Sprache und Ethnizität der Histrier

nationes Histrorum et Illyriorum
Da stecken sogar noch ein bis zwei Geschenke drin: die zeitgenössischen Bürger von A. betrachten die Histrier offensichtlich nicht als Illyrer. Dass sie jenen eine eigene "Nation" zubilligen halte ich für bemerkenswert. Immerhin sollten sowohl die Illyrer im eigentlichen Sinne als auch die - den Bewohner von A. ganz unmittelbar benachbarten - Veneter, denen heutige Forscher eine nahe Verwandtschaft der Histrier attestieren, bestens bekannt gewesen sein.

Daher: sind die Histrier weder Illyrer noch Veneter!

Carnis forsitan aut Histris
Die (von uns als keltisch wahrgenommenen) Karnier wären hingegen sehr wohl Illyrer? Oder meldet Livius hier leise Zweifel an der Kompetenz des Senates an.
 
Ich möchte noch einmal - und da möchte ich mich bei @StefanG für entschuldigen - noch einmal auf die Gleichsetzung der Silbe Terg- in Tergeste mit dem Slawischen Morphem Terg für ‚Markt‘ zurückkommen.

Ich habe hier ganz bewusst zwischen Silbe und Morphem unterschieden.

Ein Morphem ist Teil der (linguistischen) Morphologie. Das Morphem ist die {kleinste bedeutungstragende Einheit}, kann lexikalisch oder grammatisch sein, es hält sich nicht an Silbengrenzen.

Bsp. Ich laufe
Silben: lau-fe
Morpheme: lauf|e (lexikalisches Morphem lauf- [Allomorphe lief, läuf] + grammatisches Morphem 1. P. Sg. Präs.)

Die Silbengrenze geht mitten durch das Morphem als kleinster bedeutungstragender Einheit.
Beachte: im Imperativ (lauf/lauft) verschiebt sich die Silbengrenze und ist in dem einen Fall (lauf) identisch mit dem Morphem, bei lauft geht sie sogar darüber hinaus.

Wir wissen nicht, aus wie vielen Morphemen Tergeste besteht und somit auch nicht, wo die Morphemgrenzen sind (wenn es überhaupt solche gibt). Die Morphemgrenzen können bei Te|rgeste, Ter|geste, Terg|este, Terges|te liegen, wir wissen es nicht.

Vor einigen Wochen oder Monaten habe ich mal wieder einen Wikipedia-Artikel korrigiert. Guadalmina. Jahrelang wurde dort behauptet, Guadalmina hieße ‚Fluss der Mine‘. Nun ist guad(a) ein in v.a. Südspanien abundant wiederkehrendes Element von Flussnamen, es leitet sich von arab. wād(ī) her, ‚Fluss/Flusstal‘. Mine ist aber auf arabisch nicht mina. Das arabische mīnā‘ bedeutet ‚Hafen‘.
Wenn Leute also Guadalmina mit ‚Fluss der Mine‘ übersetzen, dann nehmen sie in Unkenntnis des Arabischen ein in den meisten europäischen Sprachen verständliches mina und setzen es in den arabischen Begriff ein, anstatt näherliegend ein arabisches Wort zugrundezulegen, und so wird aus einem „Fluss des Hafens“ ein *“Fluss der Mine“.

Dasselbe passiert, wenn man das Terg von Tergeste klingklanglicher Assoziationen wegen von slawisch ‚Markt’ (trVg) herleitet.
 
Oder meldet Livius hier leise Zweifel an der Kompetenz des Senates an.

Wem gegenüber? Seinen damaligen Lesern? Weder Livius noch seine Leser hatten maßstäbliche Landkarten greifbar, auf denen die Ortschaften und Völkerschaften verzeichnet waren. Eine Karte wie die Tabula Peutingeriana war ein sündhaft teures Einzelstück, und auch hier sind die Verzerrungen noch groß. Zur Illustration:

1711893791557.png


1711893850765.png
 
Nun schaut das danach aus, als sei der Konsul mit einem gewissen Mandat des Senates ausgestattet gewesen, Krieg gegen Karner und Histrier zu führen, bzw. die Region zumindest gegen erwartbare Angriffe vonseiten der genannten Völker abzusichern. Das ist für unsere Beurteilung der römisch-histrischen Beziehungen zu diesem Zeitpunkt höchst relevant. Meine früher geäußerte Meinung, nach der Unterwerfung von 177 sei praktisch nichts mehr passiert und die Romanisierung der somit befriedeten Histrier habe schon begonnen, muss ich hiermit ausdrücklich widerrufen. Es schaut eher so aus, als wären die nach wie vor feindselig gewesen und ein Grund zu höchster Besorgnis und Anlass für defensive Maßnahmen in Gestalt der Entsendung mehrerer Legionen unter Führung eines Konsuls.
Wohl eher nicht.
Livius bleibt leider vage: In 42,32 schreibt er, Cassius habe als Zuständigkeitsbereich Italien erlost, in 43,1 ist davon die Rede, dass er Gallien (gemeint natürlich Gallia Cisalpina) erlost habe.
Dagegen, der Konsul sei mit einem gewissen Mandat des Senates ausgestattet gewesen, Krieg gegen Karner und Histrier zu führen, spricht, dass in 43,1 der Senat die Gesandten aus Aquileia ausdrücklich fragt, ob sie wünschen, dass Cassius mit dem Schutz Aquileias beauftragt werde. Der Senat ging also anscheinend davon aus, dass das noch nicht die Cassius zugedachte Aufgabe war.
 
Zur Illustration:
Der Karawankentunnel war noch nicht gebaut ;). Um ins Drautal zu gelangen, reiste man wie Polybios erst am Tagliameno entlang und dann über den Plöckenpass. Auch die Route entlang des Kanaltals (Fella) und die Senke von Tarvis war damals noch nicht erschlossen.

Von Emona aus gelangt man nicht gerade schnurstracks oder besonders bequem nach Albanien, sondern eher - wie Strabo skizziert - der Save entlang zur Donau, oder aber (als Bernsteinstraße) via Celje und Ptuj nach Carnuntum. Heute würde man, um nach z.b. Apollonia zu gelangen wie von dir richtig skizziert, via Trebinje fahren.

Reiseroute Polybios.png


Cassius hätte von Emona aus 1.000 km beschwerlichen Weges vor sich gehabt, um auf dem Landweg ins makedonische Kriegsgebiet zu gelangen. Per Schiff Brindisi - Apollonia war wohl die Reiseroute der Wahl, wenn ein römischer Feldherr mit Mandat des Senates in Makedonien einmarschieren wollte. Selbst wenn Cassius keine moderne Karte vorliegen hatte, so hätte er (als für Italien zuständiger Konsul und gebildeter Mann) doch wenigstens die Distanzen auf der italienischen Gegenküste so in etwa einschätzen können, und sich ausrechnen, dass zumindest eine Distanz wie Rimini-Brindisi vor ihm liegen musste, allerdings durch unbekanntes Feindesland und schwieriges Terrain, ohne sichere Versorgungsmöglichkeit.

Cassius Landweg Seeweg.png
 
ivius bleibt leider vage: In 42,32 schreibt er, Cassius habe als Zuständigkeitsbereich Italien erlost, in 43,1 ist davon die Rede, dass er Gallien (gemeint natürlich Gallia Cisalpina) erlost habe.
Dagegen, der Konsul sei mit einem gewissen Mandat des Senates ausgestattet gewesen, Krieg gegen Karner und Histrier zu führen, spricht, dass in 43,1 der Senat die Gesandten aus Aquileia ausdrücklich fragt, ob sie wünschen, dass Cassius mit dem Schutz Aquileias beauftragt werde. Der Senat ging also anscheinend davon aus, dass das noch nicht die Cassius zugedachte Aufgabe war.
Hier die Übersetzungen ins Englische (Hervorhebung von mir)

Livius 42, 32, 5
P. Licinius obtained Macedonia, and C. Cassius, Italy. They then drew lots for the legions; the first and third were to be taken to Macedonia; the second and fourth to remain in Italy.

Livius 43, 1, 4
The other consul, who had had Gaul assigned to him, C. Cassius, did nothing worth mentioning there and tried, unsuccessfully however, to lead his legions through Illyria into Macedonia.

Stellt sich die Frage, was man zur Zeit der Geschehnisse im Jahr 171 v.Chr. und zurzeit des Livius geografisch und administrativ unter Italien und Gallien verstanden hat. Eine Gallia cisalpina als verwaltungstechnischen Begriff gibt es nach meinen Recherchen erst ab Caesar. Laut engl. Wikipedia waren davor andere geografische Begriffe gebräuchlich wie Gallia Citerior, Provincia Ariminum, oder Gallia Togata. Der Begriff Gallia Cispadana meinte das von Galliern bewohnte Land zwischen dem Po und der Linie Pisa-Rimini, wobei es sogar noch südlich von Rimini einen ager gallicus gibt.

Den von Galliern bewohnten Teil Italiens oberhalb der Linie Pisa-Rimini, das "gallische Italien" sozusagen hatte Rom nur etwa 20 Jahre vor den hier diskutierten Ereignissen militärisch unterworfen. Die Apuanier wurden überhaupt erst im Jahr 155 v.Chr. unterworfen. Sogar die von den Römern als ihnen selbst historisch eng verwandt empfundenen Veneter waren laut Polybios um das Jahr 150 in einem so hohen Maße keltisiert, dass er sie einzig und allein anhand ihrer Sprache von den Galliern unterscheiden konnte.

Ab welchem Punkt hat Cassius nun in den Augen seiner Zeitgenossen die ihm zugewiesene Region verlassen? Zwischen den Zeilen, die ich gleich zitieren werde, meine ich herauszulesen, dass es wenig überraschend und durchaus im Rahmen seines Mandats gewesen wäre, wenn Cassius auf eigene Faust gegen Karnier und Histrier gekämpft hätte. Dadurch allein hätte er wohl seine Kompetenzen noch nicht überschritten.

Livius 43, 1, (5-11)
The senate heard of his proposed expedition through a deputation sent from Aquileia. They explained that theirs was a new colony and not yet in a satisfactory state of defence, lying as it did between two hostile nations, the Histri and the Illyrians. They asked the senate to consider how the colony could be protected. [6] On the question being put to them whether they would like that matter to be entrusted to the consul C. Cassius, they replied that he had ordered his army to Aquileia and had started through Illyria for Macedonia,-the thing was at first thought [7??] incredible, and the senators all supposed that he had probably commenced hostilities against the Carni or the Histri. [8] Then the Aquileians observed that they knew nothing further and would not venture to assert anything more than that corn for thirty days had been given to the soldiers and that guides who knew the routes from Italy to Macedonia had been found and taken with the army. [9] The senate were intensely indignant at the consul's having dared to take so much upon him as to abandon his own province and trespass upon that of another, leading his army by an unknown and perilous route through strange tribes, and opening up the way for so many nations into Italy. [10] They made a decree in a crowded House that the praetor C. Sulpicius should select three members of the senate who were to start that very day and, making their way as speedily as possible, find the consul wherever he was, and warn him not [11??] to make a hostile move against any nation without the authorisation of the senate.
 
Der Karawankentunnel war noch nicht gebaut ;). Um ins Drautal zu gelangen, reiste man wie Polybios erst am Tagliameno entlang und dann über den Plöckenpass.

Die Routen sind völlig bedeutungslos und lediglich meiner Faulheit geschuldet. Was ich illustrieren wollte, war die Diskrepanz zwischen der Karte und der realen Lage der Orte.
Und um die Marschroute des Cassius geht es überhaupt nicht, darüber habe ich kein Wort verloren. Was ich geschrieben habe, bezieht sich auf Livius und seine Leser.
 
Ja, natürlich hatten die Menschen damals nicht unsere heute einfach zu erlangende Google maps Übersicht über die tatsächlichen geografischen Verhältnisse. Dennoch halte ich den Crassus für einen Desperado und einen Trottel. Das selbe Urteil haben zu Recht Zeitgenossen und Chronisten gefällt. Als Konsul für Italien und gebildeter Mann seiner Zeit, mit Zugriff auf jegliche Information und Beratung, die damals verfügbar war, sollte ihm klar gewesen sein, dass ein Landweg von Emona nach Apollonia zumindest die Distanz von Rimini nach Brindisi bedeuten würde.

Und das nicht etwa auf überwiegend ausgebauten Römerstraßen durch die Heimat, sondern auf unbekannten Pfaden über Berg und Tal im Feindesland. Kein Wunder, dass der Senat empört war über diese Unternehmung. Livius stellt ihn zurecht negativ dar. Denn hinzu kam infolge die Notwendigkeit, den Schaden, den Crassus am Rückweg angerichtet hatte, diplomatisch wieder auszubügeln.
 
Und um die Marschroute des Cassius geht es überhaupt nicht, darüber habe ich kein Wort verloren. Was ich geschrieben habe, bezieht sich auf Livius und seine Leser.

Ja, natürlich hatten die Menschen damals nicht unsere heute einfach zu erlangende Google maps Übersicht über die tatsächlichen geografischen Verhältnisse. Dennoch halte ich den Crassus für...

Ich bin immer noch nicht verstanden worden. Cassius interessiert mich in diesem Zusammenhang überhaupt nicht. Worum es geht, hatte ich doch zitiert:
Oder meldet Livius hier leise Zweifel an der Kompetenz des Senates an.
 
Dennoch halte ich den Crassus für einen Desperado und einen Trottel. Das selbe Urteil haben zu Recht Zeitgenossen und Chronisten gefällt. Als Konsul für Italien und gebildeter Mann seiner Zeit, mit Zugriff auf jegliche Information und Beratung, die damals verfügbar war, sollte ihm klar gewesen sein, dass ein Landweg von Emona nach Apollonia zumindest die Distanz von Rimini nach Brindisi bedeuten würde.
Er hatte aber keine Alternative. Da er eigenmächtig und illegal (da ihm „Italia“ bzw. „Gallia“ zugewiesen war und seinem Kollegen Makedonien) sowie offenkundig ohne Rücksprache mit dem Senat in Makedonien mitmischen wollte, konnte er nur auf dem Landweg durch Illyrien nach Makedonien marschieren, egal wie beschwerlich er sein mochte. Cassius konnte schließlich nicht einfach durch Italien nach Brundisium marschieren, und Flotte hatte er auch keine.
Kein Wunder, dass der Senat empört war über diese Unternehmung.
Empört war der Senat darüber, dass Cassius eigenmächtig den ihm zugewiesenen Zuständigkeitsbereich verlassen hatte und offenkundig plante, in Makedonien mitzumischen, das seinem Kollegen als Zuständigkeitsbereich zugewiesen worden war.
 
den ihm zugewiesenen Zuständigkeitsbereich verlassen hatte
Ja. Was mir noch auffällt: die Verpflegung für 30 Tage, die er sich in Aquileja geben ließ, wäre für die Strecke von 976km (laut Google maps) nur im Optimalfall eine vernünftige Größenordnung. Aber völlig verpeilt oder falsch beraten dürfte er nicht gewesen sein, was die Distanz betrifft.

Interessant im Kontext "Histrier" finde ich, dass das deren Siedlungsgebiet wie auch das der Karner schon damals zum Gebiet des Konsuls für Italien gehörte. Die Regio X wurde erst ca. 160-170 Jahre später eingerichtet.
 
Ja. Was mir noch auffällt: die Verpflegung für 30 Tage, die er sich in Aquileja geben ließ, wäre für die Strecke von 976km (laut Google maps) nur im Optimalfall eine vernünftige Größenordnung. Aber völlig verpeilt oder falsch beraten dürfte er nicht gewesen sein, was die Distanz betrifft.

Ich meine, dass 30 Tagesrationen für die gesamte Strecke auch unter optimalen Bedingungen nicht reichen können (und schon gar nicht, wenn man den Rückmarsch mit einkalkuliert), vielleicht wurden noch ein oder zwei Getreideschiffe zu einem Hafen beordert, der auf der Marschroute lag.

Die Faustregel bei Vegetius lautet: 30 km für einen normalen militärischen Tagesmarsch (militaris gradus), 36 km für einen Eilmarsch (plenus gradus).
Wie Du richtig schreibst, müssen auf längeren Strecken Ruhetage einkalkuliert werden, da ist weder das eine noch das andere zu halten. Vielmehr müssen wir mit weniger als 30 Tagen im Durchschnitt rechnen. Von Caesar ist überliefert, dass er die Strecke von Corfinium bis Brundisium (ca. 460 km) in 17 Tagen schaffte, das macht im Durchschnitt etwa 27 km.


Interessant im Kontext "Histrier" finde ich, dass das deren Siedlungsgebiet wie auch das der Karner schon damals zum Gebiet des Konsuls für Italien gehörte.
Woraus schließt Du das?
 
Zurück
Oben