Österreichischer Pangermanismus nach 1866

Ab wann hat sich eigentlich die Vorstellung gebildet, dass Österreicher keine Deutschen seien (1866?), und ab wann hat sie sich in Österreich durchgesetzt?
Wäre diese Frage nicht besser umgekehrt zu stellen? Ab wann ist die Vorstellung die Österreicher seien Deutsche verbreitet? "(1866?)"

Es war doch noch Anfang des 19. Jahrhunderts (Kissinger - Das Gleichgewicht der Großmächte) ein widersinniger Gedanke Staaten entlang von ethnischen oder sprachlichen Grenzen zu definieren.
 
Ok, jetzt wieder die Gegenfrage: Wenn man Schubert 1825 gefragt hätte, ob er Deutscher sei, meinst Du nicht, dass er darauf mit ja geantwortet hätte (vielleicht wieder mit der Gegenfrage, warum denn das wichtig sei)?
 
Es war doch noch Anfang des 19. Jahrhunderts (Kissinger - Das Gleichgewicht der Großmächte) ein widersinniger Gedanke Staaten entlang von ethnischen oder sprachlichen Grenzen zu definieren.

Das an und für sich schon, nur musste sich ja das Attribut "deutsch" nicht unbedingt als ethnische oder sprachliche Zuschreibung verstehen lassen.

Es gab ja zweifellos so etwas wie die Vorstellung eines "Deutschlands" oder eines "Deutschen Gebietes" als Kategorie eines geographischen Begriffs.
Der "Deutsche Bund" von 1815 definierte keinen Staat und keine Nation, wohl aber einen klar abgegrenzten Raum, der von den Zeitgenossen als "deutsch" verstanden wurde und mit ethnischen oder sprachlichen Grenzen nicht unbedingt deckungsgleich war.


Wenn man sich die Frage stellt, wann und wie lange sich die Österreicher als "Deutsche" verstanden, sollte man dass, denke ich nicht bloß von der schmalen Plattform ethnischer oder sprachlicher Zuordnung her tun.

Man konnte sich ja in Österreich bereits dadurch als deutsch verstehen, dass Österrreich (im engerenn Sinne) selbst im kollektiven Bewusstsein zu einer Region gehörte, die als Teil eines geographischen deutschen Raumes definiert war.
Dieses Konzept mag zwar eher vormoderen anmuten, hält sich in seinen Rudimenten aber bis ins 20. Jahrhundert hinein, wenn man sich z.B. anschaut, wie in Deutschland das eigene Staatsvolk bis in die Weimarer Zeit hinein definiert wurde:


Die einheitliche Deutsche Staatsangehörigkeit, wie wir sie heute haben, wurde von der Konzeption her (natürlich damals mit anderen Implikationen, Kriterien und Zielen) erst von den Nazis 1934 eingeführt.

Im Kaiserreich und auch in der Weimarer Republik ist das noch anders geregelt da gibt es die rechtliche Konstruktion der "mittelbaren Reichsangehörigkeit".
Das bedeutete dass es eine direkte Deutsche Staatsangehörigkeit nicht gab, sondern es gab lediglich die Staatsbürgerschaft der Einzelstaaten.
Wer sich mal Ausweispapierte, Bewerbungsschreiben etc. etc. aus dem Kaisserreich oder der Weimarer Zeit anschaut, der wird da die Angabe "Deutsche(e)r" oder "Deutschland" unter dem Punkt "Staatsangehörigkeit" nicht finden, sondern der wird da Angaben finden, wie "Kgr. Sachsen", "Freistaat Preußen", "Großherzogtum Mecklenburg-Steiltz" "Sachsen-Coburg-Eisenach" oder ähnliches.

Die damalige Rechtsauffassung sah vor, dass wer die Staatsanghörigkeit eines Gliedstaates im Reichsverband hatte, damit fiktiv gleichzeitig als "Reichsangehöriger" galt. (Diese Konstruktion ermöglichte es in den 1930er Jahren Hitler die braunschweigische Staatsanngehörigkeit zu verschaffen und ihm damit als "Reichsangehörigem" die Möglichkeit einzuräumen höchste politische Ämter zu bekleiden).

Ein Grundsatz, der noch Anfang der 1930er Jahre aus dieser Gesetzgebung sprach, war dass im rechtlichen Sinne als Deutscher galt, wer irgendwo im als "Deutschland" oder "Deutsches Reich" definierten Vertragsgebiet zu dem sich die Einzelstaaten zusammengeschlossen hatten seine Heimat hatte und die nähere Zugehörigkeit zu einer darin zusammengefassten Region (Staatsangehörigkeit der Einzelstaaten) vorweisen konnte.


Im Sinne dieses Verständnisses konnte natürlich auch ein Österreicher sich Anfang des 19. Jahrhunderts als "deutsch" verstehen, ohne dass damit notwendigerweise ein im näheren Sinne nationales Selbstverständnis gemeint sein musste und das was hier vom Deutschen Bund als regionaler/geographischer definition eines deutschen Gebietes/Raums gelten konnte, ließ sich ja durchaus auch auf das alte Reich, in dem es ja den definierten Bereich des "Regnum Teutonicum" auch schon gab, auf den dieses Reich zunehmend zusammenschrumpfte, unter Umtänden auch schon übertragen.



Von dieser Warte aus, halte ich die im faden angeführte Behauptung, dass etwa Mozart sich im 18. Jahrhundert möglicherweise durchaus als "deutsch" verstanden haben würde für durchaus nicht abwegig.
Ob diese Zuschreibung mehr einer nationalen, als geographischen Idee entsprungen wäre, dass wäre freilich eine andere Frage.

Wenn man aber davon ausgeht, dass sich die vorhandene geographische Vorstellung eines irgendwie deutschen Raumes, die es auch in Österreich gab, sukzessive in ein kulturell-nationales Verständnis umwandelte, erscheint es sinnvoll anzunehmen, dass die Bewohner Österreichs, die sich selbst in das geographsiche Verständnis des Begriffs "deutsch" von dem dann auszugehen wäre inkludieren konnten, diesen Begriffswandel von Anfang an mitmachten und sich im Prinzip als Teil einer deutschen Nation verstanden, seit dem diese Vorstellung aufgekommen war.
 
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Als Träger der Kaiserkrone waren die Österricher in dem Sinne "Deutscher Nation". Woher das kommt und was das bedeutet sollte man aber auch bedenken.

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Aeneas Silvius Piccolomini, aus verarmtern Sieneser Adel, stieg vom Sekretär des Basler Konzils zum führenden Diplomaten Kaiser Friedrichs III., auf, wurde 1456 Kardinal und im August 1458 als Pius II. Papst. Im Winter 1457/1458 verfasste er die »Germania« in Abwehr der deutschen Beschwerden, die römische Kurie sauge Deutschland finanziell aus. Die Schrift sollte den Autor, der über zwanzig Jahre in Deutschland gewirkt hatte, den römischen Kardinälen empfehlen; bei den Deutschen aber erlangte die »Germania« spätestens seit dem Leipziger Erstdruck eine herausragende Bedeutung für die Ausbildung ihres Selbstverständnisses als eine Nation.

Den Nachweis, dass Rom keineswegs ein ehedem reiches Deutschland in Armut gestürzt habe, führt Aeneas durch einen Vergleich des alten Germanien mit dem neuen Deutschland. Das Erstere skizziert er mit Caesar, Strabo und Tacitus, dessen zu jener Zeit soeben entdeckte »Germania« er nur erst flüchtig kannte; das neue Deutschland beschreibt er weitgehend aus eigener Anschauung. Er setzt die geschichtliche Kontinuität der Nation als Sprach- und Kulturgemeinschaft voraus, doch den Unterschied von »einst« und »heute« arbeitet er umso schärfer heraus: den Wandel von der halbnomadischen Lebensweise und barbarischen Gesittung und Religion einst zu der städtereichen Kulturlandschaft eines zivilisierten, gebildeten, christlichen, mächtigen und wohlhabenden Volkes in seiner Gegenwart. Dies alles verdanke Deutschland der Christianisierung durch Rom.
Italienische Humanisten haben nicht nur den Text der »Germania« publik gemacht, sondern auch den Grundstein für seine folgenreiche Deutung als ein Dokument der deutschen (!) Geschichte gelegt. Bis dahin hatten Franken, Sachsen, Bayern und Schwaben je eigene Erzählungen über ihre frühe Geschichte entwickelt: über ihre Herkunft, Wanderung und Ansiedlung und ihr späteres Zusammenwachsen als Träger des Römischen Kaisertums. Unter dem Einfluss der »Germania« definierten die Deutschen ihre Herkunft neu: Sie seien die ursprünglichen Bewohner Deutschlands, eine natürliche und unvermischte Einheit mit naturgegebener, unbesiegter kriegerischer Tüchtigkeit. Nach der Absicht italienischer und deutscher Humanisten sollte diese Überblendung des Selbstbildes der Deutschen durch Tacitus’ iealisierendes Germanenbild die Bereitschaft zum Türkenkrieg, zu Abwehr der osmanischen Expansion fördern. Doch die Wirkung der »Germania« entwickelte, zunächst angefacht vom reformatorischen Kampf gegen Rom - durch die Jahrhunderte - eine eigene Dynamik, Die Gleichsetzung von »germanisch« und »deutsch« scheint seither ebenso unausrottbar, wie sie falsch ist.

Generell wird so etwas zu machtpolitischen Zwecken konstruiert und nicht wirklich hehrer Ideale wegen, wovon die Menschen aber überzeugt werden sollen und je nach Erfolg des Ganzen es auch werden, erst dadurch konstruiert sich darum dann eine Wahrheit, weil es die Menschen glauben wollen und es sich dann beweisen.
 
Wäre diese Frage nicht besser umgekehrt zu stellen? Ab wann ist die Vorstellung die Österreicher seien Deutsche verbreitet? "(1866?)"

Es war doch noch Anfang des 19. Jahrhunderts (Kissinger - Das Gleichgewicht der Großmächte) ein widersinniger Gedanke Staaten entlang von ethnischen oder sprachlichen Grenzen zu definieren.

Wenn wir von der Entwicklung des Begriffes "Deutsch" ausgehen (dazu dürften wir wohl mehr als nur einen Thread haben), so hat sich dieser ab dem 8. Jahrhundert von einer sprachlichen Qualifikation für die westgermanischen Sprachen zunächst auf die Sprecher dieser Sprachen, dann auf die Gebiete dieser Sprache ausgedehnt. Insofern waren die Österreicher natürlich Österreicher, aber auch Deutsche, genauso wie z. B. Hessen gleichermaßen Hessen wie Deutsche waren.

Für das frühe 19. Jahrhundert sind wir eigentlich am Beginn der Ära der Nationalstaaten, die sich langsam entwickelten. Vorreiter war zunächst Frankreich, später in Nachahmung auch die anderen Staaten.

Bis dahin bestanden die Staaten aus Gebieten, die mehr oder weniger durch Kriegsglück oder Ehen zusammengefügt waren. Sprachliche oder ethnische Grenzen spielten da kaum eine Rolle.



Zu 1866 oder vielleicht sollte man besser 1871 (Reichsgründung in der kleindeutschen Lösung) nehmen:

ich habe irgendwann einen Text aus Österreich gelesen, der zwischen 1871 und 1918 entstanden sein wird. Es ging um die verschiedenen ethnischen Gruppen im Parlament (Reichsrat) in Wien. Da wurden die einzelnen Völker in der Monarchie erwähnt, darunter auch die Deutschen. Den heutigen Sprachgebrauch gewöhnt (also Österreicher sind Österreicher und keine Deutschen), war ich erst überrascht, dachte dann zunächst an die Deutschen in Böhmen und Mähren und andere deutsche Minderheiten in den verschiedensten Teilen des Reiches, aber dann fiel mir auf, dass von Österreichern nicht die Rede war, und mit Deutsche die Österreicher gemeint waren.

Da es schon Jahre her ist, dass ich den Text gelesen habe, kann ich leider keine Quelle angeben. Vielleicht sollte man für den Zeitraum zwischen 1866 oder 1871 und 1945 die zeitgenössischen Texte studieren, welche Begrifflichkeiten überwiegend verwendet wurden.
 
Wie hätte man sie denn sonst nennen sollen? Erst seit Österreicher von Deutschen abgegrenzt werden, müht man sich mit Umschreibungen wie "deutschsprachige Österreicher" oder dergleichen ab.

Immer wieder wertvoll für zeitgenössische Informationen zu Europa vor dem 1. WK ist "Meyers Großes Konversations-Lexikon" 1905-1909. Im Artikel zu Österreich werden die deutschsprachigen Einwohner ganz einfach als "Deutsche" bezeichnet: Österreich [2]
Ebenso im Brockhaus von 1911: Österreichisch-Ungarische Monarchie

Die Vorstellung, man müsse unterscheiden zwischen "Österreichern" im Gebiet des heutigen Österreich und "Deutschen" in anderen Kronländern, wäre wohl als eher seltsam empfunden worden.
 
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Wie hätte man sie denn sonst nennen sollen? Erst seit Österreicher von Deutschen abgegrenzt werden, müht man sich mit Umschreibungen wie "deutschsprachige Österreicher" oder dergleichen ab.

Ich meine, es war so, dass 1871 für Deutsche aus dem Deutschen Reich die Bezeichnung Reichsdeutsche aufgekommen ist, während Deutsche immer noch als Oberbegriff für die deutschsprachige Bevölkerung unabhängig von ihrer Heimat, sei es nun das Deutsche Reich selber, Österreich, Kronländer oder die deutschen Minderheiten in Mittel- und Osteuropa oder sonstwo auf dem Globus verwendet wurde.

Wiki schreibt zwar, dass dieser Begriff umgangssprachlich benutzt wurde, aber ich meine, dass im 2. Weltkrieg auch die Bezeichnung Reichsdeutsch (RD) im Gegensatz zu Volksdeutsch (VD) offiziell war. Reichsdeutsche – Wikipedia .

Allerdings finde ich die Bezeichnung "deutschsprachige Österreicher" als ein wenig sperrig und ungewohnt. Auch wenn es autochthone Minderheiten* in Österreich (wie die Slowenen) gibt, so ist doch die Mehrheit der Bevölkerung deutschsprachig. Ich wüßte auch nicht, dass bei anderen Ländern ähnlich differenziert würde. In Deutschland gibt es ebenfalls historische Minderheiten, wie die Dänen in Südschleswig, die Sorben in Sachsen und Brandenburg und die Roma bundesweit. Auch bei Frankreich würde man nicht von französischsprachigen Franzosen sprechen, sondern man würde eher die sprachlichen Minderheiten (Basken, Bretonen, Elsässer, Lothringer, Korsen, Katalanen sowie zahlreiche Minderheitensprachler in den DOM-TOM) unter der Bezeichnung ihrer Sprachen bezeichnen (langues régionales). Auch für Großbritannien käme mir ein Begriff "englischsprachige Briten" als merkwürdig vor. Eine solche Bezeichnung würde ich bei Ländern, die mehrere, gleichberechtigte Staatssprachen, wie Schweiz oder Belgien, als sinnvoll erachten.

* zu meinem Erstaunen nicht nur die Slowenen, sondern es sind auch weitere Minderheiten in Österreich historisch ansässig:

 
Da es schon Jahre her ist, dass ich den Text gelesen habe, kann ich leider keine Quelle angeben. Vielleicht sollte man für den Zeitraum zwischen 1866 oder 1871 und 1945 die zeitgenössischen Texte studieren, welche Begrifflichkeiten überwiegend verwendet wurden.
Warum so spät?
Warum nicht Texte, die in den Österreichischen Gebieten im Zusammenhang mit der 1848er Revolution entstanden sind?
In dem Kontext und in den Debatten über das Für und Wider einer großdeutschen Lösung unter Einschluss Österreichs und den Erhalt des Habsburgischen Imperiums, die damals offen auf dem Tisch lagen, sollte doch reichlich Untersuchungsmaterial zu finden sein?

Material, das im Kontext der Rheinkrise 1840 in Österreich entstand, könnte ebenfalls aufschlussreich sein.
 

Aufgrund der Fragestellung des Eröffnungsthreads, da wurde auf die Zeit nach 1866 verwiesen.

Aber der Hinweis auf '48 oder den Vormärz ist durchaus interessant. Da wäre die Frage, ob Österreicher weniger deutschnational als z. B. Bayern, Hamburger oder Preußen gewesen wären.
 
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ein paar Anmerkungen:
Der Begriff "Österreich" ist eigentlich zumindest doppeldeutig:
Zum einen bezeichnet er - urkundlich erstmals knapp vor der ersten Jahrtausenwende erwähnt - eine Landschaft beidseits der Donau, die zu diesen Zeiten eine Grenzmark gegen die Magyaren war. Nach der Erhebung dieses Gebietes zu einem eigenständigen Herzogtums erhielt es dann diesen Namen und blieb fast das ganze nächste Jahrtausend die zentrale Machtbasis der dort regierenden Herrscherhäuser (vorerst die Babenberger, danach die aus der heutigen Schweiz immigrierten Habsburger). Im wesentlichen umfaßt "Österreich" in diesem Sinne die heutigen Bundesländer Ober- und Niederösterreich sowie Wien. Andere Teile der heutigen Republik Österreich wurden von den genannten Herrscherhäusern nach und nach in Besitz genommen (Die Steiermark erbten noch die Bebenberger, der Erwerb Vorarlbergs, Tirols und Kärnten geht aufs Konto der Habsburger, Salzburg - bis 1815 ein eigenständiges Fürstbistum - kam erst relativ spät dazu; einzig das Burgenland - vormals Westungarn - wurde erst 1918 hinzugefügt.), behielten aber über die Jahrhunderte eine mehr oder weniger ausgeprögte regionale Eigenständigkeit. Etwa schildert noch Peter Rossegger (1843 - 1918), ein steirischer Heimatdichter, in einer seiner Erzählungen, wie er mit seinem Großvater (Vater, Onkel ?) über einen Bergkamm hinweg ins "Österreichische" hinabsieht - zumindest für ihn also nach seiner Schilderung ein Blick ins "Ausland".
Zum anderen: Im Laufe der Jahrhunderte stilisierten sich die Habsburger nach ihrem wichtigsten Landbesitz immer mehr zur Inkarnation des "Österreichischen" zur "Casa d‘Austria, zum "Österreichischen Haus". Spätestens nach ihren Kronenwechsel 1806 (wirf die deutsche Krone weg, erfind dir eine neue österreichische und setz sie auf) wurde der Name "Österreich" auf ihren gesamten Landbesitz übertragen. Ab diesem Zeitpunkt war daher "Österreicher" ein Synonym für einen Untertanen der Habsburgermonarchie - wenn auch der spätere Ausgleich mit Ungarn das Ganze noch etwas verkomplizierte. Insofern war - um nur einige zu nennen - tschechischen Ziegelarbeiter, galizischen Bauern oder kärntner Handwerksgesellen allsamt eine gemeinsame "österreichische" Identität übergestülpt worden, die sich nicht primär an deren kulturellen oder ethnischen Befindlichkeiten orientierte: "Österreicher" zu sein, bedeutete die Zugehörigkeit zu diesem Staatsgebilde, nichts sonst. (ob sich alle oder auch nur die Mehrheit dieser so definierten Österreicher subjektiv als solche und nicht als unterdrückte Minderheiten verstanden hat, ist natürlich mehr als fraglich)
Deutschsprachige Österreicher - innerhalb der Donaumonarchie machte der Begriff durchaus Sinn - waren zwar in einem Land, das von sich als "deutsch" verstehenden Fürsten regierten wurde, privilegiert (im Sinne von: hatten keine kulturelle oder sprachliche Diskriminierung zu fürchten) und am ehesten geneigt diese Idetität als Österreicher positiv anzunehmen, im "nationalbesoffenen" 19. Jahrhundert neigten aber viele dazu dann doch lieber in den gerade gegründeten "eigenen" Nationalstaat übersiedeln zu wollen, was sich auch in den entsprechenden Wahlergebnissen ausdrückt.
Nach der "Eindampfung" des vormaligen Vielvölkerstaates 1918 auf die neugegründete Republik, die neben dem Namen aus der Erbmasse der Monarchie die überwiegend und durchgängig deutschsprachig besiedelten Gebiete erhielt (Ausnahmen bestätigen die Regel), war der Versuch der Namensgebung "Deutsch-Österreich" aus obigen Überlegungen nicht ganz unlogisch. Aber selbstverständlich stand dahinter auch der Gedanke der neue Staat sei v.a. ökonomisch nicht überlebensfähig und müsse sich über kurz oder lang der deutschen Republik anschliessen - eine Einstellung, die von fast allen politischen Kräften der Zeit geteilt wurde und sich erst im Laufe der Zeit (die Republik kollabierte nicht, die politische Entwicklung in Deutschland zu Beginn der 30er Jahre schreckte insb. die Linke zusätzlich ab) abschwächte.

ad Ravenik und SDAP/Linzer Programm
Faktisch korrekt, aber im Kontext zumindest "schwieriger":
Die SDAP wurde in der Monarchie gegründet und verstand sich als Vertretung der Arbeiterbewegung „aller im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder“ (d.i. der österreichische Teil der Doppelmonarchie). Die Namensgebung, in der der Begriff "Österreich" nicht auftauchte, war bewußt gewählt worden um auch für die nicht-deutschsprachigen Genossen (insb. im Böhmen und Mähren) attraktiv zu sein. Insofern war sie - bei allen Schwierigkeiten - auch immer bemüht über die nationalen Grenzen der Monarchie aus zu wirken und daher in diesen Traditionen keinesfalls national.
Die "Anschlußforderung" im Linzer Programm findet sich - aus heutiger Ansicht skurrilerweise - im Kapitel "Die Internationale" und nur wenige Zeilen entfernt vom markig notierten Gesamtziel "der internationalen Macht des Kapitals die einheitlich organisierte Weltmacht der Arbeiterklasse entgegenzustellen".
 
Salzburg - bis 1815 ein eigenständiges Fürstbistum - kam erst relativ spät dazu;
Nur bis 1803. Dann war Salzburg vorübergehend ein eigenständiges Kurfürstentum unter dem ehemaligen (habsburgischen) Großherzog von Toskana, ehe es vorübergehend an Österreich fiel, dann an Bayern und dann wieder an Österreich.
einzig das Burgenland - vormals Westungarn - wurde erst 1918 hinzugefügt.),
Erst 1921.
Die SDAP wurde in der Monarchie gegründet und verstand sich als Vertretung der Arbeiterbewegung „aller im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder“ (d.i. der österreichische Teil der Doppelmonarchie). Die Namensgebung, in der der Begriff "Österreich" nicht auftauchte, war bewußt gewählt worden um auch für die nicht-deutschsprachigen Genossen (insb. im Böhmen und Mähren) attraktiv zu sein. Insofern war sie - bei allen Schwierigkeiten - auch immer bemüht über die nationalen Grenzen der Monarchie aus zu wirken und daher in diesen Traditionen keinesfalls national.
Das war allerdings eher Wunschdenken. Die tschechischen Sozialdemokraten gründeten im Abgeordnetenhaus dann doch lieber ihren eigenen "Klub" (= Fraktion).
 
Danke für die Korrekturen (bei den beiden Jahreszahlen war ich mir aus dem Gedächtnis sicher genug um sie nicht nachzugoogeln - wie man sich irren kann).
Das war allerdings eher Wunschdenken. Die tschechischen Sozialdemokraten gründeten im Abgeordnetenhaus dann doch lieber ihren eigenen "Klub" (= Fraktion).
Nun ja: "Insofern war sie - bei allen Schwierigkeiten - auch immer bemüht..." sagt eh nicht viel anderes.
(Denken sie sich das einmal in einem Arbeitszeugnis... ;-) )
 
Nach der "Eindampfung" des vormaligen Vielvölkerstaates 1918 auf die neugegründete Republik, die neben dem Namen aus der Erbmasse der Monarchie die überwiegend und durchgängig deutschsprachig besiedelten Gebiete erhielt (Ausnahmen bestätigen die Regel), war der Versuch der Namensgebung "Deutsch-Österreich" aus obigen Überlegungen nicht ganz unlogisch. Aber selbstverständlich stand dahinter auch der Gedanke der neue Staat sei v.a. ökonomisch nicht überlebensfähig und müsse sich über kurz oder lang der deutschen Republik anschliessen - eine Einstellung, die von fast allen politischen Kräften der Zeit geteilt wurde und sich erst im Laufe der Zeit (die Republik kollabierte nicht, die politische Entwicklung in Deutschland zu Beginn der 30er Jahre schreckte insb. die Linke zusätzlich ab) abschwächte.
Das halte ich nicht ganz für die richtige Herleitung.

Die Namensgebung "Deutsch-Österreich" und damit verbundene proklamierte Gebietsansprüche entstanden ja vor den Pariser Vorortverträgen (die darauf ja Bezug namen, in dem sie diesen Namen untersagten und dem Konzept eine Absage erteilten).
Dabei dürfte es in erster Line mal darum gegangen sein auf Wilsons Forderung (14-Punkte-Programm) nach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker der Donaumonarchie abstellend, durch die Betonung des deutschen Charakters auch der Böhmisch-Mährischen Grenzgebiete, von Teilen der Untersteiermark und von Südtirol ohne das Trentino Unterstützung vor allem bei den Amerikanern dafür zu sichern so viel als möglich vom alten Staatsgebiet zu erhalten.

Die Frage, ob Österreich in Zukunft wirtschaftlich überhaupt überlebensfähig sei, die stellte sich in ihrer ganzen Tragweite ja erst, als die endgültige Grenzziehung stand, da war das Konzept aber schon längst in der Welt.

Auch der projektierte Anschluss an das Deutsche Reich, dürfte da eher der zweite Schritt gewesen sein, nach dem Versuch erstmal so viel als möglich von der Konkursmasse der Donaumonarchie zu retten.
 
ad Shinigami:
Das sollte keine Herleitung sein, sondern der Versuch diese Namensgebung (die dann - außerhalb des Staatsnamens - während des Bestehens der 1. Republik noch länger verwendet wird und aus heutiger Sicht "völlig aus der Zeit gefallen" wirkt) nicht ausschließlich als Ausfluß von Anschlussgedanken, sondern auch in Fortführung von historischen Begrifflichkeiten - dem Hauptinhalt meines Postings -zu fassen. Sorry, wenn das zu uneindeutig/widersprüchlich formuliert ist...
 
Nachtrag zur deutschnationalen Haltung der österreichischen Sozialdemokraten in der Zwischenkriegszeit: Als es nach Gründung der Republik daran ging, ein neues Staatswappen zu finden, forcierte der prominente Sozialdemokrat und Staatskanzler Karl Renner einen Entwurf, der einen schwarzen Turm, rote Hämmer und goldene Ähren zeigen sollte - sicherlich kein Zufall.
 
Nicht direkt ein Widerspruch, aber ein kleiner Einwand: Vor allem in der frühen Neuzeit war für die Habsburger die Dynastie-Bezeichnung „(Haus) Österreich“ üblich (auch in der spanischen Linie: „de Austria“ bzw. „d’Austria“). So wurde z.B. die Gattin des französischen Königs Ludwigs XIII. „Anne d’Autriche“ genannt, obwohl sie der spanischen Linie entstammte.
Österreich wurde schon sehr früh als Österreich wahrgenommen – hier als Beispiel eine (italienische) Karte aus dem Jahr 1563, in der die heutige Stadt "Cividale del Friuli" als "Cividal d’Austria" genannt wird, obwohl die Stadt zu dem Zeitpunkt schon seit mehr als 100 Jahren zu Republik Venedig gehörte.

Als Träger der Kaiserkrone waren die Österricher in dem Sinne "Deutscher Nation". Woher das kommt und was das bedeutet sollte man aber auch bedenken.
Eben. In Wahrnehmung anderer gab es keinen Unterschied zwischen Deutschen und Österreichern – sie alle wurden entweder als Germanen oder Alemannen oder (im slawischen Sprachraum) als Niemiec, Nemec oder Nemac bezeichnet, also als jene, die die (unverständliche) deutsche Sprache sprechen. Das sagt im Grunde auch Ravenik:
Die Vorstellung, man müsse unterscheiden zwischen "Österreichern" im Gebiet des heutigen Österreich und "Deutschen" in anderen Kronländern, wäre wohl als eher seltsam empfunden worden.

Wikipedia reiht z.B. all diese Personen als Deutsche an:
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obwohl z.B. Albrecht Dürers Vater aus Ungarn eingewandert war und seinen ungarischen Namen Ajtósi (ajtó -> Tür -> Thürer) nur übersetzt bzw. eingedeutsch hatte. Das war 15. Jahrhundert und damit die Zeit, als das "Sacrum Romanum Imperium" den Zusatz "nationis Germanicæ" erhielt. Man könnte jetzt spekulieren, ob dieser Zusatz den Beginn des Erwachens eines (deutschen) Nationalgefühls darstellt.
 
Österreich wurde schon sehr früh als Österreich wahrgenommen – hier als Beispiel eine (italienische) Karte aus dem Jahr 1563, in der die heutige Stadt "Cividale del Friuli" als "Cividal d’Austria" genannt wird, obwohl die Stadt zu dem Zeitpunkt schon seit mehr als 100 Jahren zu Republik Venedig gehörte.
Fragt sich nur, ob der Begriff "Austria" in diesem Fall deckungsgleich damit ist, was man heute darunter verstehen würde:

Detta in epoca romana Forum Iulii, la tradizione la indica come fondata da Giulio Cesare: «Forum Iulii ita dictum, quod Iulius Caesar negotiationis forum ibi statuerat»[10]. In epoca longobarda, fra il VI e l'VIII secolo, venne chiamata Civitas Fori Iulii. Nel X secolo, essendo ubicata nella parte orientale del regno di Lotario, cominciò a chiamarsi Civitas Austriae. Abbreviando il nome ufficiale, la popolazione la denominò Civitate(m), da cui discesero i nomi locali di Cividât, Zividât, Sividât e successivamente, intorno al XV secolo quello di Cividal d'Austria e finalmente, solo dalla guerra fra Venezia e la Lega di Cambrai si iniziò a usare la denominazione attuale di Cividale del Friuli.[11]
Wenn der Ausdruck "Civitas Austriae" wie der Artikel schreibt auf dass 10. Jahrhundert zurückgeht, dürfte das eher unwahrscheinlich sein.

Der Ausdruck "Ostarrichi" aus dem möglichrweise der spätere Begriff "Österreich" entstanden ist, scheint nämlich erst 996 erstmals urkundlich erwähnt zu werden.


Demnach dürfte die Stadt diesen Namen wahrscheinlich bereits geführt haben, bevor der Begriff "Österreich" überhaupt aufkam und der Name sich dementsprechend von anderswo herleiten.
 
Zuletzt bearbeitet:
In Wahrnehmung anderer gab es keinen Unterschied zwischen Deutschen und Österreichern – sie alle wurden entweder als Germanen oder Alemannen oder (im slawischen Sprachraum) als Niemiec, Nemec oder Nemac bezeichnet, also als jene, die die (unverständliche) deutsche Sprache sprechen.


Es gibt mindestens das Beispiel der "deutschen Vorstadt" in Moskau, bei dem der Begriff "deutsch" sich sukzssive zu einem Synonym für Ausländer/Fremde wandelte, ohne speziell Sprecher/Muttersprachler der deutschen Sprache zu bezeichnen.
Jedenfalls wurden da auch Personen von ganz wo anders her, mit ganz anderen Muttersprachen unter diesen Begriff gerechnet.

Gannz so einfach ist es also nicht.
 
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