Nur mit dem wichtigen Unterschied, dass er die interpretatio Graeca schon in die Altorientalistik zurückdatierte.
Da kenne ich mich leider nicht aus. Die erste Erwähnung, die mir etwa von JHWH bekannt ist, ist der Feldzug von Titus nach Jerusalem, wo der den jüdischen Gott als eine lokale Gottheit ansieht, die eben diese Region beherrscht. Wird in Josephus' De bello judaico geschildert. Aber hier findet keine interpretatio statt, JHWH wird nicht mit Jupiter o.ä. gleichgesetzt, sondern er wird lediglich als der örtliche Großmufti verstanden.
Man geht davon aus, dass durch die berühmte interpretatio Graeca bzw. Romana die nicht-einheimischen ("orientalischen") Gottheiten mit den einheimischen verschmolzen wurden (Synkretismus) und dadurch solche Verschlankungen stattfanden: die vielen Götter sind dann nur spezifische Funktionsweisen der einen ersten Gottheit.
Ich halte diese meine eigene These für nicht aussagekräftig.
@Ravenik hat die babylonische Religion angeführt, da scheint es sich ähnlich verhalten zu haben, sehr interessant, ich bleibe aber beim gr.-röm. Freistil. Grund meiner Selbstkritik ist: Wenn ein gr. Gott A mit einem auswärtigen Gott B identifiziert wird (per interpretatio), dann verhindert man auf diese Weise eine Anschwellung des Götterapparats. Man "verschlankt" dadurch aber nichts: der hiesige Götterhimmel bleibt bestehen, nur die Namen haben sich angereichert.
Tatsächlich war der Götterhimmel der Römer lange Zeit angeschwollen. Viele Beispiele gibt Wissowa (Religion und Kultus der Römer): zunächst spezialisierten sich die einzelnen Funktionen eines Gottes in verschiedene Götter, die zwar denselben Namen trugen, aber doch "irgendwie" anders waren. Wissowa gibt das Beispiel Jupiter Feretius, Jupiter Stator, dann aber auch Juno Moneta, Juno Regina, Juno Sospes und Juno Lucina (nur eine kleine Anzahl der vielen Jupiters!). Ich habe selbst hier vor einiger Zeit nach "Jupiter Optimus Maximus" gefragt, was das für einer sei, ja, das ist der Jupiter, wie man ihn kennt, der Haupt-Gott der Römer, wohnhaft im Capitol. Davon aber spaltete sich z.B. Jupiter Victor, der auch bei den Fratres Arvales, einem uralten Priesterkollegium, eine eigene Opferung erhielt, worüber er sich sicher gefreut hat. Das heißt: die beiden Jupiters waren
verschiedene Götter, sonst hätte man sich die 2 Opfer sparen können. Tausende Beispiele gibt es ebenso im gr. Umfeld. Ich kenne nur aus Platos Symposium die Aphrodite Urania, die er von der Aphrodite Pandemos unterscheidet, wobei dies anscheinend Platos eigene Erfindungen sind, keine volkstümlichen, also "echte" Gottheiten. Man sieht aber, wie schnell man Götter produzieren kann: denn Aphr. Ur. und Aphr. Pand. sind offensichtlich sehr unterschiedlich! [Die erste ist heilig, die zweite ein Schwein.]
Weiter geht's mit den Schwellköpfen. Später, zu Zeiten der Republik, haben die Römer weitere Gottheiten hinzugetan, die vordem abstrakte Begriffe waren: Fortuna (Glück), Fulgur (Blitz), Tonens (Donner), Victor (Sieger), Summanus (Himmel), Silvanus (Wald), Faunus (Pflanzen), Fides (Treue) usw. usf.
Ein weiteres Anschwellen in Rom erzeugte die
evocatio. Besiegten die Römer eine Stadt in Italien, und das taten sie mit vielen, dann wurde der entsprechende lokale Gott "herausgerufen" und fand anschließend seine Kultstätte in Rom. Beispiel einer solchen evocatio ist die etruskische Burggöttin von Veii, die Ende des 4. Jh. vChr. nach Rom überführt wurde und dort als Juno Regina verehrt wurde. Veii hatte von nun an keine eigene Göttin mehr, Rom eine mehr. Noch Aurelian mit seinem Sonnengott, den er von einem gewissen Bel in Palmyra nach Rom entliehen hatte, wird als evocatio verstanden.
Nun habe ich vieles zum Anschwellen der Götter geschrieben. Nicht vergessen sollte man den Kaiserkult, der ja noch weitere Götter kreiert hat. Erst Vespasian hat hier aufzuräumen begonnen.
Was aber hat diesen bunt bevölkerten Himmel, der im Lauf der Zeit immer bunter wurde, wieder zusammenschrumpfen lassen? Was also ist die Ursache eines - so nenne ich das mal - vertikalen Synkretismus, d.h. der nicht die verschiedenen Gottheiten aller Welt zusammenmischt, sondern die Gottheiten innerhalb der eigenen Hierarchie? Zweifellos gab es diese Hierarchie im Himmel schon seit Homer: Zeus war der Chef! Doch die anderen Götter machten ihr eigenes Ding, ein bisschen anarchistisch. Hera und Athene standen für die Griechen ein, Aphrodite und Apollo für die Trojaner, dazu kommt noch: Aphrodite treibt's mit Hephaistos, dem Scheusal. Zeus hat in seinem Hofstaat wenig zu sagen.
Zweifellos waren diese henotheistischen Tendenzen eher ein Markenzeichen theologisch gebildeter Leute. Das gewöhnliche Heidenvolk hat sich darum wenig geschert. Darum behalte ich meine spekulativen Thesen bei:
- das Christentum als stark missionarischer Glaube beförderte einen "Monotheismus". Persischer Sonnenkult à la Mithras und syrisch-palmyrischer Bel-Kult (=> Sol-Kult) sprangen hier heidnischerseits quer ein.
- das Kaisertum mit einem absolut regierenden Herrscher beförderte einen "Mono-Archismus", vulgo "Monarchie".
- eine Vorbereitung solcher hierarchischer Vorstellungen lag schon seit alters her im hierarchischen Aufbau der griechischen Götterwelt vor (bei der ur-römischen Götterwelt wäre ich schon wieder vorsichtig).