die Ereignisse in Polen und Ungarn, haben uns vor Augen geführt, was passiert, wenn man den Grund, auf dem eine Demokratie aufgebaut ist, also die Gewaltenteilung in Legislative, Exekutive und Justiz (und freie Presse), nicht genügend vor böswilligen Veränderungen schützt, d.h. wenn man den Eingriff einer von diesen Gewalten in die anderen zwei (oder drei) per hohe Hürden beschränkt bzw. erschwert.
Und die Lehren aus Weimar sind auch jetzt präsent: Damals gab es Zersplitterung der Parteienlandschaft und keine Brandmauer gegen jene, die erklärtermaßen die Demokratie abschaffen wollten. Beides haben wir jetzt und die Zusammensetzung des Verfassungsgerichts wird noch vor den Wahlen im September per 2/3-Mehrheit festgeschrieben, d.h. sie wird auch nur mit 2/3-Mehrheit änderbar sein. So sieht eine Demokratie aus, die aus der Vergangenheit Lehren bezogen, also aus Geschichte gelernt hat.
Soweit gehe ich mit.
Deswegen ist auch diese Aussage richtig:
Würden wir vergessen und verlieren was wir gelernt haben müssten wir den gleichen Prozess erneut durchgehen.
Hier dann nicht mehr, weil dies Naturgesetze (also Gesetzmäßigkeiten der Chemie und Physik) auf menschliches Handeln überträgt. Die Durkheimsche Schule hat vor über hundert Jahren einen ähnlichen Ansatz vertreten, gewissermaßen in dem Glauben, dass die Geistes- und Kulturwissenschaften nur dann Wissenschaftlichkeit für sich beanspruchen könnten, wenn sie wie die Naturwissenschaften Gesetzmäßigkeiten festlegen könnten. Sie sind daran gescheitert und hat diesen Anspruch schnell aufgegeben - letzteres dürfte mit ein Grund dafür sein, dass Durkheim noch heute einer der Klassiker der Soziologie ist.
Der Mensch ist beides, gut und böse, deshalb muss er immer auf der Hut sein vor sich selbst. Denn was er für gut hält, kann u.U. für andere schlecht sein. Auch deswegen sind Ideologien abzulehnen, die einen selbst über andere Menschen erheben: Menschenrechte sind universell und niemand hat mehr oder weniger Rechte als ein anderer.
Hierin würde ich dir nur in Teilen bedingt zustimmen, denn du vermischt hier verschiedene Themenkomplexe:
- das dichothomische Wesen des Menschen
- Ideologie
- Menschenrechte
Ich stimme dir zu darin, dass Menschen unterschiedliche Auffassungen haben können und auch unterschiedliche Auffassungen davon, was "gut" und was "schlecht" ist. Nicht alles davon ist aber Ideologie. Man kann hier z.B. mit der Goldenen Regel argumentieren, im Kinderreim:
Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem anderen zu. Nach Kant:
Handle immer so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.
Die Auffassung, dass man selber frei von Ideologie sei, offenbart eine gewisses Selbstbild, nämlich, dass man selber besser sei als andere Menschen, weil man ja frei von Ideologie sei.
Niemand ist frei von Ideologie. Außer vielleicht einer KI. Es gelingt nur manchen Menschen besser und anderen schlechter, sich ihrer eigenen Ideologie bewusst zu werden und mehr oder weniger intersubjektiv ("objektiv"*) zu argumentieren.
Wir teilen die Ideologie, dass jemand, der sich aufgrund seiner Ideologie für wertvoller als andere Menschen hält, falsch liegt. Nichtsdestotrotz ist auch das zunächst einmal keine Form der Ideologiefreiheit, sondern eine Ideologie, die auf die Gleichwertigkeit aller Menschen abzielt.
*der Mensch kann eigentlich (in der Theorie) nicht objektiv sein, sondern sich nur der Objektivität größtmöglich annähern, wenn er sich seines eigenen ideologischen Hintergrundes bewusst ist und seinen ideologischen Hintergrund kritisch hinterfragt. In den Geisteswissenschaften ist daher Ideologiekritik, also die Bewusstmachung des eigenen ideologischen Hintergrundes, um Ideologie aus den Forshcungsergebnissen herauszuhalten, grundlegend. Objektivität ist das Ideal, Intersubjektivität ist das, was wir tatsächlich erreichen können.