker sowie aus Resten der Hunnen hervorgingen, die nach Zerschlagung ihres europäischen Reichs nach Südrussland zurückfluteten. Mehrfach werden in diesem Zusammenhang die Onoguren genannt, wobei Unklarheit darüber herrscht, ob darunter ein hunnischer Teilstamm oder ein anderes Turkvolk der südrussischen Steppe zu verstehen ist.
Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Aufsatz von Prof. Rüdiger Schmitt für die Academie Bulgare des Sciences, Linguistique Balcanique, mit dem Titel "Iranica Protobulgarica, Asparuch und Konsorten im Lichte der iranischen Onomastik" (zu finden im Internet unter:
www.kroraina.com/bulgar/schmitt.html)
Im Hinblick auf die Sprache der Protobulgaren sagt Prof. Schmitt:
"An Resten dieser Sprache, die zweifellos zu den Turksprachen gehört ... sind nur eine Reihe von Namen, Titeln und einzelnen Wörtern bekannt ... Hinzu kommen solche Wörter des Bulgarischen und seiner Dialekte, die als "Substratwörter" aus dieser Sprache der Protobulgaren hergeleitet werden."
Eine iranische Herkunft der Protobulgaren schließen Prof. Schmitt und alle oben genannten Quellen nachdrücklich aus. Schmitt räumt jedoch ein, dass sich Namen iranischen Ursprungs als Entlehnungen im Protobulgarischen finden könnten. Er sagt dazu:
"So wie die Hunnen sind auch die Protobulgaren zweifellos aus dem Osten gekommen, aus den Steppengebieten nördlich des Schwarzen Meers, des Kaukasus und des Kaspischen Meers. Dass sie in diesem Raum Kontakte hatten mit den dort ansässigen nordiranischen Stämmen, mit Sarmaten, Alanen und wie sie alle heißen mögen, darf füglich angenommen werden, und ebenso ist es dann auch gut vorstellbar, dass bei den Protobulgaren iranische Namen und vielleicht auch iranische Wörter vorkommen. Da es sich dabei in aller Regel um Lehngut handelt, besagen solche Elemente natürlich nichts für die Sprache der Texte, in denen man sie findet, hier also der protobulgarischen, und nichts für das Ethnos der Träger derartiger Namen."
Schmitt schließ seinen Beitrag mit dem Hinweis, dass die kritische Durchsicht aller iranischen Verknüpfungen ein negatives Ergebnis gehabt hat. Er verweist in diesem Zusammenhang auf den Sprachforscher Prof. Besevliev, der sich intensiv mit den Protobulgaren beschäftigt hat, und dieses Resultat ebenfalls voraussah.
Das bedeutet also: das Protobulgarische ist eindeutig eine Turksprache, die in entsprechenden Kontaktzonen iranisches Lehngut aufgenommen hat. Ebenso muss man annehmen, dass die Träger dieser Sprache ein Turkvolk waren, dass sich als Mischvolk aus verschiedenen türkischen (und mit den Onoguren vermutlich hunnischen) Elementen zusammensetzte.