ich bitte darum. Wenn Du Interesse und Zeit hast, wäre ich sehr interessiert. Bin selbst gerade am (zum ersten mal) hören von Büchern Mose, bin gerade am letzen drittel Mose 2 und frage mich wie Kant die Handlungen die im gottes Namen durgeführt werden (sollen), mit einem Imperativ abzudecken vermag (zB Auszug aus Ägypten).
[...] Aber der Sündenfall ist für mich (zumindest bisher) der Favorit. Und zwar wird folgendes in Genesis beschreiben:
[...]
Das passt zu "Längst" und zu Mündigkeit bezüglich der Natur, was zwar auf die andere Sichtweise auch zutrifft, in der Genesis kommt aber noch ein anderer Faktor hinzu:
wenn man Adam und Eva sich als eine Gattung vorstellt, dann ist der Sündenfall geradezu die Befreiung der Menschheit aus der natürlichen Zwangsläufigkeit.
Und mal nebenbei, vielleicht hat es ja sogar einen Sinn dass es gerade die Frau diejenige war, der die Schlange den Sündenvorschlag gemacht hat. Den Mann kann man sich wohl eher als etwas Starres, Eingelaufenes vorgestellen, wogegen die Frau eher als etwas was nicht so festgelegt und eher offener für Änderungen ist als es der Mann wäre. Oder?
Zunächst zum letzten Satz: Man kann sich eine Menge vorstellen und ein Theologe mag die Sündenfallgeschichte für seine Zwecke (z. B.seine Sonntagspredigt) deuten, wie er wolle. Dem Text wäre das meiner Ansicht nach aber nicht zu entnehmen... Aber wie dem auch sei, Thema meiner Antwort soll hier die angegefragte Interpretation Kants sein; ich habe dazu Eugen Drewermanns
Strukturen des Bösen Bd. III A (S.1-59) zum Teil mehrfach lesen müssen. (Die Antwort hat freilich auch länger auf sich warten lassen, weil ich im Urlaub war.)
Neben der Religionsschrift (
Kant, Immanuel, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, Erstes Stück. Von der Einwohnung des bösen Prinzips neben dem Guten: oder Über das radikale Böse in der menschlichen Natur, IV. Vom Ursprunge des Bösen in der menschlichen Natur ) verhandelt Kant den Sündenfall auch in "Mutmaßlicher Anfang der Menschheitsgeschichte".
Kant selbst ist etwas komplizierter zu lesen, aber Drewermann faßt es wohl soweit gut zusammen, "daß hier der Zeit nach als erstes gedacht werde, was
seinem Wesen nach als erstes gedacht werden müsse. (Die Religion VIII 691-692)" Nach Kants Auffassung lasse der biblische Bericht "das Böse nicht mit einem wie immer beschaffenem Hang zum Bösen anfangen, sondern mit der Sünde, d. h. mit einer nicht weiter reduzierbaren Tat der Freiheit, der lediglich in Gestalt des göttlichen Gebotes das Gesetz der Moral sowie der Zustand der Unschuld vorausgehen. [...] [Ü]ber die Art ihres Zustandekommens [...] läßt sich fesstellen, daß die Menschen die Strenge des erlassenen Verbotes zu bezweifeln anfangen und sich hernach an dem gebotenen Gehorsam der sittlichen Verpflichtung gegenüber vorbeilügen, bis daß sie schließlich sündigen. So aber muß nach Kant jede Tat zum Bösen aufgefaßt werden, als sei sie [...] rein aus Freiheit erfolgt. [...] Daß aber das Böse in moralischem Sinne nicht irgendeiner Anlage, sondern allein der Vernunft entstammt, die [...] die an sich guten Anlagen der Natur in die Maximen ihres Handelns aufnimmt, zeigt sich biblisch darin, daß ein Geist von ursprünglich erhabener Bestimmung durch Verführung den Anfang zum Bösen setzt. (VIII 692-693)" (Drewermann, S.30 f) Was bei Drewermann merkwürdig wenig deutlich wird, daß Kant nichts desto weniger auch vom "radikalen Bösen des Menschen" spricht: "so werden wir diesen einen natürlichen Hang zum Bösen, und, da er doch immer selbstverschuldet sein muß, ihn selbst ein radikales, angebornes (nichts destoweniger aber uns von uns selbst zugezogenes) Böse in der menschlichen Natur nennen können." (
Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, Erstes Stück III)
Soweit zu den Kantischen Überlegungen zur Genesis (Paradieserzählung und Sündenfall) aus der Religionsschrift von 1793, wobei ggf. allgemeine Bemerkung erlaubt seien:
Wenn Kant darin eine Vernunftreligion konzipiert, so sieht er keinen Widerspruch zur Offenbarung, wenn sie auch seinen moralphilosophischen Überlegungen entbehrlich erscheinen. Vielleicht ist von daher eine mir sonst merkwürdig erscheinende Bemerkung zu verstehen: Kant stellt nämlich in einer Anmerkung (15) zur biblischen "Geschichtserzählung" fest, daß man seine Ausführungen nicht für eine Schriftauslegung halten müsse, "welche außerhalb den Grenzen der Befugnis der bloßen Vernunft liegt". Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich diese Bemerkung richtig verstehe; auf jeden Fall wollte er wohl betonen, daß er sich in die historisch-kritischen Fragen der Pentateuchkritik anscheinend nicht einmischen wollte, den Streit darum vielleicht als völlig überflüssig empfand - was meiner Ansicht nach allerdings anmaßend klingt, wenn er von einer "unfruchtbaren Vermehrung unserer historischen Erkenntnis" spricht und seine eigenen Überlegungen als moralphilosophisch besonders wertvoll ausweist. Möglicherweise geht es ihm aber gar nicht so sehr um eine Abwertung einer empirischen Wissenschaft (Historie), als vielmehr darum zu betonen, daß die Frage, ob die biblische Urgeschichte nun Mose oder irgend einem anderen "Jahwistischen" Theologen zugeschrieben werde, für die ethische Fragestellung völlig irrelevant sei.
Der etwas ältere Text Kants zum Sündenfall (1786) liegt mir zum Nachlesen jetzt gerade nicht vor, daher skizziere ich nur nach Drewermann (1978):
eventuell geht es Kant hier noch teilweise auch um ein historisches Interesse, denn Kant unternehme mit seinen Mutmaßungen eine "geistige 'Lustreise' historischer Spekulation an Hand der biblischen Urgeschichte, und seine Interpretation derselben, die bei seiner Rekonstruktion der ersten Entwicklung der Freiheit des Menschen zustandekommt, dient wiederum nicht einem bloß historischen Interesse, sondern dem erklärten Ziel, den Menschen mit den bestehenden Übeln seiner Lebens zu versöhnen, indem dieser den Nutzen derselben unter den gegenwärtigen Umständen erkennen und sich selbst an ihrem Auftreten die Schuld zu geben lernen möge." (Drewermann, S.31)
Kant scheint hier den biblischen Bericht sehr wörtlich zu akzeptieren, daß es einst ein Menschpaar gab, als gewissermaßen notwendige Annahme, damit sich die Menschheit nicht gleich im Anfang ihrer Geschichte aufgrund der "gänzlichen Rohigkeit ihrer Natur" vernichtetete. Die ersten Menschen unterstanden einer gewissen Instinktleitung, die Kant als mit den Tieren gemeinsam bezeichnet und als "Stimme Gottes". - Die Annahme eines ursprünglichen Barbarismus scheint Kant später ggf. fallengelassen zu haben, aber das gälte zu prüfen.
Das Auftauchen der Vernunft beim Menschen erst nach einer "ziemlich langen Zeit" (Drewermann, S.32) geht bei Kant einher mit der Einbildungskraft, vermittels der aus einfachen Begierden etwa Lüsternheit - wohl nicht nur, aber auch in geschlechtlicher Hinsicht - entstanden, wodurch der Mensch auch erkannte, daß er nun selbst sein Leben zu gestalten vermochte, was ihn aber gleichzeitig auch ängstigte; eine damit in Zusammenhang stehende Einzelauslegungen betrifft etwa den Gebrauch des Feigenblattes, um Triebbedürfnisse zu kontrollieren; der Vernunftgebrauch selbst mochte geradezu als "Verbrechen" erschienen sein, angesichts der sorgenvollen Zukunft von Arbeit, der monatlichen Leiden der Frau im speziellen usw. Insgesamt stelle also die Vertreibung aus dem Paradies "als der Schritt des Menschen von der rohen Naturbeschaffenheit zur Vernunft und damit zu Freiheit dar" (Drewermann, S.33) Die Vernunft sei hier noch schwach, treibe sie auch dazu an, "die Mühe, die er [der Mensch] haßt, dennoch geduldig über sich zu nehmen, dem Flitterwerk, das er verachtet, nachzulaufen, und den Tod selbst, vor dem ihm grauet, über alle jene Kleinigkeiten, deren Verlust er noch mehr scheuet, zu vergessen." Kant bestätigt gewissermaßen den von Rousseau beschriebenen Gegensatz zwischen Natur und der Kultur (wenn er dessen Aufforderung zur Rückkehr zur Natur nicht teilte - so nach Höffe, S.250); ein plausibles Beispiel etwa: "die Ungleichzeitigkeit von biologischer Reifung und kultureller Heiratsmöglichkeit" (S.33)
Interessant finde ich, daß Kant anscheinend schon in der auf den Sündenfall folgende Erzählung der Genesis kulturdifferenzielle Spannungen zwischen Ackerbauern und Hirten hineininterpretierte. (Überraschend, weil ich dachte, diese Deutung sei erst späteren Datums.) Nach einer Verschmelzung beider Kulturen in den städtischen Kulturzentren, wohl so nach Kant, entstand auf eine Phase der Sittenlosigkeit und in Folge vom "Wegfall der Kriegsgefahr" Despotien der Tyrannei und das "Ende der Freiheit" (S.34).
Wenn, um auf dsas Thema des Threads zurückzukommen, also nach Kant nicht nur Begehrungsvermögen zur menschlichen Natur gehören, sondern auch die Anlage zum Vernunftgebrauch, deren Auftauchen in eine Urzeit zurückreicht, dann könnte im Laufe der historischen Zeit beispielsweise durch die Herausbildung der Philosophie in der griechischen Antike ein gewisses Mündigkeitsalter erreicht worden sein. Nun hat sich Kant glaube ich aber gar nicht so zur faktischen Geschichte (auch nicht Philosophiegeschichte, die in ihrer Form erst eine Philosophengeneration nach Kant entstand) geäußert.