Weil dieses "mein" Thema ist, verlinke ich ab und an auf Beiträge, die an anderer Stelle stehen, so aktuell auch
Schloss-Wiederaufbau - ein deutscher Trendsport? - Geschichtsforum.de - Forum für Geschichte. Dort wurde ein Doppelstein ins Wasser(glas) geworfen:
- Unsere Erinnerungskultur "kommt von oben"... die populäre Hauptströmung geht in Richtung Rekonstruktion... (Mummius Picius)
- ...Rekonstruktionen als Parodie der Vergangenheit. ... Und immer der latente Vorwurf der Geschichtsfälschung... (Pelzer)
Die bau-ästhetische Diskussion danach lasse ich - mitsamt der Asbestproblematik - weg und konzentriere mich darauf, dass der "Fälscher"-Topos alsbald von einem noch virulenteren abgelöst wird. Danach steckt in der Diskussion über die Sinnhaftigkeit der Rekonstruktion von historischen Gebäuden (oder Artefakten schlechtin?)
... der Stachel des Revisionismus und des "den 2. Weltkrieg wegrekonstruieren" im Fleisch, und er geht nicht raus.
Damit ist der Topos genannt, der unter Historikern stets eine gewisse Erregung verursacht (und im GF, siehe #1 dieses Threads, bisweilen als Begründung für das Sperren von Mitgliedern dient).
Der Revisionismus-Vorwurf ist in Deutschland, erhoben im Zusammenhang mit dem 2. Weltkrieg, nach dem Vorwurf der Holocaust-Leugnung, der schwerwiegendste überhaupt.
Nun ist offensichtlich, dass hier niemand gegen einen Anwesenden einen ebensolchen Vorwurf erhoben hat. Revisionismus ist nämlich auch als kleinere Münze im Handel, nämlich insofern er "nur"
- ... die Wiederherstellung eines durch den Gang der Geschichte überholten Stadtbildes (El Quijote)
meint. Der Begriff hat noch weitere Konnotationen. Ein historisches Beispiel und ein Alt-neu-Vergleich (Cephalotus):
[1] ..."Revisionismusdebatte" der SPD auf dem Dresdener Parteitag im Jahr 1903...
[2] ... man wirft dem "Revisionisten" ja i. d. R. vor neuere Erkenntnisse und Errungenschaften zu Gunsten älterer, überwundener Ansichten aufgeben zu wollen.[/quote]
Dagegen wird argumentiert, der Revisionismusbegriff sei ein für alle Mal festgelegt, "belegt", und zwar so, wie das NRW-Innenministerium ihn definiert:
[Zitat]"Zum gesetzlichen Auftrag des Verfassungsschutzes gehört auch die Befassung mit dem Revisionismus, da dieser ein verbindendes Ideologieelement zahlreicher rechtsextremistischer Strömungen darstellt.
Ziel des Revisionismus ist es, die Geschichtsschreibung über die Zeit des Nationalsozialismus zu widerlegen und dadurch langfristig die nationalsozialistische Ideologie zu rehabilitieren. ... Den Großteil revisionistischer Agitation bilden leugnende, relativierende oder verharmlosende Darstellungen in einem pseudowissenschaftlichen Gewand."
Revisionismus im Sinne jener Behörde muss also buchstabiert werden als "Geschichts(schreibungs)revisionismus" in Bezug auf die Jahre 1933-1945.
Aber die Diskussion entwickelte sich ja nicht daran, sondern am "Revisionismus mit der Abrißbirne", den z. B. Degenhardt als "Verwischung von Spuren" markiert hat (schönes Zitat von El Quijote).
Soviel zur Ausgangslage. [Man verzeihe die Verkürzungen.]
Ich skizziere nun grob die Abfolge der historischen Ereignisse an unserem Beispiel, so wie es sich mir darstellt:
- In Berlin gibt es eine Fläche, die mit dem Stadtschloss bebaut wird. Es symbolisiert das absolute, meinetwegen auch aufgeklärte Königtum; es gehört so oder so zu dem, was man "Herrschaftsarchitektur" nennt.
- Machtwechsel. Das Stadtschloss wird im totalen Krieg, den die Machthaber begonnen haben, beschädigt. Was symbolisiert das?
- Machtwechsel. Das beschädigte Stadtschloss wird nicht restauriert, sondern als Symbol bzw. Teil der Herrschaftsarchitektur abgerissen.
- Weiter: Die nunmehr wieder leere Fläche wird mit einem "Palast" bebaut, der der "Republik" gewidmet ist. Die Republik ist realiter eine (sozialistische) Parteidiktatur.
- Machtwechsel. Der renovierungsbedürftige Palast - Symbol der vorherigen Machthaber - wird abgerissen.
- Weiter: An die Stelle des Palastes tritt die Rekonstruktion des Stadtschlosses. Was symbolisiert diese Entscheidung?
Preisfrage: Wann kann man von Revisionismus sprechen und warum?