Relativer Reichtum des mittelalterlichen Europas?

Chris Wickham Chris Wickham – Wikipedia argumentiert in seinem Mittelalterbuch, dass die frühmittelalterliche Herrschaftsausübung das vormalige römische staatliche Wirtschaftssystem samt Administration (Steuerwesen etc) nicht zu übernehmen oder aufrecht zu erhalten in der Lage war, dass personale Bindungen/Verpflichtungen (Feudalwesen) stattdessen vereinfacht gesagt "schlechter wirtschafteten" und infolgedessen der Wohlstand im Vergleich zum spätrömischen Reich deutlich sank (verringertes bis partiell versiegendes Handelsnetz etc). Dieser Trend setzte sich fort bis ins Hochmittelalter. Bei Wickham kann von einem relativen Reichtum des mittelalterlichen Europas nicht die Rede sein (ausgenommen Byzanz bis zu den beginnenden Kreuzzügen).
 
Wobei man hier vielleicht sogar einschränkend sagen müsste: in zentralisierten Staaten trifft dies gewiss zu, in dezentralisierten weniger. Aus dem Reichtum des mittelalterlichen Nürnbergs lässt sich nicht unbedingt auf die Zustände im gesamten Heiligen Römischen Reich schließen …
Aber über den Stadtstaat Nürnberg (der ja abseits der Stadtmauern doch ein beträchtliches abhängigs Umland besaß) und vor dessen Selbstständigkeit vielleicht immerhin etwas über die fränkische Region, vielleicht sogar in Ansätzen etwas über Oberdeutschland, als wirtschaftsgebiet, wenn man es in Verbindungen mit anderen wichtigenn Zentren, wie Augsburg, München, Salzburg, Passau, Ulm, Konstanz oder Straßburg betrachtet

Chris Wickham Chris Wickham – Wikipedia argumentiert in seinem Mittelalterbuch, dass die frühmittelalterliche Herrschaftsausübung das vormalige römische staatliche Wirtschaftssystem samt Administration (Steuerwesen etc) nicht zu übernehmen oder aufrecht zu erhalten in der Lage war, dass personale Bindungen/Verpflichtungen (Feudalwesen) stattdessen vereinfacht gesagt "schlechter wirtschafteten" und infolgedessen der Wohlstand im Vergleich zum spätrömischen Reich deutlich sank (verringertes bis partiell versiegendes Handelsnetz etc).

Ich weiß nicht, ob das am Wirtschaften liegt, aber der Abnehmende Urbanisierungsgrad, die Abschaffung von Sklaverei und Berufsarmee dürften vor allem zwei Bereiche sehr schwer getroffen haben, nämlich zum einen Wissens- und Bildungsmanagement, zum Anderen die Aufrechterhaltung von Infrastruktur.
Wissen ist, im Besonderen, wenn es kein ausgebautes Verkehrssystem gibt, nur an stark zentralisierten Orten wirklich effektiv zu vermitteln und die Straßensysteme, Wasserversorgung etc. der Antike war von Heerscharen von Sklaven und zum Teil auch von Soldaten aus dem Boden gestampft worden.
Die Belastung das alles zu pflegen, war für kleine Gruppen, die sich obendrein selbstverstogen mussten nicht zu stämmen, zumal so strak ausgebaute Wege für die kleineren Transportbedüfnisse der schrumpfenden Städte sicherlich auch irgendwo die Frage nach dr Verhältnismäßigkeit aufwarfen.

Dieser Trend setzte sich fort bis ins Hochmittelalter. Bei Wickham kann von einem relativen Reichtum des mittelalterlichen Europas nicht die Rede sein (ausgenommen Byzanz bis zu den beginnenden Kreuzzügen).
Ich habe vor einiger Zeit mal in Thomas Ertls "Bauern und Bänker" als Einführungswerk in die Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters hineingelesn (ich kann es btw. nur empfehlen). Da wird irgendwann zwischen dem Hochmittelalter und dem Spätmittelalter eine explzite Trendwende festgegmacht und das wird vor allem auch am Verhältnis Westeuropas zu Byzanz festgmacht.
In dem entsprechenden Kapitel wird dargelegt, dass bis ins Hochmittelalter hinein, das lateinische Europa in vielen Wirtschaftszweigen schlecht entwickelt war und vor allem Rohstoffe und Edelmetall nach Byzanz eexportierte um sich von dort qualitativ gute fertigwaren zu holen, sich diese Verhältnis aber im Laufe des Spätmittelalters umkehrte und dabei das byzantinische Reich mehr oder minde, leicht überspitzt gesagt zu einer Exportkolonie der italienischen Seestädte, im Besonderen Venedigs degradiert worden sei.
Ich weiß nicht genau, wie belastbar das ist, weil ich nun absolut kein Mittelalter-Experte bin aber vielleicht sollte man das hier mal erwähnt haben.
Ich bin leider bisher nicht dazu gekommen, das Buch, dass ich aus der Bibliothek entliehen hatte vollständig zu lesen, aber es lohnt auf jeden Fall.


Was man bei der These der "Verschlechterung" durch die nachrömischen Verhältnisse vielleicht hinzusetzen sollte, sofern wir über ganz Europa rede, ist, dass das natürlich nur da gelten kann, wo vorher römiche Wirtschaftsweisen auch tatsächlich Einzug gehalten hatten.
 
Ich finde, diese Diskussion nimmt nun ganz gut Fahrt auf! Danke @dekumatland für den Hinweis auf Wickham. Welches seiner Bücher kannst du empfehlen?

Schade, dass der Eröffner des Threads bisher nicht Gelegenheit gefunden hat, seine Frage thematisch ein bisschen einzugrenzen. Gibt es von eurer Seite irgendwelche Vorschläge und Vorlieben? Ich fürchte, die Diskussion wird sich verlaufen, wenn wir den Gegenstand nicht enger definieren.

Für die Phase nach dem Untergang des Weströmischen Reiches möchte ich anmerken, dass der Versuch, Verwaltungs-, Rechts- und Wirtschaftssystems des Römischen Reiches auf ein kleineres Herrschaftsgebiet anzupassen, nicht allein am Unvermögen der Nachfolgestaaten gescheitert ist, sondern schon auch von externen Faktoren stark gestört wurde, z.B. von der Expansion des Islam, den Überfällen der Wikinger, den Hunnen, Awaren, Slawen etc. - so dass praktisch jede Region des "lateinischen" Europa ihre eigenen Störenfriede hatte.
 
@StefanG Das Mittelalter. Europa von 500 bis 1500, Klett-Cotta, Stuttgart 2018 liegt auf meinem Nachttisch und ich lese gelegentlich darin, finde es exzellent, aber es ist ungewohnt aufgebaut. Er nähert sich z.B. einem Themenkomplex wie Herrschaftsausübung von verschiedenen Richtungen, umkreist den Themenkomplex sozusagen, beleuchtet ihn wirtschafts-, ereignis-, kultur-, rezeptionshistorisch (u.v.a.) - man könnte sagen, dass er dialektisch erzählt/berichtet/auseinandersetzt. Man wird immer wieder überrascht beim lesen - aber leichte Lektüre ist es trotz parlierendem Tonfall nicht. Auf jeden Fall sehr lesenswert meiner Ansicht nach. (ich muss immer wieder zurückblättern, und trotzdem bleibt es spannend!)

Für die Phase nach dem Untergang des Weströmischen Reiches möchte ich anmerken, dass der Versuch, Verwaltungs-, Rechts- und Wirtschaftssystems des Römischen Reiches auf ein kleineres Herrschaftsgebiet anzupassen, nicht allein am Unvermögen der Nachfolgestaaten gescheitert ist, sondern schon auch von externen Faktoren stark gestört wurde, z.B. von der Expansion des Islam, den Überfällen der Wikinger, den Hunnen, Awaren, Slawen etc. - so dass praktisch jede Region des "lateinischen" Europa ihre eigenen Störenfriede hatte.
Das kann man so pauschal nicht sagen: welche Störenfriede hinderten die Merowinger oder Karolinger an ihrer Expansion? ;)
 
------nur nebenbei als Exkurs:
In dem entsprechenden Kapitel wird dargelegt, dass bis ins Hochmittelalter hinein, das lateinische Europa in vielen Wirtschaftszweigen schlecht entwickelt war und vor allem Rohstoffe und Edelmetall nach Byzanz eexportierte um sich von dort qualitativ gute fertigwaren zu holen, sich diese Verhältnis aber im Laufe des Spätmittelalters umkehrte und dabei das byzantinische Reich mehr oder minde, leicht überspitzt gesagt zu einer Exportkolonie der italienischen Seestädte, im Besonderen Venedigs degradiert worden sei.
das wundert mich! Ich war überzeugt, dass das immens geschrumpfte Byzanz spätestens ab Mitte 14. Jh. gar nicht mehr die Mittel hatte, um als Handelspartner sonderlich attraktiv zu sein. Und danach war die Herrlichkeit der "Romäer" auf den Stadtstaat Byzanz und ein paar entfernte kleine Landstriche geschmolzen. So jedenfalls hab ich das aus einer umfangreichen Geschichte des byz. Reichs (frag mich nicht, von wem, das Buch ist mir abhanden gekommen (verliehen? verschmissen? keine Ahnung, ist mehr als zehn Jahre her))
Exkurs beendet------
 
Ich war überzeugt, dass das immens geschrumpfte Byzanz spätestens ab Mitte 14. Jh. gar nicht mehr die Mittel hatte, um als Handelspartner sonderlich attraktiv zu sein.
Auf die Schrumpfung und darauf, dass sich das wirtchaftlich durchaus auswirkte wurde in dem Buch auch hingewiesen, so dass man die Umkehrung der Verhältnisse sicherlich nicht ausschließlich auf positive Entwicklungen im lateinischen Europa beschränken kann und die Probleme von Byzanz wird mit betrachten müssen.
Mein Nachteil hierbei ist, dass ich über die byzantinische Geschichte wirklich so gut wie nichts weiß, dass ist ein blinder Fleck, den ich immer irgendwann mal füllen wollte, ich bin allerdings bisher nicht dazu gekommen.

Mindestens in Thrakien, Thessalien und Nordost-Anatolien konnte sich das Byzantinische Reich ja bis ins 14. Jahrhundert hinein halten bzw. es sich zeitweise zurückholen.
Waren die dauerhaften Verluste sowohl Bulgariens, als auch des Inneren und des Südens von Anatolien wirtschaftlich deiner Meinung nach so schwerwiegend?
Ich muss ehrlich zugeben, dass ich relativ wenig Vorstellungen davon habe, welche Art von Wirtschaft in diesen Gebieten überhaupt betrieben worden war.
Für Bulgarien (abseits Rumelien) hätte ich vor allem auf Viehwirtschaft getippt, zumal mir da außer Philippolis keine größere Stadt in der Spätantike oder im Mittealter bekannt ist, außer vielleicht Nikopolis. Adrianopel müsste längere Zeit noch bei Byzanz geblieben sein, Thessaloniki im nordöstlichen Griechenland und Nikaia, Nikomedia und Smyrna im Nordwestlichen Anatolien auch.
Das waren durchaus noch einige ansehnliche Städte, denen ich neben Konstantinopel einen ausgeprägten Handwerkssektor immerhin zutrauen würde.

Ich müsste das in dem Buch nochmal genau nachlesen, wie das formuliert war (ist leider schon ein paar Monate her). Dafür müsste ich mir aber etwas Zeit erbitten, ich habe gerade abseits des Cyberspace etwas nicht ganz unwichtiges am Laufen, dass dringend abgeschlossen werden muss, weswegen ich hier wahrscheinlich about bis kommenden Mittwoch weitgehend abstinent sein werde und allenfalls sporadisch die Gelegenheit haben werde, hier rein zu schauen.
Danach kann ich gerne in die Bibliothek und dass nochmal genau nachschlagen und referieren.
 
War Byzanz aus westeuropäischer Sicht nicht vor allem als Transitland bzw. Handelsknotenpunkt wirtschaftlich bedeutend? Welche eigenen Erzeugnisse wurden mit der lateinischen Christenheit gehandelt?
 
War das Europa des Mittelalters eigentlich wohlhabend im Vergleich zu anderen Weltregionen wie Afrika, Asien (Indien, China) oder den Indio-Kulturen in Südamerika?

In den letzten paar Jahrzehnten hat die wirtschaftsgeschichtliche Forschung Fahrt aufgenommen, die das Bruttosozialprodukt vorindustrieller Gesellschaften errechnen will. Das errechnete Bruttosozialprodukt pro Kopf gibt dann den Reichtum dieser Länder, Staaten oder Reiche wieder. Die Herleitungen zu den Werten sind interessant und finderisch, aber auch mit einiger Vorsicht zu genießen. Für sichere Erkenntnisse ist die Datenlage letztlich zu dünn, weswegen verschiedene Autoren auch zu ganz unterschiedlichen Zahlen gelangen. Selbst für das 19. Jahrhundert, als die Datenlage ungleich dichter war, weichen seriöse Einschätzungen schnell um einen Drittel ab und sogar heutzutage unterscheiden sich die Zahlen je nach Quelle (IMF, Weltbank, Vereinte Nationen) deutlich.

Außerdem hat man auch mit Paradoxien zu kämpfen. So gibt es Untersuchungen, nach denen die Körpergröße und Gesundheit der Menschen in der Nachantike anstieg! Normalerweise gilt das ein Zeichen von wachsendem Wohlstand und Fortschritt, aber in diesem Fall lag es daran, daß weit weniger Menschen um die vorhandenen Ressourcen konkurrierten. Die urbane Zivilisation und der Fernhandel waren zwar fast ganz verschwunden, aber verhältnismäßig war die Bevölkerung noch stärker geschrumpft, so daß mehr Nahrung für den einzelnen übrigblieb.

Ein dritter Punkt, den es zu beachten gilt, ist die Wohlstandsverteilung innerhalb der Gesellschaften: So galt z.B. Indien seinen zahlreichen Eroberern als lohnenswertes, weil "reiches" Ziel, aber die Vermögensverteilung ist dort (bis heute) so ungleich, daß extremer Reichtum extremer Armut gegenübersteht. Durchschnittswerte wie Bruttosozialprodukt pro Kopf sagen bei dieser Schere recht wenig über den 'normalen' Wohlstand aus.
 
Hier ist so ein frei erhältlicher Artikel der neuen, quantifizierenden Wirtschaftsgeschichte, der - ziemlich ungewöhnlich - technischen Fortschritt als Grundlage der Analyse wählt. Normalerweise wird von Löhnen, Warenkörben o.ä. aus argumentiert. Der Autor gehört dem Maddison-Projekt an und kommt zum Schluß, daß "Europa" den "Mittleren Osten" bereits im 16. Jahrhundert an Wohlstand übertroffen habe.

Ich würde mit Rückgriff auf andere Faktoren argumentieren, daß das wahrscheinlich schon früher der Fall gewesen war. Den gemeinsamen Mittelmeerhandel etwa kontrollierten die Europäer bereits seit dem 1. Kreuzzug. Auch in einer Reihe anderer Bereiche waren die Europäer bereits weltführend (Hochbau, Brückenbau, Bergbau, Festungsbau, u.a.m.), jedenfalls in West- und Südeuropa. Diese Leistungen war nicht von der materiellen Grundlage losgelöst möglich.
 
PS: Der Artikel nennt sich "Mills, cranes, and the great divergence: the use of immovable capital goods in western Europe and the Middle East, ninth to sixteenth centuries". Man gelangt an ihn über Google Scholar.
 
Ich würde mit Rückgriff auf andere Faktoren argumentieren, daß das wahrscheinlich schon früher der Fall gewesen war. Den gemeinsamen Mittelmeerhandel etwa kontrollierten die Europäer bereits seit dem 1. Kreuzzug. Auch in einer Reihe anderer Bereiche waren die Europäer bereits weltführend (Hochbau, Brückenbau, Bergbau, Festungsbau, u.a.m.), jedenfalls in West- und Südeuropa. Diese Leistungen war nicht von der materiellen Grundlage losgelöst möglich.
Und dennoch richtete Venedig den Fondaco dei Tedeschi (Fondaco ist ein arabisches Wort, funduq ('Karawanserei', modernes Arabisch 'Hotel'), ein, für alle Händler, die Venedig aus dem HRR erreichten (also auch Polen, Böhmen, Flandrer etc.), denn die Venezianer wollten vor allem die Kontrolle über das böhmische Silber erlangen, welches sie tonnenweise in den Nahen Osten verhandelten, um von dort Stoffe und Gewürze zu beziehen. Die italeinischen Seerepubliken führten untereinander Kriege, um das Handeslmonopol mit verschiedenen Regionen der islamischen Welt zu verteidigen. Ihre Münzprägestätte nannten die Venezianer Zecca (< arab. Sikka), ihre Dukaten Zecchine.
 
Den gemeinsamen Mittelmeerhandel etwa kontrollierten die Europäer bereits seit dem 1. Kreuzzug.
Sie kontrollierten den Transport, weil im Besonderen die italienischen Seestädte und später auch das Aragonesiisch-Süditalienische Reich den Löwenanteil des Schiffsraums in diesem Gebiet stellten, während vor allem Byzanz zunehmend an Land unter Druck geriet und sich kaum noch auf den Aufbau eigener großer Flotten konzentrieren konnte.

In Teilen der Levante (ausgenommen dem Libanon), Ägypten und einem Teil der lybischen Gebiete im Osten fehlte es allerdings auf Grund der Umweltbedinungen in der Regel auch einfach an Holz für den Schiffbau, was für die Produktion von Schiffsraum selbst eher ein Hindernis sein musste.
Spätestens mit dem Aufstieg des Osmanischen Reiches, kam aber auch ein Akteur aus dem östlichen Mittelmeerraum wieder dahin beachtliche Flotten bauen zu können, die stets nur von Koalitionen der christlichen Seemächte in Schach gehalten werden konnten.

Will heißen, diese Kontroll der Seewege resultierte nicht unbedingt aus ökonomischer Überlegenheit oder überlegner Technik im Schiffsbau, sondern aus anderen Faktoren.
Eine tatsächliche technische Überlegenheit, die dann auch zu ökonomischer Dominanz führte, würde ich da erst ab dem 16.-17. Jahrhundert sehen, als vor allem in den Niederlanden und Großbritannien der Schiffbau entscheidende Fortschritte machte und den Bau relativ großer, aber mit vergleichsweise kleiner Besatzung zu segelnder Schiffstypen ermöglichte, die immer größere Frachtraten, bei tendenziell anteilig sinkendem Platzbedarf für Proviant und tendenziell anteilig sinkenden Personalkosten pro Frachttonne zuließ.
 
Die frühe Kontrolle der Seewege durch die italienischen Seestädte und Aragon, aber auch durch nordeuropäische Kreuzfahrer, ergab sich nicht zwangsläufig aus einer Lage der wirtschaftlichen Überlegenheit, aber sie führte doch im Resultat dazu. Entscheidend sind nicht so sehr die mannigfaltigen Gründe für diese Vorherrschaft, sondern DASS man sie besaß und jahrhundertelang ausübte. Das weist auf ein vorhandenes wirtschaftliches Gefälle hin, ja das IST bereits eine ökonomische Divergenz. Nur auf einem Sektor, aber einem wichtigen.
 
War Byzanz aus westeuropäischer Sicht nicht vor allem als Transitland bzw. Handelsknotenpunkt wirtschaftlich bedeutend? Welche eigenen Erzeugnisse wurden mit der lateinischen Christenheit gehandelt?
Laut Reinhard Pohanka, "Das Byzanthinische Reich" (2103) war Byzanz vom 7. bis zum 11. Jhdt der bedeutendste Seidenmarkt Europas. Justinian I. wollte in den Besitz des Geheimnisses der Seidenproduktion gelangen und schickte Mönche nach China, die zunächst Samen des Maulbeerbaumes brachten. Die Mönche Theophanis und Zonoras schmuggelten um 554 die Eier der Seidenraupe in hohlen Bambusstäben nach Konstantinopel. Maulbeerbäume wurden dann auf der Peloponnes angebaut. Die Seidenproduktion erfolgte anfänglich durch kaiserliche Seidenwerkstätten innerhalb der Palastmauern. Gynaikeion genannt, nach den Frauengemächern des Palastes.

Ein weiteres Luxusgut aus byzantinischen Werkstätten war die Glasproduktion, Glasbläserei und Herstellung von Mosaiksteinen. Diese wurden in den gesamten Mittelmeerraum und bis hinauf nach Nordeuropa exportiert. Nach der Eroberung durch Kreuzfahrer 1204 siedelten die Venezianer die Familien der Glashandwerker nach Venedig ab.

Ein weiteres Detail aus dem o.g. Buch: die Handwerker unterlagen staatlichen Garantie- und Gewährleistungspflichten, die auch Güter des täglichen Bedarfs und Kunsthandwerk betrafen. Mein Gedanke dazu: "Made in Byzanz" könnte für besonders gute und langlebige Qualität gestanden haben.
 
Laut Reinhard Pohanka, "Das Byzanthinische Reich" (2103) war Byzanz vom 7. bis zum 11. Jhdt der bedeutendste Seidenmarkt Europas. Justinian I. wollte in den Besitz des Geheimnisses der Seidenproduktion gelangen und schickte Mönche nach China, die zunächst Samen des Maulbeerbaumes brachten. Die Mönche Theophanis und Zonoras schmuggelten um 554 die Eier der Seidenraupe in hohlen Bambusstäben nach Konstantinopel. Maulbeerbäume wurden dann auf der Peloponnes angebaut. Die Seidenproduktion erfolgte anfänglich durch kaiserliche Seidenwerkstätten innerhalb der Palastmauern. Gynaikeion genannt, nach den Frauengemächern des Palastes.

Ein weiteres Luxusgut aus byzantinischen Werkstätten war die Glasproduktion, Glasbläserei und Herstellung von Mosaiksteinen. Diese wurden in den gesamten Mittelmeerraum und bis hinauf nach Nordeuropa exportiert. Nach der Eroberung durch Kreuzfahrer 1204 siedelten die Venezianer die Familien der Glashandwerker nach Venedig ab.

Ein weiteres Detail aus dem o.g. Buch: die Handwerker unterlagen staatlichen Garantie- und Gewährleistungspflichten, die auch Güter des täglichen Bedarfs und Kunsthandwerk betrafen. Mein Gedanke dazu: "Made in Byzanz" könnte für besonders gute und langlebige Qualität gestanden haben.
In Andalusien hießen die Seidenmärkte al-Qaysariyya < qaysar < kaisar < Caesar
 
Wenn man bedenkt, durch wie viele Händler die chinesische Seide ging, war sie sicher sehr teuer. Auch die im byzantinischen Reich produzierte wurde genauso teuer verkauft – wenn in der gleichen Qualität vorhanden. Entsprechend groß waren die Gewinne dort.

Meine Frage dazu: Wie teuer war die Seide in Hochmittelalter in Venedig und/oder für den Endverbraucher jenseits der Alpen, z.B. in Augsburg oder Nürnberg.
 
Seit dem 7. Jhdt. war die Seide kein chinesisches Monopol mehr. In al-Andalus war die Seidenproduktion in den Händen des Emirs und eine seiner legalen Einkommensquellen (Steuern wurden meist erhoben, waren aber nach islamischem Recht nicht legal, legal war einzig die Djizya und die Zakât, die Steuer für NIchtmuslime und die Almosensteuer. Die Almosensteuer, die von den Muslimen erhoben wurde, durfte aber nicht in den Staatshaushalt gehen, sondern diente der Umverteilung an die Bedürftigen. Im 11. Jhdt. kam es daher in al-Andalus zu großer Unzufriedenheit, weil die muslimischen Herrscher Steuern erheben mussten, um entweder Heere aufzustellen oder den christlichen Herrschern Tribute zu zahlen, um das zu decken wurden Steuern erhoben, die unislamisch waren, außerdem wollten die vielen nach dem Zusammenbruch des Kalifats entstandenen Herrscher natürlich zeigen, dass sie keine Hinterwäldler waren, dementsprechend wurden auch Architekten und Künstler beschäftigt)
 
In al-Andalus war die Seidenproduktion in den Händen des Emirs
Ich habe ich nichts gefunden, was auf Seidenherstellung in Al-Andalus vor dem 9. Jhdt. hinweist. Das Wissen um den kompletten Herstellungsprozess samt den dafür erforderlichen Maulbeerbäumen und Seidenraupen dürfte doch über Byzanz nach Europa gelangt sein. Hast du Quellen gefunden, die auf ein früheres Datum hinweisen?

Deine Beobachtung, dass die Seidenmärkte nach dem Kaiser (in Byzanz) benannt waren, deutet doch eher darauf hin, dass sie anfänglich als Handelsware aus Byzanz auf den Markt kam. Die Parallele, dass sowohl der Kaiser in Konstantinopel als auch der Emir die Seidenproduktion anfänglich monopolisiert als "Staatsbetrieb" laufen hatte, ist bemerkenswert.

In einem Buch über die Frühzeit des Islam fand ich, dass die Omaijaden-Herrscher das Monopol auf Herstellung und Vertrieb eines Stoffes namens tiraz hatten. Dieser war aus Baumwolle oder Leinen gefertigt, mit Koran Zitaten bestickt, sowie mit Herstellungsdatum, Ursprungsort und Namen des Herrschers versehen.

Die Anekdote von den Mönchen, die Seidenraupen aus China schmuggeln, ist schon bei Prokopios (gest. 562) zu finden. In einem Buch über die Seidenstraße (Jean-Pierre Drege, 1986) steht, unter Berufung auf chinesische Quellen, dass in Zentralasien (Khotan z.b.) ab dem 6. Jhdt. Seidenraupen gezüchtet wurden, aber mangels Webetechnik nur für die Herstellung von Watte. Unsere Mönche hätten also nicht bis China reisen müssen, um in den Besitz von Seidenraupen zu gelangen.

Dieses Buch berichtet außerdem, dass die Perser bis zum 6. Jhdt. das Monopol auf Seidenhandel hatten. Um nicht beim Feind kaufen zu müssen, habe Justinian eine Route via Rotes Meer erschlossen und sich mit dem König von Aksum (Äthiopien) verbündet. Unter Justinian II sei eine neue Route nördlich des Kaspischen Meeres erschlossen worden, unter Umgehung des von Persien kontrollierten Gebietes, und die Sogdier hätten den Seidenimport aus China ab diesem Zeitpunkt übernommen. Der Import aus China habe auch weiterhin eine bedeutende Rolle gespielt.

Nach Italien sei die Herstellungstechnik ab 1146 gekommen: Roger II habe Weber und Sticker aus Theben, Athen und Korinth nach Palermo verschleppt. Von dort aus wurde das Know how dann binnen einiger Jahrzehnte nach Lucca, Venedig und Florenz transferiert.
Wikipedia schreibt dazu: Die norditalienische Stadt Lucca verdankte ihren Einfluss und ihre Macht im 13. Jahrhundert beispielsweise ihrer Seidenindustrie mit ihren mechanischen, wasserkraftgetriebenen Seidenzwirnmühlen.
 
Ich habe ich nichts gefunden, was auf Seidenherstellung in Al-Andalus vor dem 9. Jhdt. hinweist. Das Wissen um den kompletten Herstellungsprozess samt den dafür erforderlichen Maulbeerbäumen und Seidenraupen dürfte doch über Byzanz nach Europa gelangt sein. Hast du Quellen gefunden, die auf ein früheres Datum hinweisen?
Ich wollte nicht so verstanden werden, dass die Seidenproduktion bereits im 7. Jhdt. in al-Andalus etabliert war (da war al-Andalus sowieso noch Zukunftsmusik). Ich hätte einen Absatz machen sollen. Es ging darum, dass die Seidenproduktion da bereits kein Monopol der chinesischen Kaiser war. Der Rest bzgl. al-Andalus war additional, galt - was ich explizit nicht klar gemacht habe, mea culpa - für Kalifat und Taifas.
 
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