Jungfrauen vs. junge Frauen – yet again
Es kommt nicht auf Meinungen, sondern auf Fakten an. Fakt ist, dass die griechischen Evangelien (also die Urtexte) Παρθένος (parthénos) schreiben, was 'Jungfrau' bedeutet. In Jesaja 7, 14 gibt es eine Prophezeiung die in der Einheitsübersetzung lautet: "Seht, die Jungfrau wird ein Kind gebären und sie wird ihm den Namen Immanuel geben."
Selbst wenn man sich auf den Gedanken einlässt, dass die Fakten tatsächlich so offen vor den Augen lägen, so wäre meine
Interpretation trotzdem behutsamer.
Wie viel Gewicht der Einheitsübersetzung bei dem Thema zukommen sollte, ist eine andere Frage. Jedenfalls sollte man im Auge behalten, dass es sich bei der EÜ um eine katholische Bibelübersetzung handelt. Damit will ich aber ausdrücklich
nicht den Topos des »Nachbarthreads«
Ist die Bibel verfälscht worden? bedienen und behaupten, die Katholische Kirche hätte die Bibel willentlich ge- oder verfälscht – bedenken sollte man jedoch, dass auch diese Übersetzung theologisch, exegetisch und in Tradition nicht in einem luftfreien Raum schwebt.
Jesaja 7,14 ist seit je her für die christliche Theologie bedeutsam und in der für die Katholische Kirche so bedeutsamen Vulgata findet sich an der Stelle »virgo«.
Dem kann man solche protestantische Übersetzungen, die sich um einen gewissen überkonfessionellen und -religiösen Blick bemühen, wie der Neuen Zürcher Bibel oder der New Revised Standard Version entgegenhalten. Dort heißt es »junge Frau« respektive »young woman«. Jüdische Übersetzungen vermeiden ohnehin in Abgrenzung zu christlichen an der Stelle das Wort »Jungfrau«.
Also,
was tun? Zurück zum »Ur«-Text?
Diese Stelle ist in der Septuaginta mit parthenos übersetzt. Jetzt gibt es Menschen, die der Meinung sind, diese Übersetzung sei falsch, weil im hebräischen Urtext almah (העלמה 'die junge Frau') steht. Matthäus bezieht sich direkt auf diese biblische Stelle.
Dem Hinweis auf den hebräischen Text kann ich folgen, dazu aber vorher noch eine Anmerkung: Es wird oft vergessen, dass der biblisch-hebräische Textkorpus recht klein ist, gleichzeitig einen relativ langen Zeitraum und wahrscheinlich auch verschiedene Dialekte umfasst, s. a. (Huehnergard 2002: 2). Das ist hier zu beachten, denn
ʿalmā kommt im Masoretischen Text (MT) gerade neun Mal vor, in hier zu beachtenden Formen nur noch sieben Mal, nämlich: Gen 24,43, Ex 2,8, Spr 30,19, Jes 7,14, Ps 68,26, Hld 1,3, Hld 6,8.
Das deutschsprachige Standardwörterbuch für biblisches Hebräisch das
Hebräische und aramäische Lexikon zum Alten Testament (HALAT) gibt zu
ʿalmā u. a. an:
a) mannbares Mädchen Gn 2443 Ex 28 Ps 6826, als Bezeichnung d. Geliebten HL 13 68; b) e. Mädchen, das verheiratet sein kann Pr 3019; c) d. junge Frau (Lex.¹ bis zur 1. Geburt :: Wildbg. BK X 290) Js 714 G παρθένος (> Mt 123, A Σ Θ νεᾶνις, [...]
(HALAT: 790)
Dazu die Abkürzungen der griechischen Kodiezes:
G = Septuaginta
A = griechische Übersetzung des AT durch Aquila
Σ = griechische Übersetzung des AT durch Syammachus
Θ = griechische Übersetzung des AT durch Theodotion
Die Definitionen die HALAT anbietet, sollte man aufgrund des seltenen Vorkommens des Wortes unter Vorbehalt betrachten, als
educated guess eben. Der Kontext, in dem
ʿalmā erscheint suggeriert aber tatsächlich eine ungefähre Bedeutung ›Mädchen‹ oder ›junge Frau‹. Die Etymologie deutet in die gleiche Richtung. Grammatisch ist
ʿalmā die feminine Form von
ʿǣlæm, was gar nur zwei Mal im MT vorkommt (1 Sam 17,57, 1Sam 20,22) und vermutlich in etwa ›junger Mann‹ bedeutet (HALAT: 790). Kognate in verwandten Sprachen sind aramäisch
ʿəlaym das in verschiedenen aramäischen Dialekten ›boy‹, ›adult‹, ›servant‹ oder ›fawn‹ bedeutet (CAL: ʿlym), ebenso das arabische
ġulām etwa ›Junge‹, ›Jüngling‹, ›Knecht‹, ›Sklave‹.
Wozu nun das lange Ausschweifen? Um zu belegen, dass die explizite Bedeutung ›Jungfrau‹ für
ʿalmā sich nicht durch den Kontext im MT belegen lässt, ebenso wenig unter Berücksichtigung der Etymologie. Alles was sich sagen lässt ist, dass
ʿalmā wahrscheinlich allgemein auf ein Mädchen oder eine junge Frau referiert, eventuell sogar auf eine verheiratete Frau (s. Spr 30,19).
Um noch einmal auf παρθένος in Jes 7,14 zurückzukommen: Zumindest im Altgriechischen kann das Wort auch ganz allgemein ›maiden‹ oder ›girl‹ bedeuten (LSJ:
παρθένος). Wie übersetzten auf die Sprache der Septuaginta spezialisierte Wörterbücher dieses Wort?
Zur Verwendung von
naʿărā: In Gen 34,2 wird die gewaltsame Vergewaltigung
Dīnās durch
Šəḵēm geschildert:
[...] er [Šəḵēm] nahm sie [Dīnā], schlief mit ihr und vergewaltigte sie.
Gen 34,2
Im nächsten Vers wird die Liebe
Šəḵēms für [
Dīnā] und sein Werben um sie erzählt :
Doch hing seine Seele an Dīnā [...], er liebte das Mädchen [naʿărā] und redete dem Mädchen [naʿărā] gefällig zu.
Gen 34,3
Interessanterweise übersetzt nun die Septuaginta
naʿărā] beide Male mit
parthénos (bzw. flektiert im Akkusativ resp. Genitiv). Es gibt keinen Grund
parthénos bei diesem Handlungsverlauf technisch und betonend als Jungfrau aufzufassen. (Aber ich bin offen für Erklärungen. Hier wurde schließlich auch schon ausgiebig über Marias Hymen spekuliert. Bezeichnenderweise trat die Damenwelt damit hervor, nicht die Herren der Schöpfung. ;-)) Jedenfalls erweckt das Zweifel ob
parthénos in der Septuaginta per se ›Jungfrau‹ bedeutet und ob in Jes 7,14 überhaupt die Jungfräulichkeit hervorgehoben werden soll – ich habe da einige Zweifel.
Interessant ist auch, dass spätere Bibelübersetzungen ins Griechische
neânis ›Mädchen‹ in Jes 7,14 bedienen, wie der HALAT-Eintrag zeigt. Dem Begriff fehlt jedenfalls die explizite jungfräuliche Konnotation.
Warum streitet man überhaupt darüber, ob in Jes 7,14 eine Jungfrau oder eine junge Frau gemeint sei? Dass man im biblischen Kontext prinzipiell annahm und erwartete, eine junge (unverheiratete) Frau sei gemeinhin auch eine Jungfrau, darf man sicherlich voraussetzten. Problematisch ist aber, dass in Jesaja nicht ersichtlich ist, wen
hā-ʿalmā meint. Das könnte ohne Weiteres auch
ʾĀḥāz’ oder
Yəšaʿyāhūs Frau meinen, dann muss das Wort auch keine
technische Jungfrau bezeichnen. Die ganze Szene ist überhaupt kompliziert. Besteht das Zeichen in einer Jungfrauengeburt oder bloß einer Geburt? Vielleicht auch das folgend Angekündigte? Das alles würde sich ohne Weiteres in die narrative Struktur einfügen und ich würde mich nicht auf eine richtige Lesung festlegen wollen.
In Mt 1,23 wird explizit Jes 7,14 zitiert und als Vorhersage Jesu Geburt gedeutet. Gleichzeitig kann man wohl annehmen, dass so ein Verweis an so hervorstechender Stelle am Anfang des Evangeliums auch eine Legitimation der Botschaft selbst darstellen soll. Hier liegt also eine religiöse Rede vor und diese religiös zu deuten obliegt Theologen. Aus philologischer Perspektive halte ich es jedenfalls nicht ratsam, Jes 7,14 im Lichte von Mt 1,23 zu betrachten – das Evangelium ist immerhin mindestens einige Jahrhunderte später entstanden.
Interessant an dieser Stelle ist immerhin noch, dass es in der Septuaginta in Jes 7,14 καλέσεις (Futur 2. Person Singular) und in Mt 1,23 καλέσουσιν (Futur 3. Person Plural) steht – wie auch im Hebräischen das eigenwillige
wə-qārāṯ. Ich habe aber gerade keine kritische Ausgabe der Septuaginta zur Hand. Wird da auf weitere Varianten hingewiesen? Nestle-Aland machen jedenfalls in Mt 1,23 darauf aufmerksam.
So weit zum Glauben der Juden um die Zeitenwende und der christlichen Adaption dieses Glaubens.
Vorsicht.
Das ist doch noch ein gewagter Schritt. :devil:
Literatur:
Huehnergard, J. (2002).
Introduction. In: J. Kaltner & S. L. McKenzie (Hrsg.),
Beyond Babel. A Handbook for Biblical Hebrew and Related Languages. (S. 1–18). Atlanta: Society of Biblical Literature.
Kaufman, Stephen A.
The Comprehensive Aramaic Lexicon. Cincinnati, Ohio: Hebrew Union College.
The Comprehensive Aramaic Lexicon
Köhler, L., Baumgartner, W., und Stamm, J. J. (1983).
Hebräisches und aramäisches Lexikon zum Alten Testament. Lieferung III. (3., neubearb. Aufl.). Leiden: E. J. Brill.
Liddell, H. G., und Scott, R.
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