Zur Unterscheidung von Primär- und Sekundärquellen:
Als bildliche Primärquelle erscheinen z. B. eine Fotographie oder Filmaufnahmen der Ermordung des Thronfolgers Franz-Ferdinand oder des Königs Alexander von Jugoslawien gegenüber etwa nach Augenzeugenberichten nachträglich angefertigten Zeichnungen der Ereignisse. Goethes Tagebuch der Italienischen Reise hat gegenüber der späteren absichtlichen Komposition seiner Italienischen Reise den Rang einer Primärquelle. Für manche Ereignisse und Erlebnisse Bismarcks sind seine Aufzeichnungen und brieflichen Mitteilungen Primärquelle gegenüber der wesentlich späteren Darstellung desselben Zeugen in seinen Gedanken und Erinnerungen. Was Otto von Freising als Miterlebender und Mithandelnder über die frühe Stauferzeit berichtet, hat den Wert einer Primärquelle gegenüber Aussagen späterer oder auch räumlich oder nach der Person des Verfassers entfernter chronistischer Darstellungen.
Doch muss beachtet werden, dass die erwähnte Vorsaussetzung des Ceteris paribus keineswegs immer zutrifft. Es ist durchs denkbar, dass eine sog. Sekundärquelle wegen grösserer Objektivität im Bericht, besseren Überblicks über die Zusammenhänge eine Primärquelle an Wert übertrifft.
Ein und dieselbe Quelle kann ferner durchaus, je nachdem auf welche Frage sie zu antworten hat, einmal Primär-, einmal Sekundärquelle sein.
Primärquelle ist das Chronicom Slavorum des Priesters Helmod von Bosau für die von ihm selbst miterlebten Vorgänge des nordostdeutschen Kolonisation um die Mitte des 12. Jahrhunderts; Sekundärquelle ist es mit der Schilderung zeitlich oder räumlich weit abliegende Ereignisse der Welt-, Reichs- und Kreuzzugsgeschichte, der der Verfasser anderen Autoren entnommen hat. Die Gruppierung in Primär- und Sekundärquellen ist also relativ abhängig von der jeweiligen historiographischen Fragestellung.
Quelle: Werkzeug des Historikers
Dann noch aus dem Buch; Die Interpretation historischer Quellen, Schwerpunkt Antike Band 1, S. 17 bis 20
"Der Unterschied zwischen beiden Kategorien lässt sich folgendermassen definieren: Das primäre Material, d. h. die ungeformte Überlieferung, ist ein Teil des aktuellen historischen Geschehens; das sekundäre hingegen bestehend aus der geformten Überlieferung, spiegelt eben jenes Geschehen aus einer gewissen zeitlichen Distanz heraus wider.
Zum primären Material gehört entsprechend die gesamte nicht schriftliche Überlieferung, also die materiellen und archäologischen Quellen, aber auch schriftliche Überlieferung, die unmittelbar zum aktuellen Geschehen zu rechnen ist, u. a Urkunden, Volksbeschlüsse, Staatsverträge, Privatverträge, Reden, Briefe, Flugschriften, Memoiren, Rechtsaufzeichnungen. Unter den Sekundärquellen ist dagegen die gesamte Überlieferung zu verstehen die mit Hilfe der Primärquellen das historische Geschehen nachträglich zu rekonstruieren sucht."