Tafelkultur des Spätmittelalters

Nur um den "ungesalzenen Haferbrei" anständig einzuordnen...

Dieser geht primär auf die populäre Vorstellung zurück dass sich die "Bauern" des (Spät)Mittelalters weder Salz noch Fleisch, Eier und Geflügel so richtig leisten könnten... was schon mal physikalisch komplett unmöglich ist, denn die tägliche Salzzufuhr ist für den Menschen lebensnotwendig. Auch die Idee dass Bauern, welche Landwirtschaft und Tierhaltung betrieben haben, sich ihre eigenhändig hergestellten Produkte aber nicht leisten konnten, kratzt gleichermaßen an der physikalischen Realität und zwar in Bezug auf den täglichen Kalorienverbrauch den man selbst in modernen Zeiten als Landwirt hat. Wenn die Bauern "alles an die Grundherren abgeben müssten" und nur soviel behielten dass es zum blanken Überleben gerade so ausreichte, wir erklärt sich denn der archäologisch und historisch belegte Bevölkerungswachstum des Hoch- und Spätmittelalters?

Der ungesalzene Haferbrei ist aber beileibe nicht das einzige Klischee was sich mit der physikalischen Realität so richtig beißt :)
 
Wenn die Bauern "alles an die Grundherren abgeben müssten" und nur soviel behielten dass es zum blanken Überleben gerade so ausreichte, wir erklärt sich denn der archäologisch und historisch belegte Bevölkerungswachstum des Hoch- und Spätmittelalters?
Der Bevölkerungswachstum des Hochmittelalters wurde durch Klimawandel verursacht: Es gab Überschüsse, während die festgelegten Abgaben pro Bauenrhof, die aus klimatisch schlechteren Zeiten stammten, gleich blieben: Ein höriger Bauer musste, neben dem Zehnt an die Kirche, so und so viel Scheffel Getreide, so viele Hühner, Eier, Rinder und Schweine etc. an die Grundherrschaft abliefern. Leibeigene waren dagegen auch zu Frondiensten verpflichtet.
 
Dieser geht primär auf die populäre Vorstellung zurück dass sich die "Bauern" des (Spät)Mittelalters weder Salz noch Fleisch, Eier und Geflügel so richtig leisten könnten...
Zum einen verdüstert der fast schon krankhafte Fortschrittsglaube unserer Zeit den Blick auf die Vergangenheit zu gerne, und zum anderen gab es ja die Ostblock-Geschichtsschreibung, die den mittelalterlichen Bauern am liebsten als ausgebeuteten Märtyrer darstellte, was heute noch nachwirken dürfte. [Könnte aber auch mit den aktuell hohen Steuer- und Versicherungsbelastungen zusammenhängen, die der stolze Demokrat höchst ungern als rückschrittliche Ausbeutung sieht… ;) ]
 
Zum einen verdüstert der fast schon krankhafte Fortschrittsglaube unserer Zeit den Blick auf die Vergangenheit zu gerne
und man müsste sich angesichts all der (vermeintlichen) Schrecknisse des Mittelalters fragen, warum damals die komplette Bevölkerung nicht binnen weniger Jährchen verhungert und ausgestorben ist.
 
... zum anderen gab es ja die Ostblock-Geschichtsschreibung, die den mittelalterlichen Bauern am liebsten als ausgebeuteten Märtyrer darstellte, was heute noch nachwirken dürfte.
Na ja, die Ostblock-Geschichtsschreibung hat schon einiges verbockt, keine Frage, aber die vielen Bauernaufstände hat sie nicht erfunden: Die fanden wegen der tatsächlichen Not der Bauern statt.
 
Zur Frage, wo große Stücke krümeliger aber fester Speisen zum Verspeisen abgelegt wurden, da es ja den individuellen Flachteller bzw. "Trencher" vom 11. bis zum 14 Jh. noch nicht so gab. Zum Beispiel ein Stück saftiger Pastete, wo es leicht herauskrümelt und das Brotstück den Bratensaft einfach nicht abfangen kann ohne die Tischdecke voll zu ferkeln.

Altar der Santa Croce in Florenz, Ugolino da Siena, um 1325-30

In dieser Quelle sehen wir z.B. dass jede Person eine individuelle Essschale hat, aber statt Mus und Löffel sind da scheinbar feste hellfarbene Stücke drin, welche die Leute mit der Hand zu nehmen und essen scheinen. Manche Schalen enthalten mehr "Stücke" und manche weniger, was wahrscheinlich den Appetit des jeweligen Tischgastes reflektieren soll.
 
Na ja, die Ostblock-Geschichtsschreibung hat schon einiges verbockt, keine Frage, aber die vielen Bauernaufstände hat sie nicht erfunden: Die fanden wegen der tatsächlichen Not der Bauern statt.
Anscheinend hast Du es versäumt, Dir die Informationen zu den dort aufgelisteten Aufständen mal genauer anzusehen. Falls Du das nachholen und darüber diskutieren möchtest: Bitte neues Thema!
 
... und noch eine spannende und aufschlussreiche Quelle!
"Somme Le Roi" (um 1290-1300) - British Library Additional MS 28162 folio 10v

Man sieht deutlich wie vor der Dame rechts im orangefarbenen Umhang auf dem Tisch Fischstücke liegen, scheinbar direkt auf der Tischdecke ohne jegliche Unterlage. Daneben entsprechende Brotstücke. Solche Bilder befeuern unfreiwillig immer noch den Mythos, im Mittelalter hätten die Menschen direkt vom Tisch gegessen, ohne Teller und ohne jegliche Unterlage. Solche Suppentische sind tatsächlich belegt, aber eher im 18/19 Jhd. und haben mit dem Mittelalter nichts zu tun.

Wenn wir aber das hier mit anderen Quellen vergleichen, wie z.B. das bereits verlinkte und um rund 100 jahre ältere Cod. Ser. n. 2644 folio 169, dann liegt die Annahme sehr nahe dass die Fischstücke oder andere feste Speise obedrauf auf Brotstücke gelegt und in einem Stück gegessen wurde. Wir sehen hier quasi das mittelaterliche Pendant zu Sushi oder unseren modernen Schnittchen... :p Das ist so mein Kenntnisstand, wie feste Speisen am Tisch im Zeitraum von 1000 bis 1400 verzehrt wurden. Ab dem 14 Jh. tauchen vereinzelt die flachen Teller a.k.a "Trencher" auf, und werden ab dem 15 Jh. die Regel. Und wer kein Brot essen mochte, aus z.B. humoralpathologischen Gründen, der müsste wohl seine Essschale verwenden oder einfach der Reihe nach Speisestücke mit dem Essmesser von den Serviertellern holen und gleich verspeisen.

Und ja, es ist völlig normal dass die heutigen Menschen diese Art zu speisen den gegewärtigen Gepflogenheiten schon ein bisschen anpassen wollen. Aus dem kleinen Brotstück wird dann eben ein großer Brotteller auf welchem anachronistisch Service à la russe - Style ein komplettes Gericht serviert wird. Die Rolle der Gabel übernimmt dann der Essdorn/Pfriem. Nur sollte man, so meine Position, Brotteller und Essdorne von vornherein als spekulativ deklarieren, denn weder das eine noch das andere lässt sich für die mittelalterliche Tafel in der Form belegen.
 
eine spannende und aufschlussreiche Quelle!
Da gefällt mir der Hund ganz besonders, der sich sehr für eine Schüssel voller Fische interessiert :)
Man sieht deutlich wie vor der Dame rechts im orangefarbenen Umhang auf dem Tisch Fischstücke liegen, scheinbar direkt auf der Tischdecke ohne jegliche Unterlage. Daneben entsprechende Brotstücke.
Und man sieht Messer, Trinkpokale und aufwändige Schüsseln (mit ganzen Fischen)
 
Das ganz große Thema FLEISCH!

Es gibt ja die Vorstellung, dass die Menschen des Mittelalters die zu ca. 90% auf dem Land lebten und Landwirtschaft & Viehzucht betrieben haben sich ihre eigene Fleischprodukte nicht leisten konnten. Zwei Fehlannahmen sind dabei zentral.

Hühnerfleisch

Oft wird ja gesagt dass die Bauern nur sehr selten ein Huhn im Topf hatten, da die Hühner Eier legen und damit nicht geschlachtet werden dürften. Brathähnchen gab es nur für Reiche. Die Logik ist an sich richtig, bezieht sich aber eindeutig auf die moderne Massentierhaltung, wo fast alles an Hühnerfleisch von weiblichen Hühnern kommt die keine Eier mehr legen können. Da man für die Eierlegebatterien nur eine begrenzte Anzahl von Hähnen braucht, wurden/werden die männlichen Küken aus "Rentabilitätsgründen" "entsorgt".

Die natürliche Geflügelzucht, ob Antike, Mittelater oder Neuzeit, lässt die männlichen Küken einfach zu jungen Hähnen (= "Hähnchen") aufwachsen, bis die irgendwann einer nach dem anderen zu Hühnerfleisch verarbeitet werden. Auf diese Weise kam Geflügel auf dem Tisch des Bauern und die eierlegenden Hühner blieben heil. Überhaupt ist Hühnerfleisch eines der am meisten konsumierten Fleischarten des Mittelalters (Quelle).

Schweinefleisch
Wird oft als die billigste Fleischart angenommen, da angeblich die Schweine "auf den Straßen herumliefen und sich preiswert von Müll ernährt haben". Dazu gibt es eine einzige Quelle... die eigentlich keine ist :) Ich habe da trotz langer Recherche keinerlei anderweitige Belege finden können. Schwein musste gezielt gemästet werden, damals wie heute, die Preise waren entsprechend.

Rind-, Ochsen- und Ziegenfleisch

...war regional unterschiedlich stark auf dem Speiseplan (Quelle)

Was aber nicht fehlen darf, war natürlich der Stockfisch! Eines der wichtigsten Handelsgüter und gleichzeitig die allgemein sehr preiswerte Quelle für viele Spurelemente wie Jod und wichtige Fettsäuren.
 
An der Stelle vielleicht ein konkretes Rezept für ein Muos!
Beim kreieren dieses Rezeptes mich dabei am "Buch von guter Speise" orientiert, damit es gleichzeitig auf dem Tisch eines "Ritters" aber auch eines Bauern stehen könnte. Wenn man es "vermögend" gestalten möchte, sind Ingwer, Safran und Pfeffer ganz gut.

Protein = Fisch oder Hühnerfleisch (sehr klein gehackt)
Gemüse = Karotten und Ackerbohnen (sehr klein gehackt)
Fett = Butter
Kräuter = Petersilie, Salbei, Lauch (geschnippelt)
Gewürze = Knoblauch (geschnippelt)
Kohlenhydrate = Hartweizengrieß (zum Abbinden des Ganzen)

Wenn man Quellen wie Liber de Coquina, Le Viandier und Das Buch von Guter Speise vergleicht, alle grob angesiedelt zwischen 1300 und 1350, dann sieht man dass zum Eindicken der Gerichte "Mehl" und (geriebenes/zerkrümeltes) "Brot" erwähnt werden. Keine einzige Erwähnung von Hafer :) Was man unter dieser Art von "Mehl" verstehen sollte, wird z.B. im "Buch von Guter Speise" erwähnt, Zitat: |1:4|vnd nim |1:5| einen vierdung rises, den sol man stozzen zvo mele. Getreide wurde also im häuslichen Kontext per Hand zu Mehl zerstoßen, was also eher dem entsprechen dürfte was wir im Handel als Hartweizengrieß sehen. Ob jetzt Roggengrieß, Gerstengrieß oder Reisgrieß, Hartweizen ist eben das heute Verfügbarste was wir haben, stammt es doch vermutlich von Emmer direkt ab.
... Interessanterweise besitzt zu Brei gekochter Hartweizengrieß ähnliches Erscheinungsbild und auch Geschmackselemente eines Kartoffelbreis.
 
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Fun Fact: im Mittelalter gab es im Rhein so viele Störe, dass Hausmeier den Herren baten keinen Kaviar mehr essen zu müssen.
 
Fun Fact: im Mittelalter gab es im Rhein so viele Störe, dass Hausmeier den Herren baten keinen Kaviar mehr essen zu müssen.

"... bei Kölschem Kaviar handelt es sich um eine ordentliche Portion Blutwurst (auf Kölsch 'Flönz' genannt”) welche mit einem Röggelchen, Zwiebelringen und Senf serviert wird"
 

Im 19. Jahrhundert zählte der Stör (A. sturio) in Norddeutschland zu den wirtschaftlich wichtigsten Fischarten und war im frischen und geräucherten Zustand ein bedeutendes Volksnahrungsmittel und der Kaviar ein geschätztes Genussmittel. Wichtige Störfanggebiete im Einzugsgebiet der Nordsee waren sowohl die Unterelbe zwischen Finkenwerder und Bruns-büttel, die Unterläufe von Weser, Ems, Este, Oste, Stör und Eider als auch das Wattenmeer.

So geschätzt war der Fischrogen dann doch nicht immer.
Nach RÖNNAU (1987) wurde bis zum Jahr 1840 der Stör [an der Elbe, Anm.] vorwiegend wegen seines Fleisches gefangen und der Störrogen von den Glückstädter Fischern, die vor 1840 fast alleine den Störfang betrieben, an die Altenwerder Aalfischer als Köder für die Aalkörbe verkauft.
Erst um 1840 begann an der Unterelbe die Kaviarbereitung nach russischem Muster und durch Räucherei konnte das Störfleisch besser genutzt werden.

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Das behandelt nur 19./20. Jh. Ich kann gerade nichts zur Verwertung von Störrogen im mittelalterlichen Norddeutschland finden, zum Kaviar und Delikatesse entwickelte er sich jedenfalls erst durch russische Zubereitungsmethoden eben im 19. Jh.
Ich weiß auch nicht mehr wo ich das gelesen hatte, aber hab auch keinen Grund daran zu zweifeln. Wie oft das belegt ist, dass ein Meier bat keinen Störrogen essen zu müssen weiß ich auch nicht.
 
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