Monotheismus ("Kosmotheismus") der antiken Ägypter

J

Jemeiniger

Gast
In den Büchern von Jan Assmann (u. a. "Ägypten : Theologie und Frömmigkeit einer frühen Hochkultur") findet sich die feststellen, dass die Ägypter eine eigene Tradition von theologischer Literatur besaßen.
In dieser Tradition werden die vielen ägyptischen Götter als Manifestationen oder Emanationen eines einzigen göttlichen Prinzips verstanden. Angeblich haben die Pioniere der Ägyptologie angesichts des augenscheinlichen Monotheismus dieser Texte sogar ganz erstaunt festgestellt, wie nahe sie manchen unserer abrahamitischen Religionen doch kamen.

Assmann verallgemeinerte diese Form der Quasi-Monotheistische Religion auch auf den alten Orient und über den Umweg des Griechentums auf alle Heiden.
Meine Frage lautet: Ist diese These statthaft?

Haben die alten Traditionen, die sog. "Polytheisten", ihre viele Götter in ihren Theologischen Werken wirklich nur als "Manifestation" eines einzigen Prinzips gesehn?
 
Ohne die konkret angefragte Theorie des Hern Assmann zu kennen und als ausgewiesener Atheist:

Ja natürlich, immer dann, wenn ich einen oder mehrere göttliche Gestalten verehre, ist ihnen das Attribut der "Göttlichkeit" gemein, sie sind also vom selben Stamm. So weit mir bekannt wird das im Polytheismus meist zu Götterfamilien vermanschkert: Bruder, Tochter, Vater, Wiedergeborene(r), udgl. Dementsprechend sind auch die meisten polytheistischen Kulte mehr als tolerant gegenüber der Verehrung anderer Deitäten (zumindest, wenn sie aus dem eigenen Kulturraum stammen, aber oft auch darüber hinaus).
Soweit Religionen auch das Prinzip der Dualität verinnerlicht haben (die göttlichen Gegenspieler, gefallenen Engel, die Unterwelt, der Ahriman, der Teufel udgl.) läßt sich das zwar auf gewisse Bereiche der positiv verehrten Göttlichkeiten enengen, bleibt aber ansonsten bestehen.

Ob man daraus schon einen allen Religionen inhärenten Bezug zu monotheistischer Entwicklung ableiten kann, halte ich allerdings für fraglich: Offensichtlich hat ja die Geistlichkeit in Ägypten auf einen solchen Versuch (eine der Gottheiten absolut zu setzen) recht allergisch reagiert.
Und im übrigen: Dort, wo wir alle herkommen, ist Monotheismus "State of the Art" - aber erzählens, das mal einem Hindu...
 
Erst in der Spätantike kommt dieser Pseudo-Monotheismus in den polytheistischen Religionen zum Zug, man spricht oft von Henotheismus (bei den Platonikern, der Begriff selbst stammt von Schelling), ich habe auch schon den Begriff Theokrasie gelesen (seltener, bei Wissowa z.B.). Man geht davon aus, dass durch die berühmte interpretatio Graeca bzw. Romana die nicht-einheimischen ("orientalischen") Gottheiten mit den einheimischen verschmolzen wurden (Synkretismus) und dadurch solche Verschlankungen stattfanden: die vielen Götter sind dann nur spezifische Funktionsweisen der einen ersten Gottheit. (Vorbild könnte durchaus auch die Verwaltung des Kaiserreichs sein.) Der Neuplatonismus hat daraus eine schwindelerregende Philosophie gedrechselt, allerdings ist der Einfluss dieser Schule auf die Nicht-Akademiker so gut wie null, auch wenn Julian von dieser Schule ausgeht. (Der aber selbst ein Intellektueller ist.)

Eine schöne Darstellung der paganen Vorstellung eines solchen Henotheismus gibt der Grammatiker Maximus von Madauros (Heide) in einem Brief an Augustinus (allerkatholischster Kirchenvater), in English please:
There is a Greek myth of uncertain authenticity that Mount Olympus is the dwelling-place of the gods. But we have the evidence of our eyes that the forum of our own town is occupied by a throng of beneficent deities. Yet who would be so foolish, so touched in the head, as to deny that there is one supreme god, without beginning, without natural offspring, like a great and powerful father? His powers, scattered throughout the material world, we call upon under various names, since (of course) none of us knows his true name. For "god" is a name common to all cults. Thus when we honour his separate parts by different forms of prayer, we seem to worship him entire. (ep. 16.1)

Ähnliche Ansichten findet man schon bei Maximus von Tyros, 2. Jh. Das ist nicht verwunderlich: er ist Platoniker.

Im Römischen Reich kamen diese henotheistischen Tendenzen erst seit ungefähr 3. Jh. in Gang: berühmtestes Beispiel ist natürlich der Sol-Kult des Aurelian, um 250. Aber auch der Mithras-Kult und - hier interessant - der Isis-Kult schlägt in dieselbe Kerbe. Wie gesagt, das ist ein spätes Phänomen; ich persönlich glaube, ohne das beweisen zu können, an einen Einfluss des Christentums. Ein Beispiel hierzu ein Schrein im Palast des Kaisers Severus Alexander, worin Statuen von Christus, Abraham, Orpheus und Apollonius von Tyana aufgestellt sein sollten (allerdings nach einer zweifelhaften Quelle: Historia Augusta). Konstantin selbst hat wohl längere Zeit zwischen Sol und Christus geschwankt.

Daneben gab es in Kleinasien einen beschränkten Kult eines "Einen Gottes" (der genaue Name ist mir entfallen), aber auch dieser Kult stammt erst aus dem 4. Jh.

Zur Frage, ob die Griechen hier wirkten? Ja, sicher, bereits im Hellenismus, der ja schon die Römische Götterwelt durcheinander brachte. Und schon Ende des 1. Jh. schreibt der Apollo-Priester in Delphi, Plutarch, über Isis und Osiris und ist selbst Anhänger der Isis.
 
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Wie war denn die Beziehung der indoeuropäischen Religionen zu den Naturreligionen? Gab es da Wurzeln im Animismus und Schamanismus? Es gab ja einen Himmelsvater (Zeus, Jupiter, ind. Diauh Pita), dessen Ursprung in personifizierter Form das dualistische Prinzip von Himmel und Erde in Gestalt von Gaia und Uranos - mit Kronos als "Zwischenstufe"- war.

Zum Vergleich gab es im alten China den Glauben an Naturgeister und Ahnengeister. Wolfgang Bauer schreibt in "Geschichte der chinesischen Philosophie":
In der Tat fühlten sich die Chinesen der damaligen Zeit geradezu von einer Wolke von Geisterwesen umgeben, deren Welt nicht so sehr als im "Jenseits" liegend vorgestellt wurde, denn vielmehr als eine Sphäre, die die Wirklichkeit durchdrang.
Ausserdem führt der Autor die altertümlichen Begriffe "Shangdi"(Gott in der Höhe) und "Tian"(Himmel) auf, die bei der Entwicklung eines staatlichen Himmelskults eine Bedeutungswandlung vom Religiösen zum Rationalen erfuhren.

Der Polytheismus, den es auch im taoistischen Volksglauben gibt, wäre somit eine Mythologisierung von Ahnengeistern, der durch das Kalkül eines Staatskultes im Monotheismus endete.
 
In der babylonischen Religion gab es die Tendenz, dass im Laufe der Zeit Götter miteinander verschmolzen (bzw. gleichgesetzt) wurden und ihre Zahl somit schrumpfte. Laut Michael Jursa, Die Babylonier, soll das im 1. Jahrtausend v. Chr. so weit gegangen sein, dass manche Gelehrte alle Götter mit Marduk identifizierten, also nur noch als Manifestationen des einen Gottes sahen, was auf eine Art Monotheismus hinauslaufen würde. Die Volksfrömmigkeit sei davon allerdings unbeeinflusst geblieben. Auch laut Barthel Hrouda, Mesopotamien, nahm die Zahl der Götter durch Verschmelzungen oder Verdrängungen stark ab, am Polytheismus an sich sei aber nie gerüttelt worden.
 
In der babylonischen Religion gab es die Tendenz, dass im Laufe der Zeit Götter miteinander verschmolzen (bzw. gleichgesetzt) wurden und ihre Zahl somit schrumpfte. Laut Michael Jursa, Die Babylonier, soll das im 1. Jahrtausend v. Chr. so weit gegangen sein, dass manche Gelehrte alle Götter mit Marduk identifizierten, also nur noch als Manifestationen des einen Gottes sahen, was auf eine Art Monotheismus hinauslaufen würde.

Interessant, gibt es auch Quellen für vergleichbares in anderen Kulturen des alten Orients?

Man geht davon aus, dass durch die berühmte interpretatio Graeca bzw. Romana die nicht-einheimischen ("orientalischen") Gottheiten mit den einheimischen verschmolzen wurden (Synkretismus) und dadurch solche Verschlankungen stattfanden: die vielen Götter sind dann nur spezifische Funktionsweisen der einen ersten Gottheit.

Das ist genau die Argumentation, die Assmann in seinen Buch wählte. Nur mit dem wichtigen Unterschied, dass er die interpretatio Graeca schon in die Altorientalistik zurückdatierte.

Dort waren die Götter, so die Argumentation, die Garantiemächte der Verträge und bei wichtigen Verträgen -- u.a. Unterwerfungsverträge, die Städte mit siegreichen Eroberer abschließen musste und die "literarisch" als Vorbild für die 10 Gebote am Berg Sinai gestanden haben sollen -- mussten daher auch die Götternamen mit transkribiert werden.
Das war eben wichtig, damit alle Parteien wussten, welcher Gott sie bestrafen wird, wenn sie die Verträge nicht einhalten.

Das bezüglich Neuplatonismus war mit bekannt. Hier gibt es auch einen zusammenhang zur hermetischen Lehre und der Vorstellung einer Philosophia perennis, oder?
 
Nur mit dem wichtigen Unterschied, dass er die interpretatio Graeca schon in die Altorientalistik zurückdatierte.
Da kenne ich mich leider nicht aus. Die erste Erwähnung, die mir etwa von JHWH bekannt ist, ist der Feldzug von Titus nach Jerusalem, wo der den jüdischen Gott als eine lokale Gottheit ansieht, die eben diese Region beherrscht. Wird in Josephus' De bello judaico geschildert. Aber hier findet keine interpretatio statt, JHWH wird nicht mit Jupiter o.ä. gleichgesetzt, sondern er wird lediglich als der örtliche Großmufti verstanden.

Man geht davon aus, dass durch die berühmte interpretatio Graeca bzw. Romana die nicht-einheimischen ("orientalischen") Gottheiten mit den einheimischen verschmolzen wurden (Synkretismus) und dadurch solche Verschlankungen stattfanden: die vielen Götter sind dann nur spezifische Funktionsweisen der einen ersten Gottheit.
Ich halte diese meine eigene These für nicht aussagekräftig. @Ravenik hat die babylonische Religion angeführt, da scheint es sich ähnlich verhalten zu haben, sehr interessant, ich bleibe aber beim gr.-röm. Freistil. Grund meiner Selbstkritik ist: Wenn ein gr. Gott A mit einem auswärtigen Gott B identifiziert wird (per interpretatio), dann verhindert man auf diese Weise eine Anschwellung des Götterapparats. Man "verschlankt" dadurch aber nichts: der hiesige Götterhimmel bleibt bestehen, nur die Namen haben sich angereichert.

Tatsächlich war der Götterhimmel der Römer lange Zeit angeschwollen. Viele Beispiele gibt Wissowa (Religion und Kultus der Römer): zunächst spezialisierten sich die einzelnen Funktionen eines Gottes in verschiedene Götter, die zwar denselben Namen trugen, aber doch "irgendwie" anders waren. Wissowa gibt das Beispiel Jupiter Feretius, Jupiter Stator, dann aber auch Juno Moneta, Juno Regina, Juno Sospes und Juno Lucina (nur eine kleine Anzahl der vielen Jupiters!). Ich habe selbst hier vor einiger Zeit nach "Jupiter Optimus Maximus" gefragt, was das für einer sei, ja, das ist der Jupiter, wie man ihn kennt, der Haupt-Gott der Römer, wohnhaft im Capitol. Davon aber spaltete sich z.B. Jupiter Victor, der auch bei den Fratres Arvales, einem uralten Priesterkollegium, eine eigene Opferung erhielt, worüber er sich sicher gefreut hat. Das heißt: die beiden Jupiters waren verschiedene Götter, sonst hätte man sich die 2 Opfer sparen können. Tausende Beispiele gibt es ebenso im gr. Umfeld. Ich kenne nur aus Platos Symposium die Aphrodite Urania, die er von der Aphrodite Pandemos unterscheidet, wobei dies anscheinend Platos eigene Erfindungen sind, keine volkstümlichen, also "echte" Gottheiten. Man sieht aber, wie schnell man Götter produzieren kann: denn Aphr. Ur. und Aphr. Pand. sind offensichtlich sehr unterschiedlich! [Die erste ist heilig, die zweite ein Schwein.]

Weiter geht's mit den Schwellköpfen. Später, zu Zeiten der Republik, haben die Römer weitere Gottheiten hinzugetan, die vordem abstrakte Begriffe waren: Fortuna (Glück), Fulgur (Blitz), Tonens (Donner), Victor (Sieger), Summanus (Himmel), Silvanus (Wald), Faunus (Pflanzen), Fides (Treue) usw. usf.

Ein weiteres Anschwellen in Rom erzeugte die evocatio. Besiegten die Römer eine Stadt in Italien, und das taten sie mit vielen, dann wurde der entsprechende lokale Gott "herausgerufen" und fand anschließend seine Kultstätte in Rom. Beispiel einer solchen evocatio ist die etruskische Burggöttin von Veii, die Ende des 4. Jh. vChr. nach Rom überführt wurde und dort als Juno Regina verehrt wurde. Veii hatte von nun an keine eigene Göttin mehr, Rom eine mehr. Noch Aurelian mit seinem Sonnengott, den er von einem gewissen Bel in Palmyra nach Rom entliehen hatte, wird als evocatio verstanden.

Nun habe ich vieles zum Anschwellen der Götter geschrieben. Nicht vergessen sollte man den Kaiserkult, der ja noch weitere Götter kreiert hat. Erst Vespasian hat hier aufzuräumen begonnen.

Was aber hat diesen bunt bevölkerten Himmel, der im Lauf der Zeit immer bunter wurde, wieder zusammenschrumpfen lassen? Was also ist die Ursache eines - so nenne ich das mal - vertikalen Synkretismus, d.h. der nicht die verschiedenen Gottheiten aller Welt zusammenmischt, sondern die Gottheiten innerhalb der eigenen Hierarchie? Zweifellos gab es diese Hierarchie im Himmel schon seit Homer: Zeus war der Chef! Doch die anderen Götter machten ihr eigenes Ding, ein bisschen anarchistisch. Hera und Athene standen für die Griechen ein, Aphrodite und Apollo für die Trojaner, dazu kommt noch: Aphrodite treibt's mit Hephaistos, dem Scheusal. Zeus hat in seinem Hofstaat wenig zu sagen.

Zweifellos waren diese henotheistischen Tendenzen eher ein Markenzeichen theologisch gebildeter Leute. Das gewöhnliche Heidenvolk hat sich darum wenig geschert. Darum behalte ich meine spekulativen Thesen bei:

- das Christentum als stark missionarischer Glaube beförderte einen "Monotheismus". Persischer Sonnenkult à la Mithras und syrisch-palmyrischer Bel-Kult (=> Sol-Kult) sprangen hier heidnischerseits quer ein.

- das Kaisertum mit einem absolut regierenden Herrscher beförderte einen "Mono-Archismus", vulgo "Monarchie".

- eine Vorbereitung solcher hierarchischer Vorstellungen lag schon seit alters her im hierarchischen Aufbau der griechischen Götterwelt vor (bei der ur-römischen Götterwelt wäre ich schon wieder vorsichtig).
 
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Wie gesagt, von den ganz frühen Zeiten der Griechen habe ich keine Ahnung, sondern kann nur folgendes anmerken:

Bei Herodot gibt es schon jede Menge interpretatio, was die ägyptischen Götter betrifft. Ein Synkretismus i.e.S. findet da m.W. nicht statt. (Ich kann mich aber irren.)

Ich würde mich außerdem in der griechischen Kolonisation umsehen. Was ich davon weiß, sind Italien und Südfrankreich im Westen, dann im Osten Kleinasien und die Schwarzmeerküste. Von Ägypten ist mir nichts bekannt, aber es ist natürlich möglich, dass dahin auch ein paar Schiffe gefahren sind. Erst Alexander hat hier nennenswert ein- und angegriffen.

Zufällig ist mir das Werk von W. Reichel, Vorhellenische Götterculte, Wien 1897 aufgefallen, jedoch nicht gelesen. Klingt aber so, als würde darin vielleicht das Thema angeschnitten.
 
Im Nildelta gab es die griechische Kolonie Naukratis.
In der sog. "Spätzeit", ab der 26. Dynastie, spätestens ab dem 6. Jhdt., gab es intensive Kontakte zwischen Ägypten und der griechischen Welt, vor allem unter Pharao Amasis. Griechen kamen als Händler und als gefragte Söldner ins Land. (Schon unter Psammetich II. zogen griechische Söldner nach Nubien.)
Später, als Ägypten unter persischer Herrschaft stand, unterstützten Griechenstädte wie Athen ägyptische Aufstände auch militärisch mit Schiffen und Truppen. Die engen Kontakte setzten sich fort, als Ägypten seine Unabhängigkeit vom Perserreich wiedererlangt hatte. (Freilich kämpften griechische Söldner auch in persischen Diensten.)

Ich kenne nur aus Platos Symposium die Aphrodite Urania, die er von der Aphrodite Pandemos unterscheidet, wobei dies anscheinend Platos eigene Erfindungen sind, keine volkstümlichen, also "echte" Gottheiten.
Aphrodite Pandemos wurde unter diesem Namen in verschiedenen griechischen Städten verehrt. Der Name Aphrodite Urania wurde bereits von Herodot erwähnt, allerdings nicht in Griechenland, sondern er erwähnte einen Tempel dieser Göttin in der Stadt Askalon; es lag also eine Form der "interpretatio" vor. Aber immerhin ist der Name damit schon vor Platon belegt.
 
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