Hitlers Frankreichfeldzug und der Waffenstillstand von 1940

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Mich würde interessieren, warum Hitler nicht gleich ganz Frankreich besetzt hat, sondern die Errichtung der Vichy-Regierung gebilligt hat.
 
Gute Frage.

Ich glaube, damit wollte das Deutsche Reich verhindern, dass die französische Flotte und die franzözischen Kolonien zum Kriegsgegner England überliefen.
 
Gibt es darauf denn Hinweise? Denn wenn ich loyal wäre, dann würd ich als Patriot auch überlaufen, wenn ein Vasall (Petain oder Vichy?) mit meinem Gegner kooperiert.
Ich hätte eher gedacht, daß es einfach ein Fall von Resourcenschonung war...:grübel:
 
Speaker schrieb:
Gibt es darauf denn Hinweise? Denn wenn ich loyal wäre, dann würd ich als Patriot auch überlaufen, wenn ein Vasall (Petain oder Vichy?) mit meinem Gegner kooperiert.
Ich hätte eher gedacht, daß es einfach ein Fall von Resourcenschonung war...:grübel:
Wenn ich mit meiner Vermutung richtig liege, ging das Kalkül auf. Die meisten Kolonien hielten dem Vichy-Regime die Treue. Die Engländer mußten deshalb mehrere fränzösische Kolonien gewaltsam besetzen. Sogar die französische Flotte wurde von der britischen Navy angegriffen. Die Franzosen revanchierten sich und griffen Britisch-Gibraltar an. :autsch:
 
Hitlers Frankreichfeldzug

Leider habe ich in der Literatur keine zufriedenstellende Antwort darauf gefunden. Das liegt vielleicht aber auch an meinen Überblicksdarstellungen zum Zweiten Weltkrieg.
Das mit der Resourcenschonung könnte ich mir auch vorstellen, aber warum hat Hitler 1942 die freie Zone dann doch noch besetzt?
Wusste Hitler oder konnte er damit rechnen, dass Pétain ein "Gesinnungsfreund" war? Oder wurde das im Waffenstillstand den Franzosen diktiert?

Und eine letzte Frage: Wir würdet ihr den Waffenstillstand bewerten? Milde oder hart?
 
@ Speaker: na, so war es ja dann auch: General de Gaulle stellte sich an die Spitze der frei-französischen Bewegung, und der war ja nun eher konservativ und durchaus ein Patriot!

@ Sasha Maletic: Ein Angriff der Franzosen auf Gibraltar mit der Flotte ist mir neu, es gab meines Wissens nur Luftangriffe.

Ein weiteres Motiv bei Hitler war, dass er generell mit den besiegten West-Allierten schonender umging. Das reicht von Waffenstillstandsbedingungen bis zur Behandlung der Kriegsgefangenen, soll aber auch nicht bedeuten, dass es im besetzten Frankreich/Dänemark/Holland etc. besonders liberal zuging.

Aus rassistischer Sichtweise waren die Franzosen und Engländer erstens keine "natürlichen", biologischen Feinde. Zweitens hoffte Hitler auch, keinen Zweifrontenkrieg führen zu müssen. Bei milden Waffenstillstandsbedingungen hoffte er, mit England zu einem Ausgleich zu kommen, um sich dem eigentlichen Kriegsziel - der Sowjetunion - widmen zu können.
Drittens maß das Dritte Reich der Kriegsführung im Mittelmeer keine besondere Bedeutung zu. Während die gesamte Atlantikküste und alle industriell starken Gebiete in Nordfrankreich besetzt wurden, versuchten die Deutschen nicht, sich wenigstens einen Hafen am Mittelmeer zu sichern. Sie ließen auch nicht zu, dass die Italiener größere Gebiete Südfrankreichs besetzten.

Frankreich selbst war zwischen England und Deutschland in den Jahren von 1940 - 1942 durchaus gespalten. Viele Politiker, wie ja auch Marshall Petain, arrangierten sich mit dem Vichy-Regime. Die Flotte hatte eine relativ starke, unabhängige Stellung. Die Seeangriffe der Engländer auf die Vichy-Flotte in Nordafrika sorgten dafür, dass diese den Engländern in den folgenden Jahren sehr ablehnend gegenüber stand. 1941 eroberten britische Truppen Syrien von den Vichy-Kräften. Nicht vergessen werden darf jedoch, dass damals schon beträchtliche Frei-Französische Kräfte in Nordafrika kämpften.

Dennoch kam es in den Folgejahren auf militärischem Gebiet nicht zu einer gedeihlichen militärischen Zusammenarbeit zwischen der Achse und dem Vichy-Regime. Dies wurde von höchster Stelle - sprich: Hitler - hintertrieben; es wurden häufig nicht mal engere Verhandlungen zugelassen. Dabei hätten die Deutschen militärisch gesehen sowohl die Flotte als auch die Vichy-Streitkräfte in Nordafrika gut gebrauchen können, nicht zu vergessen die Häfen in Tunesien, die wegen ihrer Nähe zu Sizilien eine sicherere Verbindung für die Verschiffung von Truppen geboten hätten als die weiter östlich gelegenen Häfen in Tripolis oder Benghazi.

Als sich das Glück in Nordafrika im Herbst 1942 zu wenden begann, ließ Hitler das Vichy-Regime fallen wie eine heiße Kartoffel. Das Regime wurde gezwungen, der Besetzung Süd- und Mittelfrankreichs zuzustimmen. Die Flotte fiel nicht an die Deutschen, weil deren Admiral Darlan sie zum größten Teil rechtzeitig versenken ließ. Als die allierte Operation "Torch" im November 1942 startete, kämpften die Amerikaner in Algerien zeitweise gegen französische Truppen, die den Allierten aber nicht lange standhalten konnten und wollten, viele Einheiten streckten recht schnell die Waffen. Spätestens im Herbst 1942 waren die Waffenstillstandsbedingungen also obsolet geworden.
 
Zuletzt bearbeitet:
"Viele Politiker, wie ja auch Marshall Petain, arrangierten sich mit dem Vichy-Regime."

Soweit ich weiß, wurde das Vichy-Regime ja gerade von Pétain ins Leben gerufen.
 
Ashigaru schrieb:
@ Sasha Maletic: Ein Angriff der Franzosen auf Gibraltar mit der Flotte ist mir neu, es gab meines Wissens nur Luftangriffe.
Von einen Angriff mit der Flotte weiß auch auch nichts.

Ashigaru schrieb:
Dennoch kam es in den Folgejahren auf militärischem Gebiet nicht zu einer gedeihlichen militärischen Zusammenarbeit zwischen der Achse und dem Vichy-Regime. Dies wurde von höchster Stelle - sprich: Hitler - hintertrieben; es wurden häufig nicht mal engere Verhandlungen zugelassen. Dabei hätten die Deutschen militärisch gesehen sowohl die Flotte als auch die Vichy-Streitkräfte in Nordafrika gut gebrauchen können, nicht zu vergessen die Häfen in Tunesien, die wegen ihrer Nähe zu Sizilien eine sicherere Verbindung für die Verschiffung von Truppen geboten hätten als die weiter östlich gelegenen Häfen in Tripolis oder Benghazi.
Ich denke schon, dass die deutsche Seite interessiert war. Hitler strebte ein Bündnis mit Franco-Spanien und Vichy-Frankreich gegen England an. Aber weder Franco noch Petain ließen sich darauf ein.
 
Hitlers Frankreichfeldzug

Könnt Ihr mir noch bei einer Frage weiterhelfen? Als Hitler Frankreich in die verschiedenen Zonen aufteilte, gab es darunter auch eine sog. "zone interdite", also eine "verbotene Zone". Wisst Ihr, worum es sich dabei handelt?
 
Ashigaru schrieb:
Ein weiteres Motiv bei Hitler war, dass er generell mit den besiegten West-Allierten schonender umging. Das reicht von Waffenstillstandsbedingungen bis zur Behandlung der Kriegsgefangenen, soll aber auch nicht bedeuten, dass es im besetzten Frankreich/Dänemark/Holland etc. besonders liberal zuging.
,.

Lieber Ashingaru, Du hast es ja schon beschrieben. Ein großer Antrieb für Hitlers Politik vorallem gegen England war, dass er aus ideologischen Gründen nicht zwei germanische Völker gegeneinander kämpfen lassen wollte. Man muß nur Hitlers "Mein Kampf" lesen.
 
@ Sascga Maletic: Für 1940 stimmt das, als Hitler in den Gesprächen mit Franco und Petain keine Mittelmeer-Allianz schmieden konnte.
1941 kam es jedoch zu einer Reihe von Verhandlungen, vor allem mit Admiral Darlan, wo dieser angeblich sogar versprochen haben soll, mit der Flotte die Meerenge von Gibraltar zu sperren und 150 000 Mann an die deutsch-italienischen Nordafrikatruppen zu entsenden. Zuvor hatte er der Achse bereits angeboten, Häfen in Westafrika als U-Boot-Stützpunkte nutzen zu können, ebenso wie wichtige nordafrikanische Häfen wie Bizerta. Und hier kam es nicht zu einer gedeihlichen Zusammenarbeit. Im Jahr 1942 verhielt sich die Achse in Sachen Vichy-Frankreich zunächst sogar völlig passiv, ehe es zur Besetzung Frankreichs und der Operation "Torch" im Herbst 1942 kam.
 
Ashigaru schrieb:
@ Sascga Maletic: Für 1940 stimmt das, als Hitler in den Gesprächen mit Franco und Petain keine Mittelmeer-Allianz schmieden konnte.
1941 kam es jedoch zu einer Reihe von Verhandlungen, vor allem mit Admiral Darlan, wo dieser angeblich sogar versprochen haben soll, mit der Flotte die Meerenge von Gibraltar zu sperren und 150 000 Mann an die deutsch-italienischen Nordafrikatruppen zu entsenden. Zuvor hatte er der Achse bereits angeboten, Häfen in Westafrika als U-Boot-Stützpunkte nutzen zu können, ebenso wie wichtige nordafrikanische Häfen wie Bizerta. Und hier kam es nicht zu einer gedeihlichen Zusammenarbeit. Im Jahr 1942 verhielt sich die Achse in Sachen Vichy-Frankreich zunächst sogar völlig passiv, ehe es zur Besetzung Frankreichs und der Operation "Torch" im Herbst 1942 kam.
Hmm...

....Möglicherweise war das mit bestimmten Forderungen verknüpft, die für die deutsche Seite unannehmbar waren. Du schreibst "angeblich", dann ist es also nicht sicher?
 
@ Sascha: Das "angeblich" ist ein wörtliches Zitat aus dem Buch "Der Krieg der "Achsenmächte" im Mittelmeerraum". Leider wird nicht näher ausgeführt, was daran bezweifelt wird - die Aussage Darlans stammtl laut Fussnote aus dem Buch "Ruheloses Leben" von Rudolf Rahn (deutscher Botschafter in Italien).
Unstrittig ist dagegen, dass Darlan in den Verhandlungen ab dem 6. Mai 1941 folgendes angeboten hatte: "Stützpunkte für deutsche U-Boote und Handelssschiffe an der westafrikanischen Küste, die Ablösung unzuverlässiger französischer Persönlichkeiten in Nordafrika ... und Waffenlieferungen in den Irak (Anm.: wo gerade Krieg geführt wurde, weil sich eine England-feindliche Regierung an die Macht geputscht hatte)." (Der Krieg der Achsenmächte..., S. 179).

Dafür wollte er folgende Gegenleistungen: "Zulassung einer beschränkten Wiederbewaffnung, die nötig war gegen mögliche Repressalien der Engländer, Erleichterungen im Postverkehr, in der Frage der Passierscheine, beim Geld- und Warenverkehr und vor allem eine fühlbare Ermäßigung der Besatzungskosten." (Ebenda, S. 179).
Aus deutscher Sicht wirklich problematisch wäre wohl höchstens die Wiederbewaffnung gewesen.



Hitler sei vordergründig interessiert an den Gesprächen gewesen, habe dann aber nur eine halbherzige Weisung erlassen, der erst nach einem erfolgreichen "Barbarossa"-Feldzug eine "General-Lösung" folgen sollte.

In der Zeit nach dem Verlust Syriens ersuchte schließlich sogar die Vichy-Regierung darum, "dass Regime des Waffenstillstandsvertrages durch ein Regime zu ersetzen, das auf die Souveränität des französischen Staates und eine loyale Zusammenarbeit Frankreichs mit Deutschland begründet sein müsse." Doch gerade dieser Vorstoß vom Juli 1941 kam zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Der Wehrmacht gelang in Rußland große Erfolge, und Hitler hielt es nicht für nötig, Zugeständnisse zu machen. Als "Alibi" habe er davon gesprochen, dass eine Annäherung zu Frankreich italienische Interessen verletzen würde. Tatsächlich hatten die Italiener eine schärfere Haltung gegenüber Frankreich als die Deutschen, aber sie waren auch davon überzeugt, dass Tunesien unbedingt in der Hand der Achse sein musste.

Meine Informationen habe ich vor allem aus oben genanntem Buch, dass Hitler selbst und den Italienern sehr kritisch gegenüberstand. Meiner Meinung nach bestand deutscherseits eine gewisse Interesselosigkeit gegenüber den Angeboten des Vichy-Regimes, die einer verfrühten Sieges-Hybris entstammte. Allerdings gab es auch tatsächlich noch viele für die Deutschen "unzuverlässige" Generale in Vichy-Frankreich, der bekannteste davon Weygand.
Zum zweiten sträubte sich Hitler wahrscheinlich tief im Inneren dagegen, Frankreich wieder zu einem souveränen Staat werden zu lassen. So wie es war, konnte er viel leichter mit dem Land und seinen Repräsentanten umspringen, was ja schließlich in der Besetzung ganz Frankreichs gipfelte.
 
@ Mhitzfeld: ja, war etwas unglücklich ausgedrückt. Ich meinte natürlich, dass sich einige französische Politiker die außenpolitische Lage akzeptierten und Kontakt zur Achse suchten.
 
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