Es geht um das Essen im Sitzen mit Messer und Gabel, und nicht um die Erfindung der Gabel.
Das ist deine Interpretation – bei mir geht es um die Gabel als Essinstrument.
Du meinst also, dass die Gabel per se als Teufelszeug gegolten habe?
Die Gabel wurde von Kardinal Petrus Damiani, einem einflussreichen Kleriker seiner Zeit, ohne Zweifel verteufelt – zusammen mit anderen Dinge, die er für Luxus hielt.
Beim Damiani wird vor allem der Gebrauch der Gabel von einer byzantinischen Prinzessin, die den ältesten Sohn des Dogen geheiratet hatte, thematisiert und ihr Tod – sie verweste angeblich beim lebendigen Leib – als gerechte Strafe Gottes für dieses Verhalten angesehen. Damiani verschwieg dabei sowohl, dass sie eine Prinzessin war, als auch dass sie zusammen mit vielen anderen während einer Epidemie starb. Die Absicht seines Schreibens war klar: Gott verabscheut Luxus und mag es nicht, dass ihr mit der Gabel isst, sonst werdet ihr eines grausamen Todes sterben.
Wie Damiani wendet sich auch der 100 Jahre später lebende Kardinal Lothar der Conti di Segni, der spätere Papst Innozenz III., gegen überflüssigen Luxus beim Tisch, was man unter dem Stichwort Vanitas subsummieren könnte.
Man könnte konstatieren, dass diese Propaganda Erfolg gehabt hatte, denn es gibt im Westen nur wenige mittelalterliche Darstellungen des
Abendmahls mit Gabel als Essbesteck, das im Gegensatz zum Orient, wo die römische Kultur bis 1453 weiterlebte – und damit auch der Gebrauch der Gabel.
Warum dieser Gebrauch der Gabel als Essinstrument im Westen verschwand, darüber kann nur spekuliert werden. Fest steht allerdings, dass im Hochmittelalter wichtige Männer der Kirche dagegen anschrieben. Fest steht auch, dass dieser Gebrauch aus dem Osten wieder reimportiert wurde. Ob das durch die Heirat der hochstehenden byzantinischen Frauen in den Westen gelang, oder durch die Kreuzfahrer, das ist nicht mehr so wichtig.
@Dion würdest du das in Beziehung zu mittelalterlichen Vanitasvorstellungen sehen?
Ja.
Sehe ich nicht als Verteufelung der Essgabel, sondern des Luxus.
Klar, es ging gegen Luxus im Allgemeinen, aber zumindest Damiani verurteil die Gabel mehr als andere "verabscheuungswürdigen" Tätigkeiten, indem er sich ihr ausführlicher widmet.
es geht nicht nur um das Essen
Es geht darum, dass das menschliches Dasein auf Erden unwichtig ist, denn das wahre Leben wird es erst nach dem Tod geben, allerdings nur für jene, die sich im irdischen Leben dem Einflüsterung des Feindes (Teufels) entzogen haben. Gold und Luxus wird es selbstverständlich im Himmel geben, aber wer auf der Erde im Gold und Luxus lebt, wird nicht in den Himmel, sondern in die Hölle kommen, wo die Qualen umso größer werden, je mehr Luxus jemand auf Erden genossen hat.
Ich danke dir für den Link auf die englische Übersetzung des ganzen Briefes. Ich habe es ganz gelesen – und daraus über das Denken der Kleriker und vielleicht auch der mittelalterlichen Menschen sehr viel gelernt. Außerdem muss sagen, dass Frugoni ihn richtig übersetzt hat, wenn auch sie diesen Abschnitt – Zitat aus dem Brief:
Aber die offensichtliche Bestrafung zeigte, wie sehr der Stolz dieser Frau dem allmächtigen Gott zuwider war, um gerächt zu werden. Als er nämlich die scharfe Spitze des göttlichen Gerichts über sie geschwungen hatte, verfaulte ihr ganzer Körper, so dass alle Glieder ihres Leibes in allen Teilen verwesten, und ihr ganzes Schlafgemach war von einem unerträglichen Gestank erfüllt, und niemand konnte eine so große Beleidigung für die Nase ertragen;
mit
„Der grausame Tod der jungen Frau, die bei lebendigem Leib verweste („corpus eius computruit“), wird offenbar als gerechte Strafe Gottes für eine so große Sünde betrachtet.“ auf das Wesentliche verkürzt wiedergegeben hat.
Aber was hat die Prinzessin so Schlimmes getan?
1. Sie wäre abergläubisch – (wohl, weil aus Konstantinopel kommend; als der Brief geschrieben wurde (1059-60), war die morgenländische Schisma erst 5-6 Jahre alt.)
2. Sie war feinfühlig und so raffiniert, dass sie nur im Regenwasser badete. (Na, immerhin beschuldigt er sie nicht, in Eselsmilch gebadet zu haben.)
3. Sie rührte die Speisen nicht mit ihren Händen an, sondern benutze dazu eine goldene Gabel. (Abweichung vom üblichen Verhalten: Das sagt etwas über die Esssitten im lateinischen Westen.)
4. Zitat:
Außerdem duftete ihr Schlafgemach nach so vielen Arten von Weihrauch und Gewürzen, dass es selbst für uns eine große Schande ist, es zu beschreiben, und der Zuhörer würde es vielleicht nicht glauben. (Was für eine Anmaßung: Weihrauch war wohl für die Kirche reserviert?)
Unerhörte Luxus das alles, was von Gott umgehend bestraft wurde: 1004 oder 1005 kam sie nach Venedig, 1007 war sie tot.
Die Bürgerin - jetzt bin ich perplex, denn #1 entnahm ich die Info, dass die eitel-sündige Gabelnutzerin eine byzantinische Prinzessin gewesen sei.
Dass Damiani die Prinzessin zu einfachen Bürgerin Konstantinopels machte, war entweder Absicht oder sein Informant, den er für einen wahrhaftigen und ehrlichen Mann hielt, hat ihm nicht die ganze Wahrheit gesagt.
Das man damals überrascht war das eine der Frauen mit einer Gabel das Essen einnahm, verstehe ich ja noch.
Das aber Vertreter der katholischen Kirche so vehement sich gegen diese Neuerung stemmten, ist ja nun gar nicht zu verstehen. Oder doch?
Aus dem Denken der mittelalterlichen Menschen, die vom nahen Ende der Welt überzeugt waren, ist das schon zu verstehen: Sie fürchteten sich vor diesem Ende. Im Brief Damianis spricht diese Furcht aus fast jeder Zeile: Unaufhörlich werden da Propheten des Alten Testaments zitiert, wie Gott nun all jene bestrafen wird, die seine Gebote nicht befolgen.
Ob diese quasi Moralpredigt den Dogen oder seine Nachfolger, oder die ottonischen Kaiser, die byzantinischen Kaiser, die mitmischenden "Markgrafen" in Italien und andere Mächtige sonderlich beeindruckt hatte, weiß ich nicht, würde es aber bezweifeln.
Ich bezweifelte das dagegen nicht, denn wäre dem anders, die Verbreitung der Gabel im Westen hätte viel früher stattgefunden, schließlich ist sie außerst nützliches Instrument und aus unserer Welt nicht mehr wegzudenken.
m wesentlichen hat sich die Gabel als Essbesteck offenbar tatsächlich erst im ausgehenden Mittelalter durchgesetzt, fand aber im 14. Jahrhundert in Italien in einigen Oberschichtskreisen Verwendung. Wer dort etwas auf sich hielt, trug eine kleine Schachtel, Cadena genannt, bei sich, wenn er zum Essen in das Haus eines Adligen oder reichen Kaufmanns eingeladen wurde. Darin befanden sich die eigene Gabel und der eigene Löffel, wobei es sich möglichst um extravagante Modelle handeln sollte, welche wie ein Statussymbol vorgeführt wurden.
Danke für den Hinweis. Ab wann ist diese
Cadena nachweisbar?