Hochmittelalter - die "teuflische" Gabel

Dass aber Vertreter der katholischen Kirche so vehement sich gegen diese Neuerung stemmten, ist ja nun gar nicht zu verstehen. Oder doch?
Haben sie sich denn dagegen gestemmt? Im Prinzip geht es in den Texten nicht um Gabeln, sondern um deren Ausführung. Es geht nicht um Geräte aus Holz, Knochen oder einfachem Metall, sondern um Zierrat. Es ist unklar, ob die Gabeln an sich gemeint sind, oder dass die Gerätschaften aus Gold und Silber waren.

Selbst der Begründer des Protestantismus Martin Luther stemmte sich gegen eine Gabel zum Einnehmen des Essens.
Ich glaube, ein Missverständnis ist, das Katholiken glaubensstrenger als Protestanten seien, weil die deutschen Protestanten heute liberaler wirken. Aber die Reformation ist letztlich darauf zurückzuführen, dass der kirchliche Anspruch die Moral- und Glaubensautorität zu sein mit der gelebten Wirklichkeit allzuoft im Widerspruch stand. Im 11. Jhdt. war das ein Mitgrund für Reformpapsttum und Investiturstreit, im 13. Jhdt. für das Aufkommen der Bettelorden.
 
Vorsicht, wir haben hier über zwei Dokumente gesprochen, das eine ein Brief von Petrus Damiani, der andere Lotario di Segni, der spätere Innozenz III.; die Frau des Dogen wird bei Damiani kritisiert, der es aber immerhin zum Kardinal brachte.
Vielen Dank für die Berichtigung, El Quijote!

Im wesentlichen hat sich die Gabel als Essbesteck offenbar tatsächlich erst im ausgehenden Mittelalter durchgesetzt, fand aber im 14. Jahrhundert in Italien in einigen Oberschichtskreisen Verwendung. Wer dort etwas auf sich hielt, trug eine kleine Schachtel, Cadena genannt, bei sich, […]

Von »durchsetzen« kann noch keine Rede sein (auch wenn manch fescher Norditaliener seinen Kulturbeutel mit sich trug), betrachtet man die Genre-Bilder und Darstellungen von Banketten aus dem 17. Jh., auf denen (auch vornehme Herrschaften) mal mit, mal ohne Gabel speisen. Ein Durchsetzen wird erst im späten 17. Jh. stattgefunden haben. Das Essbesteck hatte in der ersten Hälfte 18. Jh. bereits seine heute gewohnte Form, während in manch ländlichen Gegenden noch lange mit den Fingern gegessen wurde.(siehe auch Post #21 von Sepiola)

Deutlich illurstriert wird die Verwendung der Essgabel in einer Handschrift von Hrabanus Maurus' "De Universo".
Anhang anzeigen 21211

Ob diese Essgeräte bereits als Gabel durchgehen können? Sind eher Zangen, quasi zusammengefügte Essstäbchen (ohne jetzt den Ursrpung der Gabel nach China verfrachten zu wollen).
 
Im Fall von zangenartig müsste man ein Gelenk/Scharnier sehen können (?) evtl. sind das zweispitzige "Aufpieksdinger", also doch a la Gabel (?)
Könntest Recht haben, dass es kein scherenartiges Besteck ist . Habe die Dinger in der Mitte als Gelenke interpretiert, erinnere mich aber an andere mittelalterliche Darstellungen, auf denen ähnliche Essgeräte pincettenartig wirken, d.h. nur zuhinterst zusammengefügt. Aus meiner Sicht aber sind das Greifinstrumente und kein Spießzeugs, deshalb nicht unbedingt Vorgänger der Gabel, zeigen aber, dass das Essen mit der Hand schon damals nicht allen gefiel.
 
Deutlich illurstriert wird die Verwendung der Essgabel in einer Handschrift von Hrabanus Maurus' "De Universo".
@Armer Konrad gibt es irgendwo einen Kommentar zu der Illustration, der eindeutig von Essgabeln spricht? @Mashenka und ich zweifeln gerade hin und her, ob das "Pieks-" oder "Greif"instrumente sind. Die Handhaltung der rechten Gestalt, die das Greif/Pieksding zum Mund führt, ist irgendwie unverständlich. Die Person links im Bild schneidet mit einem Messer, was sie mit dem Greif/Pieksding festhält (was fast wie heutiger Besteckgebrauch wirkt)
 
Von »durchsetzen« kann noch keine Rede sein (auch wenn manch fescher Norditaliener seinen Kulturbeutel mit sich trug), betrachtet man die Genre-Bilder und Darstellungen von Banketten aus dem 17. Jh., auf denen (auch vornehme Herrschaften) mal mit, mal ohne Gabel speisen.
Hier allerdings ein interessanter Hinweis auf die frühe Verbreitung der Essgabel in Italien, aus: Thomas Coryate (um 1577–1617), Crudities Hastily Gobbled Up in Five Months or Coryates Crudites, 1611, S. 236f; Text @ archive.org.

“I observed a custome in all those Italian Cities and Townes
through the which I passed, that is not used in any other
country that I saw in my travels, neither doe I thinke
that any other nation of Christendome doth use it, but
only Italy. The Italian and also most strangers that are
commorant in Italy, doe alwaies at their meales use a little
Forks used in forke when they cut their meat. For while with their
feeding. knife which they hold in one hand they cut the meate
out of the dish, they fasten their forke which they hold
in their other hand upon the same dish, so that whatsoever
he be that sitting in the company of any others at meale,
should unadvisedly touch the dish of meate with his
fingers from which all at the table doe cut, he will give
occasion of offence unto the company, as having trans
gressed the lawes of good manners, in so much that for
his error he shall be at the least brow-beaten, if not
reprehended in wordes. This forme of feeding I under
stand is generally used in all places of Italy, their forkes
being for the most part made of yron or steele, and
some of silver, but those are used only by Gentlemen.
The reason of this their curiosity is, because the Italian
cannot by any means indure to have his dish touched
with fingers, seing all mens fingers are not alike cleane.
Hereupon I my selfe thought good to imitate the Italian
fashion by this forked cutting of meate, not only while
I was in Italy, but also in Germany, and oftentimes in
England since I came home”
 
Es geht um das Essen im Sitzen mit Messer und Gabel, und nicht um die Erfindung der Gabel.
Das ist deine Interpretation – bei mir geht es um die Gabel als Essinstrument.

Du meinst also, dass die Gabel per se als Teufelszeug gegolten habe?
Die Gabel wurde von Kardinal Petrus Damiani, einem einflussreichen Kleriker seiner Zeit, ohne Zweifel verteufelt – zusammen mit anderen Dinge, die er für Luxus hielt.

Beim Damiani wird vor allem der Gebrauch der Gabel von einer byzantinischen Prinzessin, die den ältesten Sohn des Dogen geheiratet hatte, thematisiert und ihr Tod – sie verweste angeblich beim lebendigen Leib – als gerechte Strafe Gottes für dieses Verhalten angesehen. Damiani verschwieg dabei sowohl, dass sie eine Prinzessin war, als auch dass sie zusammen mit vielen anderen während einer Epidemie starb. Die Absicht seines Schreibens war klar: Gott verabscheut Luxus und mag es nicht, dass ihr mit der Gabel isst, sonst werdet ihr eines grausamen Todes sterben.

Wie Damiani wendet sich auch der 100 Jahre später lebende Kardinal Lothar der Conti di Segni, der spätere Papst Innozenz III., gegen überflüssigen Luxus beim Tisch, was man unter dem Stichwort Vanitas subsummieren könnte.

Man könnte konstatieren, dass diese Propaganda Erfolg gehabt hatte, denn es gibt im Westen nur wenige mittelalterliche Darstellungen des Abendmahls mit Gabel als Essbesteck, das im Gegensatz zum Orient, wo die römische Kultur bis 1453 weiterlebte – und damit auch der Gebrauch der Gabel.

Warum dieser Gebrauch der Gabel als Essinstrument im Westen verschwand, darüber kann nur spekuliert werden. Fest steht allerdings, dass im Hochmittelalter wichtige Männer der Kirche dagegen anschrieben. Fest steht auch, dass dieser Gebrauch aus dem Osten wieder reimportiert wurde. Ob das durch die Heirat der hochstehenden byzantinischen Frauen in den Westen gelang, oder durch die Kreuzfahrer, das ist nicht mehr so wichtig.

@Dion würdest du das in Beziehung zu mittelalterlichen Vanitasvorstellungen sehen?
Ja.

Sehe ich nicht als Verteufelung der Essgabel, sondern des Luxus.
Klar, es ging gegen Luxus im Allgemeinen, aber zumindest Damiani verurteil die Gabel mehr als andere "verabscheuungswürdigen" Tätigkeiten, indem er sich ihr ausführlicher widmet.

es geht nicht nur um das Essen
Es geht darum, dass das menschliches Dasein auf Erden unwichtig ist, denn das wahre Leben wird es erst nach dem Tod geben, allerdings nur für jene, die sich im irdischen Leben dem Einflüsterung des Feindes (Teufels) entzogen haben. Gold und Luxus wird es selbstverständlich im Himmel geben, aber wer auf der Erde im Gold und Luxus lebt, wird nicht in den Himmel, sondern in die Hölle kommen, wo die Qualen umso größer werden, je mehr Luxus jemand auf Erden genossen hat.

Ich danke dir für den Link auf die englische Übersetzung des ganzen Briefes. Ich habe es ganz gelesen – und daraus über das Denken der Kleriker und vielleicht auch der mittelalterlichen Menschen sehr viel gelernt. Außerdem muss sagen, dass Frugoni ihn richtig übersetzt hat, wenn auch sie diesen Abschnitt – Zitat aus dem Brief:

Aber die offensichtliche Bestrafung zeigte, wie sehr der Stolz dieser Frau dem allmächtigen Gott zuwider war, um gerächt zu werden. Als er nämlich die scharfe Spitze des göttlichen Gerichts über sie geschwungen hatte, verfaulte ihr ganzer Körper, so dass alle Glieder ihres Leibes in allen Teilen verwesten, und ihr ganzes Schlafgemach war von einem unerträglichen Gestank erfüllt, und niemand konnte eine so große Beleidigung für die Nase ertragen;

mit „Der grausame Tod der jungen Frau, die bei lebendigem Leib verweste („corpus eius computruit“), wird offenbar als gerechte Strafe Gottes für eine so große Sünde betrachtet.“ auf das Wesentliche verkürzt wiedergegeben hat.

Aber was hat die Prinzessin so Schlimmes getan?

1. Sie wäre abergläubisch – (wohl, weil aus Konstantinopel kommend; als der Brief geschrieben wurde (1059-60), war die morgenländische Schisma erst 5-6 Jahre alt.)
2. Sie war feinfühlig und so raffiniert, dass sie nur im Regenwasser badete. (Na, immerhin beschuldigt er sie nicht, in Eselsmilch gebadet zu haben.)
3. Sie rührte die Speisen nicht mit ihren Händen an, sondern benutze dazu eine goldene Gabel. (Abweichung vom üblichen Verhalten: Das sagt etwas über die Esssitten im lateinischen Westen.)
4. Zitat: Außerdem duftete ihr Schlafgemach nach so vielen Arten von Weihrauch und Gewürzen, dass es selbst für uns eine große Schande ist, es zu beschreiben, und der Zuhörer würde es vielleicht nicht glauben. (Was für eine Anmaßung: Weihrauch war wohl für die Kirche reserviert?)

Unerhörte Luxus das alles, was von Gott umgehend bestraft wurde: 1004 oder 1005 kam sie nach Venedig, 1007 war sie tot.

Die Bürgerin - jetzt bin ich perplex, denn #1 entnahm ich die Info, dass die eitel-sündige Gabelnutzerin eine byzantinische Prinzessin gewesen sei.
Dass Damiani die Prinzessin zu einfachen Bürgerin Konstantinopels machte, war entweder Absicht oder sein Informant, den er für einen wahrhaftigen und ehrlichen Mann hielt, hat ihm nicht die ganze Wahrheit gesagt.

Das man damals überrascht war das eine der Frauen mit einer Gabel das Essen einnahm, verstehe ich ja noch.

Das aber Vertreter der katholischen Kirche so vehement sich gegen diese Neuerung stemmten, ist ja nun gar nicht zu verstehen. Oder doch?
Aus dem Denken der mittelalterlichen Menschen, die vom nahen Ende der Welt überzeugt waren, ist das schon zu verstehen: Sie fürchteten sich vor diesem Ende. Im Brief Damianis spricht diese Furcht aus fast jeder Zeile: Unaufhörlich werden da Propheten des Alten Testaments zitiert, wie Gott nun all jene bestrafen wird, die seine Gebote nicht befolgen.

Ob diese quasi Moralpredigt den Dogen oder seine Nachfolger, oder die ottonischen Kaiser, die byzantinischen Kaiser, die mitmischenden "Markgrafen" in Italien und andere Mächtige sonderlich beeindruckt hatte, weiß ich nicht, würde es aber bezweifeln.
Ich bezweifelte das dagegen nicht, denn wäre dem anders, die Verbreitung der Gabel im Westen hätte viel früher stattgefunden, schließlich ist sie außerst nützliches Instrument und aus unserer Welt nicht mehr wegzudenken.

m wesentlichen hat sich die Gabel als Essbesteck offenbar tatsächlich erst im ausgehenden Mittelalter durchgesetzt, fand aber im 14. Jahrhundert in Italien in einigen Oberschichtskreisen Verwendung. Wer dort etwas auf sich hielt, trug eine kleine Schachtel, Cadena genannt, bei sich, wenn er zum Essen in das Haus eines Adligen oder reichen Kaufmanns eingeladen wurde. Darin befanden sich die eigene Gabel und der eigene Löffel, wobei es sich möglichst um extravagante Modelle handeln sollte, welche wie ein Statussymbol vorgeführt wurden.
Danke für den Hinweis. Ab wann ist diese Cadena nachweisbar?
 
Chiara Furgoni hat in ihrem Buch auch dieses Bild von mittelalterlichen Gabeln aus dem Florentiner Museo Horn wiedergegeben:

Collezione_04_arredi_06_posate.jpg
 
Hier allerdings ein interessanter Hinweis auf die frühe Verbreitung der Essgabel in Italien, aus: Thomas Coryate (um 1577–1617), Crudities Hastily Gobbled Up in Five Months or Coryates Crudites, 1611, S. 236f; Text @ archive.org.

“I observed a custome in all those Italian Cities and Townes
through the which I passed, that is not used in any other
country that I saw in my travels, neither doe I thinke
that any other nation of Christendome doth use it, but
only Italy. The Italian and also most strangers that are
commorant in Italy, doe alwaies at their meales use a little
Forks used in forke when they cut their meat. For while with their
feeding. knife which they hold in one hand they cut the meate
out of the dish, they fasten their forke which they hold
in their other hand upon the same dish, so that whatsoever
he be that sitting in the company of any others at meale,
should unadvisedly touch the dish of meate with his
fingers from which all at the table doe cut, he will give
occasion of offence unto the company, as having trans
gressed the lawes of good manners, in so much that for
his error he shall be at the least brow-beaten, if not
reprehended in wordes. This forme of feeding I under
stand is generally used in all places of Italy, their forkes
being for the most part made of yron or steele, and
some of silver, but those are used only by Gentlemen.
The reason of this their curiosity is, because the Italian
cannot by any means indure to have his dish touched
with fingers, seing all mens fingers are not alike cleane.
Hereupon I my selfe thought good to imitate the Italian
fashion by this forked cutting of meate, not only while
I was in Italy, but also in Germany, and oftentimes in
England since I came home”

Soweit ich das verstehe, scheint es hier aber nicht um die Essgabel im engeren Sinne zu handeln, also eine Gabel, die benutzt wird, um unmittelbar Essen in den Mund zu befördern, sondern eher eine Gabel, mit deren Hilfe man Stücke von einem Braten oder einem anderen großen Stück Fleisch abschneidet. Daher auch der Hinweis, dass der Italiener es nicht ertrage, dass das Gericht von Fingern berührt wird, da nicht jeder Mann gleich reinliche Finger habe (seing all mens fingers are not alike cleane.). Die Reinlichen wollen sich vor den weniger Reinlichen schützen, in dem der Braten, von dem sich alle etwas abschneiden, nicht mit den Fingern, sondern nur mit einer Gabel (und natürlich dem Messer) berührt wird.
 
Soweit ich das verstehe, scheint es hier aber nicht um die Essgabel im engeren Sinne zu handeln, also eine Gabel, die benutzt wird, um unmittelbar Essen in den Mund zu befördern, sondern eher eine Gabel, mit deren Hilfe man Stücke von einem Braten oder einem anderen großen Stück Fleisch abschneidet.
Schon, aber die beschriebene Art des Abschneidens entspricht dem Gebrauch der Essgabel mit Messer. Coryate formuliert dann “this forme of feeding” anstatt z.B. “this form of cutting”, was aus meiner Sicht dafür spricht, dass das Fleischstück mit der Gabel auch zum Mund geführt wurde.
 
Dass die Gabel sich im 13. Jahrhundert gerade von Italien aus verbreitete – auch nördlich der Alpen heiratete man byzantinische Prinzessinnen, nicht wahr? –, hinge laut Frugoni mit den trockenen Nudeln (italienisch: pastasciutta) zusammen, die gekocht mit der Gabel besser zu essen waren als mit jedem anderen Essenszubehör. Sie wurden wahrscheinlich im 12. Jhdt. in Sizilien erfunden und verbreiteten sich vor dort aus über die Hafenstädte Italiens und der Provence: Dort wurde die Pasta jedenfalls in Handelsregistern als Handelsgut erwähnt.

Hier ein Bild, auf dem die Nudelherstellung dargestellt ist, aus dem Buch Tacuinum Sanitatis (14. Jhdt., wird in Wien aufbewahrt):

Tacuin_Pâte42.jpg
 
Apropos Nudeln: Was ich nicht ganz verstehe, Dion, warum Dir die frühe Verwendung der Essgabel in Italien gefällt, wenn Du beweisen willst, dass eine Verteufelung der Gabel stattgefunden haben soll. Wann und warum soll sich ein Sinneswandel vollzogen haben?

Ein Durcheinander, den Du da machst. Einerseits schreibst Du,
Das ist deine Interpretation – bei mir geht es um die Gabel als Essinstrument.
Dir gehe es allein um die Gabel als Essinstrument und nicht um das Essen im Sitzen mit Messer und Gabel.

Dann aber:
Man könnte konstatieren, dass diese Propaganda Erfolg gehabt hatte, denn es gibt im Westen nur wenige mittelalterliche Darstellungen des Abendmahls mit Gabel als Essbesteck, das im Gegensatz zum Orient, wo die römische Kultur bis 1453 weiterlebte – und damit auch der Gebrauch der Gabel.
Hier geht es einzig und allein um das Essen im Sitzen mit Messer und Gabel.

Dennoch sinnierst Du:
Warum dieser Gebrauch der Gabel als Essinstrument im Westen verschwand, darüber kann nur spekuliert werden.
Das Essen im Sitzen mit Gabel und Messer war im Westen nie verschwunden, da nie zuvor, auch in der Antike nicht üblich. Dass sich ein Römer mal eine Rosine mit einer Gabel herausgepickt hatte, oder sogar Attila sich ein Stückchen Leber mit einem Spießchen aus der Sauce gefischt hatte, ist anzunehmen, und hat absolut nichts mit der Darstellung des gepflegten Dinierens beim Letzten Abendmahl zu tun.
 
Das Essen im Sitzen mit Gabel und Messer war im Westen nie verschwunden, da nie zuvor, auch in der Antike nicht üblich.
Klar, zu Römerzeit aßen die Menschen liegend, was ausschließt, dass sie in dieser Lage mit Gabeln und Messern hantierten. Aber sie kannten Gabeln und benutzten sie auch – ich vermute, nicht nur zum Rosinenpicken, wie du sagst, sondern für alles Essbare, das nicht flüssig, aber klein und fest genug war, um es zum Mund führen zu können, ohne sich dabei die Hände fettig oder sonst wie schmutzig zu machen; man denke hier an Garum, das die Römer über alles Mögliche und Unmögliche gossen.

Ich weiß nicht, wann man dazu übergegangen ist, am Tisch zu sitzen, aber im Osten benutzte man da weiterhin Gabeln, während sie im Westen neben dem Löffel und dem Messer anstelle der Gabel die Hände benutzten, die man sich immer wieder am Tischtuch, falls vorhanden, abwischte, ev. nachdem man sie in von Dienern gereichten Schalen mit Wasser säuberte.

Über das Warum und Wieso dieses Unterschieds, kann man nur spekulieren.
 
Das ist deine Interpretation – bei mir geht es um die Gabel als Essinstrument.
[…]
Die Gabel wurde von Kardinal Petrus Damiani, einem einflussreichen Kleriker seiner Zeit, ohne Zweifel verteufelt – zusammen mit anderen Dinge, die er für Luxus hielt.
Das geht eben aus dem Text nicht so klar hervor.

Es geht dabei darum, dass die Frau des Dogen das kleingeschnittene Essen auf fuscinulis aureis atque bidentibus - goldenen „zweizähnigen“ Gabeln angeblich in ihrem Mund ableckte (ori suo ligurriens) - heute würde man bei der Beschreibung meinen, sie habe eine mit der Bulimie verwandte Essstörung gehabt. Es geht um die Dekadenz, das Hauptlaster der luxuria. Vielleicht auch Hochmut (superbia).

Gott verabscheut Luxus und mag es nicht, dass ihr mit der Gabel isst, sonst werdet ihr eines grausamen Todes sterben.
Es geht nicht um die Gabel. Die ist nichts weiter als ein Instrument.

mit Gabel als Essbesteck, das im Gegensatz zum Orient, wo die römische Kultur bis 1453 weiterlebte – und damit auch der Gebrauch der Gabel.
Was voraussetzen würde, dass die Gabel als Essbesteck seit der Antike im Gebrauch gewesen wäre. Das scheint tatsächlich nicht der Fall zu sein.

Warum dieser Gebrauch der Gabel als Essinstrument im Westen verschwand,
S.o.: falsche Prämisse.

Fest steht allerdings, dass im Hochmittelalter wichtige Männer der Kirche dagegen anschrieben.
Ach, die Gabel hat doch Petrus Damiani und Lothar du Segni gar nicht interessiert.

zumindest Damiani verurteil die Gabel mehr als andere "verabscheuungswürdigen" Tätigkeiten, indem er sich ihr ausführlicher widmet.
Mit „ausführlich“ meinst du die Stelle fuscinulis aureis atque bidentibus („zweizähnige und goldene Gäbelchen“)?

2. Sie war feinfühlig und so raffiniert, dass sie nur im Regenwasser badete.
Sie wird nicht dafür kritisiert, dass sie in Regenwasser gebadet habe, sondern dass angeblich ihre Diener mühsam das Tauwasser (du weißt schon, die feinen Tröpfchen, die an Spätsommermorgen an Grashalmen hängen) zusammentragen mussten.

3. Sie rührte die Speisen nicht mit ihren Händen an, sondern benutze dazu eine goldene Gabel. (Abweichung vom üblichen Verhalten: Das sagt etwas über die Esssitten im lateinischen Westen.)
Auch dies ist falsch wiedergegeben. Damiani behauptet ja gerade nicht, dass sie das Fleisch gegessen habe, sondern, dass sie die kleingeschnittenen Bissen nur ableckte. Das gilt auch heute noch als obszön.

4. Zitat: Außerdem duftete ihr Schlafgemach nach so vielen Arten von Weihrauch und Gewürzen, dass es selbst für uns eine große Schande ist, es zu beschreiben, und der Zuhörer würde es vielleicht nicht glauben. (Was für eine Anmaßung: Weihrauch war wohl für die Kirche reserviert?)
Weihrauch stammt vom Harz eines Baumes von der arabischen Halbinsel. Das war ein wertvolles Gut. Das Thema ist Verschwendung(ssucht). Ob diese Vorwürfe Maria Argyropulaina zu Recht gemacht wurden, oder Ex Post, um ihren qualvollen Tod in das große Ganze zu stellen, steht auf einem anderen Blatt.

Dass Damiani die Prinzessin zu einfachen Bürgerin Konstantinopels machte, war entweder Absicht oder sein Informant, den er für einen wahrhaftigen und ehrlichen Mann hielt, hat ihm nicht die ganze Wahrheit gesagt.
Es gab damals quasi kein Bürgertum im Sinne einer Stände- oder Klassengesellschaft.
 
Es geht dabei darum, dass die Frau des Dogen das kleingeschnittene Essen auf fuscinulis aureis atque bidentibus - goldenen „zweizähnigen“ Gabeln angeblich in ihrem Mund ableckte (ori suo ligurriens) - heute würde man bei der Beschreibung meinen, sie habe eine mit der Bulimie verwandte Essstörung gehabt. Es geht um die Dekadenz, das Hauptlaster der luxuria. Vielleicht auch Hochmut (superbia).
Frugoni übersetzte die Stelle, die du mit „in ihrem Mund ableckte“ übersetztest, mit „kostete sie nur“. Ich kann kein Latein, aber vom Gefühl her tendiere ich zu der Übersetzung von Frugoni.

Außerdem ist Bulimie etwas anderes als nur da und dort etwas zu kosten – bei der Bulimie wird ordentlich gegessen und später das Aufgegessene ausgespien. Gut, du hast geschrieben, es wäre eine mit Bulimie verwandte Störung, aber hast nicht gesagt, welche.

Und klar geht es um Luxus – das habe ich hier schon öfters gesagt – und dementsprechend um luxuria, aber wenn man den ganzen Brief liest, dann geht es Damian um Fleisch, das es zu besiegen gilt, wenn man in den Himmel kommen will, wo es, genau, all diese Köstlichkeiten inkl. Gold im Überfluss geben würde, was nicht unähnlich den Versprechungen im Islam klingt; dieser hat das wohl vom Christentum übernommen.

Es geht nicht um die Gabel.
Es geht nicht um Gabel allein – Damiani wirft ihr 4 „Sünden“ vor, die ich auch alle genannt habe.

Was voraussetzen würde, dass die Gabel als Essbesteck seit der Antike im Gebrauch gewesen wäre. Das scheint tatsächlich nicht der Fall zu sein.
Nicht? Und was ist mit Garum? Kannst du dir vorstellen, irgendetwas mit dieser Soße Übergossenes mit den Händen in den Mund zu führen?

Ach, die Gabel hat doch Petrus Damiani und Lothar du Segni gar nicht interessiert.
Nicht? Beide schrieben doch von der Gabel als eines der Dinge, die man beim Tisch nicht braucht, also Luxus ist/sind.

Mit „ausführlich“ meinst du die Stelle fuscinulis aureis atque bidentibus („zweizähnige und goldene Gäbelchen“)?
Ich meine diese Stelle: „Sie fasste die Speisen nicht mit den Händen an, sondern ließ sich das Essen von Eunuchen in kleinste Stücke schneiden. Diese führte sie dann mit Hilfe goldener, aus zwei Zinken bestehender Gabel zu Munde und kostete sie nur.“

Das ist detailreicher als jedes der anderen 3 Vorwürfe.

Sie wird nicht dafür kritisiert, dass sie in Regenwasser gebadet habe, sondern dass angeblich ihre Diener mühsam das Tauwasser (du weißt schon, die feinen Tröpfchen, die an Spätsommermorgen an Grashalmen hängen) zusammentragen mussten.
Das ist die typische Übertreibung eines Klerikers, der einer Frau, die einem „Aberglauben“ anhängt, alles Mögliche und Unmögliches zuschreibt. Das äußert sich in dem letzten Punkt, dem der Wohlgerüche, am stärksten. Da fällt dem sonst so beredeten Bischof offenbar nichts mehr ein als zu sagen, dass es schon Schande wäre, es zu beschreiben, und wenn man das doch täte, der Leser das nicht glauben würde.

Außerdem wird in der Übersetzung, auf die Sepiola verwies, nicht vom Tau gesprochen, sondern vom „Regen des Himmels“. Weil Regen keine Mineralien enthält, ist sein Wasser ganz weich und eignet sich als solches bestens fürs Baden und Waschen.

Damiani behauptet ja gerade nicht, dass sie das Fleisch gegessen habe, sondern, dass sie die kleingeschnittenen Bissen nur ableckte.
Wie gesagt, es gibt eine andere Übersetzung, in der nicht vom Ablecken die Rede ist, sondern vom Kosten.

Weihrauch stammt vom Harz eines Baumes von der arabischen Halbinsel. Das war ein wertvolles Gut. Das Thema ist Verschwendung(ssucht).
Ja, Weihrauch war und ist ein wertvolles Gut. Aber wenn man hier von Verschwendung spricht, dann müsste das vielmehr für die Kirche gelten, die das Weihrauch in ungeheuren Mengen importiert, um bei ihrem Hokuspokus Eindruck zu schinden. Ich denke, Damiani meinte damit: Weihrauch steht nur der Kirche und ev. noch den Kranken zu, aber nicht einer Frau, selbst wenn diese Ehefrau eines Dux ist.

Es gab damals quasi kein Bürgertum im Sinne einer Stände- oder Klassengesellschaft.
Dieser Einwand ist deiner nicht würdig, weil er nur ein formaler ist; er geht deswegen am Kern meiner Aussage vorbei.
 
Klar, zu Römerzeit aßen die Menschen liegend, was ausschließt, dass sie in dieser Lage mit Gabeln und Messern hantierten. Aber sie kannten Gabeln und benutzten sie auch – ich vermute, nicht nur zum Rosinenpicken, wie du sagst, sondern für alles Essbare, das nicht flüssig, aber klein und fest genug war, um es zum Mund führen zu können, ohne sich dabei die Hände fettig oder sonst wie schmutzig zu machen; man denke hier an Garum, das die Römer über alles Mögliche und Unmögliche gossen.
Da romantisierst Du ein Bisschen. Die Nutzung einer Gabel muss die Ausnahme gewesen sein. Dieses römische Mosaik aus dem 4. oder 3. Jh.v.Chr. bspw. zeigt ein römisches Gelage mit Geflügel, auf dem Boden die Reste von allerlei Essen, wie Fisch, Schnecken und Gemüse. Und keine einzige Gabel zu sehen.

Ich weiß nicht, wann man dazu übergegangen ist, am Tisch zu sitzen, […]
Behaupte mal, dass das Essen im Liegen der Sonderfall war, und nicht das Essen im Sitzen, da man sich im Liegen eher verschluckt.

[…], aber im Osten benutzte man da weiterhin Gabeln, während sie im Westen neben dem Löffel und dem Messer anstelle der Gabel die Hände benutzten, […]
Eine Frage wäre, ob in Byzanz das Essen mit Gabel und Messer generell Usus war, oder nur in vornehmen Kreisen zelebriert. Ich habe eh den Verdacht, dass dieser Brauch mit der Eroberung von Konstantinopel verlorengegangen sei, da die Verwendung der Gabel einzig über Italien nach Europa kam. Hätten die Osmanen Essgabel benutzt, wäre dies im 16. Jh. mit großer Wahrscheinlichkeit auch in Buda und bald auch in Wien geschehen.

Übrigens, was die Pasta angeht: die Japaner und Chinesen schaffen es bis heute, die Nudelsuppe mit den langen, glitschigen Teigwaren (Ramen) ohne Gabel, mit Hilfe eines Löffels zu verspeisen (ich auch, aber in der Öffentlichkeit nur ungern), weshalb die Spaghetti-Sache kein zwingender Beweis für die Verwendung der Gabel ist.
 
Und was ist mit Garum? Kannst du dir vorstellen, irgendetwas mit dieser Soße Übergossenes mit den Händen in den Mund zu führen?
Man kann dazu auch einen Löffel nutzen - oder aber die garumbekleckerte Speise in ein Brot packen. Aber auch mit bloßen Händen essen halte ich für vorstellbar. Wenn man sie vorher und hinterher wäscht, passt das schon.
In der arabischen Küche wird heute auch oft mit den Händen - oder besser mit der rechten Hand - gegessen, ganz ohne Besteck. In weiten Teilen Asiens ist das oft auch nicht anders.
 
während in manch ländlichen Gegenden noch lange mit den Fingern gegessen wurde.(siehe auch Post #21 von Sepiola)
Das hauptsächliche Esswerkzeug war der Holzlöffel, den hat mein Urgroßvater noch gekannt:

Beim Essen stand die Schüssel mit der Nahrung mitten auf dem Tisch und man bediente sich dann abwechselnd mit seinem eigenen Löffel. Gab es auch mal was zu beißen, wurden die Finger zur Hilfe genommen. In dieser Zeit behielt man in manchen Gegenden seinen Holzlöffel ein ganzes Leben lang. Daher kommt auch der Ausspruch, der heute noch gebräuchlich ist, ,,Er hat den Löffel abgegeben.‘‘
[...]
Als dann noch gegen Ende des 19. Jahrhundert der Löffel aus Metall sich immer mehr einbürgerte, kam die Löffelschnitzerei, die vielen Helberhäuser Familien etwa 200 Jahre lang Arbeit und somit Brot gegeben hatte, zum Erliegen.
Löffelschnitzer
Dass so ein Holzlöffel das ganze Leben lang hielt, dürfte kaum stimmen, aber es war tatsächlich so, dass jeder seinen eigenen Löffel hatte.
 
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