Überlieferung des Hexameters?

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Lateinschülerin

Gast
Hallo an alle Experten in Sachen Metrik und Geschichte der Dichtkunst!

Neulich saßen wir im Lateinunterricht über einigen Versen aus den Metamorphosen und sollten skandieren. Da stellte sich uns die Frage, woher man eigentlich weiß, wie die Betonungen im Vers verteilt sind, wie sich also der Hexameter (der Antike) überliefert hat.
Schließlich können wir ja nicht auf Tonaufnahmen o.ä. zurückgreifen, sondern die Sprachwissenschaftler haben nur schriftlich Fixiertes zur Verfügung.
Außerdem habe ich gehört, dass ein Römer, der z.B. aus den Metamorphosen las, nicht wie wir im Deutschen die Längen und Kürzen durch "betont" und "unbetont" wiedergegeben hat, sondern irgendwie anders. Aber woher man weiß, dass die das anders ausgesprochen haben, dazu habe ich bis jetzt im Internet (leider was solche Sachen angeht, meine einzige Quelle) nichts gefunden. Und mein Lateinlehrer weiß es auch nicht.

Daher also meine Fragen:
1. Woher weiß man, nach welchem Schema ein Hexameter geschrieben wurde?
(Ich meine immer noch den "antiken" wie er sich bei Homer usw. findet, nicht das, was Goethe u.a. daraus gemacht haben)
2. Woher weiß man, dass es sich dabei um Kürzen und Längen handelt, die nicht unbetont und betont ausgesprochen wurden (wie heute im Deutschen üblich), sondern auf eine Art, die in den "modernen" Sprachen verloren gegangen ist?

Vielen Dank im Voraus für eure Hilfe!
 
Liebe Lateinschülerin,
ich will die Fragen beantworten, so gut ich es vermag. Falls ich etwas zu unständlich erkläre, frage bitte nach.
Zunächst ist es ein (weitverbreiteter) Irrtum, zu glauben, wir hätten keine Längen und Kürzen mehr. Das wird bei Liedern deutlicher als bei gesprochenen Gedichten: es gibt einen Rhythmus, indem manche Noten länger sind als andere. Das hat sich aus dem Sprechen entwickelt: für manche Silben braucht man einfach länger, weil sie z.B. mehr Konsonanten enthalten als andere (so entstehen die Positionslängen). Im Deutschen werden lange Silben meist betont bzw. betonte Silben lang gesprochen, aber bei sehr gewählt sprechenden Menschen fällt auf, dass sie nicht alle Silben gleich lang sprechen.

Im Lateinischen und Griechischen (beide Sprachen sind sich hierin sehr ähnlich) gab es auch eine Betonung, die nicht direkt mit den Längen zu tun hatte. Vergleichbar ist das mit der Betonung beim Singen auf der 1 und 3 (bzw. 2 und 4 bei einigen moderneren Musikstilen), die auch kurze Notenwerte sein können. Es erfordert aber sehr viel Übung, so zu sprechen, dass sowohl die Quantitäten (Längen und Kürzen) als auch die Betonungen richtig gesetzt werden. In der Schule wird das nicht gefordert, und selbst viele Lateinstudenten und -lehrer beherrschen es nicht. Ein Beispiel dafür findet man hier: Publius Vergilius Maro - Aeneidos Liber IV (zu suchen auf Online-Videoportalen)

Woher man das weiß: zum einen gab es in der Antike schon Grammatiken, die das beschreiben. Von Aristoteles gibt es ein Buch über Poetik, in dem er die Versmaße auf den natürlichen Sprechrhythmus zurückführt. Auch Cicero schreibt in De oratore darüber, dass im Theater das Publikum pfiff, wenn gegen die richtige Abfolge der Längen und Kürzen auch nur einmal verstoßen wurde.

Zum anderen haben wir eine Fülle an Versen erhalten, die von vielen Wissenschaftlern untersucht worden sind. Wenn man diese vergleicht, fallen die Regelmäßigkeiten schon auf, und die bestehen eben in den Quantitäten.
Im spätantiken Latein allerdings verschwindet langsam das Verständnis für Quantitäten, und allmählich wird nach Betonungen gedichtet.

Und noch ein weiterführender Tip: Die Lieder von Jan Novak ahmen die antike Rhythmik ziemlich gut nach. Erst durch den Gesang wird ein halbwegs anschaulicher Eindruck von der Metrik vermittelt. Hier ein Beispiel: Jan Novák - Vides ut alta stet (zu suchen auf Online-Videoportalen, ist aber kein Hexameter)
 
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