Erzähle mir nichts, die ganze Historikerzunft inkl. deren Koryphäen und Professoren, hat sich mehr als ein halbes Jahrhundert lang geweigert, eine Mitschuld Deutschlands am I. Weltkrieg anzuerkennen, wobei sie diejenigen, die es dennoch wagten, davon zu sprechen, beruflich und gesellschaftlich isolierte.
Hierfür hätte ich gerne den Nachweis, wann das gewesen sein und wer das vertreten haben soll.
Eine ganze Menge Historiker sind nicht zu dem Schluss gekommen, dass bei Deutschland eine herausgehobene Schuld/Verantwortung für den 1. Weltkrieg zu suchen sei, mal mit besseren, mal mit schlechterer Argumenten, abeer mir wäre niemand, den man ernst nehmen müsste geläufig, der Nachdem die entsprechenden Akten zugänglich wurden, zu dem Schluss gekommen wäre dass eine Mitverantwortung Deutschlands nicht vorläge.
Wenn du das weiterhin behaupten möchtest, würde ich jetzt gerne ein paar Namen lesen, wer dass postuliert haben soll.
Und selbst nachdem Fischers Werk „Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18“ erschienen war, dauerte es noch mal 20 Jahre*, bis sich seine Sicht der Dinge allgemein durchgesetzt hatte, wobei neuerdings wieder Stimmen laut werden, die Fischers Untersuchung als überzogen werten.
Was hat denn Fischer mit deiner obigen Behauptung zu tun? Nichts. Fischers maßgebliche These war nicht, dass Deutschland am 1. Weltkrieg eine Mit- sondern dass es die Hauptverantwortung dafür trage, bzw. ihm die "Hauptschuld" zufiele, woraus die populäre Rezeption dann später die "Alleinschuld" machte, die Fischer in dieser Form nicht postuliert hatte.
Die Kritik, die an Fischer anzubringen ist und in jüngerer Zeit auch angebracht wurde, lautet nicht, dass er überzogen hätte, sondern dass:
- Er erstens nur die deutschen Quellen zum Kriegsausbruch gesichtet und eine Spezialstudie zu den deutschen Verhältnissen erstellt hat, die das Hanndeln aller anderen maßgeblichen Akteure weitgehen unberücksichtigt gelassen und deren Quellenbestand nicht ausgewertet hat.
Insofern kann man an Fischer mit einigem Recht den Vorwurf äußern, dass er sich mit seiner "Hauptverantwortung" zu Schlussfolgerungen hat hinreißen lassen, die nach seinen Untersuchungen überhaupt nicht zulässig sind, da eine Schuldzumessung ohne Würdigung der Gesamtsituation und das heißt des Handels aller Akteure, im objektiven Sinne unmöglich ist, zumal es im Gegensatz zum 2. Weltkrieg für den 1. Weltkrieg keine Schlüsseldokumente gibt, die nachweisen würden, dass die politische Führung darauf hingearbeitet hätte.
Münkler hat Fischers Arbeitsweise mal in einer Debatte anlässlich einer Besprechung von Claks "Schlafwandlern" mit folgender Parabel (paraphrasiert, den genauen Wortlaut habe ich nicht mehr im Kopf) beschrieben:
"Was Fischer da gemacht hat, war so, als würde nach einer Kneipenschlägerei der zuständige Richter sich einen einzigen Verdächtigen heraussuchen, der nachweislich mit einem Knüppel in das Wirtshaus gegangen ist und sich weigern sich mit den anderen Beteiligten auch nur zu beschäftigen, zumal er zu dem einen schon so gründlich gearbeitet und nachgeforscht hat."
Dem Argument, dass Fischers Arbeitsweise ihn methodisch/methodolgisch zu solchen Schlussfolgerungen überhaupt nicht berechtigte, wird man sicherlich zustimmen können. Wenn jemand für sich in Anspruch nimmt ein Urteil zu fällen, wird man von ihm erwarten dürfen sich mit der Situation auch umfassend zu beschäftigen, nicht nur mit Teilaspekten davon.
Der zweite Punkt ist, dass das "Septemberprogramm" und alle anderen greifbaren tiefergehenden Diskussionen über Kriegsziele einmal nachweislich erst nach Kriegsbeginn zusammengestellt wurden (Septemberprogramm) oder greifbar wurden und es somit unzulässig ist, aus ihnen herleiten zu wollen, dass in Deutschland zielgerichtet auf den Krieg hingearbeitet worden wäre.
Das wäre allenfalls dann der Fall, wenn solche Programme/Phantasien bereits vor Kriegsbeginn greifbar wären, dann könnte man in der Tat argumentieren, der Krieg wäre losgetreten worden um sie zu verwirklichen, sind sie aber nicht, jedenfalls nicht auf Regierungsebene.
Fischers Untersuchung und seine Erkenntnisse über das deutsche Handeln in der Julikrise sind nach wie vor wichtig, seine Schlussfolgerung im Hinblick auf Verantwortung hingegen taugt nichts.
Nicht weil er "überzogen" hätte. "Überzogen" ist kein Argument, sondern eine Frage beliebig definierbarer persönlicher Maßstäbe.
Nein, Fischers Schlussfolgerung taugt nichts, weil sie auf methodischen Defiziten und unzulässigen Rückprojizierens von Quellen, bzw. ihren Inhalten vor ihrerem Entstehungszeitraum beruht, weil sich aus der Analyse des Handels eines Einzigen Akteurs keine Würdigung der Verantwortung aller Beteiligter ableiten lässt und weil was in der zweiten Augusthälfte und im September '14 innerhalb der deutschen Regierung ausgebrütet wurde, kein Nachweis dafür ist, dass man solches auch bereits im Juli und Anfang August bei einer völlig anderen Lage beabsichtigt hätte.
Diese Kritik an Fischer ist vollkommen berechtigt und hat nichts, aber auch gar nichts mit zeitgebundenen Wertmaßstäben zu tun.