Slawische Bevölkerungszahl im Mittelalter

Im Prinzip stimme ich hier zu. Die ältesten Jahrringe in der Germania Slavica stammen aus der Zeit um 700. Der Abzug der Langobarden erfolgte 568, die erste Erwähnung von Sorben fällt ins Jahr 631/2.

Ich vermute, dass mit "Jahrringe" dendrochronologisch datierte Baumringe aus Bauten der Germania Slavica gemeint sind. Haben wir eigentlich in den Ansiedlungsgebieten Kontinuitäten, also sind germanische Siedlungen (mit verbliebender Restbevölkerung möglicherweise) von den Slawen übernommen worden?

(Leider ist für mich die Germania Slavica "terra incognita").

Wie sieht das denn die Sprachwissenschaft? Ist es möglich, in den slawischen Sprachen (Sorbisch bzw. Polnisch) noch ein germanisches Substrat zu identifizieren? Irgendwo hatte ich gelesen, dass das gotische Wort für König (kuninga oder so ähnlich) in einer frühen Form der slawischen Sprache überlebt hat (bin mir da aber nicht so richtig sicher, ob ich mich daran richtig erinnere).

Zudem wäre die Frage, ob Wörter germanischer Herkunft in den slawischen Sprache Substrat oder ein Adstrat wären.
 
Wie sieht das denn die Sprachwissenschaft? Ist es möglich, in den slawischen Sprachen (Sorbisch bzw. Polnisch) noch ein germanisches Substrat zu identifizieren? Irgendwo hatte ich gelesen, dass das gotische Wort für König (kuninga oder so ähnlich) in einer frühen Form der slawischen Sprache überlebt hat (bin mir da aber nicht so richtig sicher, ob ich mich daran richtig erinnere).

Das polnische Wort król bzw. auch das russische Коро́ль etc. stammt vom fränkischen Königsnamen Karl. Vielleicht meinst du das?
 
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Ich vermute, dass mit "Jahrringe" dendrochronologisch datierte Baumringe aus Bauten der Germania Slavica gemeint sind. Haben wir eigentlich in den Ansiedlungsgebieten Kontinuitäten, also sind germanische Siedlungen (mit verbliebender Restbevölkerung möglicherweise) von den Slawen übernommen worden?

(Leider ist für mich die Germania Slavica "terra incognita").

Wie sieht das denn die Sprachwissenschaft? Ist es möglich, in den slawischen Sprachen (Sorbisch bzw. Polnisch) noch ein germanisches Substrat zu identifizieren? Irgendwo hatte ich gelesen, dass das gotische Wort für König (kuninga oder so ähnlich) in einer frühen Form der slawischen Sprache überlebt hat (bin mir da aber nicht so richtig sicher, ob ich mich daran richtig erinnere).

Zudem wäre die Frage, ob Wörter germanischer Herkunft in den slawischen Sprache Substrat oder ein Adstrat wären.
Ja, Jahrringe bezog sich auf die Dendrologie.

Im Allgemeinen brechen die germanischen Funde im Verlauf des 6. Jahrhunderts ab und es besteht eine Fundlücke zu den folgenden Slawen zu. Ob dies allerdings Ausdruck einer völligen Entleerung dieses Gebietes ist oder ob lediglich nur noch der Nachweis einer Kontinuität fehlt, ist unklar.

Du meinst vermutlich kuni, slawisch als knyas (russ.), knez (cz), kunego (slv)
 
Ich vermute, dass mit "Jahrringe" dendrochronologisch datierte Baumringe aus Bauten der Germania Slavica gemeint sind. Haben wir eigentlich in den Ansiedlungsgebieten Kontinuitäten, also sind germanische Siedlungen (mit verbliebender Restbevölkerung möglicherweise) von den Slawen übernommen worden?

Es gibt den Nachweis einer unmittelbaren Siedlungsgsgemeinschaft von Slawen und Germanen in Dessau-Mosikkau, in anderen Regionen ist der Nachweis entsprechender Kontakte erbracht. Die spätesten germanischen Funde stammen aus dem 6. Jh., wobei intensive Kontaktzonen in den Regionen Dresden und Riesa, im Land zwischen unterer Mulde und Saale, im südöstlichen Mecklenburg sowie im unteren Spree- und mittleren Havelgebiet zu finden sind.

Pollenanalysen zeigen an einigen Orten einen kontinuierlichen Anbau von Getreide im 6. Jh. und belegen spätgermanische und frühslawische Siedlung. Die Forschung rechnet im Havel-Spree-Gebiet noch im 6. Jh. mit einer stärkeren germanischen Restbevölkerung. [1]

[1] Lexikon des Mittelalters, Bd. III, Sp. 1780 f.

Nachtrag: Hier habe ich noch einen interessanten Beitrag von Wissenschaftlern aus der Ex-DDR zum Thema "germanische Restbevölkerung" gefunden. http://redel.eu/schneelaeufer/wiki/images/a/a0/Slawen_in_deutschland.pdf (bitte auf S. 33 skrollen)

Auch dort wird davon ausgegangen, dass es noch bis ins 6. Jh. zu Kontakten zwischen einer verbliebenen germanischen Bevölkerung und slawischen Neusiedlern gekommen ist.
 
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Das polnische Wort król bzw. auch das russische Коро́ль etc. stammt vom fränkischen Königsnamen Karl. Vielleicht meinst du das?

Nein, das meinte ich nicht, aber immerhin schön, dass man meinen Nick zum König gemacht hat.:cool:

Du meinst vermutlich kuni, slawisch als knyas (russ.), knez (cz), kunego (slv)

Jo!:yes: Das müßte es sein!

Ist da eigentlich geklärt, über welchen Weg das Wort in die slawischen Sprachen gekommen ist (Substrat/Adstrat)?

Gibt es da noch weitere Worte germanischen Ursprungs? Problem dürfte wahrscheinlich sein, dass die frühen slawischen Sprachen nicht so gut belegt sind. Das Sorbische ist erst ab Wende MA/Frühe Neuzeit wie es scheint einigermaßen greifbar.
 
Es gibt den Nachweis einer unmittelbaren Siedlungsgsgemeinschaft von Slawen und Germanen in Dessau-Mosikkau, in anderen Regionen ist der Nachweis entsprechender Kontakte erbracht. Die spätesten germanischen Funde stammen aus dem 6. Jh., wobei intensive Kontaktzonen in den Regionen Dresden und Riesa, im Land zwischen unterer Mulde und Saale, im südöstlichen Mecklenburg sowie im unteren Spree- und mittleren Havelgebiet zu finden sind.
Nein, leider nicht. Zwar gibt es für Dessau-Mosigkau Mischfunde, doch sind diese nicht eindeutig.

Pollenanalysen zeigen an einigen Orten einen kontinuierlichen Anbau von Getreide im 6. Jh. und belegen spätgermanische und frühslawische Siedlung. Die Forschung rechnet im Havel-Spree-Gebiet noch im 6. Jh. mit einer stärkeren germanischen Restbevölkerung. [1]

[1] Lexikon des Mittelalters, Bd. III, Sp. 1780 f.
Pollenanalysen deuten in diese Richtung, sind aber leider nur Indiz.

Nachtrag: Hier habe ich noch einen interessanten Beitrag von Wissenschaftlern aus der Ex-DDR zum Thema "germanische Restbevölkerung" gefunden. http://redel.eu/schneelaeufer/wiki/images/a/a0/Slawen_in_deutschland.pdf (bitte auf S. 33 skrollen)

Auch dort wird davon ausgegangen, dass es noch bis ins 6. Jh. zu Kontakten zwischen einer verbliebenen germanischen Bevölkerung und slawischen Neusiedlern gekommen ist.
Für das Elbe-Oder-Gebiet scheint solch eine Datierung fraglich, da wohl keine Slawen bereits im 6. Jahrhundert hier ansässig waren
 
Wie man das auch dreht und wendet: Eine germanische Restbevölkerung scheint nach Abwanderung germanischer Stämme im Zuge der Völkerwanderung zurückgeblieben zu sein. Ob nun die von mir zitierten Quellen oder deine Analyse zutreffen, kann ich nicht beurteilen. :grübel:
 
Wie man das auch dreht und wendet: Eine germanische Restbevölkerung scheint nach Abwanderung germanischer Stämme im Zuge der Völkerwanderung zurückgeblieben zu sein. Ob nun die von mir zitierten Quellen oder deine Analyse zutreffen, kann ich nicht beurteilen. :grübel:
Beorna bezieht sich ja auf Sebastian Brather (Archäologie der westlichen Slawen, Berlin / New York 2008), das ist wohl der aktuelle Forschungsstand.
Auch Brather glaubt nicht an ein siedlungsleeres Gebiet, nur ist eben der Beweis schwer zu führen:

Brather S. 61/62 schrieb:
Die einwandernden Slawen fanden höchstwahrscheinlich kein siedlungsleeres Gebiet vor; eine "Siedlungslücke" von einem Jahrhundert oder mehr ist daher unwahrscheinlich. Auch nach den großen "Völkerwanderungen" waren Bevölkerungsteile ansässig geblieben; allerdings zeigt der archäologische Befund einen starken Rückgang der Besiedlungsdichte. Germanisch-slawische Kontakte im Sinne der Begegnung von Gruppen unterschiedlicher kultureller Traditionen sind im ostmitteleuropäischen Raum daher vorauszusetzen. Darauf weist auch die Übernahme älterer, "vorslawischer" Gewässernamen, insbesondere der Namen kleiner Flüsse, hin.
...
Der Archäologie ist es jedoch bisher nicht gelungen, derartige Kontakte zweifelsfrei zu belegen. Einzelne Lesefunde wie z. B. völkerwanderungszeitliche Fibeln auf slawischen Siedlungsplätzen (Biskupin, Bonikowo) sind unzuverlässig, weil der Zusammenhang der Funde nicht zu beweisen ist. Zwar liegen "Mischbefunde" aus Březno und Dessau-Mosigkau vor, doch bleiben hier auch Beziehungen zu den westlichen Nachbarn denkbar.
...
Das Hauptproblem dürfte aber das wenig charakteristische Material sein - sowohl bei den "späten" Germanen als auch bei den "frühen" Slawen, das sich zudem nur schlecht datieren läßt.
...
Uncharakteristische Keramikformen wie handgemachte unverzierte Töpfe, die sowohl die Germanen des 6. Jahrhunderts als auch die Slawen des 7. Jahrhunderts herstellen, sind für sich genommen kaum einzuordnen. Pollenanalytische Untersuchungen machen, auch wenn sie unabhängig datiert werden müssen und eine kontinuierliche Sedimentation vorauszusetzen ist, häufig eine Besiedlungskontinuität wahrscheinlich.
 
@ Sepiola: Danke für das interessante Zitat von Brather! :winke:

Es bleibt demnach bei der schon eingangs getroffenen Feststellung: Von einem siedlungsleeren Gebiet geht niemand mehr aus, jedoch ist die Stärke der germanischen Restbevölkerung mangels ausreichender Sachquellen umstritten.
 
Das Gebiet der Elb- und Ostseeslawen, für dessen später von Deutschen bewohnte Gebiete neuerdings auch die Bezeichnung "Germania Slawica" verwendet wird, ist seit der 2. Hälfte des 6. Jh. von Angehörigen westslawischer Völker besiedelt worden.
...

Folgendes Szenarium zur slawischen Landnahme wird heute von der Forschung favorisiert: Ende des 6. Jh. und zu Beginn des 7. Jh. drangen über Mähren und Böhmen slawische Stämme nach Mitteldeutschland vor.
In wie weit es sich um geschlossene, sogar größere geschlossene verbände gehalten hat ist ungewiß.


Brather vertritt sogar die Ansicht, eine Einwanderung kompletter Stämme habe es bei den Westslawen gar nicht gegeben.

Brather S. 55 schrieb:
Im Unterschied zu den politischen Strukturen bei den Germanen besaßen slawische "Völker" anscheinend keine benennbaren Heerkönige, die als feste integrative "Traditionskerne" hätten dienen können. Erst mit der Konsolidierung der sozialen Strukturen im Anschluß an die Bevölkerungsverschiebungen konnten sich (neue) ethnische Identitäten bilden. Ethnogenesen liefen in den neu erschlossenen Siedlungsräumen, im Gefolge der "Landnahme" ab und bezogen ganz verschiedene Gruppen ein. Deshalb sind auch nicht allein Wanderungen für die "Slawisierung" Osteuropas verantwortlich zu machen, sondern auch die Assimiliation von Menschen verschiedener "ethnischer" Herkunft - seien es Leute, die sich den Wanderungen anschossen, seien es auch nach der Völkerwanderung ansässig gebliebene Gruppen. Dafür spricht, daß die große Mehrzahl der aus dem frühen Mittelalter bekannten ethnischen Bezeichnungen Neubildungen in den neuen Siedlungsgebieten darstellt, gehen sie doch auf Gewässer- oder Naturnamen zurück.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich frage mich allerdings, ob es nicht auch einfach dem Mangel an schriftlichen Quellen geschuldet sein könnte, dass man keine slawischen "Heerkönige" und "Traditionskerne" kennt.
 
Ich fand gerade bei googlen eines meiner postings in irgendeinem anderen Forum zitiert,

Originally Posted by beorna
between Elbe and Oder river shall have lived around 800 CE not much more than 50,000 people. At the end of the 10th century it were already 250,000 and in 1150 already 400,000 (Deutsche Geschichte, Bd. I, S. 424).


Eine solches Bevölkerungswachstum wäre mit 1,008 bzw. 1,003 relativ niedrig. Der mich zitierende verneint ein solches Bevölkerungswachstum als "rammlerartig" und nimmt für 750 n. Chr etwa 550,000 Slawen zwischen Elbe/Saale und Oder an. Leider finde ich kaum irgendwelche Quellen im Internet und auf Literatur habe ich gerade keinen Zugriff. Auf einer Seite fand ich, daß umm 1300 allein im meißisch-sächsischen Raum bis zu 400,000 (bei 80,000 Sorben) Menschen gelebt haben sollen, um 1100 aber nur 40,000 Sorben. Das würde sich mit meinen Zahlen vermutlich decken, da dieses Gebiet ja nur ein Teil des westslawischen Areals ist. hat irgendjemand andere Zahlen oder Quellen die die oben genannten Zahlen unterstützen oder widerlegen?

jetzt eine Rückfrage eher mathematischer Natur: der berechnete Wachstumsfaktor entspricht der Vorgehensweise bei der Zinseszinsrechnung und jährlicher Verzinsung,
also Kn = K0 q^n

Müßte man nicht mit dem natürlichen Logarithmus rechnen ("stetiger Verzinsung)?

Andererseits rechnen wir ohnehin mit Schätzgrößen...:S

Ich habe nun keine Ahnung von Bevölkerungswachstum. Der Dich zitierende hat mit dem "Karnickelwachstum" die vorliegenden Zahlen als unplausibel zurückgewiesen. Wie sieht denn eigentlich ein plausibles Wachstum aus? Auch hier müßte man wohl mit diversen Imponderabilitäten rechnen*:D.

*unbeabsichtigtes Wortspiel:S
 
Ich frage mich allerdings, ob es nicht auch einfach dem Mangel an schriftlichen Quellen geschuldet sein könnte, dass man keine slawischen "Heerkönige" und "Traditionskerne" kennt.
In der Tat, Brather mag Recht haben, daß keine ganzen Stämme bei den Slawen einwanderten. Stellt sich a) die Frage, ob das denn zB bei den Germanen der Fall war und b) mit was für Größen wir denn in der frühen Slawenzeit für einzelne Stämme zu rechnen haben.

Ich begann den thread mit der Aussage, es hätten um 800 vielleicht nur rund 50,000 Slawen rechts der Elbe gelebt. Wenn wir nur mal die größeren Verbände zählen, dann haben wir Abodriten, Wilzen/Lutizen, Heveller und Sorben "Stammesgrößen" von rund 12000 Personen, wenn wir auch die kleineren Einheiten zählen, von nur etwa 2000 Personen.
 
hat irgendjemand andere Zahlen oder Quellen die die oben genannten Zahlen unterstützen oder widerlegen?

Ich hatte vor Jahren mal dieses Buch hier in der Hand. Meines Wissens wurde dort ziemlich detailliert auf das slawische Siedlungsgebiet zwischen Elbe und Oder eingegangen. Zum Beispiel die Anzahl der slawischen Dörfer, die bei einer Schätzung (und anders wird es ja wohl nicht gehen) doch helfen müsste ...
 
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