Musik in der Steinzeit?

Nu ja, El Q, mag König Fußball heute eine emotionsgeladene menschliche Konstante sein, so finden wir ihn trotzdem nicht eng umschlungen mit der Wilmsdorfer Venus ;) wie auch Lucy nicht als Linienrichterin oder Fanclubvorsitzende überliefert ist...

Was nun Musik betrifft, so rückschließen wenn nicht gar rückprojizieren wir Wahrnehmungen von heute - und übersehen dabei, dass "Musik" ein sehr allgemeiner Sammelbegriff ist, wobei wir uns gegen alle sonstige Denkakkuratesse keinen Kopf darüber machen, dass es heuer Musiken unterschiedlicher Kulturen gibt, und dass diese beileibe nicht überall als universale emotionale Sprache mit denselben Konnotationen decodiert/aufgefasst/empfunden wird (hör dir deine Lieblingsband direkt neben ein paar Minuten Peking-Oper und paar Minuten ind. Sitar an)
 
Wahrscheinlich ist die Veränderung/Variation von Tonhöhen (Richtung Melodik) jünger als die hier im Faden noch gar nicht erwähnte Rhythmik.

Wir wissen, dass Musik Gemeinschaft stiftend ist und auch in der Steinzeit bereits eine entscheidende, wenn nicht sogar die entscheidende soziale Funktion in der Ausbildung der Gemeinde und ihres Kultus inne gehabt haben wird.

Von daher wäre es interessant, wenn man nun nochmals einen Blick auf ihre Entwicklung wirft und den ungefähren Zeitpunkt zu bestimmen versucht, an dem der Urmensch von der Rhythmik zur Variation der Tonhöhen überging. Diesbezüglich scheint mir die ins Aurignacien, also um 35.000 BP datierte Schwanenflügelknochenflöte von Geißenklösterle in Baden-Württemberg ein guter Ansatzpunkt zu sein, an dem dieser Übergang zur Melodik als bereits vollzogen anzusehen ist.
 

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Was nun Musik betrifft, so rückschließen wenn nicht gar rückprojizieren wir Wahrnehmungen von heute - und übersehen dabei, dass "Musik" ein sehr allgemeiner Sammelbegriff ist, wobei wir uns gegen alle sonstige Denkakkuratesse keinen Kopf darüber machen, dass es heuer Musiken unterschiedlicher Kulturen gibt, und dass diese beileibe nicht überall als universale emotionale Sprache mit denselben Konnotationen decodiert/aufgefasst/empfunden wird (hör dir deine Lieblingsband direkt neben ein paar Minuten Peking-Oper und paar Minuten ind. Sitar an)

Das ist nun schlicht Unsinn. Ebenso gut könnte man behaupten, es gäbe das Phänomen "Sprache" nicht, weil es ja verschiedene Sprachen gibt.
 
Das ist nun schlicht Unsinn.
...oh Weh, ich hab also Unsinn verzapft - das schockiert mich nun in zweierlei Hinsicht:
Was nun Musik betrifft, so rückschließen wenn nicht gar rückprojizieren wir Wahrnehmungen von heute - und übersehen dabei, dass "Musik" ein sehr allgemeiner Sammelbegriff ist, wobei wir uns gegen alle sonstige Denkakkuratesse keinen Kopf darüber machen, dass es heuer Musiken unterschiedlicher Kulturen gibt, und dass diese beileibe nicht überall als universale emotionale Sprache mit denselben Konnotationen decodiert/aufgefasst/empfunden wird (hör dir deine Lieblingsband direkt neben ein paar Minuten Peking-Oper und paar Minuten ind. Sitar an)
(1) wenn das Unsinn ist, dann wäre es folglich anders richtig und ich müsste davon ausgehen, dass alle Musiken überall und von jedem völlig gleich wahrgenommen und empfunden werden... das zu glauben fällt mir ehrlich gesagt schwer.
(2) obwohl im Zitat oben exakt NICHTS darüber gesagt ist, ob es überhaupt Musik gibt oder ob es keine gäbe, wird mir ungemein scharfsinnig
Ebenso gut könnte man behaupten, es gäbe das Phänomen "Sprache" nicht, weil es ja verschiedene Sprachen gibt.
entgegen geschmettert...
Da betreten wir einen Bereich von so hochkomplexem Denken, welchem ich kleines Licht nicht zu folgen in der Lage bin. Wahrscheinlich werde ich das auch nicht kapieren, wenn es mir geduldig erklärt wird.
 
Wir wissen (1) , dass (2) Musik Gemeinschaft stiftend ist und auch (3) in der Steinzeit bereits eine entscheidende, wenn nicht sogar die entscheidende soziale Funktion in der Ausbildung der Gemeinde und ihres Kultus inne gehabt habe
@Fleming eine Verständnisfrage: ist der unterstrichene Konjunktiv Absicht oder ein Tippfehler oder von der Autokorrektur verbrochen?

(1) mir würde hier statt "wissen" eine Formulierung wie "wir nehmen stark an" mehr gefallen
(2) dass Musik Gemeinschaft stiftend wirken kann
(3) und vermuten, dass sie schon in der Steinzeit (...)

die ins Aurignacien, also um 35.000 BP datierte Schwanenflügelknochenflöte von Geißenklösterle
ist ein Indiz für Klangproduktion im weitesten Sinn um 35000 BP - - was ich nicht weiß: gibt es einen Nachbau dieser Flöte und hat man ausprobiert, wie viele verschiedene (und welche) Töne sie produzieren kann?
 
was ich nicht weiß: gibt es einen Nachbau dieser Flöte und hat man ausprobiert, wie viele verschiedene (und welche) Töne sie produzieren kann?

Ja, es gibt einen Nachbau dieser Flöte und sie produziert verschiedene Töne, aber wie viele und in welcher Tonlage, dass kann ich Dir nicht sagen.

Zu 1.) : Du hast Recht, wir sollten stets von Annahmen sprechen, doch der Fund dieser Flöte lässt es eben sehr wahrscheinlich erscheinen, dass damit der Durchbruch zur Melodik bereits vollzogen war.

Mit der Schaffung von Musikinstrumenten und der Variation von Tonhöhen begann der Mensch eine Klangvielfalt zu erzeugen, die vermutlich etwas ganz neues hervorbrachte, nämlich einen gesteigerten Unterhaltungswert. Die musikalische Unterhaltung diente aber nicht mehr nur der Beruhigung, der Signalübertragung, der Erbauung, oder spirituellen Zwecken, sondern vor allem auch dem Vergnügen. Die Freude am gemeinsamen Vergnügen dürfte ein stark verbindendes Element der sozialen Zusammenhänge gewesen sein, ähnlich wie das spielen überhaupt. Hier kommt nun möglicherweise ein weiterer Aspekt hinzu, dass der Mensch diese neu gewonnene instrumentale Klangvielfalt mit einem stimmlichen Gesang zu begleiten oder sonstwie zu unterlegen suchte. Fortan ließen sich Emotionen, wie sie etwa durch Freude (Lachen), Trauer (Weinen), Schmerz (Schreien) zum Ausdruck gebracht wurden, mittels Gesang näher umschreiben. Letzteres sind zugegebenermaßen nur Hypothesen und Spekulationen, denn das musikalische Instrument könnte auch dem Gesang gefolgt sein, doch um 35.000 BP wird sich nach bisheriger Erkenntnis im Aurignacien der Übergang von der einfachen Rhythmik zur melodischen Klangvielfalt vollzogen haben und dies brachte dem Menschen aufgrund seines Unterhaltungswertes sicherlich viel Vergnügen ins Leben. Überhaupt scheint der Mensch in dieser Zeit zunehmend damit begonnen zu haben, sich künstlerisch zu betätigen und seine Sichtweise auf die eigene Umwelt zum Ausdruck zu bringen. Die Musik dürfte ein zentraler Aspekt dieser neu hinzu gewonnenen Ausdrucksfähigkeit gewesen sein.
 
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Mit der Schaffung von Musikinstrumenten und der Variation von Tonhöhen begann der Mensch eine Klangvielfalt zu erzeugen, die vermutlich etwas ganz neues hervorbrachte, nämlich einen gesteigerten Unterhaltungswert.
Das ist ein hübscher Gedanke, der auf das Spiel, das spielerische hinweist! Zuvor war von "(allgemein) menschlichen Konstanten" (El Q) die Rede: das spielen (Spieltrieb) gehört vermutlich auch dazu. Klangliche Lautmalerei, peu a peu mit "Hilfsmitteln" (erste Instrumente) könnte auch spielerisch begonnen haben und erst deutlich später kommunikative und gemeinschaftsfördernde (und irgendwann auch kultische) Wirkungen und dann auch Absichten/Intentionen entwickelt haben.

Das alles bleibt zwar spekulativ, aber im Bereich des Möglichen, ja Wahrscheinlichen (?!) Unterschiedliche Tonhöhen und ostinate Rhythmen kann man durch Naturbeobachtung wahrnehmen und dann imitieren (Piepmätze, Wölfe, Elefanten und was sonst so alles "musikalisch" durch die Lande tönt) und da Tonhöhen nicht ohne weiteres von allen Stimmlagen gleich hoch getroffen werden, bieten sich Hilfsmittel als fixierte Orientierung an (erste Instrumente)
 
Überhaupt scheint der Mensch in dieser Zeit zunehmend damit begonnen zu haben, sich künstlerisch zu betätigen und seine Sichtweise auf die eigene Umwelt zum Ausdruck zu bringen. Die Musik dürfte ein zentraler Aspekt dieser neu hinzu gewonnenen Ausdrucksfähigkeit gewesen sein.
!!! künstlerisch/spielerisch/neugierig/experimentierfreudig - alles zusammen :)
 
Das ist ein hübscher Gedanke, der auf das Spiel, das spielerische hinweist!

Welches Spiel? Monopoly? Go? [Wie auch immer diese mesoamerikanischen Ballspiele hießen]? Machst du dir etwa keine Gedanken darüber, dass verschiedene Spiele in verschiedenen Kulturen völlig unterschiedlich bewertet wurden, und unterschiedlichen Zwecken dienten?

P.S.: Auf den Homo ludens, den spielenden Menschen, hatte ElQ übrigens schon weiter oben verwiesen.
 
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Überhaupt scheint der Mensch in dieser Zeit zunehmend damit begonnen zu haben, sich künstlerisch zu betätigen und seine Sichtweise auf die eigene Umwelt zum Ausdruck zu bringen. Die Musik dürfte ein zentraler Aspekt dieser neu hinzu gewonnenen Ausdrucksfähigkeit gewesen sein.

War sie das, oder gab es da (Vor-) Formen von Musik schon lange? Wird sich nur schwer klären lassen, bevor man überhaupt weiß, was eigentlich damals geschehen ist, und zu neuen Formen des kreativen Ausdrucks führte.
 
Letzteres sind zugegebenermaßen nur Hypothesen und Spekulationen, denn das musikalische Instrument könnte auch dem Gesang gefolgt sein, doch um 35.000 BP wird sich nach bisheriger Erkenntnis im Aurignacien der Übergang von der einfachen Rhythmik zur melodischen Klangvielfalt vollzogen haben und dies brachte dem Menschen aufgrund seines Unterhaltungswertes sicherlich viel Vergnügen ins Leben. Überhaupt scheint der Mensch in dieser Zeit zunehmend damit begonnen zu haben, sich künstlerisch zu betätigen und seine Sichtweise auf die eigene Umwelt zum Ausdruck zu bringen. Die Musik dürfte ein zentraler Aspekt dieser neu hinzu gewonnenen Ausdrucksfähigkeit gewesen sein.

Die "Erfindung" der Musik durch Hominiden wähne ich zeitlich weit vor archäologischen Funden wie bspw. der eingebrachten Schwanenflügelknochenflöte anzusiedeln. Datierbare Funde wie (Höhlen-)Malerei oder Objektgestaltung ermöglichen uns ein "da gab es das", die Frage nach dem "seit wann" haben Hominiden mit künstlerischen Ausdrucksformen begonnen sehe ich sperrangelweit offen. Die Nutzung des eigenen Körpers deutlich vor jeglichem Prjojizieren von Empfindungen auf und mit Materialien der Außenwelt erachte ich für wahrscheinlich. Ich denke dabei sowohl an Klangerzeugung wie bildliche Ausdrucksformen. Wer wann wie einfarbig oder vielfarbig körperbemalt und wie rhythmisch oder melodisch klatschend/schnalzend/klickend/summend/singend/trällernd erstmals im ostafrikanischen Grabenbruch oder anderswo unterwegs kann nur spekuliert werden.
 
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Unter folgendem Link gibt's dazu gleichfalls was zu der Schwanenflügelknochenflöte zu hören, sowie angestellte Überlegungen zu Einordnungen vom Jetzt ins Einst:


An anderer Stelle hier im Forum
hat @silesia in #2 Pressemeldungen und eine Publikation (evtl. hinter paywall, habe nicht nachgeforscht) verlinkt, im Rahmen derer, wenn ich es richtig quer gelesen habe, musikalisches Empfinden noch vor/oder mehr als Sprache bezüglich kognitiver Entwicklungen für Werkzeugherstellung eine Rolle gespielt haben könnte.
 
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"Musik in der Steinzeit?"
Aber ich hätte eine Frage zur Steinzeit-Musik. Es wurde ja oben vom 4/4-Takt ausgegangen, der vom Herzen oder auch nicht vom Herzen her stammt. Aber ist der 4/4-Takt überhaupt bei indigenen Völkern, die dem Steinzeitniveau nahestehen (oder bis vor kurzem noch nahestanden) maßgebend? Ich habe den Eindruck, schon außerhalb der westlichen Kultur findet man ganz andere Rhythmen, oder schon im Mittelalter bei den Greg. Gesängen. Ja: gibt es überhaupt bei den steinzeitnahen Kulturen durchgängige Rhytmusfolgen, oder richtet sich der Rhythmus nach den gesungenen Worten o.ä.?
Ich habe nämlich eine laienhafte Vermutung, dass der 4/4-Takt nicht mit dem Herzen, sondern mit dem Gehen zu tun hat, also durchaus mit dem Marschieren. Aber irgendeinen Beleg könnte ich nicht anführen außer dem, dass der Mensch nun mal 2 Beine hat. (Außer im Alter, wie wir von Oedipus wissen, da hat er 3.)
 
Neue Kompositionen für alte Instrumente - Grüße aus der Steinzeit
Die Flötistin Anna Friederike Potengowski hat auf der originalgetreuen Rekonstruktion des Urgeschichts-Museums in Blaubeuren wirklich in ganz ausgezeichneter Art und Weise gezeigt, dass sich mit diesem Instrument aus Schwanenflügelknochen sowohl hohe, als auch tiefe Tonstufen problemlos erzeugen lassen. Weitere mögliche Variationen zeigten sich am Beispiel der aus Mammutelfenbein gefertigten Flöte Geißenklösterle 3. Der ebendort genannte französische Experimentalarchäologe Jean-Loup Ringot fügt seinen Nachbauten ein Rohrblatt ein und spielt diese dann wie eine Klarinette, was ebenfalls durchaus authentisch sein könnte. Danke für diesen Beitrag.
 
Ich habe nämlich eine laienhafte Vermutung, dass der 4/4-Takt nicht mit dem Herzen, sondern mit dem Gehen zu tun hat, also durchaus mit dem Marschieren. Aber irgendeinen Beleg könnte ich nicht anführen außer dem, dass der Mensch nun mal 2 Beine hat.
Mit deiner Vermutung auf den menschlichen Gang scheinst du nicht gänzlich daneben zu liegen. 13-16 % menschlichen Taktgefühls bzw. der Fähigkeit zu rhythmischen Ausdrucksformen sollen durch Variationen an Positionen von über 60 Genen erklärbar sein, der große verbleibende Rest durch die jeweilige wohl v.a. soziale Umwelt bestimmt werden.

Aus einem Zeit&Online-Artikel:
"Und was für Gene sind es, die mit dem Rhythmusgefühl zu tun haben? Auch da gilt: Jedes dieser Gene trägt zu vielen anderen menschlichen Eigenschaften bei, man muss mit Big-Data-Algorithmen nach Zusammenhängen suchen. Und dabei fanden die Forschenden Korrelationen mit anderen körperlichen Funktionen, die etwas mit biologischen Rhythmen und dem Zeitempfinden zu tun haben. Etwa mit dem Gang, aber auch mit dem Atem. Und interessanterweise scheinen Menschen, die zu den späten Chronotypen gehören, also gern spät aufstehen und zu Bett gehen, ein besonders ausgeprägtes Rhythmusgefühl zu haben. Musiker sind Nachteulen – hier bestätigt die Studie ein geläufiges Vorurteil."

Ein bestimmter Takt/Rhythmus wie etwa 4/4 dürfte demnach aber nicht in den Vordergrund treten.

Rhythmusgefühl: Wer den Rhythmus wirklich fühlt (Link zur Publikation enthalten)

Amüsiert hat mich zum Ende des Zeit-Artikels der Hinweis auf eine evolutionäre Konvergenz. Während für homo sapiens sapiens beim Versuch gemeinschaftlichen Tanzens zu Musik mit Menschenaffen wohl eher so etwas wie ein punkig anmutender Pogo herauskommen dürfte, ließe sich mit Papageienartigen wohl eine passabel synchron agierende Tanzformation bilden, die obendrein auch noch gemeinsam singen könnte.
 
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