historische Gerichtsstätten

dekumatland

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Diese Ansammlung unterschiedlich hoher behauener Steine
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ist eine mittelalterliche Gerichtsstätte: das Zentgericht/Centgericht in Geisa (Thüringen) aus dem 11. Jh.
Screenshot_20220522-162416_Gallery.jpg

Geisa – Wikipedia
Centgericht – Wikipedia

vielleicht finden sich noch weitere sehens- oder erwähnenswerte historische Gerichtsstätten.
 
Sehr interessantes Thema!
Wenn ich es richtig verstanden habe geht es hier um Volksversammlungen und Gerichtsversammlungen nach germanischen Rechten. Also um "das Thing".

Nach meiner Kenntnis gab es das Thing unter diesen Namen bei den germanischen Stämmen und in 7 Ländern (Deutschland, England, Norwegen, Island, Färöer, Luxemburg und Österreich).

Mit Norwegen kenne ich mich etwas aus.
Dort gab es vier große nationale Thinge:

· das Borgarthing,
· das Gulathing,
· das Eidsivathing und
· das Frostathing.

Der Name > Borgarthing < bezeichnet den Ort „Borg“, heute „Skarsborg“ – südlich von Oslo.
Diesen Namen finden wir sogar noch heute. Eines der 6 Obergerichte in Norwegen trägt den Namen: „Borgarting lagmannsrett“.
Ich erspare mir Erläuterungen zu den 4 Things.
Jedes dieses Things ist sehr gut im Netz beschrieben und man bekommt einen wissenswerten Einblick in norwegische Historie.
Alle 4 findet man bei Wikipedia.

Auf das" Eidsivathing" möchte ich aber besonders verweisen.
Ich meine die Stadt „Eidsvoll“. Sie befindet sich in Südnorwegen fast ain der Grenze zu Schweden.
Eidsvoll hat eine besondere Bedeutung für die Norweger.
Dort wurde am 17.05.1814 die Verfassung für Norwegen erarbeitet und angenommen. Diese Verfassung galt damal als die liberalste Verfassung der Welt.
Der 17.05. ist deshalb in Norwegen ein Nationalfeiertag. Er wird in Norwegen überall gefeiert und gilt als der „Verfassungstag“.
 
@Ralf.M ich finde, man braucht das Thema Gerichtsstätten nicht auf cum grano salis germanisches beschränken. So bekanntes wie die Stätte der Sachsenköpfungen in Verden an der Aller oder das "Cannstatter Blutgericht" wird man nicht eindeutig zeigen können, ebenso sind viele als Thingstätten interpretierte/gemutmaßte Plätze nicht so eindeutig als Gerichtsstätte sichtbar, wie der kuriose Anblick des Zentgerichts in Geisa - das hatte ich zufällig gesehen, war verblüfft und hatte es umgehend abgelichtet.
 
Der Plural von "Thing" ist "Thinge".
Das Duden Herkunftswörterbuch nennt ‚Thing‘ " eine historisierende neuhochdeutsche
Form
". Man kann also mit Recht vermuten, dass sie aus der Germanisierungsbewegung der
Romantik stammt. Nach der Etymologie müsste es auf Deutsch eigentlich ‚Ding‘ [diŋ]
ausgesprochen werden. (Zweite Lautverschiebung).
Die Inhalte beziehen sich auf das nordische þing, das allerdings nicht auf die Zeit der Stämme, sondern im Frühmittelalter bzw. zur Wikingerzeit auftaucht. Das älteste norwegische Thing war Trøndelag aus dem 7./8. Jahrhundert. Die oben angeführten norwegischen Thinge stammen aus dem 11. Jahrhundert. Da war Skandinavien längst christianisiert.

In Bezug auf die Lex Salica, von der behauptet wird, dass der Begriff "Thing" dort vorkäme, muss man konstatieren, dass er im lateinischen Originaltext nicht enthalten ist, nur in "Übersetzungen" aus dem späten 9. Jh. Auch der Heliand, in dem das Wort mehrmals gebraucht wird, ist aus dem 9. Jahrhundert; er bezieht sich nur auf sächsische Überlieferung.

Wie weit Germanen außer den Sachsen zur Zeit der Stämme das Wort þing gebrauchten, ist unklar. Kontinentaleuropäisch ist in diesem Zusammenhang die Herleitung des Namens zweier Flämischer Orte interessant:
Male, Sint Kruis (Belgien). 1172: Mala, germanisch malho: ‚Vertiefung‘ oder mallum:
ein mit Steinen abgesperrter Platz, wo Recht gesprochen wurde.
Mallum, Eibergen (Niederlande). 1188: curtis Mallande, germanisch maþla: ‚Volksversammlung‘,
landa: ‚Land‘.

Weitere Informationen in:
Lenzing, Anette: Gerichtslinden und Thingplätze in Deutschland. Königstein im. Taunus, 2005

Sicher haben sich die Männer eines Dorfes oder eines Gaus regelmäßig versammelt, um anstehende Probleme zu regeln. Teilweise übten dabei Schulzen auch die (niedere) Gerichtsbarkeit mit Zustimmung der Anwesenden aus.

Man darf aber auch nicht vergessen, dass es bei den Nationalsozialisten eine Thing-Bewegung gab, die diesen Begriff wie viele andere für eigene Aktivitäten/Propaganda missbrauchte. Deshalb ist nicht jeder heutzutage propagierte Thingplatz tatsächlich historisch; viele historische Gerichtsplätze sind aber auch verschwunden.

Alles in Allem ein sehr komplexes Thema.

Gruß
Kochant
 
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Man darf aber auch nicht vergessen, dass es bei den Nationalsozialisten eine Thing-Bewegung gab, die diesen Begriff wie viele andere für eigene Aktivitäten/Propaganda missbrauchte. Deshalb ist nicht jeder heutzutage propagierte Thingplatz tatsächlich historisch; viele historische Gerichtsplätze sind aber auch verschwunden.
Geplant war so eine historisierte Thingstätte auch am Upstalsboom – Wikipedia nahe Aurich. Das wurde aber nicht umgesetzt. Der Upstalsboom – Wikipedia spielte eine Rolle während der friesischen Freiheit.

Geschichte der Gerichtsbarkeit in Ostfriesland | Landgericht Aurich


In Weener ist der Kaakebogen erhalten geblieben. Die Kaake war ein Markt- und Gerichtsplatz.
Datei:Weener - Norderstraße - Kaakebogen 01 ies.jpg – Wikipedia
 
Einige der damals (d.h. von den Nationalsozialisten) gebauten Thingplätze werden bis heute genutzt, wie die Waldbühne in
Berlin, die Heidelberger Thingstätte auf dem Heiligenberg, das Kalkbergstadion in Bad
Segeberg und die Freilichtbühne Loreley.
 
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Die Mader Heide könnte als Gerichtsort und Versammlungsort der hessischen Landstände bis in die Frühe Neuzeit auch hier her passen. Wahrscheinlich war dies auch ein chattischer "Thingplatz", und eventuell lag hier auch der chattische Hauptort "Mattium", der gem. Tacitus von Germanicus 15 n.Chr. zerstört wurde.
 
Die Mader Heide könnte als Gerichtsort und Versammlungsort der hessischen Landstände bis in die Frühe Neuzeit auch hier her passen. Wahrscheinlich war dies auch ein chattischer "Thingplatz", und eventuell lag hier auch der chattische Hauptort "Mattium", der gem. Tacitus von Germanicus 15 n.Chr. zerstört wurde.

Eine Mitarbeiterin des Magistrats der Stadt Gudensberg, Fachbereich Kultur- und Öffentlichkeitsarbeit schrieb kürzlich auf Anfrage:

... die Steinsetzung an der Mader Heide soll an die germanischen Chatten erinnern, aber nicht den Anspruch erheben, auf einen tatsächlichen Thingplatz an diesem Ort hinzuweisen. Neuere Informationen von Heimatforschern stellen auch die Hypothese infrage, dass dieser Versammlungsplatz die große Bedeutung hatte, die im Internet überall dargestellt ist.
Um keine weiteren Spekulationen über die tatsächlichen historischen Ereignisse zu verbreiten, nutzen wir als Kommune nicht mehr den Begriff Thingplatz im Zusammenhang mit der Mader Heide.
 
Die Mader Heide könnte als Gerichtsort und Versammlungsort der hessischen Landstände bis in die Frühe Neuzeit auch hier her passen. Wahrscheinlich war dies auch ein chattischer "Thingplatz", und eventuell lag hier auch der chattische Hauptort "Mattium", der gem. Tacitus von Germanicus 15 n.Chr. zerstört wurde.
Es sind zwar nur sechs Kilometer, aber ich halte Metze für den passenderen Ort, um Mattium zu lokalisieren, schon weil sich Metze ziemlich regulär aus Mattium bzw. Matti ergeben würde.
 
Am Ortsrand des nordhessischen Dorfs Maden steht auch ein jungsteinzeitlicher Megalith, heute bekannt als "Wotanstein". Mit dem germanischen Gott wurde der Stein erst im 19. Jahrhundert in Verbindung gebracht. Eine Sage berichtet hingegen der Teufel habe versucht diesen Stein auf die erste Kirche des Missionars Bonifatius in Fritzlar zu werfen. Die angeblichen Fingerabdrücke des Teufels könnten tatsächlich Bearbeitungsspuren aus der Jungsteinzeit stammen.

Jener Hinkelstein wurde seitens der Heimatforscher immer wieder mit der Gerichtsstätte des Landgrafen auf der Mader Heide in Verbindung gebracht und deren Tradition sie mit sehr viel Phantasie bis in die Zeit des Germanenstamms der Chatten zurückführten. Der Wikipedia-Artikel basiert vor allem auf den Hinweisschildern, die leider mit der Germanomanie der Heimatforschung des 19. und 20. Jahrhunderts durchsetzt sind. Tiefer habe ich mich auch nicht dazu eingelesen.

Für mich bleibt einiges unklar.
Der jetzige Standort des Megaliths ist gar nicht auf der Mader Heide. Hat er überhaupt etwas damit zu tun? Oder wurde der "Wotanstein" hierher versetzt? Immerhin wurde der Stein während des 7-jährigen Krieges von Schatzsuchern ausgegraben.
Angeblich soll dieser Menhir als langer steyn zu Madin bereits 1404 urkundlich (?) erwähnt worden sein. Zum Problem wird hier, dass es im gleichen Ort auch eine markante Basaltkuppe natürlichen Ursprungs namens Mader Stein gibt. Dieser Mader Stein ist auch ziemlich lang und ungefähr hundertmal so groß wie der angebliche Wotanstein. Der Mader Stein ist jedenfalls von der Mader Heide aus gut sichtbar.
 
Angeblich soll dieser Menhir als langer steyn zu Madin bereits 1404 urkundlich (?) erwähnt worden sein.
In "Beschreibung des Hessengaues" beschreibt Georg Landau 1857 den Stein als "mitten im Felde zwischen Maden und Gudensberg" und zitiert eine nicht näher bezeichnete Urkunde von 1408. Es ging in der Urkunde um eine Wiese "benebin deme Madirbache benedir deme langen Steyne und stoßet uff den Wegg, die da geid under der Haynirlid hen."

Schwierig, daraus den genauen Standort zu lesen.
Benebin dürfte neben sein, aber benedir? Vermutlich auch neben. Ein Haynirlid o.ä. finde ich in der Gegend nicht.
 
Ich glaube dass mit "Haynirlid" nicht eine "Hainer Linde", sondern eine "Hainer Leite", eine Schafleite / Schaftriebweg gemeint ist. Du findest sie in nicht ganz zersiedelten Ortschaften neben dem Weg, z.B. eindrucksvoll im mittelhessischen Kleinseelheim an der Ziegeleistraße.

Zu nordhessischen Gerichtsstätten findest Du auch diesen Text über Menhire und die die Gerichtsstätte umgebenden Sitzsteine:

Den Text würde ich übersetzen als "neben dem Maderbach, nahe dem langen Stein, und stößt auf den Weg, der da unter der Hainer Leite verläuft."

"benebin deme Madirbache benedir deme langen Steyne und stoßet uff den Wegg, die da geid under der Haynirlid hen."

Unter LAGIS kannst Du Dir ältere topographische Karten abrufen, z.B. die von Maden um 1900:
 
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Dieser Mader Stein ist auch ziemlich lang und ungefähr hundertmal so groß wie der angebliche Wotanstein.

Der angebliche Wotanstein ist laut Wiki immerhin 177 m lang! ;)


eine nicht näher bezeichnete Urkunde von 1408. Es ging in der Urkunde um eine Wiese "benebin deme Madirbache benedir deme langen Steyne und stoßet uff den Wegg, die da geid under der Haynirlid hen."

Das muss diese Urkunde sein:

 
In der Onlinedatenbank des Museumslandschaft Kassel habe ich noch eine Skizze einer Parkanlage um den sogenannten "Madener Mahlstein" [sic!] von 1886 gefunden.

Der Name Wotansstein taucht bereits in der Karte von ca. 1900 auf.

Der sogenannte Wotansstein ist heute von vier Eichen umringt, wie sie auf der Planungsskizze von 1886 verzeichnet sind. Drei der Eichen haben inzwischen eine beachtliche Größe und gelten als Naturdenkmal. Eine der ursprünglichen Eichen muss zwischenzeitlich durch ein deutlich jüngeres Exemplar ersetzt worden sein. Von der ursprünglich streng symmetrischen Parkanlage ist ansonsten nicht heute mehr viel zu erkennen.
 
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