Ist Alltagsgeschichte = Mikrogeschichte?

Scarlett

Mitglied
Kann mir das jemand beantworten? Sind die Begriffe gleichbedeutend oder wie mache ich die Unterschiede fest?
 
Auf den ersten Blick würde man wohl mit Ja antworten wollen. Aber sobald man darüber nachdenkt, ist dem nicht mehr so. Es kommt wohl auf den theoretischen Hintergrund der Begriffe an. Allerdings überschneiden sich die Begriffe, denke ich, im Gegenstandsbezug. Ich denke zwar, daß du die Seite von Wikipedia zum Thema Mikrogeschichte - Wikipedia schon kennen wirst. Auch heißt es, daß Überschneidungen zwischen Mikrogeschichte einerseits und Alltagsgeschichte und historischer Anthropologie andererseits bestehen. Die dort angegebene Literatur dürfte bei deiner Abgrenzungsfrage vielleicht weiter helfen:
Alf Lüdtke: Alltagsgeschichte, Mikro-Historie, historische Anthropologie. In: Hans-Jürgen Goertz (Hrsg.), Geschichte. Ein Grundkurs. Reinbek 1998, S. 565-567.
Hans Medick: Mikro-Historie. In: Winfried Schulze (Hrsg.): Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie. Eine Diskussion. Göttingen 1994, S. 40-53.

Spontan würde ich den Begriff der Mikrogeschichte im eher soziologischen Zugang der Geschichte verorten. Ich meine, im Zusammenhang der Rezeption der Zivilisationstheorie von Norbert Elias werden immer Begriffe wie Mikro- und Makroprozesse verwendet. Als Mikroprozesse werden hier Veränderungen in der Trieb- und Affektregulation der historischen Subjekte begriffen.
Demgegenüber würde ich den Ursprung der Alltagsgeschichte eher in der Sozialgeschichte sehen. Dieser Verdacht wird auch bei - wohl auch diese Seite wirst du schon kennen - Wikipedia über Alltagsgeschichte - Wikipedia bestätigt.
Zur Forschungsrichtung der Mikrogeschichte habe ich noch diese Sätze gefunden:
Seit den 1970er Jahren sind neue Formen der Geschichtsschreibung entstanden, die sich auf kleinere Untersuchungseinheiten konzentrierten. Diese Studien basierten oft auf gerichtlichen Quellen oder anderen Formen zeitgenössischer Untersuchungen (medizinische Gutachten, Rechtsgutachten, Selbstbeobachtungen, Autobiographien) und öffnen mit dieser individuellen Perspektive Fenster zu bis dato unbekannten Dimensionen der Geschichte. Diese Studien zielten jedoch auf keine Freak-Geschichte, sondern vielmehr darauf, die Welt aus einer Innenperspektive kennenzulernen und daraus die zeitgenössischen Strukturen und ihre Bedeutung verstehen zu lernen.
Prof. Dr. Wolfgang Behringer | Lehrveranstaltungen
Insgesamt klingt das alles doch sehr nach großer Ähnlichkeit, so daß man nicht unbedingt beide Forschungsrichtungen voneinander abgrenzen muß. Ich könnte mir vorstellen, daß der mikrohistorische Ansatz in der theoretischen Ausarbeitung ambitionierter ist, während der alltagsgeschichtlichge Zugang die größere Nähe zum Phänomenbereich sucht.
 
Danke, ich fand bei manchen Artikeln / Aufsätzen, die ich las, beider Begriffe auf für mich etwas verwirrende und fast austauschbare Weise verwendet, so dass ich mir da einfach unsicher war.
 
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