Wenn man mal ausprobiert hat, mit einem Federkiel zu schreiben, wird man die "Sauklaue" eines Zeitgenossen wohl etwas toleranter und nachsichtiger betrachten. Wenn man allerdings in einem Archiv Material sammelt, kann einen die Schreibweise mancher Zeitgenossen allerdings zur Verzweiflung treiben. Ich mag Paläographie aber trotzdem, vor allem weil Zeitzeugen durch ihre individuelle Art zu schreiben sehr lebendig werden, man kann sich genau vorstellen, was das für Leute waren. Das Alltägliche, Unspektakuläre, das selten Eingang in Monographien und Handbücher findet, wird man als Historiker in Archiven aufstöbern können. Dazu noch ein ganz nettes Zitat:
Im Staasarchiv war nicht viel Aktivität festzustellen....Die Republik hatte diesen Adelssitz in eine Zufluchtstätte für Forscher, Gelehrte und Liebhaber alter Papiere verwandelt. Der Charme versunkener Jahrhunderte schlummerte in dem Staub der Dokumente, die in nie endender arbeit in Kästen und Aktendeckeln verwahrt, ettikettiert und katalogisiert wurden. Und was suchten diese Lesebeflissenden unter diesen Leichentüchern ? War es irgendein köstlich welker Duft, subtile Ausstrahlung längst vergangener, durch ihre Wiederbelebung verschönter Zeiten, eine poetische Verklärung, die dieses Aufrühren uralten Staubes rechtfertigte? Oder war es vielleicht ein bedeutendes Geheimnis, ein Heilmittel gegen die ewigen Leiden der Menschheit, die trotz der trügerischen Lehren der Geschichte zu allen Zeiten die gleichen sind?
Francois Dormont, Der Tod im Staatsarchiv
rororo Thriller 2018 1962, s. 11 ff.