Ich habe mal bis zum 17. Post auf der ersten Seite gelesen, und dann vor Wochen eine halbfertige Antwort offline geschrieben. Bevor der Thread nun weiter anwächst, stelle ich ihn mal fertig und poste ihn. Nach dem 17. Post erfolgte Postings sind nicht berücksichtigt, vielleicht lese ich nochmal weiter und gebe meinen Senf dazu, wenn nicht schon durch diesen Post erledigt:
Als Überschrift könnte man für diesen Post folgendes nehmen:
Anatolien wird türkisch und islamisch
Herrlich, wie man sich immer wieder durch solchen Bullshit im Geschichtsforum köstlich amüsieren kann. :rofl:
Christen und Moslems vermischen sich nicht, das ist heute noch so und wurde früher noch strenger gehandhabt. Sonst währen Griechen, Serben , Ungarn, Bulgaren usw. ausgestorben....
Die Völker sind nicht ausgestorben, weil sie auf eroberten Grund weiter leben durften, statt vertrieben, versklavt, vernichtet, usw. zu werden. Das hinderte die Völker nicht daran, eine allmähliche Assimilation zu durchlaufen, je länger sie unter islamischen Einfluss waren, desto mehr assimilierten sich. In Anatolien finden sich z.B. folglich weniger Christen im Laufe der Jahrhunderte, als auf der Morea. In Bulgarien, Makedonien, usw. finden sich mehr Turkophone vor den Unabhängigkeitskriegen, als in Ungarn oder Herzegowina, wo z.B. Ungarn nur 175 Jahre beherrscht wurde, im Gegensatz zu Makedonien, wo die Assimilation 500 Jahre Zeit hatte, oder gar Zentralanatolien, wo die Assimilation 1000 Jahre Zeit hatte.
Die Türken wahren früher ein Nomadenvolk(wie einst die Mongolen auch) das ausschließlich von Viehzucht und Plünderungen lebte.
Von Ackerbau und Bodenkultivierung hatten sie nicht die geringste Ahnung.
das macht ja bei einem umherziehenden Hirten und Kriegsvolk auch keinen Sinn.
Wieder Quatsch hoch zehn.
Natürlich geben die klimatischen Verhältnisse Zentralasiens die Bewirtschaftung der Flächen vor, und so ist es kein Wunder, dass das Nomadentum (in all seinen Abstufungen) oft die einzige Möglichkeit darstellt und weit verbreitet (war). Trotzdem gibt es ebenso Ackkerbau durch Turkvölker, und das sogar in komplexer Form, also inkl. Bewässerungstechniken, wie Kanalbau, Wasserhebewerke, usw. Der Ackerbau reicht im Übrigen bis ins 5. bis 4. Jahrtausend vor Chr. zurück.
Beispielsweise seien die türkischen Usbeken, die Tadschiken und einige Gruppen der Turkmenen erwähnt, wo bei letzteren ganze Gruppen (die als „Chomur“ bezeichnet wurden) Ackerbau betrieben haben, neben dem Nomadismus.
"Für Turkestan ist laut KALTER typisch, dass in denselben ethnischen Verbänden vollnomadische, halbnomadische und sesshafte Gruppen nebeneinander
vorkommen.
Der Übergang zur Sesshaftigkeit erfolgte z.B. dadurch, dass militärisch überlegene Nomadengruppen Bauernland eroberten oder dass sie die Herdenerlöse in Landkäufe investierten. Umgekehrt konnte auch die sesshafte Bevölkerung wieder zu einer nomadischen Lebensweise zurückkehren, z.B. als Folge von Überbevölkerung des Ackerlandes, als Folge der Zerstörung oder des Verfalls der Bewässerungsanlagen,
Ausbleiben von Niederschlägen in den Regenfeldbaugebieten."
aus:
http://www.univie.ac.at/ksa/html/inh/stud/studmate_files/zentralas_0607/GesamtversionNewZas1_7.pdf
...
Da sprechen aber die Unterirdischen Städte in Kappadokien eine andere Sprache.
Noch mahl. Christen vermischen sich nicht freiwillig mit Moslems.
...
Da gab es noch gar keine Türken in der Nähe, als diese in Kappadokien errichtet wurden!
Diese wurden vielleicht teilweise schon in hethitischer Zeit, dann als Schutz vor römischen Verfolgungen durch die frühen Christen, und dann in Folge der Feldzüge der persischen Sasaniden, Hunnen und Isaurier errichtet. Später dann boten sie auch Schutz, als die Araber durchritten und ihre Razzien durchführten. Oder boten Schutz in innerbyzantinischen Kämpfen und Streitereien vor der Schlacht von Manzikert, als erstmalig die Türken eine Rolle in Anatolien spielten.
Dass die Türken (Seldschuken) keinesfalls
nur als Nomaden nach Anatolien einwanderten, zeigt allein die Tatsache, dass sie relativ rasch die städtischen Zentren einnahmen um in deren Schutz Herrschaftssitze zu errichten und unter dem Schutz der Mauern Ackerbau betreiben konnten. Noch gab es nämlich nicht eingenommene byzant. Städte, die wie Inseln waren und Vorstöße (also Feldzüge) tätigten. Ausserdem ist belegt, dass neben den Bauern, die einwanderten, auch turkophone Städter aus Zentralasien und Iran einwanderten, was sich in einer sehr raschen Blüte der städtischen Kultur ausdrückt, die sich eben nicht von Null an entwickeln musste.
Das relativ flache Hochland eignete sich sehr gut für die Viehwirtschaft, bzw. das Nomandentum, war es doch recht dünn besiedelt, weil zuvor in innerbyzantischen Streitereien und durch die arabischen Razzien die Besiedlungsdichte zurückging. Trotzdem boten nicht allen mitgewanderten Nomaden diese Städte und ihr bäuerliches Umland ihre bevorzugte Lebensgrundlage, wenn auch etliche sesshaft wurden, und einige deshalb als Nomaden und Halbnomanden in die umliegenden Berge gingen. Etliche hingegen blieben als "bewegliche Elemente" des Staates immer ein gewisser Unruheherd, bzw. kaum fassbare steuerpflichtige Untertanen, so dass einige dieser Nomaden "weitergeleitet" wurden an die byzant. Grenzmark, wo sie in Raubzügen das fortsetzten, was die Araber zuvor aus Mesopotamien in Richtung Anatolien taten.
Übrigens sind Ost- und Zentralanatolien so rasch erobert worden, dass größere Fluchtbewegungen der Einheimischen in der Forschung als sehr unwahrscheinlich gelten; wie auch die Struktur der Städte dieses nahelegen. Oder altertümliche Dialekte, die man noch im 19. Jh. fand. Zudem zeigen die Überlieferung der Ortsnamen, meistens in ihrer vortürkischen Form, wenn auch türkisch
angepasst, eine Bevölkerungskonstanz der Vorbevölkerung, die diese Namen mit in die neue Herrschaftszeit tradierten. Dieses gilt übrigens nicht nur für die größeren Städte, sondern ebenso für kleinere Orte und Dörfer. Wären diese alle leer gewesen, hätten die neuen Einwohner oft nicht den alten Namen übernommen sondern neue Namen verwendet.
Übrigens bestreite ich keinesfalls, dass bei den ersten Eroberungen nicht auch zu Verwüstungen und Massakern gekommen ist. Diese riefen aber keine massenhafte Fluchtbewegung hervor. Soviel wissen wir. Zudem lässt die rasche Etablierung staatlicher seldschukischer Macht in den städtischen Zentren stark vermuten, dass den frisch gegründeten Emiraten mehr an prosperierenden christlichen Steuerzahlern, denn an Massenkonversionen zum Islam gelegen war. Sowieso lagen die Steuersätze der Christen unterhalb dessen, was die Byzantiner ihnen vorher abpressten.
Das islamische Schutzgebot gegenüber der nichtislamischen "Buchreligionen" konnte in den Städten und deren Umgebung durchgesetzt werden, fraglich allerdings, ob alle erst "kürzlich" islamisierten Nomaden in peripheren Gebieten diese Schutzgebote vollständig respektierten. Wahrscheinlicher zogen beim jahrtausendealten Konflikt zwischen Nomadentum und Sesshaftigkeit ggf. die Sesshaften öfters den Kürzeren und zogen in oder in die Nähe der Städte. (Später, nach vollständiger Etablierung der Macht der Seldschuken wurden dann diese Weidegebiete manchmal zu Bauerngrund rekolonisiert, siehe unten)
Die Beziehungen zwischen Muslimen und Christen müssen in seldschukischer Zeit auf vielen Ebenen ausgesprochen gut gewesen sein. So belegen Zeugnisse, dass die Armenier und syrische Christen geradezu
dankbar gewesen seien, dass sie nun nicht mehr geistig durch das griech.-orth. Konstantinopel bevormundet werden konnten. Aber auch griech.-orth. Bischöfe konnten in ihren Gemeinden ungestört amtieren und viele scheinen sogar an den Fürstenhöfen nicht unerheblichen Einfluss gehabt zu haben.
In der Oberschicht, auch bei türkischen Fürstenhäusern, gab es bald zahlreiche Verschwägerungen mit griechischen Familien von diesseits und jenseits der Grenze. Diese Beziehungen wurden auch zu politischen Zwecken eingesetzt.
Revoltierende byzant. Prinzen oder Gouverneure flohen zu den Seldschuken und umgekehrt nicht minder.
Die Beziehungen zwischen den byzant. und selschuk. Machtzentren waren enger und vielfältiger, als zu denen der islamischen Glaubensbrüder in Syrien.
C. Cahen spitzt das bewusst etwas zu, wenn er das Verhältnis der Türken zu ihrer noch nicht islamischen Umgebung charakterisiert:
"They were Muslims, it is true, but in a certain sense they were integrated more or less consciously into the territory know as Rum, which they might aspire to dominate, though for the reason that they formed a part of it and felt more at home there than in the traditional Dar al-Islam [=Haus des Islam=muslimisch beherrschte Gebiete], even when they were among the infidels..."
Dieser Zustand der Toleranz galt allerdings nicht für die nordwestliche Grenzmark, die von beutemachenden Nomaden durchstreift wurde, und wo die Bevölkerung schon eher drangsaliert, zwangsassimiliert oder auch zur Flucht getrieben wurde.
Ausserdem gab es noch Zwangsumsiedlungen im selschuk. Reich, um Gebiete zu rekolonisieren. So wurden z.B. griechische Bauern aus dem Mäandertal nach Akşehir in Zentralanatolien umgesiedelt. Wahrscheinlich, nachdem der nomadische Einfluss in dieser Region durch die Seldschuken eingedämmt werden konnte.
Die nach der seldschukischen Reichsgründung erfolgte Durchmischung werden noch von anderen Faktoren getragen, wie z.B. die
Konversion von vielen Christen zum Islam. Teilweise aus Überzeugung, teilweise aufgrund von gesellschaftlichem Druck, teilweise, um Karriere in bestimmten Bereichen machen zu können, usw. Die Konversion wurde zudem erleichtert, durch die Art, wie damals der Islam teilweise aufgefasst wurde: Dschelal ed-Din Rumi (der Ordensgründer der Tanzenden Derwische von Konya) soll mit seiner mystisch-philanthropischen Interpretation des Islam wahre Massenbekehrungen ausgelöst haben. Egal wie tief die Überzeugungen der Konvertiten auch gewesen sein mögen, offiziell zählten sie nun als Muslime, und wenn sie zudem auch noch zunehmend mehr türkisch sprachen, wurden sie bald zu Türken und wenige Generationen später erinnert sich vielleicht auch niemand mehr deren christliche Vergangenheit.
Aber auch die türk. Einwanderer waren keinesfalls homogen, wie oben schon geschildert, es gab ebenso Bauern und Städter, und die türk. Bauern standen den griech. Bauernnachbarn näher, als den türk. Nomaden und verbündeten sich und begünstigten somit wiederum die Assimilation. Auch die Nomaden waren keinesfalls homogen. Ihre Bindungen waren viel weniger stark zu ihrem jeweiligem Stamm, als zu einem politischen Führer. Wechselnde Gruppierungen waren demnach keine Ausnahme und begünstigten eine Durchmischung auch durch neu hinzu gekommene junge männliche ehemalige Christen, denen ein Leben in Freiheit, Abenteuer, Reichtum und Ehre als erstrebenswert erschien.
Wenn in Quellen im 12.-14. Jh. ein bestimmter Bevölkerungsteil Anatoliens als "Turkmenen" bezeichnet wird, dann ist damit nicht ein historisches "Volk", sondern eine Lebensform gemeint.
In osmanischer Zeit schließlich sprachen die meisten Christengemeinden umgangssprachlich Türkisch, und eine derartige Übernahme der Sprache setzt eine überwiegend türkisch-sprachige Umgebung voraus.
Osman. Register im 16. Jh. zeigen denn auch noch eine weithin vorhandene christl. Bevölkerung, aber in unterschiedlicher Dichte. Das Gebiet Trapezunt (Trabzon) ist noch zur Hälfte christlich, das Marmaragebiet mit Istanbul hat stattliche Gemeinden, in Zentralanatolien sind noch 10% christlich, dort wo die Seldschuken eben länger geherrscht hatten, als an den Küsten.
An der Ägäisküste ist hingegen das Christentum verschwunden, erst viel später siedelten sich im Zuge der Industrialisierung im 19. Jh. Inselgriechen und Griechen aus Griechenland an der kleinasiatischen Ägäisküste an.
(Obige Ausführungen teilweise fast wörtlich, aber meist zusammengefasst aus: Hütteroth, Wolf-Dieter: Türkei. Darmstadt 1982, Wissenschaftl. Länderkunde, Band 21. S. 198 ff. "Anatolien wird türkisch und islamisch")